Schweitzer Fachinformationen
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Wenn die Sonne über der Stadt aufgeht, sollten Sie an der Uferpromenade stehen, dem alten Bund. Dort begrüßt Sie das tiefe Horn der Jangtse-Fähren und das Tuckern der Schleppkähne, die schwer beladene Barken hinter sich herziehen, auf dem träge dahinfließenden Huangpu. Hier fühlt man sich willkommen unter den Menschen, die mit stiller Hingabe Qigong üben oder den Tag mit einem Tango beginnen. Man muss erleben, wie die kolonialen Prachtbauten, Relikte einer großen Vergangenheit, aus dem Nachtschatten treten und drüben, am anderen Ufer, eine Skyline aus dem Morgennebel auftaucht, die an einen Science-Fiction-Film erinnert.
Tatsächlich wirkt Shanghai oft wie eine Stadt aus der Zukunft. China, das mit 1,35 Mrd. Menschen bevölkerungsreichste Land der Erde, erobert seinen Platz in der globalen Ökonomie und in der internationalen Politik. Das riesige Reich will an die Spitze, und Shanghai spielt dabei die Vorreiterrolle. Vom bedenkenlosen Gigantismus berauscht, wetteifert man um Superlative. Die Stadt ist stolz auf zwei der höchsten Wolkenkratzer der Welt, auf die anspruchsvollste Formel-1-Rennstrecke - und auf den schnellsten Zug: Der Transrapid schwebt regelmäßig zum Flughafen Pudong. Zur Weltausstellung schließlich hat sich die Stadt noch einmal neu erfunden. Ein heruntergekommenes Wohn- und Fabrikviertel beiderseits des Flusses wurde dem Erdboden gleichgemacht, um Ausstellungshallen zu bauen, und Shanghai wurde hypermodern umgestaltet getreu dem gewählten Motto: Eine bessere Stadt, ein besseres Leben.
Dass man in China ist, wird einem erst so richtig bewusst, wenn man sich unter die Menschen mischt. Der Großraum Shanghai hat rund 24 Mio. Einwohner - ein Stadtvolk, das ständig in Bewegung ist: der Strom der Fußgänger in der Nanjing Lu, die Pulks der Pendler in den überfüllten Bussen und die Schwärme der Mopedfahrer. Die Shanghaier arbeiten unermüdlich, kaufen unentwegt ein und essen ständig und überall, so scheint es. Nur in den Gassen der Altstadt vollzieht sich das Leben in einem gemächlicheren Tempo. Wenn die Sonne scheint, wird Wäsche auf langen Stangen getrocknet, zwischen den Straßenbäumen schaukeln Unterhosen auf Drahtbügeln. Die Anwohner stellen Tische und Stühle in die Gassen und breiten ihre Schlafdecken zum Lüften darauf aus. Alte Frauen stricken, Verkäufer schlafen in ihren Liegestühlen, Männer beugen sich über Brettspiele.
Blickt man wieder auf die Skyline am anderen Ufer, glänzt das Jin Mao Building in der Sonne, dieser elegante Turm aus Stahl und Glas, anmutig wie eine Pagode. Mit seinen 421 m ist es eines der höchsten Gebäude der Welt und wohl das schönste. Neben ihm verblassen all die anderen Wolkenkratzer, sogar seine ihn überragenden Nachbarn: das um 71 m höhere, an einen Flaschenöffner erinnernde Shanghai World Financial Center, ein eigentlich recht eleganter Bau, und der 211 m höhere Shanghai Tower - mit 632 m war er 2015 das zweithöchste Gebäude der Welt. Als erstes "grünes", unter ökologischen Gesichtspunkten geplantes Hochhaus der Welt gibt er Anlass zur Hoffnung. Ob der dynamische chinesische Geist, den der Bau mit seiner gedrehten Form versinnbildlichen will, wohl zukünftig mehr Rücksicht auf die Natur nimmt? Im letzten Jahrzehnt war das nicht so: Insgesamt sind mehr als 3000 Hochhäuser von über 35 m Höhe auf dem schwankenden Untergrund von Shanghai entstanden.
Schon einmal in der Geschichte Shanghais gab es eine solch atemberaubende Dynamik: Im 19. Jh. erkannten die Briten die hervorragende wirtschaftsgeografische Lage der Manufaktur- und Hafenstadt. Nördlich der Stadt mündet der Huangpu in den Jangtse. Dieser gewaltige Strom erschließt das Innere des riesigen Landes und gewährte den Zugang zu seinen wichtigsten Gütern: Tee, Porzellan und Seide. Die Briten erzwangen mit dem Opiumkrieg 1842 die Öffnung des Hafens für den internationalen Handel. Zusammen mit Amerikanern und Franzosen errichteten sie ihre Handelshäuser am Huangpu und feuerten das urbane Kraftwerk an. Shanghai stieg zur Weltmetropole auf. Im "goldenen Zeitalter" von 1900 bis 1941 entstanden die Kolonialbauten am Bund, die Kaufhäuser in der Nanjing Lu, die eleganten Clubhäuser, Art-déco-Hotels und die Wohnhäuser im Französischen Viertel. Eine Vorstellung von der Grandeur jener Ära bekommen Sie, wenn Sie durch die alten Platanenalleen wandern, über Mauern spähen oder durch schmiedeeiserne Zäune lugen: In verwilderten Gärten stehen Villen mit Erkern, Türmen und Säulenportalen, Flügeltüren führen auf schattige Veranden. Fotos aus der damaligen Zeit zeigen, dass die Reichen wussten, wie man Feste feiert.
