Schweitzer Fachinformationen
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"Willst du wirklich noch mit dem Rad nach Hause, Ronny?"
Sophia Mombauer stand im Flur der Familie Schmickler und guckte den langhaarigen, hoch aufgeschossenen Jungen neben sich fragend an. Dann riskierte sie einen Blick durch die offene Haustür. Viel war draußen nicht zu sehen. Abgesehen von dem gelblichen Licht einer Außenlampe war es stockfinster. Die Bäume des angrenzenden Waldes knarzten leise. Der herbstliche Wind trieb die letzten Blätter über den Hof zwischen Opa Schmicklers altem Elternhaus und dem Neubau, in dem Rahel und Silas Schmickler mit ihren Eltern wohnten. Das Gebäude war nicht ganz so neu, wie der Name es behauptete. Es stammte aus den 70er-Jahren und war bis vor Kurzem mit vereinten Kräften aller Schmicklers renoviert worden.
"Warum nicht?"
Ronny Till, Silas' bester Freund, setzte sich den Helm auf den Pferdeschwanz.
"Weil du genau wie ich hier übernachten könntest", schlug sie vor. Die herzliche Einladung von Hannah und Paul Schmickler, die allen Geburtstagsgästen galt, schien ihr Grund genug. Trotzdem schob sie noch eine weitere Begründung hinterher: "Und weil es ziemlich spät und kalt ist."
"Nee, lass mal", wehrte Ronny ab und ließ seine Brackets blitzen. "Bin schließlich schon groß."
"Im Gegensatz zu mir?"
Sophia tat empört. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte ihre dunkelbraunen Locken. Sie war das kleinste Mitglied der Detektei Anton, wenn auch nicht das jüngste.
"So war das nicht gemeint", sagte Ronny grinsend. "Ich meinte: Ich bin alt genug."
Silas hatte Opas altes Polizeirad aus dem Schuppen geholt und stand jetzt damit vor der Haustür. Im trüben Licht der Lampe wirkte sein sonst erdbeerblondes Haar fast blass. Die Sommersprossen sah man kaum noch.
"Fahr trotzdem vorsichtig", bat er.
"Mach ich doch immer", behauptete Ronny und trat auf den Hof.
"Klar", sagte Silas und lachte. "Deswegen ist dein eigenes Rad ja auch Schrott, und du fährst seit einer Woche diesen schicken Schmickler-Drahtesel."
Ronny griff nach dem alten Polizeirad.
"Reines Pech bei einer Wilderer-Verfolgungsjagd, mehr nicht", behauptete er. "Außerdem habe ich bald ein neues."
Der große Junge warf sich seinen Rucksack auf den Rücken.
"Von wegen Pech. Ich war dabei, falls du das vergessen hast. Und ich bin dem Baum rechtzeitig ausgewichen", zog Silas ihn auf.
"Schon gut, du Sportskanone. Was machst du eigentlich mit deinem Anteil von der Belohnung? Noch mehr Bücher oder Noten kaufen?"
Ronny guckte provozierend auf Silas' kleines Bäuchlein. Der lachte gutmütig. Selbst Sophia musste lächeln. Sport zählte nicht gerade zu Silas' größten Talenten. Doch er nahm sich so, wie er war, und konnte über sich selbst lachen. Deshalb war er Ronny auch nicht böse. Heute, an seinem fünfzehnten Geburtstag, hatte er außerdem noch bessere Laune als sonst. Das lag nicht nur an den drei Stück Frankfurter Kranz, die seinen Blutzuckerspiegel in angenehme Höhen getrieben hatten.
"Kann gut sein", antwortete er gähnend. "Also, bis morgen, und bring bloß Opas Rad heil zurück."
"Keine Sorge, das sieht so aus, als hätte es bereits den Zweiten Weltkrieg überlebt. Einen Baum hält das locker aus."
"Wahrscheinlich", sagte Rahel ernst, die neben Sophia in den Flur getreten war. "Ist ein altes Polizeirad. Oma hat es mal für Opa auf dem Trödel erworben."
Frau Schmickler senior war vor einem guten Jahr verstorben, und Ronny wusste, dass die Geschwister ihre Oma vermissten. Er setzte sich auf den Sattel.
"Ich bin vorsichtig", versprach er seinen Freunden und rollte vom Hof.
Auf der Hauptstraße trat der Junge kräftig in die Pedale. Das alte Polizeirad wog zwar ein paar Kilo und war schwer in Gang zu bringen, doch wenn es einmal in Fahrt war, rollte man bequem. Ronny atmete auf. Es war fast Mitternacht. Um diese Uhrzeit war in Brehl längst niemand mehr auf der Straße. Alle 1026 Einwohner hatten sich in ihre Häuser verkrochen, und bis auf Sophia und die sechs Schmicklers lagen wahrscheinlich alle schon im Bett. Und selbst die waren um diese Zeit nur ausnahmsweise wach, weil sie gefeiert hatten.
