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Im ersten Corona-Winter 2020 wurde in Deutschland einiges neu sortiert, in der politischen Realität und im politischen Denken. Die Gesundheitsämter waren mit dem Virus beschäftigt und die Finanzämter mit den Nothilfen der Regierungen. Nach dem Auftrag, Home-Office und Home-Schooling gleichzeitig absolvieren zu müssen, dachte offenbar auch eine Mutter in Baden-Württemberg neu über ihre Situation nach. Sie meldete ihre Familie als Gewerbe an. »Aufzucht und Pflege von Säugetieren« sollte ihr einen Steuervorteil verschaffen. In der Meldung der dpa dazu ist gleich zu Beginn von »Schwindel« die Rede. Die Polizei Heilbronn habe nämlich mitgeteilt, dass sich Experten der Arbeitsgruppe für Umwelt und Gewerbe die Tiere ansehen wollten und Kinder vorfanden. Steuervorteile gibt es hierzulande aber nur für Menschen, die Unternehmen gründen, Ehepartner heiraten oder so viel Geld haben, dass sich der Kauf von Steuersparmodellen lohnt. Tenor der kurzen Meldung: Weiß doch jeder, Kinder sind kein Gewerbe!
»Kinder sind kein Gewerbe!« lautete wenige Jahre später eine Überschrift der Berliner Zeitung. Was so »selbstverständlich« klinge, kommentierte ein Redakteur, gelte ausgerechnet im Mietrecht nicht. »Berlins ältester Kinderladen« ist, wonach es klingt - ein Gewerbe. Mögen Kinder nämlich kein Gewerbe sein; Kitas sind es. Weshalb die Räume 2024 nach 52 Jahren geräumt werden sollten. Weil der Vermieter es wollte.[1] Dazu die scharfen Worte: »Es ist eine Schande, dass uns unsere Kinder so egal sind (.) Kinder und mit ihnen die Kitas gehen uns alle an. Die Politik weiß das längst und hat doch keine Lösung.« Lösung für was? Probleme, die kaum einer hat? Selbst in ehelichen Privathaushalten leben heute mehrheitlich keine Kinder mehr. Wie sollte man da die Politik für Kinder in freier Wildbahn interessieren?
Dunja Hayali zeigte ein paar Monate später im heute journal, wie weit sich die Missverständnisse beim Thema Familie und Kinder, Politik und Staat heute treiben lassen: »Schönen guten Abend. Jeder, der einen Haushalt führt, weiß, dass es manchmal gar nicht so leicht ist. Sollte man nur das ausgeben, was man hat, oder lohnt es sich auch, ab und an Schulden zu machen, wenn man denn in etwas investiert, was sich am Ende auszahlen könnte? Vor dieser Frage stehen Regierungen immer wieder.«[2]
Vor dieser Frage stand tatsächlich die Mutter in Möckmühl, die einen Haushalt führt und sich für ihre Care-Arbeit ein paar Euro Werbungskosten von der Einkommenssteuer erstatten lassen wollte, statt Schulden zu machen. Nur galt bei ihr ja nicht die Realität des Fernsehens, sondern die der Behörden: Sie hat weder Finanzkasse noch Zentralbank. Sie kann sich nicht Geld beschaffen, indem sie über ihre oder andere Einkommensströme, über Kreditkonditionen selbst entscheidet. Wir wissen nicht, welchen Beruf sie hat. Vermutlich ist sie keine Parlamentarierin, kann also auch nicht ihr Budget einfach erhöhen. Wahrscheinlich sieht ihr Arbeitgeber auch kein extra Sitzungsgeld für bloße Anwesenheit vor. Politische Haushaltsführung und private Haushaltsführung, das klingt ziemlich ähnlich. Dazwischen liegen aber Welten. Politik hier, Familie da.
Dass wir in Deutschland ein »Familienministerium« haben, das so tut, als gäbe es noch eine Verbindung zwischen Staatshaushalt und privater Haushaltsführung, ist der eigentliche Schwindel. Ja, in Berlin und Bonn arbeiten rund 900 Leute mit staatlichem Auftrag daran, rund 13 Milliarden Euro auszugeben. Das ist aber rasch erklärt: Mehr als 10 Milliarden Euro fließen in Elterngeld, Kindergeld und Kinderzuschläge. Damit werden Arbeitgeber finanziell entlastet, die Einkommen von Vermietern garantiert und dafür gesorgt, dass Konsumenten nicht ins Bodenlose fallen, wenn sie morgens nicht mehr auf Arbeit erscheinen, weil sie mal wieder mit der Schnupfnase des nächsten Arbeitnehmerjahrgangs beschäftigt sind. All das ist keine Familien-, sondern Wirtschaftspolitik. Wenn Ökonomen wortreich vom Unterschied zwischen Sozial- und Lohnpolitik erzählen, erklärt uns das nichts. Dass Kinderzimmer nach Quadratmetern berechnete Wohnflächen vergrößern, sie also teurer machen, ist ein Automatismus. Dass Kinder für ihre Quadratmeter kein eigenes Erwerbseinkommen beisteuern, ist eine moderne Selbstverständlichkeit. Kindergeld ist Vermietergeld. Die politische Gestaltung von Familie beginnt, wenn überhaupt, beim »Kinder- und Jugendplan«, einem zentralen Förderinstrument der Bundesregierung. Das kostet den Staat rund 240 Millionen Euro, grob gerundet also nichts.
