Schweitzer Fachinformationen
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Jenny hatte das Zimmer ihres Chefs schon viele Male betreten, aber noch nie mit so wild klopfendem Herzen wie an diesem Tag.
»Ich weiß, dass es unverzeihlich ist, was ich angerichtet habe«, entschuldigte sie sich bei Hugo Bachmann für ihr Verhalten.
»Dann ist Ihnen hoffentlich klar, dass ich den Vorfall nicht einfach unter den Teppich kehren kann.« Die Miene ihres Chefs zeigte deutlich, unter welcher Anspannung er stand. »Mensch, Jenny«, machte er seinem Unmut Luft, »was haben Sie sich nur dabei gedacht?«
»Nicht das Geringste«, gab sie mit hängenden Schultern zu. »Und ich bin bereit, dafür gerade zu stehen.« Ihr Körper straffte sich. »Sie können mit mir machen, was Sie wollen. Hauptsache, Sie ziehen mich nicht von dem Fall ab. Bitte!« Ihr Blick flehte um Verständnis. »Geben Sie mir die Chance, meinen Fehler wiedergutzumachen. Wenn schon nicht meinetwegen, tun Sie es Gregor zuliebe.«
Bei der Erwähnung von Gregors Namen verdüsterte sich Hugo Bachmanns Miene. Jenny musste kein Hellseher sein, um seine Gedanken zu erahnen. Gregor war einer seiner fähigsten Männer gewesen. Einer, der insgeheim schon als sein Nachfolger gehandelt wurde. Doch dann mit einem Schlag .
»Also gut«, gestand er ihr nach kurzem Zögern zu. »Beweisen Sie mir, was in Ihnen steckt.«
Das ließ Jenny sich nicht zweimal sagen. Nachdem sie ihr weiteres Vorgehen mit der Soko >Blanca< abgestimmt hatte, fuhr sie nach Netzschkau, um an der für 11 Uhr geplanten Vernehmung von Utz Pettersen teilzunehmen. Wenn ihre Vermutung zutraf und Blancas Verschwinden mit dem Fall der seit Anfang 2010 vermissten Amelia Pettersen zusammenhing, galt er als Hauptverdächtiger. Auf der Autofahrt rief Jenny sich alle bisher bekannten Fakten ins Gedächtnis:
Amelia Pettersen war am 11. Januar 2010 von einer Arbeitskollegin als vermisst gemeldet worden. Die daraufhin von der Polizei eingeleitete Suche blieb erfolglos. Der Ehemann bestreitet bis heute, etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun zu haben. Auf Hinweis eines Nachbarn konzentrierte sich die Suche auf das fast 1.000 Quadratmeter große Anwesen der Familie. Obwohl die Beamten das Grundstück in einem Zustand hinterließen, der mit dem Charme eines Truppenübungsplatzes vergleichbar war, hatten sie keinerlei Spuren gefunden, die auf ein Verbrechen hinwiesen. Dafür wurden sie bei der Durchsuchung des Hauses fündig. Die Beamten fanden einen Brief, in dem Amelia Pettersen über Scheidungsabsichten schrieb. Er war an eine in Reichenbach ansässige Rechtsanwaltskanzlei adressiert und sorgfältig versteckt worden. Wie sich herausstellte, hatte Amelia Pettersen ein paar Tage vor ihrem Verschwinden einen Rechtsanwalt aufgesucht, um ihre Scheidung in die Wege zu leiten. Sie hatte 200 Euro als Anzahlung überwiesen. In der zum Haus gehörenden Garage entdeckten die Beamten zudem in einem weiteren Versteck eine größere Summe Bargeld. Im Falle einer Scheidung hätte Amelia die Hälfte des Vermögens, also auch von Haus und Grund, zugestanden. Jenny musste daran denken, dass aus Habgier schon ganz andere Verbrechen begangen worden waren.
Es gab aber noch weitere Motive: In Erklärungsnöte hatte Utz Pettersen die Aussage eines Nachbarn gebracht, der von lautstarken Streitigkeiten der Eheleute nach dem tragischen Tod ihres Kindes zu berichten wusste. Wie sich herausstellte, war der knapp zehn Monate alte Säugling an plötzlichem Kindstod gestorben.
Aufgrund der Indizienlage war Utz Pettersen in Untersuchungshaft genommen worden. Obwohl infolge des gegen ihn angestrebten Prozesses über 40 Zeugen befragt wurden, reichten die Beweise nicht, um Utz Pettersen die Tat nachzuweisen und Anklage zu erheben.
Daran konnte auch ein ähnlich gelagerter Fall im brandenburgischen Neuruppin nichts ändern, der vom Staatsanwalt herangezogen wurde. Hier war der Tatverdächtige wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden, obwohl die Leiche ebenfalls unauffindbar blieb.
Nachdem Utz Pettersen erst vor Kurzem aus Mangel an Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen werden musste, hatte er sein altes Leben wieder aufgenommen. Wenn er sich nicht gerade als Fahrer für die Speditionsfirma eines Bekannten die Brötchen verdiente, engagierte er sich im Förderverein des Netzschkauer Schlosses.
In diesem Moment tauchte vor Jenny das Ortseingangsschild von Netzschkau auf. Auf den ersten Blick hatte der nahe der Göltzschtalbrücke gelegene Ort nicht viel zu bieten. Doch der Eindruck täuschte. Hinter hohen Bäumen verborgen, kam unweit des Marktes das Schloss in ihr Blickfeld. Das Erste, was Jenny an dem im spätgotischen Stil errichteten Bauwerk auffiel, war der reizvolle farbliche Kontrast zwischen Kalkweiß und kräftigem Rot. Dem Schloss war anzusehen, dass es vor nicht allzu langer Zeit komplett renoviert worden war. Staffelgiebel, Türme und Vorhangbogenfenster verliehen ihm eine ganz eigene Note. Jenny fühlte sich an ein Märchenschloss erinnert.
