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Biografische Notizen
Im Folgenden geht es auch um die Annäherung des Autors an den Konflikt im Nahen Osten als Teil einer westdeutschen und linken Biografie. Im Kontext eines auch nach 1945 noch virulenten Antisemitismus' und vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung des Konfliktes zwischen Israelis, den Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten Israels.
Die Einsicht, dass den Juden großes Unrecht geschah, benötigte einige Dekaden. Die Shoah bewirkte zunächst nur einen leichten Rückgang antisemitischer Attitüden.
1949 äußerten 70 Prozent der befragten Bundesbürger, dass sie keine Juden heiraten würden und bewegten sich damit noch im Denkmuster des "Blutschutzgesetzes" von 1935. 1950 bereiste die 1933 emigrierte Philosophin Hannah Arendt das Land und erlebte ein Volk, das häufig seine Verbrechen leugnet und in Selbstmitleid ertrinkt. Arendt konstatierte: "Allgemeinen Gefühlsmangel (.), offensichtliche Herzlosigkeit, (.) manchmal mit billiger Rührseligkeit kaschiert: (.) Symptom einer tief verwurzelten, hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und sich damit abzufinden." Als Begründung für dieses Verhalten wird noch heute strapaziert, die Deutschen seien halt zu stark mit ihrem eigenen Überleben und dem Wiederaufbau beschäftigt gewesen. Korrekter ist wohl, dass das Schicksal der Juden nicht interessierte, dass gegenüber den Opfern eine große Gleichgültigkeit herrschte. Lieber betrachtete mensch sich selber als Opfer des Regimes. Und auch der Juden, die mensch um ihren Opferstatus beneidete. Viele Deutsche nahmen den Juden die Vernichtung übel, die diese selber provoziert hätten und die sie nun gegen die Deutschen instrumentalisieren würden. Die eigentlichen Opfer der Shoah waren damit die Deutschen, ihre Gewinner die Juden.
1952 erklärten 52 Prozent, dass nach ihrer Meinung noch immer "zu viele Juden" im Land seien. "Zu viele Juden", das waren in jenem Jahr 16.186 registrierte Juden bei einer Gesamtbevölkerung von über 50 Millionen. Ein gutes Viertel dieser wenigen Juden lebte in Berlin.
Am 10. September 1952 unterschrieben Konrad Adenauer, der Gründungskanzler der Bundesrepublik, und der israelische Außenminister Moshe Sharett das Luxemburger Abkommen, in dem die Bundesrepublik Israel zusicherte, innerhalb von zwölf bis 14 Jahren drei Milliarden D-Mark zu zahlen oder in Waren zu liefern.
Am 18. März 1953 billigte der Bundestag das Abkommen, allerdings nicht einstimmig. Nur 239 von 360 Abgeordneten stimmten mit "Ja", darunter die komplette SPD-Fraktion, auf deren Stimmen Adenauer angewiesen war. Denn zahlreiche Abgeordnete der Unionsparteien CDU und CSU sowie der FDP verweigerten ihre Zustimmung. Sie hielten eine Entschädigung von drei Milliarden D-Mark für überflüssig oder zumindest zu hoch. Eine Reihe von Nein-Sagern befürchtete auch eine Verschlechterung des Verhältnisses zu den arabischen Staaten. Bis kurz vor der Ratifizierung hatte die Arabische Liga mit einer Ausdehnung des gegen Israel verhängten Wirtschaftsboykotts auf die Bundesrepublik gedroht.
Gegen das Abkommen war auch die rechte Deutsche Partei (DP), die im Bundestag mit 17 Abgeordneten vertreten war. Auf einem Parteitag erinnerte die DP an die traditionelle deutsch-arabische Freundschaft und gemeinsame deutsch-arabische Interessen. Zur Zufriedenheit von Mohammed al-Husseini, dem ehemaligen Mufti von Jerusalem, der von 1936 bis 1939 die arabischen Aufstände gegen die jüdischen Einwanderer angeführt hatte, ein Fan des antisemitischen Nationalsozialismus war und im arabischen Raum für die Verbreitung der nationalsozialistischen Propaganda gesorgt hatte. al-Husseini befürwortete nicht nur den Holocaust, sondern unterstützte ihn auch, indem er versuchte, die Fluchtwege für Juden aus Osteuropa zu blockieren. Für al-Husseini war der deutsche Bundeskanzler ein "Werkzeug des Weltjudentums".
