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AM ANFANG WAR DIE PRÄMIE
Beinahe wäre die Operation Titelgewinn für die DFB-Elf schon vorbei gewesen, bevor sie überhaupt begann. Spieler und DFB-Führung haben sich zerstritten. Zum neuen Selbstbewusstsein der Profis gehört auch, an den Geldern zu partizipieren, die Vereine oder Verbände dank der Künste ihrer Spieler einstreichen können. Vorbei die Zeit, in der die Gehälter der Bundesligaspieler auf 1.200 DM gedeckelt waren. Die Grenze ist, auch als Folge von Bestechungsskandalen, vor zwei Jahren aufgehoben worden; seither fordern die Spieler Gehälter auf internationalem Niveau. Auch bei einer Weltmeisterschaft.
Sepp Maier: "Wir hätten die Prämie vorher mit dem DFB aushandeln sollen. Aber als wir ins Trainingslager gingen, waren wir sicher, dass uns die Herren nicht hängen lassen. Da haben sie uns die gleiche Prämie wie in Mexiko 1970 angeboten, 30.000 Mark. Das klingt vielleicht nach einer Menge Geld. Aber wenn man bedenkt, dass man sechs Wochen weg ist von daheim und damit auch von allen anderen Prämien, allen Nebengeschäften, dann ist das nicht mehr viel. Außerdem lasen wir Zeitung. Da stand, dass die Italiener für den Titel 120.000 Mark kassieren würden."
Berti Vogts: "Der DFB hatte sich zunächst gar nicht zu Prämien geäußert. Nun ging es immer näher zum ersten Spiel, da hat der Mannschaftsrat, zu dem ich mit Günter Netzer und Paul Breitner gehörte, diskutiert. Der DFB hat uns ein Angebot gemacht, das war zum Lachen. Dann hat der Franz Beckenbauer nach Rücksprache mit uns mit Neuberger (Anm. d. A.: gemeint ist Hermann Neuberger, Vizepräsident des DFB und WM-Organisationschef) ein Gespräch geführt. Das Angebot war 30.000 DM. In der Gruppe hieß es dann: Das kann doch nicht wahr sein. Wir haben mit der Mannschaft gesprochen, da waren die Jungen, also Breitner und Bonhof, die haben gesagt, das müssen schon so 50.000 oder 60.000 sein. Das war damals unheimlich viel Geld. Es gab damals ja nicht die Sponsorengelder wie heute. Die sind ja viel höher als die Prämien, die der DFB offiziell ausschüttet. Wir hatten damals Sponsorengelder von 10.000 oder 12.000 DM. Als Vertreter der Liga war noch der Präsident von Borussia Mönchengladbach bei den Verhandlungen dabei, Dr. Beyer, der hat uns auch noch einige böse Worte gesagt."
Dem Bundestrainer, Helmut Schön, sei das alles peinlich gewesen, erinnert sich Vogts weiter: "Er mochte das nicht. Er wusste natürlich, dass das Zeitalter des Geldes angebrochen war. Aber er wusste nichts über die Summen. Da war Bayern München natürlich weit voraus; wir in Gladbach haben für die Meisterschaft 15.000 bekommen. Für uns war es merkwürdig, wenn die Bayern jetzt bei 50.000 sagten: zu wenig, zu wenig. Da waren die Bayern-Spieler schon in anderen Regionen angekommen, insbesondere Uli Hoeneß und Paul Breitner, die da den Franz unter Druck gesetzt haben."
Die Spieler fordern schließlich im Falle eines Titelgewinns 100.000 DM, bieten als Kompromiss 75.000 an. Die Stimmung ist gereizt, eine Einigung scheint unmöglich. Um dem DFB-Argument der Nichterfüllbarkeit ihrer Forderungen zu begegnen, regt Breitner an, den offiziellen Ausrüster Adidas mit ins Boot zu nehmen. Für den Sportartikelhersteller laufen die Spieler schließlich von morgens bis abends Reklame. Bei der WM 1970 gab es von Adidas 10.000 DM "Schuhgeld". Nun soll es das Doppelte sein. Und wenn nicht? "Dann überpinseln wir die weißen Werbestreifen mit schwarzer Farbe", kolportiert das Boulevardblatt Bild. Aber Adidas winkt ab. Schließlich habe man mit dem DFB einen Ausstattervertrag unterzeichnet, der dem Verband 175.000 DM garantiere. Im Falle eines WM-Sieges würden daraus sogar 220.000. Eine mögliche Zusatzprämie sei deshalb allein Sache des Verbands.
Entschiedenster Gegenspieler der Mannschaft ist DFB-Delegationsleiter Heinz Deckert, dem die neumodische Einstellung der Spieler überhaupt nicht passt. Deckert, als Spielausschussvorsitzender für die Nationalelf zuständig, ist erzkonservativ wie manch andere seiner Kollegen im DFB-Vorstand, inklusive dessen Präsident Hermann Gösmann, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied. Während der Nazizeit hatte Gösmann als Vorsitzender des VfL Osnabrück im Vereinsblatt die "großgeschichtliche Tat" der "Heimführung unserer österreichischen und sudetendeutschen Brüder ins großdeutsche Reich" gepriesen. Vom Einmarsch in Frankreich berichtet er fasziniert: "Ganz Deutschland steht in Ergriffenheit vor dem Führer."
