Schweitzer Fachinformationen
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Als sich sein Handy meldete, stand Paul Leonberger auf dem riesigen Parkplatz beim Königssee und hatte gerade die hintere Tür seines Wagens geöffnet, um nach dem dort liegenden Rucksack zu greifen. Er zog das Telefon heraus, starrte auf das Display, den angezeigten Namen. Die Gewohnheit des Journalisten, einen Anruf stets anzunehmen, und sein Wunsch nach einem Tag ohne Komplikationen stritten für den Bruchteil einer Sekunde miteinander. Dann schob er das Handy in die Tasche zurück.
Ohne es komplett auszuschalten. Wer allein in die Berge ging, sollte sein Handy anlassen. Um in einem Notfall mittels des Signals geortet werden zu können. Was die Bergwacht bei ihrem gut gemeinten Ratschlag nicht erwähnte, war, dass man so auch für andere erreichbar blieb. Leider.
Ein Touristenpaar, das sich zwei Meter weiter ebenfalls für eine Wandertour rüstete, blickte zu ihm herüber. Paul zuckte die Achseln. Der Mann, der seine Bergstiefel schnürte, grinste. »Not important?«
»Don't know«, sagte Paul. Die Frau starrte ihn an, und er vermutete, dass sie ihn zurechtweisen wollte. Rasch drehte er ihr den Rücken zu, lud sich den Rucksack auf und schloss den Wagen ab, um loszumarschieren.
Der zweite Anruf, drei Minuten später, kam von seinem Vater. Wieder weigerte sich Paul ihn anzunehmen. Er schaltete das Handy auf stumm und erwog, es nun doch ganz auszumachen. Die Tour über die Archenkanzel nach St. Bartholomä war im ersten Teil, bis zum hoch über dem See gelegenen Aussichtspunkt, nicht schwierig. Und somit die Gefahr, dass die Bergwacht nach ihm suchen müsste, gering. Doch die Routine des Journalisten blieb, wie meist, Sieger über die Emotionen. Und das Handy auf Vibrationsalarm.
Kurz darauf, als Paul umkehrte, weil er seinen geliebten Fotoapparat im Wagen vergessen hatte, lief eine Textnachricht ein. Von Kira, natürlich. >Es geht um Jannis. Melde dich, du Arsch!!!< In Pauls Magen breitete sich ein unangenehmes Kribbeln aus. Er konnte den Namen >Jannis< nicht mehr hören. Wollte ihn nicht auf dem Display sehen. Am liebsten hätte er einen Schluck aus der Miniweinflasche genommen, die normalerweise nicht zu seiner Standardausrüstung gehörte. Die er an diesem Tag jedoch eingepackt hatte, um sich zu belohnen, sobald er St. Bartholomä erreichte. Dort, bei der berühmten Kirche, würde er auf das Boot warten müssen, das ihn zur Anlegestelle Königssee und damit in die Nähe des Parkplatzes zurückbringen sollte.
Als er den Evoque aufschloss, dachte er an den Streit vom Vorabend. Seit drei Monaten lebten Kira und er eine lose und dennoch intensive Beziehung. Zu der auch die eine oder andere Auseinandersetzung gehörte. Wenngleich die vom Vortag schon unüblich heftig gewesen war. Paul biss sich auf die Lippen. Nachtragend zu sein galt nicht als positiver Charakterzug. War es Zeit, das Kriegsbeil zu begraben? Er dachte an einen wunderbaren Versöhnungsabend, mit Wein und Candle-Light-Dinner. Und heißem Sex zum Dessert. Falls . ja, falls Kiras Mutter noch einmal den Jungen nehmen konnte.
Aber zuerst wollte er sich einen entspannten Tag in seinen geliebten Bergen gönnen. Mit einem gemütlichen Zwischenstopp auf der Kührointalm, wo er sich für den späteren Steilabstieg zum See über den Rinnkendl-Steig wappnen konnte. Paul war schon lange nicht mehr zur Archenkanzel aufgestiegen und freute sich auf die herrliche Aussicht über den fjordartigen Königssee mit seinem je nach Lichteinfall tiefblauen und smaragdgrünen Wasser.
Paul kannte, von gutem Sex abgesehen, keine bessere Möglichkeit zum Stressabbau als eine lange Wanderung oder Radtour. Und abgesehen davon, dass er hoffte, die Reste seines Ärgers durch einen flotten Aufstieg zu besiegen, würde es Kira nicht schaden, ein bisschen schmoren zu müssen. Schließlich hatte sie den Streit angefangen, nicht er. Glaubte er zumindest.
Falls er erwartet hatte, Kira durch sein Schweigen eine Lektion in Geduld zu erteilen, verfehlte sie ihre Wirkung.
>Melde dich jetzt oder nie wieder!<, lief als nächste Nachricht ein. Paul hasste es, wenn Leute alltägliche Dinge dramatisierten. Allmählich fragte er sich, ob er nicht ohne feste Beziehung besser dran wäre. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, jemand, der viel Wert auf seine Freiheit legte.
Dennoch. Das Bauchgefühl des erfahrenen Journalisten erkannte die Verzweiflung hinter dem kurzen Text. Vielleicht steckte mehr dahinter als ein Machtkampf?
Eine Krähe flog hinter Paul auf und erschreckte ihn mit ihrem misstönenden Krächzen. Paul atmete tief durch und drückte Kiras Nummer.
Mailbox. Warum das so plötzlich? Hatte sie Paul bereits abgeschrieben? Oder behinderten die Berge den Handyempfang? Aber Paul hatte gerade erst die Königsseer Ache überquert, befand sich auf einem ruhigen Wiesenweg mit Blick zum Grünstein. Er sandte eine Nachricht: >Hab versucht, dich anzurufen. Bis bald.<
Was nun? Sollte er die Tour durchziehen, auf die Gefahr hin, gleich wieder umkehren zu müssen?
