Schweitzer Fachinformationen
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Plötzlich ist sie da, die Angst. Natalie bekommt dann keine Luft mehr, ihr Herz rast und sie zittert. Seit ihrer Kindheit leidet die junge Frau an einer Angststörung. Sie fürchtet sich vor Menschenmengen, überfüllten Bussen und geht monatelang nicht vor die Tür. Selbst eine Therapie hilft nicht. Doch dann bekommt sie einen kränkelnden Hund geschenkt, den sonst keiner haben will. Von Kimba lernt Natalie, sich durchzubeißen, Vertrauen aufzubauen und das Leben zu meistern.
»Aber Natalie, du bist ja viel zu dünn angezogen!«
Frau Krüger, meine Lehrerin, steht mir auf dem Pausenhof gegenüber und sieht mich mitleidig an. »Es ist sehr frisch heute, und mit deiner dünnen Bluse erkältest du dich. Bitte geh ins Klassenzimmer und hol deine Jacke.«
Es stimmt. Es ist viel zu kalt, und ich friere entsetzlich. Schon auf dem Schulweg am Morgen habe ich richtig geschlottert, konnte mich dann aber im Unterricht etwas aufwärmen. Jetzt, draußen auf dem zugigen Schulhof, ist mir bitterkalt. Aber ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen.
Lisa, eine der Mitschülerinnen, die mich ständig hänseln, hat sich allerdings schon lustig gemacht und spöttisch: »Natalie hat keine Jacke. Natalie hat keine Jacke!« herumposaunt.
Ich habe mich daraufhin in eine Ecke neben den Toilettentrakt gestellt, mich kleingemacht und gehofft, dass sie mich in Ruhe lässt und die Pause möglichst rasch vorübergeht.
Aber nun hat mich Frau Krüger entdeckt, und ich muss zurück ins Schulgebäude. Ich bin 10 Jahre alt und gehe in die 4. Klasse einer Grundschule in der Nähe von Borken im Münsterland.
Zu gern würde ich gleich eine kuschelige Jacke vom Haken nehmen. Doch leider hängt da keine, weil ich überhaupt keine Winterjacke besitze. Die vom letzten Jahr passt nicht mehr, und eine neue wollen Mama und Papa mir nicht kaufen. »Du hast genug Klamotten«, hat meine Mutter entschieden und mir verboten, sie noch einmal darauf anzusprechen. Später meinte sie noch, dass ich sowieso schon genug koste und sie es leid sei, mich »teures Blag« ständig neu einzukleiden. Das war vor zwei Wochen, und seitdem gehe ich ohne dicke Jacke in die Schule. Aber außer den Mädchen aus meiner Klasse ist das zum Glück noch niemandem aufgefallen.
»Natalie, komm, wir gehen zusammen«, sagt Frau Krüger, als sie mein Zögern bemerkt. Sie muss spüren, dass etwas nicht stimmt, denn plötzlich legt sie mir ganz vertraut den Arm um die Schulter und schiebt mich vorsichtig Richtung Schuleingang.
Eigentlich möchte ich nicht mitgehen, denn ich schäme mich, dass ich keine Winterjacke habe. Ich lehne mich deshalb auch etwas störrisch zurück, trotte aber dann doch wie ein Sträfling neben ihr her zum Schulgebäude.
Gleich wird die Wahrheit ans Tageslicht kommen, denn ich kann keine Jacke herbeizaubern, und mit jedem Schritt breitet sich das mulmige Gefühl in meiner Magengegend weiter aus.
Frau Krüger ahnt, was los ist.
»Hast du keine Jacke?«, fragt sie leise und sieht mich mitleidig an, als ich mit gesenktem Blick den Kopf schüttle.
