Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Lena hatte sich eben im Personalraum einen Kaffee geholt, als Kicki sich neben sie setzte und anfing, in der neuen Mitt Liv zu blättern.
»Das Liebeshoroskop 1983«, las Kicki. »Na, dann woll'n wir mal sehen. Wir fangen mit dir an, Lena. Okay, Fische.«
Sie begann mit feierlicher Stimme und vorgeschobenem Kinn vorzutragen, als würde sie aus der Bibel lesen. Lena warf Gunnel einen vielsagenden Blick zu, um zu zeigen, dass sie das alles für Blödsinn hielt, einerseits die Sache mit der Astrologie, aber vor allem Kickis naive Romantik. Was weiß dieser Grünschnabel schon vom Leben?, sagte ihr Blick. Nichts.
In Wirklichkeit aber hatte Lena das Jahreshoroskop bereits gelesen, sowohl das in der Allas als auch das in Min Värld, aber das würde sie natürlich niemals zugeben. In ihrem tiefsten Innern glaubte sie nicht daran, dass irgendwelche mehrere Millionen Kilometer entfernten Sterne ihre Chancen, einen neuen Mann kennenzulernen, beeinflussen konnten, aber es war trotzdem tröstlich, sich vorzustellen, dass nicht die ganze Verantwortung allein bei ihr lag. Es gab Rätsel, die größer waren, als irgendjemand sich vorstellen konnte, und eines schönen Tages konnten wunderbare Dinge geschehen.
Sie griff nach Eskils Ehering, der immer noch an einer Goldkette um ihren Hals hing. Er war so groß, dass sie fast sowohl ihren Ringfinger als auch den kleinen Finger hineinbekam.
»Die Glückstage der Fische sind der achtzehnte Februar, der erste Mai und der neunzehnte Oktober«, beendete Kicki ihren Vortrag und sprach jetzt wieder mit ihrer normalen Stimme. »Dann wollen wir mal sehen, was mein Horoskop sagt«, fuhr sie fort, feuchtete ihren Daumen an und blätterte weiter.
Lena trank ihren Kaffee und hörte nur mit halbem Ohr zu.
Kicki war vor einem halben Jahr wie ein frischer Wind in den kleinen Supermarkt gekommen, bemerkenswert unbefangen darüber, wie viel Raum sie überall einnahm, wo sie hinkam. Nicht einmal Gunnels säuerliche Kommentare schien sie zu bemerken, sondern fuhr unvermindert fröhlich fort:
»Und du, Abbe, was hast du für ein Sternzeichen?«
Abbe, der an der Arbeitsfläche bei der Kaffeemaschine stand, wurde knallrot im Gesicht.
»Äh, ich glaub nicht an so was«, erwiderte er.
»Jetzt komm schon«, fuhr Kicki fort. »Nee, halt, lass mich raten. Widder?«
Abbe schüttelte den Kopf und wurde noch röter.
»Und wie kommst du darauf, wenn ich mal fragen darf?«, gab er angestrengt frech zurück.
»Energisch, willensstark.«
Das waren nicht die Worte, mit denen Lena ihn beschrieben hätte, aber sie besaß auch nicht Kickis Fähigkeit, Männer aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Falsch. Ich bin Krebs.«
»Wie schade«, sagte Kicki mit traurigem Hundeblick. »Dann passen wir beide nicht so gut zusammen. Aber ich kann dir trotzdem dein Liebeshoroskop vorlesen.«
Sie blätterte zur richtigen Seite und richtete sich auf. Aber noch ehe sie anfangen konnte zu lesen, schaute Abbe auf die Uhr und verschwand Richtung Lager. Die Röte hatte sich bis auf seinen Nacken ausgebreitet.
»Was ist denn mit ihm?«, fragte Kicki und sah ihm mit Unschuldsmiene nach.
»Du machst dich lustig über ihn«, erwiderte Gunnel. »Das ist nicht nett.«
Sie erhob sich mühsam und hielt sich dabei den Rücken, dann rückte sie die Netzkappe zurecht.
»Ich mache doch nur Witze«, meinte Kicki. »Ein bisschen muss er schon aushalten. Meine Güte, er ist doch kein Kind mehr.«
Kicki warf ihre Zeitung auf den Tisch, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Es waren immer noch ein paar Minuten von der Pause übrig.
»Du solltest versuchen, jemanden kennenzulernen, Lena«, sagte sie.
»Kennenlernen, wie denn? Das ist nicht so leicht.«
»Jetzt gib nicht gleich auf«, entgegnete Kicki. »Das bringt gar nichts. Versuch mal, die Chancen zu sehen, es kann schließlich alles Mögliche passieren. Aber du darfst nicht einfach dasitzen und abwarten. Du musst was tun. Rausgehen und tanzen, in einen Verein gehen oder was auch immer.«
Kicki sah sie mit großen blauen Augen an, die durch ihren pastellblauen Lidschatten noch blauer wurden.
»Jaja, das wäre wohl gut«, erwiderte Lena und leerte ihren Kaffeebecher.
»Nein, im Ernst«, beharrte Kicki. »Du bist immer noch total jung.«
»Das kannst du leicht sagen.«
Vielleicht war einunddreißig kein Alter, aber Lena fühlte sich wie mindestens fünfzig. Sie hatte schon ein paar graue Haare auszupfen müssen, und wenn sie genau hinsah, konnte sie schon kleine Fältchen in den Augenwinkeln erkennen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, als sie zwanzig gewesen war. Ein völlig anderes Leben.