»Ich hasse Beziehungskisten«, sagte Paul laut. Und marschierte schneller als vorhin weiter bergauf. Was immer Kiras Problem sein mochte, es ließ sich vermutlich telefonisch erledigen. Oder die Lösung per Handy zumindest einleiten oder aufschieben.
Er konnte höchstens eine Viertelstunde lang gegangen sein, als sein Handy vibrierte. Paul fühlte sich mittlerweile entspannter und nahm den Anruf an, ohne auf den angezeigten Namen zu sehen.
»Solltest du als Schreiberling nicht ständig erreichbar sein? Ich hab mindestens dreimal angerufen!«, schimpfte die Stimme seines Vaters.
»Hast du nicht«, korrigierte Paul.
»Egal.« Der Vater war geschickt darin, sich aus seinen Lügennetzen herauszuwinden. Schnelle Richtungswechsel, wenn er bei einem Thema ins Schlittern kam, waren seine Spezialität. »Dein Mädel versucht seit Stunden, dich zu erreichen.«
»Du hast mit Kira gesprochen?« Pauls Magen krampfte sich zusammen. Seit Jahrzehnten achtete er sorgfältig darauf, sein Privatleben vor dem Vater abzuschotten. Kira wusste das. Wenn sie trotzdem mit Pauls Vater Kontakt aufgenommen hatte, musste tatsächlich etwas Außergewöhnliches passiert sein. Hatte Jannis einen Unfall gehabt? In Sekundenschnelle schossen Szenarien durch Pauls Kopf: Ein Auto hatte das Rad des Jungen gerammt, Jannis lag mit Schädelbruch im Krankenhaus, und zwischen den piepsenden Geräten der Intensivstation versuchte Kira ihren in den Bergen herumstreunenden Freund zu erreichen . Oder: Jannis hatte sich ein Brot abschneiden wollen, sich dabei das Messer versehentlich in den Bauch gerammt, und zwischen den piepsenden Geräten .
»Was treibst denn, dass d' nicht ans Telefon gehen kannst?« Kilian Leonbergers Neugier brachte das Kopfkino seines Sohnes zum Stoppen.
»Ich bin auf einer Wanderung. In den Bergen gibt's nicht überall Handyempfang.« Paul hatte wenig Skrupel, dem Vater gegenüber die Wahrheit kreativ zu verschleiern. Zwar stimmte es, dass in den Bergen Funklöcher existierten, aber immerhin hatte er vorhin Kiras Nachrichten bekommen.
»Immer die Berge. Immer abhauen. Warum kannst net mal deinen alten Vater besuchen anstatt durch langweilige Wälder zu latschen? Bei meinen Herzproblemen. Wer weiß, wie langst noch einen Vater hast?«
»Du wirst hundert«, sagte Paul ohne Mitgefühl. »Schon, um mir kontinuierlich auf den Nerven herumzutrampeln, wirst du mindestens hundert.« Er atmete tief durch. »Hat Kira erwähnt, worum's geht?« Er ärgerte sich nun, ihren Anruf ignoriert zu haben. Dann wäre sein Vater jetzt nicht in der Position mehr zu wissen als Paul.
»Nix hat's gesagt. Alle sind s' gleich, die Weiber. Dauernd reden, aber nichts sagen.«
»Irgendetwas muss sie gesagt haben«, beharrte Paul.
»Geheult hat sie«, antwortete der Vater.
Dass er zu schnell dran war, merkte Paul erst, als ihn am Ortsausgang von Bischofswiesen ein Lichtblitz traf. »Scheiße, verdammte Scheiße!«, schrie er gegen Milows >Against the Tide< im Radio an, während er automatisch abbremste. Und kurz darauf auf einen Parkplatz gewunken wurde.
»Ihre Papiere?« Der junge Polizist verhielt sich professionell höflich, was Paul erst recht aufbrachte. Statt seinen Ausweis zu zeigen, griff er zum Handy und probierte Kiras Nummer. Mailbox.
»Wen rufen S' denn an? Ihren Anwalt?«, fragte der zweite Polizist, ein älterer Mann mit rundem, gutmütig wirkenden Gesicht. »So weit ist's noch net. Außer Sie haben Drogen im Wagen? Oder Waffen?«
Paul gab keine Antwort, streckte stattdessen endlich Ausweis und Führerschein durchs Fenster.
»Würden S' bitte aussteigen?«
»Ich hab's eilig«, knurrte Paul. »Meiner Freundin . geht's nicht gut.«
»Kriegt s' ein Kind?«, fragte der ältere Polizist.
Paul schüttelte den Kopf, und der jüngere Mann sagte streng: »Dann werden Sie sich Zeit für uns nehmen müssen. Sind Sie mit einem Alkotest einverstanden?«
»Ich fühl mich wie im falschen Film. Um die Uhrzeit hab ich doch nichts getrunken. Wissen Sie, wie spät es ist? Beziehungsweise wie früh?«
»Ja oder nein?« Die Stimme des Beamten klang gelangweilt, und Paul pustete widerwillig in den kleinen Apparat. Jetzt war er froh, die Weinflasche im Rucksack nicht angebrochen zu haben.
»Sagen Sie mir, was ich zahlen muss, und lassen Sie mich weiterfahren!«
»Zeigen S' uns bittschön Warndreieck und Verbandskasten!«, mischte sich nun der ältere Mann wieder ein. Paul war mit drei langen Schritten beim Kofferraum, riss ihn auf und holte...
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