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Bereits auf den ersten Blick erlag ich ihrem Charme, der so natürlich wie eine angeborene Eigenschaft wirkte. An den Seiten ihres schlanken Halses lagen Wellen schwarzen Haares, das sie wahlweise mit den Fingern ordnete und hinter die Ohren schob oder nervös schüttelte. Im hellen Licht des Cafés schien sie blass, doch selbst über drei Tische hinweg erkannte ich die Reinheit ihrer Elfenbeinhaut. Auf ihrem Gesicht lag ein Hauch von Traurigkeit. Durch das Gewühl fing ich ihren Blick auf, der klar und gütig war und mein Herz bis zum Hals schlagen ließ. Sie lächelte mir zu, ich lächelte zurück - ein Moment für die Ewigkeit.
Das Wunder war schnell vorbei, der Blickkontakt riss ab. Zu den Rhythmen von Bronski Beat und Depeche Mode wogte die Menge. Ich hätte zu ihrem Tisch gehen und sie zum Tanzen auffordern sollen, aber mir fehlte der Mut. Gab es in dem Raum überhaupt jemanden, der verletzlicher und schüchterner war als ich? Für eine derart couragierte Aktion wäre mein Freund Alex an meiner Seite notwendig gewesen.
Alex hatte mich jedoch versetzt. Da es mitten in der Woche an Alternativen fehlte, hatten wir uns unter dem Fernsehturm verabredet, obwohl uns die spießige Atmosphäre wenig behagte. Hier gab es nur Lackaffen und schrille Popper, nicht einmal Bier. Und da Alex nicht erschienen war, saß ich mit wildfremden Leuten an einem Tisch und kippte einen Cola-Vodka nach dem anderen.
Die Schönheit der Unbekannten und ihre Unerreich barkeit deprimierten mich. Hatte nicht alles Anziehende und Schöne, das einem tief ins Herz dringt, einen Ursprung im Schmerz?
Verstohlen blickte ich noch einmal zu ihr. Sie tanzte mit einem Typen, der ein viel zu großes T-Shirt trug, auf dem im Rhythmus der Musik eine Lederkrawatte wippte. Er hatte Dauerwellen und redete ohne Unterbrechung auf sie ein, bis sie sich plötzlich abwandte. Dann war sie verschwunden und auch mich hielt nichts mehr in dem Laden.
Ich holte mir meine Jeansjacke mit dem selbst gestickten Rory-Gallagher-Logo von der Garderobe und ging hinaus. Das Café lag im ersten Stock; außen führte eine Balustrade entlang. In der frischen Herbstluft merkte ich, dass ich einen Schwips hatte. Alkohol versetzte mich normalerweise verlässlich in redselige Stimmung, an diesem Abend aber steigerte er nur meinen Blues.
Draußen blieb mir der Atem weg. Das Mädchen, einen Augenblick zuvor für immer verloren geglaubt, stand nach vorn gebeugt am Geländer und blickte gedankenverloren auf den Betonboden. Ihr Körper neigte sich über den Handlauf, sodass ich fürchtete, sie könnte in die Tiefe stürzen. Während ich erstarrte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. Blitzten da Tränen in ihren Augen?
Eine S-Bahn fuhr polternd in den gegenüberliegenden Bahnhof ein und zog einen Lichtblitz. Bis auf wenige Nachtschwärmer war der Platz vor den Rathauspassagen unter uns wie ausgestorben. Die kalte Herbstluft bildete vor meinem Mund weiße Wölkchen.
Sie stand immer noch da, jetzt aufrechter, nicht mehr so, als könnte ihr die Schwerkraft beim kleinsten Windhauch etwas antun. Das war meine Chance. Bei aller Scheu hätte ich es mir nie verziehen, sie jetzt nicht anzusprechen. Ich rieb mir die Hände und ging langsam zu ihr.
"Hallo."
Mehr als dieses eine Wort brachte ich nicht heraus.
Sie wischte sich mit dem Jackenärmel über das Gesicht und lächelte.
"Hallo", erwiderte sie.
"Eric", stellte ich mich vor und reichte ihr die Hand. Sie nahm sie und drückte sie sanft.
"Emilia."
"Da drin", sagte ich und deutete mit einem Blick auf das Café, aus dem gerade der Sound von Kool & the Gang wummerte, "nicht falsch verstehen, aber da hast du mich echt deprimiert."
War es der Alkohol oder war ich wirklich so dämlich? Warum rutschte mir ausgerechnet das über die Lippen, was ich in meiner Einsamkeit empfunden hatte? Warum begann ich ein Gespräch mit einem umwerfenden Mädchen gerade auf diese Weise? Ich hasste mich auf der Stelle dafür, senkte den Kopf und flehte das Schicksal an, es möge mir eine zweite Chance geben.
Emilia schaute mich ungläubig an.
"Du bist 'n bisschen hacke, oder?", erwiderte sie entschieden und doch auf eine unterschwellige Art verständnisvoll. "Ich hab heute schon genug blödes Gelaber gehört, weißt du."
Schnell hob ich beschwichtigend die Arme. "Darf ichdir das kurz erklären?"