Ronnys Gedanken verweilten weiter bei der sechsköpfigen Familie. Eigentlich waren es sieben Schmicklers. Aber Tabea, die schon erwachsene Schwester von Silas und Rahel, studierte in den USA. Während die Geschwister sich für die Nacht fertig machten, würde Silas' Mutter sicher die Küche aufräumen. Ihr Mann Paul nahm bestimmt noch einmal kurz am Schreibtisch Platz, um irgendeinen wichtigen Gedanken aufzuschreiben, den außer ihm niemand verstand. Und Opa Peter Schmickler, genannt Pit, drehte zusammen mit seinem jüngeren Sohn Anton und Caruso eine letzte Gassi-Runde. Der Riesenschnauzer, der den Namen eines berühmten Tenors trug, war Antons Ein und Alles.
Ronny war dankbar, dass der Hund den Giftanschlag vor zwei Wochen so gut überstanden hatte. Es wäre ein schwerer Schlag für Anton gewesen, wenn er nach dem Tod seiner Mutter auch noch Caruso verloren hätte. Denn der erwachsene Mann war in seinem Inneren für immer ein Kind, auch wenn sein Körper schon 40 Jahre alt war. Manche Dinge empfand er eben auch wie ein Sechsjähriger, auch wenn er 34 Jahre mehr Lebenserfahrung hatte. Ronny hatte den geistig behinderten Mann mit seinen besonderen Fähigkeiten und seinem trockenen Humor ebenso in sein Herz geschlossen wie seinen Freund Silas. Er war ein echter Kumpel: immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Das hatte er mit seinem Neffen gemeinsam. Wie Silas dachte auch Onkel Anton von allen Menschen immer nur das Beste.
"Nur, wer hinter Carusos Vergiftung steckt, das haben wir noch nicht herausfinden können", murmelte Ronny vor sich hin. "Der Wilderer, den wir vor Kurzem gefasst haben, ist, was das betrifft, unschuldig. So viel steht fest."
Still beleuchtete die Lampe den Asphalt vor ihm, während Ronny gemütlich darüber hinwegrollte. Trotz der Dunkelheit war der Junge hellwach. Er genoss die frische Luft, die ihm um die Ohren wehte. Der Fahrtwind machte einen klaren Kopf, und nach der beruhigenden Heimfahrt würde er zufrieden in sein Bett plumpsen. Am Ende der Straße sah Ronny schon die T-Kreuzung vor sich, an der die Hauptstraße nach links ins Dorf führte und nach rechts in die Bahnhofstraße mündete.
Wie der Name nahelegt, führte diese zum Bahnhof von Brehl. Okay, die Bezeichnung "Bahnhof" war ein wenig übertrieben. Eigentlich hatte Brehl nur eine Haltestelle, aber da es direkt daneben auch einen Bahnübergang und ein kleines Bahnwärterhäuschen gab, sprachen alle nur vom Bahnhof. Er lag auf der rechten Straßenseite, und bis vor Kurzem hatte man in dem winzigen Fahrgastraum noch Fahrkarten bei einem echten Menschen kaufen können. Jetzt war der Schalter geschlossen, und draußen hatte die Bahn zwei Automaten aufgestellt. Doch bevor man den Bahnhof erreichte, standen auf der linken Straßenseite erst noch zwei Häuser: Die winzige Filiale der Kreissparkasse kam direkt nach der Kurve, gefolgt von der Brunnenapotheke und dem Reformhaus. Letzteres lag dem Bahnhof fast genau gegenüber.
Nach dem Bahnübergang und der Ampel würde Ronny richtig Gas geben. Denn von dort verlief ein gut ausgebauter Radweg parallel zur Bundesstraße B266 Richtung Burgenach-Stadt, wo er allein mit seiner Mutter in einer 56 Quadratmeter großen Dachwohnung hauste. Frau Till würde wie immer noch wach sein und auf ihn warten, auch wenn sie am nächsten Tag früh raus musste.
Plötzlich hörte Ronny ein lautes Schrillen, das nach der Schulklingel der Grundschule klang. Die lag zwar nicht weit entfernt, doch mitten in der Nacht würde die wohl kaum läuten. Dann drang ein hässliches Knacken und Knirschen in sein Ohr. Es klang, als würde etwas zerbrechen. Erschrocken hörte er auf zu strampeln. Seltsam! Vom Fahrrad kamen die Geräusche nicht. Sie wurden lauter, obwohl er langsamer rollte. Dann hörten sie plötzlich auf. Nur das Klingeln blieb, und er schien direkt darauf zuzufahren. Die Neugier packte Ronny. Er strampelte schneller und bog beschwingt um die Kurve.
Auf der Bahnhofstraße vor dem Reformhaus parkte ein dunkler Wagen. Oder hielt er nur? Tatsächlich! Der Motor war an, und es saß auch jemand am Steuer. Und das Klingeln? Ronny war jetzt auf gleicher Höhe mit dem zweistöckigen Gebäude, in dem sich die Sparkasse befand.
Plötzlich zerschlug ein lauter Knall die Stille der Nacht in tausend Teile. Es schepperte,...
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