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2. Korintherbrief, Kapitel 6, Vers 14
Johanna wusste sofort, dass etwas mit ihrer Mutter nicht in Ordnung war. Die Stimme, die von oben kam, hatte die Temperatur eines Eiszapfens, und selbst hier unten im Flur, ein Stockwerk entfernt, ließ sie Johanna frösteln. Vorsichtig stellte die Vierzehnjährige ihre Schultasche auf der untersten Treppenstufe ab. Dann hängte sie langsam ihre Jacke an den Garderobenhaken und suchte nach ihren Hausschuhen.
"Johanna?", kam es schneidend scharf von oben. "Beeil dich ein bisschen, ich muss gleich los!"
Wow, nicht einmal bitte hatte ihre Mutter gesagt.
"Ja, Mama, ich komme", rief sie zurück, lief schnell die Treppe hinauf und betrat die Küche, in der schon der Tisch gedeckt war. Ihre Mutter hantierte am Herd und drehte sich nicht wie sonst zu ihr um.
"Setz dich schon mal und gieß dir Saft ein", murmelte sie stattdessen nur.
Johanna gehorchte wortlos. Aus Angst vor der Antwort wagte sie es nicht, Fragen zu stellen. Bestimmt war etwas Schlimmes passiert! Mit Oma und Opa oder mit Mama selbst? War sie vielleicht krank? Johannas Magen war weniger rücksichtsvoll und meldete sich ungefragt zu Wort: Er knurrte vor Hunger. Das Knurren war ziemlich laut. Endlich drehte sich die Frau am Herd um, und Johanna erschrak. Mama hatte rote und geschwollene Augen! Ihr sonst so nettes Gesicht war bleich, die Lippen hatte sie entschlossen aufeinandergepresst. Jetzt verzog sich der Mund zu einem angestrengten Lächeln. Doch Johanna kannte ihre Mutter zu gut, um darauf hereinzufallen.
"Mama, ist etwas passiert?", platzte sie heraus.
"Nein, warum?", fragte Julia und klatschte ihrer Tochter den Kartoffelbrei auf den Teller. Etwas von der heißen Masse spritzte auf den Tisch und auf Johannas T-Shirt. "Tschuldigung", nuschelte die Köchin mit den roten Augen und griff nach der Pfanne mit den Bratwürsten. Johanna hob eine Augenbraue, als ihre Mutter keinerlei Anstalten machte, die Breispritzer vom Tisch zu entfernen. Stumm nahm sie selbst das feuchte Spültuch in die Hand und beseitigte die Kartoffelspuren. Auch als Julia die heiße Pfanne auf den Untersetzer knallte, sagte sie nichts, sondern zog nur hörbar die Luft ein. Dann wühlte ihre Mutter in der Küchenschublade.
"Wo steckt denn diese dämliche Würstchenzange?", schimpfte sie vor sich hin.
Endlich begriff Johanna: Natürlich, das war die Erklärung! Erleichtert atmete sie aus. Mama ist nur wütend, dachte sie.
"Ha, hab ich dich", triumphierte Julia und riss die ungehorsame Zange an sich. Sie stieß die Schublade zu, dass es rumste. Allerdings ist sie sehr wütend. Ein zerquetschtes Würstchen landete unsanft auf Johannas Teller. Außerordentlich wütend.
"So", stieß die Köchin hervor und zerrte ihren Stuhl vom Tisch, um auch Platz zu nehmen. Das Quietschen der Stuhlbeine, die über den Küchenboden schrappten, schien ihr zu gefallen, dabei achtete sie sonst immer darauf, dass man den Stuhl anhob. Ratlos sah Johanna ihre Mutter an. Zwei kampflustige Augen funkelten zurück. Oh Mann, so wütend hatte sie Mama noch nie erlebt!
"Hab ich etwas falsch gemacht?", fragte sie vorsichtig.
"Nein, du nicht. Iss!", befahl ihre Mutter.
Johanna senkte den Blick und versuchte, ihre wirbelnden Gedanken zu einer Art Dankgebet zusammenzukehren. Dann hob sie mechanisch ihre Gabel und stocherte im Gemüse herum. Was war nur los? Auf wen war Mama denn so wütend? Ihr Gehirn kreiste mit so viel Energie um diese Frage, dass für die Geschmacksnerven keine Impulse mehr übrig blieben. Johanna kaute zwar, schmeckte aber nicht, was sie aß. Sie hätte auch an einem Stück Gummi lutschen können. Nach einigen stummen Minuten, die sich in die Länge zogen wie die Wurstpelle, an der Johanna herumsäbelte, stöhnte ihre Mutter auf. Langsam und plötzlich behutsam legte Julia Messer und Gabel auf den Tellerrand. Dann berührte sie vorsichtig die Hand ihrer Tochter.
