Schweitzer Fachinformationen
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INHALT
Mal verliert man, mal gewinnen die anderen Die ersten Monate auf der Insel
Alles gerät ins Wanken Experte fürs Scheitern
Und ich sterbe tausend Tode (?1. Akt?) Albtraum-Auftritte
Ding, Dong, letzte Runde Die britische Trinkkultur
Erst mal obdachlos Couchsurfing in London
Not too bad Das Schul-Englisch stößt an seine Grenzen
Halleluja?!
Ich bin der König von England
Gestatten, Christine Cole
Wie ich meine Managerin erschuf
Volles Pfund im Linksverkehr
Sehr britische Eigenheiten
Two World Wars and one World Cup?!
Die schönsten Heckles (?Zwischenrufe?)
Zum schmierigen Löffel
Die feine englische Essens-Art
Und ich sterbe tausend Tode (?2. Akt?)
Noch mehr Albtraum-Auftritte
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren??
Im Comedy Store geht es voran
One for the road
Alkohol am Steuer
Why does it always rain on me??
Das englische Wetter
Ganz unten
Auf britischen Toiletten
Der Zug ist abgefahren
Pünktlichkeit ist nicht lustig
Ausgebeutete Inselbegabung
Das Fringe-Festival in Edinburgh
Sex, Groupies & Rock 'n Roll
Von Eskapaden und Exzessen
Knock, knock
Die Tür zum Comedy Store öffnet sich
Un-Happy New Year
So schlimm kann ein Jahr zu Ende gehen
Drei Zimmer, Küche, Schuldenfalle
Der britische Immobilientraum: eine Klasse für sich
Jehova, Jehova?! Palim, palim?! Britischer und deutscher Humor
Pendler zwischen den Welten Wie man gleichzeitig in zwei Ländern wohnt
Was für ein Saustall Die schrägsten Spielorte
Alles wird gut. Wird es doch, oder?? Der entscheidende Abend im Comedy Store
Zu (?un?)guter Letzt?: Der Brexit Kontinent oder inkontinent?? Das ist hier die Frage
»You can't please all the people all the time.
And last night, all those people were at my show.«
Mitch Hedberg
Die beliebteste Frage an einen Komiker lautet: »Was war dein schlimmster Auftritt bisher?«
Mir wird sie mindestens einmal pro Woche gestellt. Ich frage dann meistens zurück: »Was war dein schlimmster Arbeitstag bisher?«
Der Grund, warum nie jemand nach dem besten Auftritt oder der schönsten Erfahrung fragt, ist derselbe, aus dem auch ein Stuntman nie nach seiner gelungensten Aktion gefragt wird. Ein Unfall wird bei der Übertragung eines Formel-1-Rennens zwanzigfach wiederholt, eine schön gefahrene Kurve nur einmal, wenn überhaupt. Scheitern ist lustiger als Gelingen, das weiß jeder Clown. Stolpern erzeugt Lacher, Laufen nicht.
»Du bist immer nur so gut wie dein letzter Gig«, lautet daher eine beliebte Weisheit im Showgeschäft. Und es stimmt: Ein schlechter Auftritt nagt an einem, ein guter wird als selbstverständlich abgehakt. So sind die Leute oft überrascht, dass ich nach einem schlechten Gig nicht dableibe und die Bar leertrinke. Ich flüchte. So machen es meiner Erfahrung nach alle Kollegen. Nach einer guten Show bleibe ich, nach einer schlechten will ich nur noch weg, wie bei der Flucht nach einem Verbrechen. Auf schnellstem Wege raus, am besten durch die Hintertür.
In meinem ersten Jahr in England - ich war noch wahnsinnig unerfahren im Umgang mit besoffenen Meuten - trat ich an einem Freitagabend im südenglischen Bournemouth auf. Wochenend-Gigs sind generell eine wilde, alkoholschwangere Angelegenheit in Großbritannien. Zum Vergleich: In Deutschland riecht es im Comedy-Club direkt nach dem Einlass nach Parfum, in England nach einer intensiven Wodka-Mischung. Gerne aus 1-Liter-Cocktail-Eimern. Die feine englische Art eben.