»Okay!«, meint sie dann und lächelt. »Ich glaube, du bist schon ein bisschen verschnupft, und verschnupfte Kinder sollten in der Pause im Klassenraum bleiben. Und ich spreche einmal mit deinen Eltern.«
Wenig später sitze ich im leeren Klassenraum an der Heizung und habe ein leckeres Käsebrot vor mir liegen, daneben steht eine Tasse mit warmem Kakao. Frau Krüger hat mir beides spendiert. Sie ist toll.
Ich vermute, sie telefoniert nun mit meinen Eltern und konfrontiert sie damit, dass ich wiederholt nicht richtig angezogen gewesen sei und wiederholt kein Frühstück bei mir gehabt hätte.
Sie hat schon oft bei meinen Eltern angerufen. Das letzte Mal hat sie sie daran erinnert, dass ich dringend Sportschuhe für die Turnhalle bräuchte. Sie meldete sich aber auch schon, weil ich eine Woche lang mit denselben Sachen in die Schule gekommen war und sich Mitschüler beschwert hatten, da meine Kleidung nicht mehr sauber war. Damals haben mir alle ständig »Dreckmaus« nachgerufen.
Frau Krüger will mir helfen. Dafür bin ich ihr dankbar. Aber ich weiß auch, dass sich bei mir zu Hause niemand darum schert, was sie sagt.
Deshalb mache ich mir auch jetzt nichts vor. Ich freue mich nicht mehr auf das, was sein kann, weil es sowieso nie sein wird. Ich freue mich hingegen über das, was gerade da ist: ein wunderbares Käsebrot, das mir vom ersten Bissen an so gut schmeckt wie keines je zuvor.
Neugierig klappe ich die beiden Hälften auseinander. Das frische, weiche Brot ist sogar mit Butter beschmiert, und der golden schimmernde Käse schmeckt ungewohnt würzig.
Ich klappe die Brothälften wieder zusammen und beiße erneut herzhaft in die Scheiben, schließe dabei die Augen und genieße.
Aber ich muss vorsichtig schlucken. Denn wenn ich großen Hunger habe und mein Magen ganz leer ist, bekomme ich Bauchweh, wenn ich zu schnell esse.
Allerdings fällt es mir schwer, langsam zu essen. Denn ich habe immer etwas Angst, hungern zu müssen, und beginne sofort zu schlingen, wenn ich leckeres Essen sehe, das für mich bestimmt ist.
Doch heute will ich es anders, besser machen.
Ich setze mich deshalb auf einen Stuhl am Fenster und sehe auf die große Uhr, die über der Klassenzimmertür hängt. Es ist prima. Ich habe noch reichlich Zeit und kann langsam essen und meine Gedanken schweifen lassen .
Wenn das Lisa sehen könnte!
Lisa ist die Anführerin der gemeinen Mädchen, die mich immer triezen. Sie ist immer die Erste, die hässliche Bemerkungen macht, und wenn sie anfängt, ziehen andere nach, und schnell bin ich wieder das Klassenopfer.
Lisa bringt immer die herrlichsten Pausenbrote mit in die Schule. Sie hat eine rote Butterbrotdose, und wenn sie die in der Pause öffnet, ist sie jedes Mal mit etwas ganz Besonderem gefüllt. Lisa hat immer die besten Schulbrote dabei, mal mit Wurst, mal mit Käse belegt, dazu Obst oder Möhren.
Ich liebe Möhren, aber bei uns gibt es die selten. Es gibt sogar Tage, da gibt es überhaupt nichts mehr. Da ist schon morgens der Kühlschrank leer und die Brottrommel auch, und dann knurrt später in der Schule mein Magen so laut, dass ich den Unterricht störe.
Das sind die Tage, an denen mir Lisa ihre rote Butterbrotdose weit geöffnet vor die Nase hält, »Riech doch mal, riech doch mal« ruft und dann mit ihrer Freundin Annalena kichernd vor meinen Augen in die leckeren Sachen beißt und mir genüsslich etwas vorkaut.
Anfangs habe ich in solchen Momenten geweint. Aber mittlerweile flenne ich nicht mehr. Ich will nicht, dass sie meine Tränen sehen. Weil ich weiß, dass sie sich daran ergötzen, wenn ich leide.