Shanghai wurde mit dem Prädikat "Paris des Ostens" für seine Eleganz geadelt und kam als die verruchteste Stadt des Orients zu zweifelhaftem Ruhm. Ein Heer von Arbeitern schuftete unter elenden Bedingungen für die wirtschaftliche Blüte. Jeden Morgen wurden die Leichen der verhungerten Bettler eingesammelt. Unter den Studenten und Gebildeten wuchs der Unmut über die Zustände: 1921 wurde in der Französischen Konzession die Kommunistische Partei Chinas gegründet. Mit dem "Shanghai-Massaker" vom April 1927 ließ Chiang Kai-shek die Arbeiterbewegung zerschlagen, die Kommunisten flohen in die Berge. Es folgte ein weiteres Jahrzehnt ungehemmter wirtschaftlicher Entwicklung. Rund 60?000 Ausländer aus über 30 Nationen lebten hier, als 1937 die Japaner nach monatelangen Bombardements die 3,7 Mio. Einwohner zählende Stadt besetzten. Damit begann der Abstieg Shanghais.
Nach Jahren des Bürgerkriegs zogen 1949 die Kommunisten in Shanghai ein. Das Glücksspiel wurde verboten, Bordelle wurden geschlossen, Drogenabhängige und Prostituierte "umerzogen", Slums beseitigt, die Kinderarbeit verschwand. Keiner hungerte mehr, es sei denn nach Freiheit: Die Regierung in Peking führte Shanghai hart am Gängelband - galt es doch, der Stadt das kapitalistische Denken, das bourgeoise Handeln, die westliche Dekadenz auszutreiben. Die Unterordnung noch aus Kolonialzeiten gewohnt, marschierten die Shanghaier zum Klang der Sirenen in die Fabriken und produzierten die landesweit besten Produkte, ohne deren Profit einzustreichen: Shanghai diente Peking als "Melkkuh". Irgendwann war die stolze Stadt gefallen. Der Ruß aus den vielen Fabriken hatte die Häuser geschwärzt, die Indoktrination die Menschen in ihren grauen Plattenbauten verstummen lassen.
Mit der Liberalisierung in den 1980er-Jahren begann die sozialistische Tristesse auch aus Shanghai zu weichen, doch erst ab 1992 durfte sich die Stadt frei entfalten. Man investierte Milliardenbeträge in die Infrastruktur, eine Sonderwirtschaftszone in Pudong lockte ausländische Investoren an. Ganze Viertel mussten Bürohochhäusern weichen. Fabriken, die unter Lärm und Gestank produziert hatten, wurden ausgelagert und machten Platz für Wohnquartiere und Parks. Am People's Square entstand die Oper, Glanz und Vergnügen hielten wieder Einzug. Der futuristische Fernsehturm Oriental Pearl Tower wurde unübersehbares Zeichen der neuen Stadt. Unternehmerische Energie, jahrzehntelang unterdrückt, bricht sich nun wieder Bahn, und der Glaube an den Fortschritt manifestiert sich in Beton, Stahl und Glas.
Pittoreske Altstadtviertel haben in der auferstandenen Metropole kaum noch Platz. Schätzungsweise 2,5 Mio. Bewohner wurden laut Amnesty International allein von 1990 bis 2003 im Zuge der Stadterneuerung in Trabantenstädte umgesiedelt. Viele leben heute in besseren Wohnverhältnissen, weil sie aus lichtlosen und übervölkerten Gemäuern in Apartments gezogen sind, die über Bad und Küche verfügen und jedem Bewohner 10 m2 Wohnfläche zugestehen. Gewachsene Nachbarschaften sind dafür zerbrochen, und ein Lebensgefühl ist verloren gegangen. Aber für Gefühle ist sowieso wenig Platz in Shanghai. Was im postkommunistischen China zählt, ist Geld. Wer clever ist, kann in Shanghai sein Glück machen. Die Goldgräberstimmung lockt Chinesen aus Amerika und Hongkong zurück ins Land ihrer Väter. Die jungen Auslandschinesen sprechen perfektes Englisch und kleiden sich extravaganter als die Volksgenossen, daran erkennt man sie im elitären Club M1nt.
Die Neureichen stellen ihren Reichtum selbstbewusst zur Schau: S-Klasse-Mercedeskarossen sind der Renner. Während die Reichen in Nobelrestaurants dinieren, schuften auf den Baustellen die Arbeiter im grellen Scheinwerferlicht. Die harten, gefährlichen Jobs gehören den Wanderarbeitern. Das britische Magazin "The Economist" hat sie als Sklaven bezeichnet, weil sie rechtlos sind und brutal ausgebeutet...
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