Freitagsauftritte sind dabei noch schlimmer als die Shows am Samstag. Denn freitags geht es direkt nach der Arbeit in den Pub. Von dort auf eine Tüte Pommes in den Chip-Shop, dann in den Comedy-Club. Bei Spätshows gibt es zwischen Chip-Shop und Comedy-Club noch einen zusätzlichen Programmpunkt: einen weiteren Pub. Oft wird dann schon beim Einlass ein wenig aussortiert, sodass trotz ausverkaufter Veranstaltung gerne mal Plätze im Club frei bleiben. Those people didn't make it. Generell hat in England jeder Comedy-Club mindestens einen Türsteher, die meisten eher zwei oder drei. Und das aus gutem Grund: rausgeworfen wird immer.
Einmal lief in einem Liverpooler Club ein halbes Dutzend übergewichtiger englischer Hausfrauen in Stöckelschuhen zurück in Richtung ihrer Sitze, sie kamen direkt von der Bar. Die Damen wankten stärker als die Wuppertaler Schwebebahn und hielten jeweils zwei volle Getränke in ihren Händen. In einer Mischung aus Pech und Physik kam nun die erste Dame ins Trudeln, sie stolperte und fiel. Alle anderen stolperten mit und landeten dabei weicher als sie, nämlich auf der Ersten. Ein Spektakel! Die sympathische Gruppe kam nicht mehr richtig hoch und stellte dann vor Freude gackernd und auf dem Boden liegend fest, dass es da unten auch lustig wäre. Die drei Türsteher-Schränke kamen und versuchten die Damen zum Aufstehen zu bringen. Die Show müsse beginnen, und man liege im Weg: »We can't start the show with a pile of women blocking the fire exit.«
Doch der Aufräumversuch misslang. Es half nicht, dass sie alle Schwarz trugen. Der Frauen-Berg lachte, die Türsteher verzweifelten, wollten sich nicht verheben und beschlossen, Verstärkung aus dem angeschlossenen Night Club zu holen. Schließlich beförderten fünf (!) Türsteher die Damen einzeln nach draußen. Die tumultartige Szene war vorbei, der Notausgang wieder frei, und die Show konnte beginnen. Solch ein Vorprogramm würde jede Show der Welt besser machen.
In der Regel treten in einem Comedy-Club neben dem Moderator aber keine betrunkenen Hausfrauen auf, sondern drei Komiker, für jeweils 20 Minuten. Nach jedem Comedian gibt es eine Pause. Nachtanken!
Das gilt nicht zuletzt für Auftritte in einer Stadt wie Bournemouth.
Genau wie Blackpool oder Newcastle ist Bournemouth eine Party-Stadt, eine Hochburg für Junggesellenabschiede. In diese Städte fallen jedes Wochenende Tausende feiersüchtige Gruppen ein, die einen unvergesslichen »Stag Do« (Junggesellenabschied), »Hen Do« (die weibliche Variante) oder »Birthday Do« erleben wollen. Je unvergesslicher dieses Wochenende werden soll, umso mehr wird getrunken, und an entsprechend weniger Erlebtes erinnern sich die Teilnehmer später. Aus einem geplant unvergesslichen Wochenende wird ein komplett vergessenes. Das Gute daran ist, dass man sich dann wenigstens an die eigenen Errungenschaften (nur ein ignoranter, nüchterner Beobachter würde sagen: Peinlichkeiten) nicht mehr erinnert. Amnestie durch Amnesie. Und die Peinlichkeiten sind zahlreich: halbnackte Frauengruppen mit großen Aufblaspenissen in der Hand, halbnackte Männergruppen mit ähnlichen Dingen, jedoch in der plastikfreien Natur-Ausführung.
Die Hotels in diesen Städten sind auf solche Gruppen perfekt eingestellt. Die Hotelzimmer gleichen Hochsicherheitsgefängniszellen, in denen selbst die Gallagher-Brüder nichts zum Randalieren fänden. Alles ist festgeschraubt, vergittert und verschweißt. Ich habe auf Tour schon in Dutzenden solcher Hotelzimmer übernachtet, denn bei rechtzeitiger Buchung kosten sie weniger als eine Runde Bier im Pub. Und für unter 30 Pfund bekommt man dann eben keine Suite, sondern ein EZ: eine Einzelzelle.