Warum machen wir uns nicht so ehrlich wie die Amerikaner? Dort ist Familienpolitik dem Department of Health and Human Services untergliedert. Man muss demnach schon eine Diagnose oder anderen Bedarf vorweisen, wenn man als Familie etwas vom Staat einfordern möchte. Die Normalfälle werden politisch ignoriert.
Aber selbst in Amerika, das familienpolitisch derzeit enorme Rückschritte macht, bewegte sich zwischenzeitlich etwas. Im Sommer 2024 hat der Chef der obersten Gesundheitsbehörde, Vivek H. Murthy, der als »General Surgeon« mehrere Tausend uniformierte Ärzte im ganzen Land unterhält, alle bisherigen ausgefeilten Differenzierungen aufgehoben: Das Elternsein selbst wurde in seinem »Surgeon General's Advisory« zum allgemeinen Gesundheitsnotstand ausgerufen.[3] Kinder zu haben, wurde damit zur Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit. Auf Dutzenden Seiten lässt sich nachlesen, was in der gesamten westlichen Welt zum Problem geworden ist. Die Politik verliert die Kinder aus dem Blick, mit ihnen die Familien und damit alle Fragen, die unsere privaten und intimen Sphären betreffen. Der Teil unserer Lebenswelt, in dem wir uns am häufigsten und am liebsten aufhalten, ist von der politischen Landkarte verschwunden.
Auch hierzulande werden Kinder und Familien allenfalls noch als Störung in den ohnehin zunehmend holprigen Betriebsabläufen wahrgenommen. In Deutschland, liest man in der Zeitung, stellten fürs vergangene Jahr laut »Statistischem Bundesamt die Jugendämter bei mindestens 63700 Kindern oder Jugendlichen eine Gefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt fest. Das waren mindestens 1400 Fälle mehr als 2022.«[4] Das Muster dieser journalistischen Aufarbeitung ist selbst schon auffällig. Diesen Problemen geht nämlich niemand auf den Grund. Der Text fragt sogar danach, warum viele Nachbarn, Freunde und Lehrer wegschauen. Nach den ebenso abgewandten Journalisten fragt er nicht. Wir erfahren die Zahlen, weil sie veröffentlicht werden und so zumindest an einem Tag im Jahr die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie durch Agenturmeldungen aufgegriffen werden. Wlada Kolosowa ergänzt sie in der Zeit mit einem weiteren Hinweis: »Der tatsächliche Zuwachs wird sogar auf 5000 Fälle geschätzt, da einige Jugendämter wegen IT-Problemen und Überlastung keine Daten übertragen konnten.« Die Kinder haben Probleme, die Behörden haben Probleme; Nachbarn, Journalisten und Politiker schauen weg. Das ist die aktuelle deutsche »Familienpolitik«.
Wir brauchen also neues politisches Denken! Der Mutter von Möckmühl ist nicht Schwindel zu unterstellen, sondern Selbstverteidigung. Sie hatte eine plausible Idee, die leider inkompatibel war mit der Funktionsweise von Politik und Verwaltung. Sie legte es drauf an, und es galt als Betrug. Noch so gute politische Ideen bleiben Ideen, wenn sie nicht zuerst parlamentarische Mehrheiten finden. Das nennt sich Politik. Für die einen ist es Staatskunst, für die anderen Handwerk mit dicken Brettern. In allen Fällen ist es kompliziert.
Doch es gibt Vorgänge, die zeigen, dass es stattdessen auch sehr einfach gehen kann. Ein Beispiel: In Deutschland gibt es eine »Verschonungsbedarfsprüfung«, mit der sich Erben von Millionen- und Milliardenbeträgen beim Finanzamt von der Steuer befreien lassen können. Man braucht dafür lediglich ein paar Experten, die sich um die Details kümmern. Der Erbe darf im Moment der Erbschaft das Konto nicht so voll haben. Das Geld muss in Betriebsvermögen und anderes Anlagekapital verwandelt werden, damit Politiker davor warnen können, dass im Falle von Erbschaftssteuerzahlungen Betriebe und Investitionen - »Arbeitsplätze!« - gefährdet sind. In Deutschland ist es Tradition, Einkommen zu besteuern, aber niemals »Substanz«. So sinkt die Steuerlast für neun-, zehn-, elfstellige Vermögen beim Wandern durch die Generationen auf null.
Die Journalistin Julia Friedrichs sprach für ihr Buch Crazy Rich. Die geheime Welt der Superreichen darüber mit einem Betroffenen: »Hast du den Eindruck, dass das Gesetz extra so gebaut ist, dass man da legal an der Steuer vorbeischlüpfen kann?« - »Ja, so wie ich es verstanden habe und wie es mir erklärt wurde, war das gesamte Gesetz so geschrieben, dass in unserer Situation eine Steuerzahlung von fast Null rauskommt.««[5] Familienpolitik geht also doch! Sebastians Erbe - Einkommen! - wurde...
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