Sie wollen mich auch leiden sehen, wenn sie über meine Kleidung herziehen und mich als »Kellerassel« beschimpfen oder wenn sie sich über meine alten Malstifte und die abgewetzten Hefte lustig machen.
Ich habe eben keine neuen Sachen. Oft sind in meinen Heften bereits Seiten herausgerissen, weil ich sie von meinen Geschwistern übernommen habe. Außerdem bin ich froh, überhaupt Hefte zu haben.
Aber für Lisa, Annalena und die anderen ist meine sichtbare Armut nur das Startzeichen, um mich auszulachen und richtig fertigzumachen.
»Gib doch mal den Müll her«, haben die beiden einander erst vor Kurzem gerufen und mein Schulheft dann gleich in den Papierkorb geworfen.
Manchmal wehre ich mich dagegen und brülle zurück, dass sie blöd seien und mich zufriedenlassen sollten, aber sie hören nicht auf, sondern ziehen mich so lange weiter auf, bis auch die anderen aus der Klasse alle mitmachen und ich irgendwann weglaufe, nach Hause.
Aber da geht es in der Regel nicht besser zu.
»Bist du dumme Göre wieder abgehauen?«, begrüßt mich meine Mutter, wenn ich schwer atmend vom Rennen nach Hause komme, und beschimpft mich gleich weiter. »Du bist zu doof, um zur Schule zu gehen. Kein Wunder, dass sie dich da nicht haben wollen. Denen gehst du auch auf den Wecker, genauso wie uns.«
Und dann macht sie sich über die Schule lustig. »Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass gleich wieder diese komische Frau Krüger anruft. Danke dafür!«
Mamas Beschimpfungen und ihre ständige Kritik tun mir allerdings nur noch ein bisschen weh. Denn ich habe mich längst daran gewöhnt.
»Mama kann nichts dafür«, sagt mein Vater immer, wenn er mich manchmal, wenn er gut drauf ist, vor den Ausbrüchen meiner Mutter in Schutz nimmt. Was er damit meint, weiß leider jeder in unserem kleinen Ort: Mama trinkt und spielt und was sie gerade mehr und häufiger macht, kann niemand sagen.
Eigentlich ist meine Mutter Verena eine tolle Frau. Sie sieht hübsch aus, hat eine sehr frauliche Figur, lange schwarzgelockte Haare und saphirblaue Augen. Mama kann lustig sein, lachen, Witze erzählen.
Aber leider kommt das immer seltener vor. In letzter Zeit liegt sie meist nur noch auf dem Sofa, sieht fern und hält eine Dose Bier in der Hand. Ihre Augen strahlen auch nicht mehr, sondern sehen häufig stumpf und müde aus.
Vom sicheren Sofa aus versucht sie, das Familienleben zu koordinieren, und das ist recht turbulent. Ich habe nämlich noch fünf Geschwister. Zum einen sind da meine zwei großen Brüder, Fabian, der fünf Jahre, und Julian, der drei Jahre älter ist. »Die beiden sind eben in einem schwierigen Alter«, sagt meine Mutter immer, wenn sie sich mal wieder in die Haare bekommen und dabei nicht zimperlich miteinander umgehen. Sie gehen nur unregelmäßig zur Schule, hocken am liebsten in ihren Zimmern und vertrödeln die Zeit. Fabian liebt es zu zeichnen, und Julian putzt ständig seine Angelutensilien.
Mama interessiert sich allerdings nicht dafür, was sie machen. Sie ist froh, wenn die beiden beschäftigt sind und sie selbst in Ruhe lassen.
Dafür lassen sie aber mich nicht in Ruhe: Wenn ich ihnen im Weg stehe, knuffen sie mir kräftig in die Seite, und ab und zu hauen sie auch einfach zu. Ich habe gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen und mich nicht blicken zu lassen, wenn sie mal wieder...
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