Auch Deckert hatte während der NS-Zeit für eine Weile den braunen Horden der SA angehört. Im Entnazifizierungsverfahren nach Kriegsende gab er an, der SA nur "zur Tarnung" beigetreten zu sein. Immerhin konnte er glaubhaft machen, dass die Nazis ihn als "politisch unzuverlässig" eingestuft hatten. Wirklich verfolgt oder verurteilt haben sie ihn allerdings nicht, auch seinen Beamtenposten in der Stadtverwaltung ließen sie ihm. Deckert war als gläubiger Katholik wohl tatsächlich kein Nationalsozialist. Seine Selbsteinschätzung, die er im Entnazifizierungsverfahren ablieferte, wirkt allerdings grotesk überzogen: "Ich bin der Überzeugung, dass es wohl kaum einen Menschen gibt, der im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten schärfer und aggressiver gegen den Nationalsozialismus Stellung bezogen hat als ich."
Nach dem Krieg trat Deckert der CSU bei und machte in seiner Heimatstadt Schweinfurt Karriere: Beruflich stieg er zum Stadtkämmerer auf, als Sportfunktionär zum Vorsitzenden des FC Schweinfurt 05. Beim DFB war er als stellvertretender Spielausschussvorsitzender schon bei der WM 1954 für die Nationalelf zuständig und betreute sie auch im legendären Trainingslager von Spiez. Dort sah er Fritz Walters Mannen "durch das disziplinierte Auftreten (.) unsere Heimat würdig vertreten", wie er in einem Bericht für eine Schweinfurter Vereinszeitung schrieb. Natürlich feierte er darin auch das Wunder von Bern, wies aber noch auf eine "zweite Sensation" hin: "Die vielen Tausende von deutschen Zuschauern, die sich vor Begeisterung schier überschlugen, zeigten den Schweizern nach Spielende, was Disziplin heißt."
Eine Disziplin, die er 20 Jahre später bei der neuen Spielergeneration um Beckenbauer und Netzer schmerzlich vermisst. Als "Lagerleiter" (so der Spiegel) hat er für den Frust seiner kasernierten Spieler kein Verständnis, und ihre Geldforderungen hält er schlicht für "Erpressung" und "einen willkommenen Anlass, sich ordentlich aufzuplustern", wie Sepp Maier kommentiert. Uli Hoeneß sagte später in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über Funktionäre wie Deckert: "Die lebten noch in einer Welt, wo elf Freunde möglichst umsonst Fußball spielen. Sie begriffen nicht, dass sie es mit einer Generation zu tun hatten, die professioneller geworden war und sich nicht mehr alles aufoktroyieren ließ."
Bild schlägt Alarm: "Krach ums Geld in Malente! DFB wollte alle rausschmeißen. Damit versuchten die Funktionäre die WM-Prämien zu drücken." Hermann Neuberger bestätigt gegenüber dem Boulevardblatt: "Ja, wir haben den Spielern freigestellt, wieder nach Hause zu fahren." Für den autoritären Knochen, dessen Führungsstil das Wirtschaftsmagazin Capital als "Diktatur und lückenlose Überwachung seiner Mitarbeiter" beschreibt, sind "Spieler zu ersetzen, Funktionäre nicht". Aussperrung also schon vor einem Streik? Möglich, aber maßlos überzogen.
Bild malt sich schon hämisch aus, wen Helmut Schön dann noch aufstellen könnte: Herbert Hein in der Verteidigung, Wolfgang Seel im Mittelfeld und Klaus Wunder als Mittelstürmer. Auch die Spieler überlegen, welche Kollegen der Verband wohl noch auf die Schnelle nach Malente holen könnte. Sepp Maier: "Aber außer von Werder Bremen hätten sonst keine guten Spieler nachnominiert werden können, da die meisten Klubs auf Freundschaftsreisen waren, in Amerika und in Asien. Der DFB war also auf uns angewiesen." Berti Vogts: "Es hieß: Okay, dann werden einige Spieler abreisen müssen, die nicht spielen wollen, wenn es keine höheren Prämien gibt. Dann kommen eben die übrigen Spieler aus dem 40er-Kader. Aber von denen waren viele schon im Urlaub, einige verletzt, deshalb haben wir uns ausgerechnet: Damit kann man uns nicht erpressen."
Tatsächlich sind die Prämienforderungen der Spieler keineswegs überzogen, sie liegen im Trend der Zeit und entsprechen auch in der Rückschau der historischen Entwicklung: Für die Weltmeister von 1954 gab es 2.500 DM plus Fernseher und Motorroller, 1990 bereits 125.000 DM und 2014 schließlich 300.000 Euro,...
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