Dieser Eindruck hatte sich ihr bereits im vergangenen Sommer aufgedrängt. Um die notorisch leeren Kassen aufzufüllen, organisierte der Schlossförderverein seit ein paar Jahren Konzerte, Vorträge und Lesungen, unter anderem die Vogtländischen Krimitage. Für einen kurzen Augenblick wanderten Jennys Gedanken zu der letzten, von ihr zusammen mit Blanca besuchten Kriminacht zurück.
Die Erinnerung zauberte ein wehmütiges Lächeln auf ihre Lippen. Den ganzen Tag hatte die Sonne geschienen und es war angenehm warm gewesen - fast zu warm für die an jenem Juniabend auf dem Fechtboden versammelten Zuhörer. Nach einer kurzen Begrüßung hatte Blanca im Trauzimmer gelesen. Jenny dachte daran, dass die Schlossinnenräume größtenteils noch original möbliert und mit beeindruckenden Stuckdecken versehen waren.
Die meisten der erhaltenen Kostbarkeiten in dem von Caspar Metzsch erbauten Schloss stammten aus dem Besitz der letzten Gräfin. Angestrengt kramte Jenny in ihrem Gedächtnis nach weiteren Details. Sie versuchte sich darauf zu besinnen, wann das Schloss samt Rittergut in den Besitz der Familie Bose übergegangen war, unter deren Federführung zwei weitere Flügel und eine Kapelle entstanden waren. Der Schlossführer hatte sich als wandelndes Lexikon erwiesen und ihnen einen tiefen Einblick in die wechselhafte Geschichte des spätgotischen Bauwerkes vermittelt. Jenny musste an den im englischen Stil errichteten Schlosspark denken und an den desolaten Zustand, indem sich das Schloss trotz umfangreicher An- und Umbauten bereits zu Lebzeiten der letzten Gräfin befunden hatte. Kurz nach Kriegsende war die Decke des Konzertsaales eingestürzt. Wenig später hatten die von Carol Bose errichteten Nord- und Ostflügel wegen akuter Baufälligkeit abgerissen werden müssen. Die Schlosskapelle hatte zu dieser Zeit längst nicht mehr existiert. Genau wie jene rätselhafte Gruft, deren exakte Lage bis heute unerforscht geblieben war.
Erstaunt darüber, wie viel von der damals eigens für sie organisierten Führung haften geblieben war, steuerte Jenny den vor dem Schloss gelegenen Parkplatz an. Er war von einer dichten Hecke umgeben, hinter der sich das Anwesen der Pettersens befand. Auf ihr Klingeln hin erschien ihr Kollege Lars Sänger in der Tür, der die Soko >Blanca< leitete. Er war ein großer, schlanker Mann mit Vollbart und wettergegerbten Gesicht. Wie üblich wirkte er blass und erschöpft. Jenny musste daran denken, dass er erst vor Kurzem Vater geworden war und seither unter chronischem Schlafmangel litt.
Er winkte sie herein. »Komm, wir haben schon auf dich gewartet.« Während Jenny ihm in die Küche folgte, vereinbarten sie, dass sie die Befragung durchführen würde.
Utz Pettersen hatte sich auf der Eckbank verschanzt und beäugte sie misstrauisch. Er war unrasiert und trug einen ausgeleierten Jogginganzug, der farblich perfekt zu seinen granitgrauen Augen passte.
Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, von einer Frau vernommen zu werden. Noch dazu von einer so attraktiven. Was Jenny an Körpergröße fehlte, machte sie durch Ausstrahlung wett. Sie besaß ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und ausdrucksstarken grünen Augen, die von langen Wimpern eingerahmt wurden.
Nachdem sie Pettersen gegenüber Platz genommen hatten, holte ihr Kollege ein Diktiergerät hervor und belehrte ihn über seine Rechte. Inzwischen versuchte Jenny, sich ein Bild von Pettersen zu machen. Er wirkte ungepflegt; die wenigen ihm verbliebenen Haare waren ergraut und ließen ihn älter wirken, als er war. Seine Nase war rot geädert wie die eines Trinkers. Jenny fand, dass sein zu einem dünnen Strich zusammengepresster Mund seinem Gesicht etwas Verbissenes verlieh. Angewidert wandte sie den Blick ab und rieb sich ihre brennenden Augen.
Der ganze Raum stank nach Zigarettenrauch. Vor Pettersen stand ein überquellender Aschenbecher. Voller Abscheu beobachtete sie, wie er der vor ihm liegenden Packung die nächste Zigarette entnahm. Seine Finger waren gelb vom Nikotin. Im Schein des aufflammenden Feuerzeugs nahmen seine Augen einen verschlagenen Ausdruck an.
»Was wollen Sie von mir?«, erkundigte er sich feindselig.
»Was haben Sie am vergangenen Wochenende, genauer gesagt am Samstagabend, gemacht?«, fragte Jenny.
Pettersen runzelte die Stirn. »Ich bin den ganzen Abend über hier gewesen.« Er nahm einen tiefen Lungenzug und hustete. Es war ein bellender, tief sitzender Husten.
»Kann das jemand bezeugen?«
Er schien kurz zu überlegen, schüttelte schließlich den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Ich bin erst am späten Nachmittag zurückgekommen.«
Seine Antwort ließ Jenny aufhorchen. »Zurück von...
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