Auch wenn Kicki es nur gut meinte, sie wollte keine ermunternden Ratschläge haben.
»Jetzt gehen wir und arbeiten«, sagte sie. »Die Pause ist zu Ende.«
Kicki nahm einen Taschenspiegel aus dem Kittel und zog ihren Lippenstift nach.
»Willst du auch?«, fragte sie.
»Nein danke«, erwiderte Lena. »Alles gut.«
»Ich glaube ja, dass du mit so einem Hellrosa richtig hübsch aussehen würdest.«
»Wäre das nicht zu kindlich?«, fragte Lena, während sie die Becher ausspülte.
»Überhaupt nicht. Richtig klasse, finde ich.«
Lena nahm an der Kasse Platz, und Kicki begann damit, weiße Bohnen auszuzeichnen. Im Laden war es wie immer um diese Zeit ruhig. Draußen schneite es, falls man es so nennen konnte. Etwa Nasses fiel vom Himmel, aber wenn es auf dem Boden landete, bildete es einen matschigen Brei. Es war ein seltsamer Winter dieses Jahr.
Lena war tief in ihre Gedanken versunken, als die Eingangstür aufging und Åke Widman den Laden betrat. Als sie ihn erblickte, fuhr sie sich schnell mit einer Hand übers Haar, um zu prüfen, ob die Locken richtig saßen.
Åke war besonders, das dachte sie schon länger. Und zwar eigentlich nicht vom Aussehen her, mit seinem Bart und dem braunen Haar wirkte er ziemlich gewöhnlich. Nein, es war etwas anderes an ihm. Locker, selbstsicher. Er fühlte sich in seinem eigenen Körper wohl. Und dann dieser intensive Blick aus den fast schwarzen Augen.
Heute sah man allerdings nicht viel von ihm. Er hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen, und der Mund war fast völlig vom Jackenkragen verborgen.
Als er seine kleine Runde beendet hatte, legte er einen Ring Fleischwurst, ein Paket Knäckebrot und zwei Dosen Snus aufs Band. Wie üblich. Manchmal kaufte er auch Fleisch und braune Bohnen in einer Plastikrolle oder fertige Fleischbällchen.
»Ein gutes neues Jahr weiterhin«, sagte er, schob das Kinn aus dem Kragen und feuerte ein Lächeln ab.
Seine Brille war mit Regentropfen gesprenkelt.
»Gleichfalls«, erwiderte sie. »Ekliges Wetter.«
»Ja, pfui Teufel. Man sollte auswandern. Kommen Sie mit?«
»Natürlich«, antwortete sie und bereute, nicht Kickis Lippenstift ausgeliehen zu haben. »Wann fahren wir?«
Åke grinste hinter der nassen Brille und steckte seinen Einkauf in eine Tüte.
Lena sah ihm nach, als er durch den Schneematsch zu seinem Auto lief.
Stockfinster war es, als Lena nach der Arbeit nach Hause ging, und mittlerweile war der Schnee ganz in Regen übergegangen. Sie hätte einen Regenschirm mitnehmen sollen, aber wer hätte schon erwartet, dass man den im Januar brauchte?
Sie zog die Mütze ins Gesicht, schlug die Kapuze hoch und ging so schnell sie konnte. Schon als sie am Dorfgemeinschaftshaus vorbeikam, war ihr Mantel auf den Schultern durchnässt, und die neuen Lederstiefel waren dunkel vor Nässe. Sie würde sie mit Zeitungspapier ausstopfen müssen, wenn sie nach Hause kam, und dann, wenn sie getrocknet waren, mit Schuhcreme einschmieren. Die Schuhe hatten einiges gekostet, und sie hoffte, dass sie mehrere Winter halten würden.
Als sie auf halbem Weg nach Hause war, hielt ein wohlbekanntes Auto neben ihr am Bordstein.
»Steigen Sie ein«, bedeutete ihr Åke auf der anderen Seite der Scheibe mit einer Geste.
Als Lena ums Auto herumgegangen war, hatte er sich schon über den Beifahrersitz gestreckt und die Tür aufgemacht.
»Sie sind ja völlig durchnässt«, sagte er.
»Vielen Dank«, sagte sie und sank auf den Sitz. »Ich wohnte hinten bei Utanmyra, der große rote Hof.«
»Das weiß ich doch.«
Die Scheibenwischer wischten nach rechts und links.
»Oder wandern wir jetzt aus?«, fragte sie.
»Wenn das nur so wäre.«
Lena nahm ihre Handschuhe und wischte sich damit unter den Augen. Ihre Wimperntusche war bestimmt inzwischen verlaufen.
»Was für ein Schock, das mit Eskil«, sagte Åke und drehte das Radio leiser. »Einfach so zu sterben. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Ehrlich? Das wusste ich nicht.«
»Also, wir waren jetzt keine engen Freunde oder so«, fuhr Åke fort. »Ich war zwei Jahre jünger und in seinen Augen sicher nur ein kleiner Pimpf. Mannomann, der konnte Eisbälle machen, wenn wir einen Schneeballkrieg hatten. Da wollte man in derselben Mannschaft sein, das sage ich Ihnen. Und treffsicher war er auch.«
Åke lächelte Lena an.
Irgendwie fühlte es sich gut an, ihn so über Eskil sprechen zu hören. Viele wagten es ja kaum, seinen Namen in...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.