Schweitzer Fachinformationen
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»SERJOSCHA, komm heim! Serjoscha, hörst du, komm heim!« Valentina Sergejewna kniff die Augen zusammen. Noch eine Stunde, und sie sähe nicht einmal mehr die Hand vor der Nase. »Serjoscha!« Valentina klatschte in die Hände. Zwei Hennen äugten im Profil zu ihr herüber und pickten dann wieder.
»So geht das nicht weiter!« platzte Valentina heraus und setzte sich an den Küchentisch. »Seit Wochen höre ich kein Wort von ihm, kein Guten Morgen, kein Gute Nacht, er sieht mich nicht an, trinkt nur die Wasserleitung leer und legt sich schlafen, fällt völlig vom Fleisch, der Junge!«
»Besser, als wenn er nachts den Keller leer frißt«, erwiderte Pawel, strich dick Butter aufs Brot und schob es mit dem Daumen an ihren Teller.
»Los!«
Valentina griff nach der Teekanne und füllte beide Tassen. Das krause Haar ihrer Achselhöhlen drängte unter den kurzen Ärmeln der Schürze hervor.
»Wäre er dein Enkel, würdest du was tun!« sagte Valentina. Sie begannen zu essen.
»Ach was, jeder Fresser ist zu viel!«
»Faschist«, flüsterte Valentina.
Pawel schlug mit der Hand aus und traf sie am Kinn. Ein Gurkenstück flog auf Valentinas Schoß. Noch bevor sie zu weinen begann, war Pawel aufgestanden, drückte ihr die flache Hand gegen die Stirn und spuckte auf ihren halboffenen Mund. Er zögerte noch einen Moment. Valentinas Gesicht zog sich zusammen . An ihrer Oberlippe klebte Butter. Dann ging er hinaus.
Lange saß Pawel auf dem Holzklotz neben dem Schuppen. Die Zigaretten lagen in der Küche, seine Latschen noch unterm Tisch. Vor der Abendsonne färbten sich die Wolken blau. Pawel mußte nachdenken.
»In einer Stunde ist es finster wie im Arsch von Lenin«, sagte er zu seinen Fußspitzen.
Der entfernte Lärm von der Chaussee Petersburg-Nowgorod gehörte schon zur Stille. Nur wenn es hupte, war die Straße wieder da. Ohne vom Holzklotz zu rutschen, klaubte Pawel kleine Steine in die linke Hand und richtete sich wieder auf. Zwei Hennen pickten zwischen den Zaunlatten und reckten ihren Steiß empor.
»Feuer!« rief Pawel und schoß das erste Steinchen.
»Wuih!« Es knallte gegen den hellblauen Zaun, dessen Spitzen er weiß gepinselt hatte.
»Zwei Strich tiefer, drei rechts, Feuer!« Das Steinchen pfiff durch die Latten und verschwand lautlos im Feld dahinter.
»Feuer!« befahl Pawel.
»Zu tief, Feuer! Dauerfeuer!« Er zielte nicht mehr.
»Wuih, wuih, wuih, wuih, ureeeeeeh.« Die Hennen rannten, gackerten, flatterten den Zaun entlang, fanden aber keine Lücke, plusterten sich auf wie bei Unwetter - und wurden im nächsten Moment wieder klein und schmal, machten in der Ecke kehrt und wackelten zurück.
»Halt's Maul!« Noch zwei Schuß, und Pawels linke Hand gab nichts mehr her. Die Hennen stoben auseinander.
»Mistviecher! Gegner vernichtet!«
Pawel hatte Hunger und Lust, irgend etwas zu töten. Aber selbst fünf Hennen legten nicht genug, und bald war Winter. Im Gemüsegarten von Valentina Sergejewna riß er einen Kohlrabi aus, brach die Blätter ab, wusch den Rest in der Regentonne und hieb ihn mit dem Spaten entzwei. Abwechselnd nagte er an den Hälften.
»Pfuuh!« Pawel spuckte aus und setzte sich wieder auf den Klotz. Hatte er etwas abgebissen, kaute er darauf herum, bis der Saft heraus war, streckte die Zunge mit dem holzigen Rest vor und wischte mit dem Handrücken über seine Lippen.
»Ein fetter Arsch, ein saftiger Arsch, ein weißer Arsch«, ermunterte er sich und preßte die Schenkel zusammen. Ohne Eile hob er den rechten Unterarm quer über den linken und zerdrückte eine Mücke. »Was turnst du da auch herum«, rügte Pawel. Langsam wurde ihm besser. Er rieb sich zwischen den Beinen. Der Kohlrabi klebte. Mit den Handrücken drückte er gegen seine Leisten und grätschte die Beine.
»Kommando zurück!« Wieder rieb er, wartete und schob mit den Händen seine Knie auseinander - sein Glied stieß gegen den gespannten Stoff der Hose. Pawel war mit sich zufrieden. Er stellte die Beine wieder nebeneinander, warf den Kohlrabirest gegen den Zaun, traf sogar den alten Hühnertopf und legte beide Hände an seinen Steifen. Pawel grunzte wie beim Einschlafen. Über dem Wald zog sich noch ein heller Streifen durch die Wolken. Im Grau des Himmels kreiste ein Bussard. »Beng, beng, beng, beng!« Pawel zielte und hielt seinen Lauf umschlossen. Bei jedem »beng« zuckten die Hüften. »Nicht entschärfen, Pascha, nicht entschärfen. Halt dich trocken, Pascha, beng, beng, beng, beng!«
Pawel staunte, daß er neben dem Holzklotz stand. Nun setzte er sich wieder, ohne loszulassen. »Bebebebebebebem.«
Vom Wald kam Serjoscha. Er rannte. Pawel sah die spitzen Knie wie einen Heuwender über dem hohen Gras auf- und abtauchen. Serjoscha war tatsächlich in den sechs Wochen seit seiner Ankunft abgemagert. Das Hemd hatte er ausgezogen und hielt es wie einen Sack in der Hand. Schon von weitem sah Pawel die Rippen des Jungen. Nur Serjoschas Kopf war gewachsen.