Aus heutiger Sicht erscheint einem die damalige Diskussion um das Abkommen als unfassbar dreist. An Marion Gräfin Dönhoff erinnert man sich heute als eine Liberale. Ihre Anfänge als Journalistin der Wochenzeitung Die Zeit hatten sich vom Geist der NS-Zeit aber noch nicht befreit - trotz der von ihr behaupteten, aber umstrittenen Nähe zu den Männern des 20. Juli. Dönhoff kritisierte mit scharfen Worten die Willkür der Siegermächte, die "das Gift der Nazi-Epoche (.) in unsere neue Zeit mit hineingetragen" hätten. Sie äußerte Verständnis für die "Mitläufer" bei den Krankenmorden und die Teilnehmer an Massenexekutionen, geißelte die Nürnberger Prozesse, weil sich die Richter in diesen moralisch über das Tätervolk gestellt hätten. Israel war für Dönhoff ein "völkischer Ordensstaat", dessen Regierung auf einen Weg gelangt sei, "der erst vor kurzem ein anderes Volk ins Verhängnis geführt hat".
Sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hielt es eine deutsche Journalistin für angebracht, die Wiedergutmachungszahlungen an Israel an Bedingungen zu knüpfen. Die Gräfin forderte die Regierung auf, erst Geld zu geben, "nachdem Israel und die arabischen Staaten Frieden geschlossen" haben.
Das "Luxemburger Abkommen" hielten 44 Prozent der westdeutschen Bevölkerung für überflüssig, vorbehaltlos befürwortet wurde es nur von elf Prozent - so das Ergebnis einer Umfrage des Allensbacher Instituts.
Adenauer ging es keineswegs nur um die Wiedergutmachung deutscher Schuld. Es ging zumindest auch um den Gewinn von Souveränität bzw. außenpolitischem Handlungsspielraum für die junge Bundesrepublik, die noch unter alliierter Aufsicht stand, und um Westintegration. Gute Beziehungen zu Israel galten als Beleg dafür, dass die Deutschen geläutert waren und die Bundesrepublik fest zum westlichen und demokratischen Lager steht. Israel wurde instrumentalisiert. Und dies nicht das letzte Mal.
Am 28. September 1954 begann in London eine Neunmächtekonferenz. Am Rande der Konferenz soll sich Konrad Adenauer in einem informellen Gespräch mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Joseph Bech und dem belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak über seinen französischen Amtskollegen Pierre Mendès France wie folgt geäußert haben: "Mendès France ist ein Spieler ohne feste Konzeption. Sehen Sie mal: Mendès France ist doch Jude. Wir haben Erfahrungen mit unseren deutschen Juden. Die haben alle einen nationalen Minderwertigkeitskomplex, den sie überkompensieren durch übersteigerten Nationalismus. Mendès France will, wenn auf Kosten Europas und der Verteidigung Deutschland niedergehalten wird, in Frankreich als guter Patriot gelten." Im Claridge-Hotel wurde das Gespräch an einem Nebentisch von Lothar Rühl belauscht, damals als Journalist für den Spiegel unterwegs. Rühl schrieb auch diesen Teil des Gesprächs mit, wollte aber darüber im Magazin nicht berichten. Adenauers antisemitische Äußerungen waren ihm zu brisant. Er beschränkte sich darauf, dass nach dem Treffen mit dem französischen Regierungschef die "während der Unterhaltung heruntergewürgten Vorurteile . im internen Kreis aus Konrad Adenauer wieder aus(brachen). Sie taugen nicht zur Wiedergabe."
Das politische Bonn wusste aber bald, dass Rühl den brisantesten Teil des Gesprächs verheimlicht hatte. Drei Wochen nach der Neunmächtekonferenz lud Adenauer die Spitzen der im Bundestag vertretenen Fraktionen zu einem gemeinsamen Mittagessen ein. Thomas Dehler, Fraktionschef der FDP, brachte den Vorfall zur Sprache und stellte den anwesenden SPD-Vertretern die Frage, warum sie Adenauers Äußerungen bei der letzten außenpolitischen Debatte des Parlaments nicht zum Thema gemacht hätten. Adenauer reagierte alarmiert. Was wusste die Opposition? SPD-Fraktionschef Herbert Wehner antwortete, er besitze sowohl das, was der Kanzler über den SPD-Chef Erich Ollenhauer, als auch das, was er über Pierre Mendès France von sich gegeben habe.
Dass Wehner über Adenauers antisemitische Ausfälle den Mantel des Schweigens ausbreitete, war wohl der Einschätzung geschuldet, dass sich das Mitte der 1950er Jahre politisch nicht auszahlen würde. Der Antisemitismus war noch immer virulent. 2023 dokumentierte der Fall des bayerischen Landesministers Hubert Aiwanger, dass sich seither nicht so viel geändert hat. Eher schon lässt sich mit Antisemitismus punkten.
Bei einem Staatsbesuch in Israel wäre Adenauer beinahe vorzeitig abgereist, nachdem er den Text der Tischrede von Israels Präsidenten Ben Gurion gelesen hatte. In dieser stand: "Die Wiedergutmachung stellt nur eine symbolische Rückerstattung des blutigen...
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