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Back to Kona!
Als Kind kennt Tagesschau-Nachrichtensprecher Thorsten Schröder nur eine Leidenschaft: Fußball. Doch dann beendet ein Rückenleiden seine Vereinskarriere. Statt den Ball zu treten, darf er als bewegungsfreudiger Teenager nur noch sehr eingeschränkt Sport treiben. Schwimmen, Radfahren und Laufen sind aber drin.Aus der Not wird über die Jahre eine flammende Passion für jene Sportart, die alle drei Disziplinen vereint, den Triathlon. Immer größer werden die Herausforderungen, denen er sich im Wettkampf stellt, immer härter sein Training. Bis er sich schließlich vornimmt, die Qualifikation für den legendären Ironman Hawaii zu erlangen. Und so beginnt das atemberaubende Projekt Kona.
In der aktualisierten und erweiterten Neuausgabe erzählt "Thorso" Schröder nicht nur von seiner Teilnahme am härtesten Triathlon der Welt, sondern auch von der Zeit danach - und wie er sich auf den Weg macht, seinen Traum von Hawaii ein weiteres Mal wahr werden zu lassen.
Motivation für jeden, der die sportliche Herausforderung sucht, für eine Langdistanz trainiert, einen Marathon schaffen möchte, am Trainingsplan feilt - und Unterhaltung für all die, die Sport lieber passiv genießen.
Ginge es nach meinem jugendlichen Ich, wäre das hier ein Fußballbuch. Jeden Samstagnachmittag hörte mein Vater die Reportagen der Bundesligaspiele im Radio und guckte danach die Sportschau. Meinen Kinderaugen und -ohren blieb das nicht verborgen, und ein bisschen interessierte mich der Ball schon, aber noch besser gefiel mir damals mein Kettcar. Aber nicht lange.
Zu meiner Leidenschaft wurde Fußball 1974, ich war sechs Jahre alt, und in Deutschland fand die Weltmeisterschaft statt. Seit die deutsche Nationalelf im eigenen Land um den WM-Titel spielte, rollte der Ball im Garten, und das Kettcar stand still. Nicht nur für die Dauer des Turniers, sondern ständig. Der Fußball erklomm den Thron meiner Lieblingsspielgeräte. Erstmals zog mich ein großes, weltweites Sportereignis komplett in seinen Bann. Ich saß auf unserem Sofa im Wohnzimmer und schaute fasziniert zu, wie Mannschaften aus Ländern, deren Namen ich zum ersten Mal hörte, wie Haiti und Zaire (so hieß damals die heutige Demokratische Republik Kongo), in meist vollen deutschen Stadien gegeneinander antraten. Fußball war offenbar ein Sport, der überall auf der Welt beliebt ist. Auch bei meiner Familie. Mein Vater diskutierte mit meinem Onkel, dem Fleischermeister oder unserem Nachbarn wild über das Turnier: toller Schuss von Breitner gegen Chile, die Holländer spielen schönen Fußball, was ist bloß mit Netzer los, was für eine peinliche Niederlage gegen die DDR, ausgerechnet gegen die. Und meine Schwester Anke schwärmte für den schönen Brasilianer Francisco Marinho. Der mit den langen Haaren. Es packte jeden. Mich auch.
Ich sah, wie Franz Beckenbauer die Bälle mit eleganten Bewegungen an seine Mitspieler verteilte und wie Gerd Müller sie ins Tor schoss - oder stocherte. Beide wurden meine Helden! Ihnen wollte ich es nachmachen. Hoffentlich irgendwann einmal vor zigtausenden Zuschauern im Stadion, vorerst aber im eigenen Garten oder auf dem Sportplatz. Von da an gab es mich nicht mehr ohne einen Fußball. Dieses Spiel hatten die Engländer oder schon vorher die Chinesen - ganz egal eigentlich - allein für mich erfunden. Das stand fest. Nur im Klassenzimmer und im Bett verzichtete ich auf einen Ball. Und auch das nicht freiwillig.