»Laufende Scheibe«, murmelte Pawel, kniff ein Auge zu und schlug sein rechtes über sein linkes Bein. So spürte er sich selbst warm und fest an den Schenkeln.
»Onkel Pascha!« krähte Serjoscha, winkte ihm zu mit dem freien Ärmchen und strich sich die Haare aus der Stirn. Im Lauf stieß er die Lattentür zum Hühnerhof auf.
»Onkel Pascha!« Serjoscha keuchte und rannte auf den Mann zu, der seit zwei Jahren bei seiner Großmutter untergekommen war. Pawel stand auf, den Oberkörper nach vorn gebeugt, und schob Serjoscha wieder von sich. Sie hatten sich noch nie umarmt.
»Onkel Pascha, ich hab's, schau mal!«
Direkt vor Pawels knochigen Zehen breitete Serjoscha sein Hemd aus, in dem eine Handvoll groben Pulvers lag, dunkel, dazwischen Klümpchen. Serjoscha hustete.
»Ich werd dir alles erklären, Onkel Pascha, alles, die ganze Wahrheit!« sprudelte Serjoscha hervor, ohne den Blick von seinem Schatz zu wenden.
Pawel sah hinab auf den Haarwirbel des Jungen, auf seinen dürren Hals, die Schultern, den verschwitzten Rücken und das Stück Poritze über dem Gürtel.
»Onkel Pascha, setz dich doch, bitte setz dich, ich erkläre dir alles, die ganze Wahrheit, zehn Minuten, Onkel Pascha, fünf, bitte!«
Pawel nickte, blinzelte wie immer, wenn er etwas nicht verstand und setzte sich wieder.
»Probier mal, Onkel Pascha, es schmeckt, es schmeckt wundervoll!« Serjoscha hielt ihm ein kleines Krümelchen direkt vor die Lippen. Pawel nahm es zwischen die Finger, schob es in den Mund und kaute.
»Knusprig«, sagte er.
»Nicht wahr!« Serjoscha sah glücklich auf, »und süß, süß wie Zucker.«
Pawel kaute lange und schluckte mühsam.
»Ich erzähl's dir, die ganze Wahrheit, Onkel Pascha, dir zuerst. Alles.« Serjoscha setzte sich vor das Hemd. Auf seinem Bauch erschienen zwei winzige Fältchen.
»Nimm dir, Onkel Pascha, bitte, bedien dich!«
Pawel klaubte sich zwei Bröckchen heraus und futterte sie aus der linken Hand.
»Wie Sonnenblumenkerne«, murmelte er und wischte sich über die feuchten Lippen.
»Bei euch ist es schön, Onkel Pascha, aber wenn ich an meine Abfahrt, wenn ich an Petersburg denke, muß ich gleich aufs Klo. Das macht mich fertig, Onkel Pascha, kennst du das?«
Pawel starrte auf die Krümel zwischen ihnen. Heute früh hatte ihm Valentina, ans Waschbecken geklammert, ihren Hintern entgegengestreckt. Fast hätte sie den Bus nach Nowgorod verpaßt.
»Vor Kummer und Angst kann ich mich nicht rühren«, fuhr Serjoscha fort, »und dann wird die Kacke hart, und nach einiger Zeit ist sie kalt und wie ein Körper, der nicht zu mir gehört, aber mich berührt, Onkel Pascha, schrecklich ist das!« Serjoscha forschte in Pawels Gesicht. »Das wollte ich nicht mehr, Onkel Pascha«, begann Serjoscha wieder, »ich wollte nicht mehr kacken müssen! Dieses Gefühl kennt jeder, nicht wahr, jeder, aber niemand spricht darüber, keiner will es sagen, weil es so schrecklich ist, stimmt's? Aber warum nur, fragte ich mich, habe ich, haben alle solche Angst davor? Es kommt doch von einem selbst, ist ein Stück von mir, also kann es doch nicht schlechter sein, als ich es bin!«
Pawel nickte.
»Das wußte ich schon lange«, strahlte Serjoscha, »aber heute habe ich von einem alten Haufen gekostet, er war von mir, und es schmeckt, Onkel Pascha, nicht wahr? Es schmeckt süß! Weißt du, was das bedeutet, daß es süß schmeckt? Ich muß keine Angst mehr haben, niemand muß mehr Angst haben, ist das nicht herrlich, Onkel Pascha?«
»Ich kenne das«, sagte Pawel und stand auf. »Komm!« Er wusch seine Hände in der Regentonne und rieb sie am Hosenboden trocken.
Serjoscha packte sorgsam sein Hemd zusammen. Noch einmal versuchte er, Pawel zu umarmen. Dann gingen sie ins Haus.
Valentina Sergejewna war schon im...
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