Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 1
Ich muss dringend wieder mehr Sport machen, dachte ich, als ich zwischen Regalen mit Frühstücksflocken und Marmelade meinem Sohn hinterherhastete. Ich erwischte ihn gerade noch rechtzeitig, bevor er die kunstvoll aufgebaute Pyramide aus Cornflakes-Packungen zum Einstürzen brachte, und klemmte mir das zappelnde und fröhlich quietschende vierjährige Energiebündel unter den Arm.
»Du hast mich gefangen, Mama«, rief er glucksend, »du bist Sieger.« Wie sollte ich ihm da böse sein, auch wenn uns einige Kunden im Supermarkt kopfschüttelnd ansahen? Glücklicherweise kannte uns hier niemand.
Als ich seine Lieblingskekse und zwei Flaschen Wasser auf das Band legte, entwischte Tommi mir ein weiteres Mal und rannte auf den Ausgang zu. Vor der automatischen Schiebetür hielt er jedoch inne. Er wusste ganz genau, dass es mächtig Ärger geben würde, wenn er den Supermarkt ohne mich verließ.
Mach doch bitte schneller, dachte ich, während die Verkäuferin im Tempo einer Schildkröte beim Sonnengruß das Wechselgeld herauszählte. Inzwischen zupfte Tommi in aller Seelenruhe Zettel von einem schwarzen Brett, das von privaten Angebots- und Gesuchsnotizen geradezu überquoll.
»Also, Junge, das geht doch nicht«, hörte ich einen älteren Herrn schimpfen, der Tommi mit strengem Blick bedachte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich mein Kleiner erschrocken etwas in die Hosentasche schob.
Endlich hatte mir die Verkäuferin das Wechselgeld in die Hand gedrückt, und ich eilte zum Ausgang.
»Entschuldigen Sie bitte.« Ich hob rasch die am Boden liegenden Kärtchen auf und heftete sie zurück an die Pinnwand. »Normalerweise macht er so was nicht.«
Was nicht so ganz der Wahrheit entsprach. Denn mein Sohn war ein kleiner Wirbelwind, der gerne mal Unfug trieb. Das war auch der Grund gewesen, warum die Tagesmutter nach zwei Wochen aufgegeben hatte.
Mit ihrer Kündigung war auch mein Job bei McDonald's Geschichte. Die Arbeitszeiten waren nicht kompatibel mit dem Betreuungsangebot im Kinderhort, den ich mir ohne Job ohnehin nicht leisten konnte. Als meine beste Freundin Teresa und ihre fünfjährige Tochter Ina noch in unserer gemeinsamen kleinen Wohnung lebten, war alles viel einfacher. Da hatten wir unsere Dienstzeiten abgestimmt und uns mit der Betreuung der Kinder abgewechselt. Doch letzten Herbst hatte Teresa Leander kennengelernt, einen Patentanwalt aus Österreich. Und vor vier Monaten war sie mit Ina aus München weg und zu ihrer neuen Liebe nach Wien gezogen. Der Abschied war uns allen ziemlich schwergefallen, vor allem den Kindern, die wie Geschwister aufgewachsen waren. Ich vermisste die beiden immer noch sehr.
Doch vielleicht würde auch mein Leben jetzt eine Wendung nehmen. Ich war unterwegs zu einem Vorstellungsgespräch. Und diesmal standen die Chancen für eine längerfristige Anstellung gar nicht mal so übel. Eine Realschule in Passau hatte eine Hausmeisterstelle ausgeschrieben. Glücklicherweise suchten sie weniger einen Handwerker als vielmehr jemanden, der sich neben der Reinigung des Gebäudes und der Pflege des Gartens um den Pausenverkauf kümmerte. Das würde ich auf jeden Fall hinbekommen. Und das Beste daran war, dass eine Hausmeisterwohnung zur Verfügung stand, die für eine alleinerziehende Mutter mit Sprössling groß genug war. Das musste einfach klappen. Andernfalls würden wir in knapp einem Monat auf der Straße stehen, denn mein Vermieter hatte inzwischen kein Verständnis mehr dafür, dass ich ständig mit den Zahlungen im Rückstand war.
»Mami, komm jetzt.« Tommi zog mich ungeduldig hinaus auf den Parkplatz.
»Hör mal, Schatz, du darfst nicht einfach Zettel herunterreißen«, tadelte ich ihn auf dem Weg zum Auto.
»Warum?«
Seine Lieblingsfrage.
»Die Zettel haben Menschen dorthin gehängt, die etwas verkaufen oder verschenken wollen. Oder etwas suchen.«
»Haben die was verloren?«
»Nein.«
»Warum suchen die denn dann?«
Ich seufzte und überlegte einen Moment, bis mir etwas einfiel.
»Wir suchen doch auch oft nach einem Parkplatz.«
Er hatte verstanden und nickte.
»Einen Parkplatz kann man nicht verlieren, oder?«
»Nein. Den kann einem nur jemand wegschnappen.«
Er kicherte.
»So wie du dem Mann vorhin.«
»Genau.« Ich streichelte über seinen Kopf.
»Wann gehen wir baden, Mama?«
»Später. Wie ich es dir versprochen habe«, sagte ich und öffnete die Beifahrertür des Renault Clios, den meine Nachbarin Hedwig mir für heute geliehen hatte.
»Es ist so heiß«, jammerte mein Kleiner.
Das war es allerdings für Ende April. Vor drei Wochen waren die Temperaturen von einem Tag auf den anderen auf über achtundzwanzig Grad gestiegen, und eine Wetteränderung war laut Vorhersagen nicht in Sicht. Da ich den Sommer jedoch liebte, machte mir die Hitze nicht viel aus.