In jeder freien Minute trommelte ich Nachbarskinder und Klassenkameraden zusammen, um zu kicken. Entweder auf der Straße oder auf dem Bolzplatz, der zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen war. Einer meiner Freunde wollte immer Pierre Littbarski sein, der mit den O-Beinen. Ich hatte keinen absoluten Favoriten. Mal war ich Beckenbauer, mal Keegan, mal Müller. Manchmal auch alle zusammen. Denn wenn ich allein spielen musste, vervielfältigte ich mich und lieferte mir in unserem Garten dramatische Matches gegen mich selbst. Ich war gleichzeitig Flankengeber und Kopfballspieler, Mittelstürmer und Verteidiger oder Schütze und Torwart. Der Apfelbaum mitten auf dem Rasen wurde zum Gegenspieler, der sich mir immer wieder in den Weg stellte, aber selten eine Chance hatte. Meist umdribbelte ich ihn locker. Manchmal brachte er mich aber auch zu Fall: Weil ich beim Vorbeilaufen mein Bein seitlich ausstreckte, um am Stamm hängenzubleiben - so könnte es ein unbeteiligter Beobachter behaupten. Für mich aber war ganz klar, dass der Baum mich böse gefoult hatte. Ich wälzte mich auf dem Boden und hielt mir vor schlimmem imaginärem Schmerz das Schienbein. Logo, das gab Elfmeter. Da zögerte der Schiri nicht lange, der ebenfalls ich war. Nur eine Rote Karte gab es nie, den Baum vom Rasen zu schicken, ging ja nicht.
Beim Fußball konnte ich mich so austoben, wie ich es brauchte. Ich hatte nicht nur die normale Energie eines Grundschulkindes, sondern war - so würde ich es ausdrücken - besonders lebhaft. Mein Vater bezeichnete mich mit wachsender Resignation entweder plattdeutsch als "Wippsteert" oder hochdeutsch als "Zappelphilipp", und meine Mutter verzweifelte an meiner Garderobe: Kein Hemd konnte meinem Bewegungsdrang standhalten, ständig rutschten sie aus der Hose.
Wenn ich mir heute auf alten Super-8-Filmen selbst zuschaue, dann sehe ich einen jungen Kerl mit einer ganzen Schar Hummeln im Hintern. Selbst beim Versuch, die Familie aufzustellen und in Ruhe zu filmen, tanzte ich wortwörtlich aus der Reihe und machte Faxen. Man sieht genervte Blicke der Eltern und der beiden etwas älteren Schwestern sowie vergebliche Versuche, meinen Arm zu packen und mich zu bändigen. Heute würden manche Voreilige wohl ADHS bei mir diagnostizieren und mir irgendwelche Pillen verabreichen. Keiner würde glauben, dass es dieser Junge in ferner Zukunft schaffen würde, in der Tagesschau eine Viertelstunde und in den Tagesthemen gar eine halbe Stunde lang ruhig stehen zu bleiben. Mit dem Hemd in der Hose!
1974 verschrieb aber noch kein Arzt Ritalin, stattdessen schrieb ich Fußballgeschichte am Fließband im elterlichen Garten in Reinbek-Neuschönningstedt in Schleswig-Holstein, nur wenige Kilometer vor den östlichen Toren Hamburgs. Doch trotz meiner Leidenschaft weigerte ich mich, in einen Fußballverein einzutreten. Weder das rote Trikot des Vereins des Nachbar-Stadtteils FC Voran Ohe, noch das blaue des TSV Glinde wollte ich überstreifen. Aus gutem Grund, denn: Was passierte, wenn ich mitten im Spiel aufs Klo musste? Ich konnte doch nicht einfach vom Platz laufen, während die anderen weiterspielten. Dieses große Problem hatten meine Eltern offenbar völlig übersehen, als sie mich fragten, ob ich Vereinsfußball spielen wollte. Wie gut, dass ich damals schon mitdachte. Drei Jahre lang konnten mir meine Eltern meine Klo-Sorge nicht nehmen. Erst mit neun Jahren vertraute ich meinen Körperfunktionen so weit, dass ich doch noch Mitglied beim FC Voran wurde.