"Hey, es tut mir leid, Süße!"
Johannas Schultern sanken herab. Sie entspannte sich etwas und saugte langsam den Kartoffelbrei von ihrer Gabel.
"Was ist denn los, Mama?", fragte sie leise.
"Ach, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist."
Seufzend griff Julia wieder nach ihrem Besteck. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schob sich eine aufgespießte Wurstscheibe in den Mund. Heftiger als nötig kaute sie darauf herum. Wie sollte sie das ihrer vierzehnjährigen Tochter auch erklären? Dass sie sich mehr erhofft hatte? Dass sie gedacht hatte, sie und Simon Isken, ihr netter und hilfsbereiter Nachbar, könnten mehr als nur Freunde werden? Dass sie in Simons Gegenwart endlich wieder glücklich war? Nein, das konnte sie Johanna nicht erzählen. Wie sollte sie ihr erklären, wie verletzt sie war, dass er sie auf einmal zurückgewiesen hatte? Dass sie es nicht fassen konnte, dass er sie mit einer Kuh verglich! Das ging zu weit. Das war nichts für Kinderohren. Das mussten die Erwachsenen unter sich klären.
"Wer hat dich mit einer Kuh verglichen?", fragte Johanna.
Julia starrte ihre Tochter erschrocken an. Hatte sie etwa laut gesprochen?
"Äh, niemand, ich habe nur laut gedacht", behauptete sie.
"Klar." Johanna hatte nicht vor, sich mit der Antwort zufriedenzugeben. "Du kannst mir ruhig sagen, worum es geht. Ich bin kein Baby mehr."
Julia riss die Augen auf und sah ihre Tochter an, als sähe sie sie zum ersten Mal. Du meine Güte, das Kind ist schneller in die Höhe geschossen als der märchenhafte Stängel der Zauberbohne, dachte sie.
"Nein, mein Schatz. Das bist du wirklich nicht mehr", gab sie zu.
Schon seit ihrer Geburt war Johanna leidenschaftlich neugierig. Wenn Simon plötzlich wegblieb, würde sie nach ihm fragen. Also konnte sie genauso gut gleich mit der Neuigkeit herausrücken. Aber ihre Tochter würde nur eine gekürzte Version der Ereignisse zu hören bekommen, eine kindgerechte. Entschuldigung - eine teenagergerechte.
"Also gut, ich glaube, ich bin wütend auf Simon", erklärte Julia.
Johanna schmunzelte.
"Mama, du bist nicht wütend, du magst ihn nur!"
Wann war ihr Baby erwachsen geworden? Julia merkte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
"Ist das so offensichtlich?", fragte sie.
"Ja, das sieht ein Blinder - wie Opa immer sagt!"
"Ach, du meine Güte!" Julia versteckte ihr rotes Gesicht hinter den Händen. Dann spreizte sie zwei Finger und blinzelte hindurch. "Wie peinlich", stöhnte sie.
"Quatsch! Das muss dir doch nicht peinlich sein. Ich mag ihn auch", gab Johanna leise zu, "sehr sogar."
"Das ist ja das Schlimme."
Frau Müller nahm die Hände vom Gesicht. "Er sagt, ich soll mir keine Hoffnung machen. Es hätte . es täte ihm leid, dass . äh, dass er nicht b. besser aufgepasst hätte, aber . es hä. hätte keinen Sinn . mit . mit uns", stotterte sie und sah ihre Tochter nicken. "Sag bloß, du verstehst das?"
"Ja, ich glaube schon", sagte Johanna nachdenklich.
"Auch, warum er mich nicht mehr mag?"
Johanna lachte.
"Quatsch", sagte sie noch einmal. "Natürlich mag er dich auch."
Julia war sprachlos. Wie konnte sich das Kind da so sicher sein?
"Aber was meintest du mit der Kuh?", hakte ihre Tochter noch einmal nach.
"Na ja, das hat er nicht direkt gesagt", gab Julia zögernd zu und kratzte sich verlegen am Kopf. "Aber er hat gemeint, da ich seinen Glauben nicht teile, wäre eine . ähm . eine Beziehung mit mir so etwas wie ein ungleiches Joch." Julia seufzte leise. Johanna runzelte die Stirn.
"Was ist denn ein Joch?"
"Ein Joch ist ein Holzstück, das zwei Tiere - meistens Rinder - verbindet, die gemeinsam einen Pflug aus Holz oder Eisen ziehen. Früher, als es noch keine Traktoren gab, hat man auf diese Weise Furchen in die Erde gezogen, in die dann die Kartoffeln oder Körner kamen. Heute ist das in ärmeren Ländern noch so", erklärte Julia, als hätte sie es eben erst im Lexikon nachgelesen.
Bei der Vorstellung, Simon und ihre Mutter würden aneinandergekettet über einen Acker...
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