»Ich mach gleich alle Fenster auf, dann wird es kühler. Außerdem muss es heiß sein, sonst können wir später nicht schwimmen gehen.«
Das Argument war überzeugend. Tommi setzte sich in seinen Kindersitz, und ich kontrollierte, ob er sich richtig festgeschnallt hatte.
Langsam, aber sicher machte sich Nervosität in mir breit. Falls es mit diesem Job klappte, wäre das ein echter Neuanfang für uns. Es würde bedeuten, München zu verlassen und in die wesentlich kleinere Stadt Passau zu ziehen, die ich bisher nur von Fotos aus dem Internet kannte. Und so eine Veränderung war genau das, was ich brauchte.
Verdammter Mist! Das wär auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, dachte ich, als wir zwei Stunden später vom Parkplatz der Schule wegfuhren. Leider hatte ich zu große Hoffnungen in dieses Jobangebot gesetzt. Der Schulleiter war höflich gewesen, hatte sich jedoch bereits für ein Hausmeisterehepaar jenseits der fünfzig entschieden, die sich kurz vor mir vorgestellt hatten. Und jetzt? Ich war ohne einen Plan B nach Passau gefahren. Mir blieb nicht mehr viel Zeit, um einen anderen Job und eine neue Wohnung zu finden. Klar, ich hatte ein paar Freunde, bei denen wir zumindest für ein paar Tage unterkommen konnten, aber das würde unsere Situation auf Dauer auch nicht verbessern. Meine finanziellen Reserven waren bald aufgebraucht, und eine neue Wohnung konnte ich mir abschminken. München war für eine alleinerziehende Mutter, die sich hauptsächlich mit Nebenjobs durchschlug, einfach viel zu teuer.
»Fahren wir wieder heim, Mami?«, fragte Tommi.
»Ja.«
»Machst du mir Pfannkuchen mit Nutella?«
»Klar. Einen großen Stapel.«
»Aber vorher gehen wir baden!«
»Sowieso. Wie ausgemacht.«
Im Rückspiegel sah ich, wie er mich mit glücklich funkelnden Augen anlächelte. Ich sollte diesen Tag mit meinem Sohn einfach genießen und mir später darüber Gedanken machen, wie es weitergehen sollte.
Wir waren noch keine zehn Minuten unterwegs, da rief Tommi aufgeregt: »Mama! Anhalten! Schau! Da können wir baden!«
Ich warf einen Blick aus dem Fenster der Beifahrerseite und entdeckte etwas abseits von der Straße die glitzernde Oberfläche eines Gewässers.
»Wir wollten doch in München ins Bad gehen«, warf ich halbherzig ein. Doch der kleine Weiher, umgeben von Wiesen und Sträuchern, sah tatsächlich sehr einladend aus. Und die Badesachen waren ja bereits im Kofferraum. So ein wenig Abkühlung könnte jetzt nicht schaden.
»Ich will jetzt«, sagte er und setzte noch ein »Bitte, bitte, Mama« hinzu.
»Na gut!«
Ich bog bei der nächstmöglichen Gelegenheit ab und fuhr ein wenig herum, bis wir schließlich über einen Feldweg am Gewässer ankamen, das etwa die Größe eines Fußballfeldes hatte. Ich parkte den Wagen unter einem Baum und suchte eine Stelle, an der es flach ins Wasser ging. Es handelte sich tatsächlich um einen Badeweiher, trotzdem war an diesem Montagnachmittag nicht allzu viel los. Nur wenige Leute schwammen, und zwei junge Burschen lagen auf einer aufblasbaren Palmeninsel, die im Wasser trieb. Ich breitete die Decke so aus, dass sie zur Hälfte im Schatten lag.
Tommi konnte es kaum erwarten, bis er ausgezogen war und Badehose und Schwimmschuhe anhatte, und am liebsten wäre er sofort ins Wasser gerannt.
»Wenn du nicht wartest, bis ich umgezogen bin, dann fahren wir sofort nach Hause«, stellte ich klar.
»Aber ich kann doch schon alleine schwimmen«, protestierte Tommi und konnte es nicht lassen, zumindest schon mal die Füße ins Wasser zu strecken.
»Tommi!«
»Beeil dich, Mami!«
»Ich mach ja schon.«
Umständlich schlüpfte ich unter dem luftigen Sommerkleid aus meiner Unterwäsche und in den Badeanzug. Verdammt! Der war seit letztem Sommer aber eng geworden! Und schon da hatte ich ihn eine Kleidergröße größer kaufen müssen. Seufzend zog ich das Kleid aus. Ich war zwar nicht dick, aber meine ehemals durchtrainierte sportlich schlanke Figur war in den letzten Jahren etwas rundlicher geworden. Ganz zu schweigen von meiner Oberweite. Die hatte sich während der Schwangerschaft fast verdoppelt. Ich band meine schulterlangen dunkelbraunen Haare hoch, streifte meine Ballerinas ab und schlüpfte in hellblaue Schwimmschuhe. Ohne würden mich keine zehn Pferde in einen Badeweiher bringen. Man wusste ja nie, ob nicht Glasscherben oder scharfkantige Abfälle am Grund lagen.
»Na dann rein!«, rief ich. Das war das Startsignal für Tommi. Ohne mit der Wimper zu zucken, stürzte er sich begeistert ins kalte Wasser. Mich kostete es einiges an Überwindung, ihm zu folgen,...
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