"Ich bestehe drauf!"
Ich atmete durch und versuchte, das Ruder herumzureißen. "Mich hat einfach deprimiert, dass ich nicht wusste, wie ich an dich herankommen soll, zum Tanzen. Wegen der ganzen Leute um dich rum und weil du so beschäftigt warst mit deinen Freundinnen, und weil ."
Forschend musterte sie mich.
"Und weil?", bohrte sie nach. "Du hattest also nicht die Traute, mich zum Tanzen aufzufordern. Und das soll alles sein?" Sie lächelte verschmitzt und stupste mich in den Oberarm. "Weißt du was, du Eric, das glaube ich dir nicht. Jetzt mal raus mit der Sprache: Was deprimiert dich wirklich an mir? Und überzeuge mich möglichst mit einem triftigen Grund, sonst drehe ich mich um und gehe!"
Ich umklammerte die Balustrade und schluckte.
"Du schienst so . so unerreichbar. Und da hat mich deine Schönheit deprimiert. Ich weiß auch nicht genau, warum. Sie leuchtet von innen heraus. Außerdem bist du, glaube ich, ziemlich intelligent und hast einen starken Willen. Liege ich richtig? Aber wie auch immer, ich finde dich einfach toll."
Emilias Augen strahlten, sie griff sich verlegen an die Nase und senkte einen Moment den Blick. Dann fing sie wie aufgedreht an zu kichern.
"Ich und intelligent? Das soll wohl ein Witz sein? Bisher hat's gerade mal für 'ne Lehre gereicht. Huh - in Ordnung, Eric. Du hast mich zwar überzeugt, bist mir für den Quatsch aber trotzdem was schuldig. Bringst du mich zu meinem Hotel?"
Ich sah sie überrascht an. "Ja, klar. Du bist nicht aus Berlin?"
"Nein, ich bin hier auf Klassenfahrt mit meiner Lehrgruppe. Chemiefacharbeiterin bei Brandenburg."
Wieder lachte sie auf, als wäre dieser Beruf die absurdeste Beschäftigung auf der Welt. Ihr Lachen war ansteckend.
"Und wo ist dein Hotel?"
"Draußen am Tierpark. Das Jugendtouristenhotel."
Kurzerhand machten wir uns auf und liefen hinüber zum Bahnhof Alexanderplatz. Dort stiegen wir die Treppen abwärts zur U-Bahn, wo uns der typische Geruch nach verbranntem Graphit empfing. Den kannte ich gut, denn ich arbeitete manchmal hier unten. An den gelb gekachelten Wänden hing neben Losungen zum XI. Parteitag der SED 1986 ein Plakat des Deutschen Theaters. Emilia blieb begeistert davor stehen.
"Sieh dir das an! Da war ich gestern mit meiner Freundin: Der Kaufmann von Venedig, inszeniert von Thomas Langhoff. Das war irre gut."
"Du interessierst dich für Theater?"
Sie zog mich an meiner Jacke und wir gingen die Treppen hinunter zur E-Linie. Rumpelnd und quietschend kam die U-Bahn aus dem Tunnel. Wir stiegen ein und fuhren in Richtung Tierpark.
"Ich lebe für das Theater", erzählte sie, während wir es uns auf den braunen Kunstledersitzen bequem machten. "Das macht mich glücklich und gibt mir Halt. Es ist so unglaublich schön, vor Publikum aufzutreten, vor Leuten, die mich sehen wollen."
"Glaub ich gern. Wo trittst du denn auf?"
"Im Lichtblick Theater in Rathenow."
"Sagtest du nicht, du lernst was mit Chemie?"
"Schon. Aber jeder Tag im Werk ist ein vergammelter Tag, einfach sinnlos. Und die Lehrer bei uns haben alle einen laufen. Immerhin kann ich da nebenher mein Abi machen und mich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten. Ich will auf die Ernst Busch."
"Wirklich? Ich hab gehört, das soll höllisch schwer sein."
"Ein Albtraum", bestätigte sie mit ihrer weichen und doch voluminösen Stimme. "Vor dem Eignungstest habe ich totalen Schiss. Da musst du zwei Rollen spielen, ein Lied singen und einen Text vorsprechen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich schon gut genug für dieses Studium bin. Dafür brauchst du echte künstlerische Begabung."
"Die hast du, ganz sicher."
Sie lachte auf. "Nett, dass du das sagst. Danach gehts aber erst richtig los. Nach dem Eignungstest folgt die eigentliche Zulassungsprüfung, bei der du vor einer Kommission spielen musst. Da wird gesiebt ohne Ende." Sie nestelte an der Perlenkette über ihrem weinroten Oversize-Sweat-Shirt. "Trotzdem, die Ernst Busch, das ist mein Sehnsuchtsort, das soll der Türöffner werden. Dabei gehts mir gar nicht um Ruhm oder Geld. Ich will einfach nur gut werden und meinen eigenen Stil finden. Genau dafür steht diese Schule."
Von Anfang an war mir klar, dieses Mädchen konnte keine angehende Laborantin aus der Provinz sein, die auf die Jahresendprämie hin fieberte. Ihre...
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