Neben dem Fußball hatte kein anderes Hobby auch nur einen Millimeter Platz. Eigentlich. Meine Eltern versuchten trotzdem, mich auf den Musikgeschmack zu bringen. Sie schwärmten von den schönen Liedern, die eine Tochter von Bekannten auf der Heimorgel spielte. "Willst du das nicht auch mal versuchen, Thorsten?" Heimorgelmusik war damals voll im Trend, ihr Star hieß Franz Lambert. Der "Zauberer an der Hammondorgel" sorgte auch in Halbzeitpausen von Fußballspielen für fröhliche Unterhaltung, deshalb war er auch mir ein Begriff. Mich interessierte aber mehr, was während der beiden Halbzeiten passierte als das musikalische Geschehen dazwischen. Nein, wollte ich also natürlich nicht, dieses Orgelspielen. Dann bliebe ja weniger Zeit zum Fußballspielen.
Und doch war mir am Silvesterabend 1977 plötzlich klar: Ich werde Heimorgel lernen! Meine Eltern hatten nämlich das entscheidende Argument vollkommen vergessen: Es hatte langes, glattes, schwarzes Haar, war zuckersüß, hatte ein hinreißendes Lachen und hieß Anja. Die musikalische Tochter der Bekannten. Sie war 10 Jahre alt, genauso wie ich, und keine Hundertstelsekunde ließ ich das wunderbare Wesen aus den Augen, ich wich nicht von ihrer Seite. Dieser nicht blonde Engel verursachte bei mir Glückseligkeit und aufgeregtes Herzwummern. Gleich am Neujahrstag sagte ich meinen Eltern, dass ich es mir überlegt hatte. Sie waren begeistert: Was für ein toller Sohn! Er war vielseitig interessiert. Nicht nur an Sport, sondern auch an Kultur.
Fortan fuhr ich mit Anja Woche für Woche ins "Musikstudio Erbe" zum Orgelunterricht. Daheim ließ ich öfter den Ball liegen, um mich durch die "Schule für electronische Heimorgeln" zu musizieren. Mit Liedern wie "Muß i denn, muß i denn", "Mein Hut, der hat drei Ecken", oder dem "Schneewalzer" erfreute ich meine Eltern, Omas und Opas und Freunde und Bekannte, wenn sie sich anhören durften, welche Fortschritte der Junge gemacht hatte.
Ich übte gerne und viel, um Anja zu beeindrucken. Aber der Schuss ging nach hinten los. Jahre später erfuhr ich, dass sie mich doof fand, weil ich mir die begehrte blaue Heimorgel-Urkunde früher ertastet hatte als sie. Obwohl sie vor mir angefangen hatte. Ich hatte also ein gewisses Talent für die Orgel, aber noch mehr für den Fußball. Zumindest in meinem kleinen Fußballuniversum gehörte ich immer zu den Besseren. Ich konnte gut mit dem Ball umgehen, hatte ein Gefühl für ihn, einen guten Blick für die Mitspieler und den tödlichen Pass.
Einzeltraining beim FC Voran und zwei Sichtungsspiele beim Hamburger Fußball-Verband machten mir ein paar Monate lang sogar Hoffnung, dass ich aus meinem Talent etwas machen könnte: vielleicht eine Karriere à la Uli Hoeneß, dem ich ähnliche Fähigkeiten am Ball attestierte wie mir. Ich bereitete mich auf alle Eventualitäten vor und bat meine Mutter, ein Foto von mir in voller Nationalmannschaftsmontur zu schießen: weiße Stutzen, schwarze Hose, weißes Shirt. Nur die Flagge fehlte auf dem Trikot. Kurzerhand ernannte ich meine Mutter zum Zeugwart und bat sie, mir die fehlende Flagge aufzunähen. Was ich nicht bedacht hatte: Die Nationalspieler trugen nicht die schwarz-rot-goldenen Farben auf der Brust, sondern den Bundesadler.
Ein kleiner Schönheitsfehler, aber ich sah generös darüber hinweg, auch wenn dadurch ein nur fast perfektes "Nationalspieler"-Foto entstand. Darauf sieht man mich kerzengerade auf dem heimischen Rasen stehen, die Hände hinterm Rücken verschränkt, das Kinn leicht angehoben, zwischen meinen Füßen liegt mein Ball. Mein Gesicht wird durch den Schatten des Baums leicht verdunkelt (er wollte sicher gerade wieder zum Foul ansetzen). Ich hielt das Foto sowohl fürs Panini-Album als auch für Autogrammkarten geeignet; also signierte ich es eigenhändig. Weil man das als Fußballstar eben so macht. Ich war vorbereitet, der Rest war allein Sache des Bundestrainers. Der meldete sich aber partout nicht....
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