1. Kapitel
Das Risiko lohnte aber auf jeden Fall. Alles war besser als die schlimmen Demütigungen und Erniedrigungen, die ich im Dämonenzirkus Dragomir erdulden musste. Einst der gefeierte Star, hatte mich Damon Chacal in den Staub getreten, weil er magisch sehr viel stärker war als ich. Gnädigerweise hatte er mich am Leben gelassen und mich zu seiner Dienerin gemacht.
Ein Fehler, den er heute Nacht bitter bereuen würde. In der Nacht der Nächte. Wenn Asmodi persönlich im Publikum saß. Endlich. Mir war speiübel vor Aufregung.
Chacal hatte sich ausbedungen, eine ganz besondere Nummer vor dem Fürsten der Finsternis aufzuführen, in der ich seine Assistentin sein sollte. Dragomir, der Zirkusdirektor, hatte zugestimmt, ohne sich die Nummer vorher erklären zu lassen. Solche Macht hatte Damon Chacal, die neue Hauptattraktion, in der Zwischenzeit im Zirkus Dragomir.
Aus einigen Bemerkungen, die Chacal heute Morgen entschlüpft waren, glaubte ich schließen zu können, wie diese Nummer aussah: Er gedachte eine rauschende Dämonenhochzeit mit mir in der Manege zu feiern, um mich dann als Höhepunkt zu opfern und zu fressen. Asmodi wollte er höchstpersönlich mein noch zuckendes blutiges Herz überreichen.
Ja, so ungefähr sollte das aussehen.
Und es würde ihm sicher glücken, wenn ich nicht George Botosani auf meine Seite gezogen hätte. Wenn mir wirklich einer helfen konnte, dann der Teufelsgeiger.
Die Dämonen, die das Glück hatten, einen Platz für die Nachtvorstellung zu ergattern, trafen schon frühzeitig ein. Sie kamen aus einem weiteren Umkreis als sonst, weil es eine große Ehre war, zusammen mit Asmodi in derselben Vorstellung zu sitzen. Sie kamen bis aus Frankfurt und Stuttgart, obwohl wir in Heidelberg spielten.
Ich schaute durch einen Spalt des Zirkuszeltes auf den Eingang. Dragomir, der die Figur eines Preisboxers hatte, in seinem schwarzen Anzug mit Zylinder aber eine prächtige Figur machte, begrüßte jeden Dämon einzeln mit Handschlag. Asmodi hatte ich allerdings noch nicht gesehen. Ich war mir sicher, dass der Fürst der Finsternis erst mit Vorstellungsbeginn in der für ihn reservierten Ehrenloge auftauchen würde.
Dragomir hatte sich den Spaß gemacht, für die Nachtvorstellung auch gut zwei Dutzend Menschen einzuladen, die er zwischen den Dämonen auf den Publikumsrängen verteilte. Das war unüblich, denn die Nachtvorstellungen wurden normalerweise nur vor dämonischem Publikum gespielt, die menschlichen Opfer tauchten ausschließlich in der Manege auf.
Aber wenn Asmodi dem Zirkus die Ehre erwies, durfte es auch mal ein wenig anders zugehen.
Ich umklammerte die Blutpeitsche, in welcher der Geist der Blutgräfin Elisabeth Báthory hauste. Diese Peitsche besaß ich seit mehreren Jahren. Sie hatte mir in manchen Kämpfen gute Dienste geleistet.
Pünktlich um Mitternacht begann die Vorstellung. Ein Raunen ging durch das Publikum, als sich der Vorhang der Ehrenloge wie von Zauberhand zur Seite schob. Dann setzte stürmischer Beifall und Jubel ein, als sich ein Mann erhob, der anstatt eines Gesichts eine konturenlose Fläche mit zwei stechenden roten Augen trug. Asmodi hob kurz die Hand und setzte sich wieder, während das Zirkusorchester einen Marsch zu schmettern begann. Die Musiker bestanden ausschließlich aus Freaks - und aus dem Dämon George Botosani, einem totenbleichen hochgewachsenen Mann mit schulterlangen schwarzen Haaren.
Die Artisten überboten sich in dieser Nacht mit ihren Nummern. Doch zuvor gab Direktor Dragomir Feuer frei. Magisches Licht hüllte die Menschen im Publikum ein, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah, als die kreischenden Dämonen von allen Seiten über sie herfielen, sie brutal zerfetzten und schließlich in der Luft zerrissen.
Abgerissene Arme und Beine flogen durch die Manege, über den Rängen hingen kreuz und quer herausgerissene Gedärme, zwei blutige Köpfe mit gebrochenen Augen rollten in das mit Sägespänen gefüllte Rund und blieben auf den Halsstümpfen liegen. Unsere Ghoultruppe, die angestellt war, um die letzten menschlichen Überreste diverser Vorstellungen zu beseitigen, versuchte schon jetzt, den einen oder anderen Leckerbissen zu erhaschen, und war dabei überaus erfolgreich.
Die schrillen Todesschreie der Menschen gellten mir noch lange in den Ohren, der Geruch nach frischem Blut und Gedärmen bereitete mir ebenfalls stilles Vergnügen. Aber nur weil ich mir sicher war, Damon Chacal zu besiegen.