Das große Saufen fängt für die Wochenendtouristen immer schon auf der Zugfahrt an. Ein Aufenthalt in englischen Regionalzügen an einem Freitagnachmittag gleicht daher eher einer Fahrt mit dem Bier-Bike durch den Düsseldorfer Karneval. Ich war an jenem Freitag also sehr froh, als mir der Moderator der Show anbot, mich aus London mit dem Auto mitzunehmen. Zum einen macht so ein Roadtrip mit einem anderen Komiker fast immer Spaß, zum anderen konnte ich so der wilden Zugfahrt im überfüllten Ballermann-Express entgehen. Außerdem fühlt man sich gemeinsam etwas weniger ausgeliefert bei so einem Gladiatorenkampf, der offiziell als Comedy-Veranstaltung verkauft wird.
Als der Moderator die Show in Bournemouth eröffnete, glich der Saal, der eigentlich ein großer Nachtclub ist, tatsächlich einer Mischung aus einer Arena im alten Rom, einem Fußballstadion und dem Fight Club: Es wurde gegrölt, es wurden Dinge geworfen, die Meute war nach Geschlechtern getrennt, und man verstand sein eigenes Wort nicht. Gut, dass mein Beitrag ausschließlich aus Worten bestehen würde. Ich beobachtete den Moderator, der diesen Gig schon mehrmals absolviert hatte. Er tat genau das Richtige: Er kletterte auf die Sitze der ersten Reihe und fing an, alle Gruppen im Publikum einzeln zu beleidigen. Der Saal tobte. Und ich lernte mal wieder neue englische Schimpfwörter. Es wurde Zeit für den ersten Comedian, einen Australier names John, mit dem ich schon mehrmals aufgetreten war. John ist ein guter Komiker, der schwierige Räume eigentlich immer in den Griff bekommt. Aber das hier war irgendwie anders. John kam auf die »Bühne«, das heißt, er trat in den Bereich, auf den alle Menschen im Saal blickten und der eigentlich eine Tanzfläche war. John sollte, wie wir alle, ein zwanzig Minuten langes Set spielen. Die ersten anderthalb Minuten liefen ganz gut. Dann kippte die Stimmung, und es wurde zu einem Debakel. Nach kurzer Zeit kamen »Off! Off! Off!«-Rufe aus dem Publikum, und ich hatte das Gefühl, einer Massenkarambolage in Zeitlupe zuzusehen. Es war schlimm, aber gleichzeitig unmöglich wegzusehen. John zog durch und spielte fast zwanzig Minuten lang. Dann: Pause. Ich war gewarnt und befürchtete das Schlimmste. Und wie sich herausstellte, sollten selbst meine kühnsten Horror-Erwartungen noch übertroffen werden. Nach der Pause nahm sich der Moderator wieder das Publikum vor und feuerte ein Arsenal an Beschimpfungen ab. Er hatte sicher mal als Raubtier-Dompteur im Zirkus gearbeitet oder das Drehbuch zu Full Metal Jacket auswendig gelernt. Wahrscheinlich beides. Er bekam die Masse zwar nicht in den Griff, amüsierte sie aber immerhin durch Beleidigungen: man schaukelte sich noch weiter hoch. Klasse, und jetzt kam ich.
Für gefühlte 45 Sekunden lief bei meinem Auftritt alles fantastisch, die Hälfte des Publikums hörte sogar zu. Dann ging es steil bergab: Plötzlich stand ich nackt vor der Schulklasse, ohne Hausaufgaben, mit Live-Übertragung in der ARD, zur besten Sendezeit direkt nach der Tagesschau. Ein Albtraum.
Ich erinnere mich, dass einer aus dem Publikum aufstand und den Saal verließ, was mich neidisch werden ließ: Ich wollte auch.
Ich schwitzte und bekam einen trockenen Mund, außerdem fing ich an, schneller zu werden und lauter zu sprechen. Alles typische Fehler, die man als Komiker macht, wenn es nicht läuft. Ich habe knapp 17 Minuten durchgezogen und bin dann geschlagen von der Bühne geschlichen. Das war's, nie wieder Stand-up, nie wieder Comedy.
Der Veranstalter sagte mir auf dem Weg nach draußen noch: »Keine Sorge. Den meisten Comedians ergeht es hier noch viel schlimmer.« Was für ein Trost. Irgendjemandem geht es ja immer noch schlechter: »Sie haben nur noch drei Monate zu leben. Aber kein Grund zur Traurigkeit, andere sterben schon morgen.«
Ich verschwand durch die Hintertür und verabschiedete mich von niemandem, außer von meinen Träumen.
Kurz danach verpasste ich meinen Zug und saß schließlich in jenem besagten Wartesaal am Bahnhof, neben mir der...
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