Auch in der Manege starben ein gutes Dutzend Menschen, die in der Nachmittagsvorstellung gekidnappt worden waren, überaus grausame Tode durch Zerstückeln und Verbrennen. Das dämonische Publikum war nun so in Ekstase, dass es übereinander herfiel. Ich sah Massenorgien auf den Rängen, aber auch extrem aggressive Werwölfe, die aufeinander einprügelten und sich bissen.
Asmodi schien seinen Spaß zu haben, denn er nickte immer wieder anerkennend zu Dragomir hinüber, der an der Seite der Ehrenloge stand.
Schließlich war es so weit. Der Lärm erlosch schlagartig, es wurde finster im Manegenrund. Blutrote magische Lichter begleiteten Damon Chacal, der einen hautengen Anzug trug, und mich in die Manege.
Chacal kündete großspurig den Gigantenkampf mit einer der gefährlichsten Amazonen überhaupt an. »Sehen Sie nun zu, wie ich es schaffe, die Amazone Coco mit ihrer gefährlichen Blutpeitsche in einer offenen Feldschlacht zu besiegen. Werden Sie Zeugen, wie ich sie anschließend zähme und so gefügig mache, dass sie um eine Dämonenhochzeit mit mir bettelt.«
Aha, er wollte also meinen Körper. Viele der Dämonen lachten laut auf. Ein abgerissener Penis flog in die Manege.
»Da, versuch's doch mal damit!«, schrie einer. »Nur falls du es mit deinem eigenen Werkzeug nicht schaffst.«
Das Gelächter schwoll zu einem Orkan. Selbst der Fürst der Finsternis klatschte Beifall.
Ich trug mein glitzerndes Paillettenkleid. Mit der Blutpeitsche in der Hand trat ich Damon Chacal gegenüber. Wir belauerten uns zunächst, während das Orchester anfing zu spielen. Deutlich konnte ich Botosanis Teufelsgeige heraushören.
Chacals höhnisches Grinsen verschwand schlagartig. Er wurde unsicher, ich sah, wie er anfing, die Augen zu kneifen.
Triumph stieg in mir hoch. Ich hatte es bereits am eigenen Leib verspürt, wie es war, wenn George Botosani sein Geigenspiel ausschließlich auf eine einzige Person abstimmte. Es fühlte sich an, als schlüpfe eine andere Person in den eigenen Körper und pumpe einen mit Kraft auf. Botosani konnte aber auch die andere Person schicken. Die, die dem Körper Kraft entzog.
Diese Person schlüpfte gerade in Damon Chacal. Damit hatte der Kerl, der einen geisterhaften Schakal absondern konnte, nicht gerechnet. Er versuchte dagegen anzukämpfen, aber es gelang ihm nicht. Immer irrer und dissonanter wurde Botosanis Spiel. Die Geige wimmerte und schrie wie eine misshandelte wahnsinnige Kreatur.
Ich griff Chacal mit der Blutpeitsche an. Mit einem lauten Schrei zog ich sie ihm über die Brust. Dieses Mal schaffte er es nicht, eine unsichtbare Mauer aufzubauen und die Peitsche abzuwehren. Die Schnüre, an denen wie aus dem Nichts scharfe Messer erschienen, schnitten ihm den Anzug auf und rissen blutige Furchen in seine Brust.
Das Publikum schrie in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination auf, als Chacal taumelte. Aber er war noch nicht erledigt. Noch lange nicht.
Ich tänzelte um den gebückt dastehenden Dämon herum und schlug weiter auf ihn ein. Im Rhythmus von Botosanis Spiel, das jetzt eher an das Kreischen von Metall auf Metall erinnerte. Jeden Schlag begleitete ich mit einem schrillen Schrei. Auch auf Chacals Rücken bildeten sich nun blutige Striemen. Doch fuhr er mit einem Knurren hoch und packte sich die Peitsche. Sie schnitt tief in seine Hand, er verlor sogar zwei Finger. Trotzdem hielt er sie fest und zog mich an ihr langsam zu sich her. Tödlicher Hass funkelte in seinen Augen. Ich sah zudem, wie sein Schakal aus ihm herausschlüpfte und sich verdichtete.
Jetzt musste es sich endgültig entscheiden. Es gelang mir, Chacal die Peitsche wieder zu entreißen. Ein Triumphschrei löste sich aus meiner Kehle. Ich ging in den schnelleren Zeitablauf. Den hatte der Schakal beim letzten Kampf mitgemacht und mich dort besiegt. Da aber war er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen.
Alles um mich herum erstarrte. Nur der Schakal bewegte sich. Auch jetzt konnte ich ihn mit dem schnelleren Zeitablauf nicht austricksen. Ich hatte es zwar gehofft, aber nicht wirklich damit gerechnet.
Allerdings waren seine Bewegungen längst nicht so flüssig wie beim ersten Mal. Er griff mich trotzdem sofort an. Doch jetzt verfügte ich über die Blutpeitsche. Es genügten drei Schläge, um ihn niederzustrecken. Er löste sich auf und verschwand in Chacals Körper.
Ich ließ mich in den normalen Zeitablauf zurückfallen. Unter dem Gegröle des Publikums brach Chacal zusammen und blieb verkrümmt liegen. Es tat mir in der Seele gut, als ich Dragomir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sah.
George Botosani spielte noch immer. Er würde es so lange tun, bis ich Chacal endgültig abserviert hatte. Ich gierte nach seinem...