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Manchmal erklären Anekdoten mehr als ein ganzes Referat. Mitte der 1980er Jahre lud die junge Nele Löwenberg (heute Nele Neuhaus) ihre Freunde zu einer Fastnachtsparty in ihr Elternhaus nach Bad Soden ein. Vater und Mutter waren verreist. Auf einmal, so erinnert sich die Gastgeberin, seien zwei Freunde mit einem gerahmten Porträtfoto aus dem Arbeitszimmer des Vaters, damals Landrat des Main-Taunus-Kreises, gekommen. »Ist das Dein Vater an Fasching?« hätten sie gefragt. Das Bild zeigte einen freundlich dreinblickenden Herrn mit Brille, bekleidet mit dem orange-roten Umhang der tibetischen Mönche. »Der Dalai Lama hatte meinem Vater dieses Foto von sich samt Widmung in Goldschrift geschenkt.« Landrat Dr. Bernward Löwenberg hatte es stolz auf seinem Schreibtisch platziert. Wenn die junge Nele zu dieser Zeit im Bekanntenkreis von Seiner Heiligkeit, der 14. Inkarnation des Dalai Lama, erzählte, habe das niemanden interessiert. »Den kannte ja keiner.«
Entsprechend improvisiert verliefen die ersten Besuche des geistlichen Oberhaupts der Tibeter und politischen Führers einer Exilregierung. Erst 1973, also 14 Jahre nach seiner Flucht aus Lhasa, hatte die indische Regierung dem Dalai Lama erlaubt, von seinem Exil im nordindischen Dharamsala Reisen in die westliche Welt zu unternehmen. Zu den elf von ihm besuchten Ländern gehörte auch Deutschland. Gemäß der Weisung, keine politischen Gespräche zu führen, traf Seine Heiligkeit vorwiegend Religionsführer, so etwa Papst Paul VI. in Rom, den Erzbischof von Canterbury in England und den Aga Khan. In München war er Gast der Bayerischen Akademie und in Maria Laach tauschte er sich mit dem Abt des Benediktinerklosters über Gemeinsamkeiten aus. Hessen stand nicht auf dem Reiseplan. Das sollte sich knapp zehn Jahre später ändern.
»Mein Mann war ein Flüchtlingskind aus Schlesien, deshalb hat er sich immer sehr für die Schicksale Vertriebener interessiert«, erzählt Hannelore Brückner. Ihr Mann Friedhelm betrieb eine Firma für Anlagenbau, aber seine Leidenschaft galt dem Filmemachen. Friedhelm Brückner lernte bei den Dreharbeiten Anfang der 1980er Jahre in Indien tibetische Mönche kennen. Er besuchte eines der Flüchtlingslager, die mit Hilfe der Exilregierung in Dharamsala entstanden waren. In diese Zeit falle das erste Treffen mit dem Dalai Lama, sagt Hannelore Brückner.
1 Besuch 1982 bei Familie Brückner in Glashütten, Seine Heiligkeit wird eingerahmt von Hannelore und Friedhelm Brückner und ihren Kindern.
2 Empfang bei der Hoechst AG 1982. Manager Klaus Trouet (rechts) begleitet den Dalai Lama.
3 Gartenfest im Sommer 1984 bei den Brückners. Der Gastgeber heißt den Ehrengast willkommen.
4 Der »Thron« des Dalai Lama, aufgestellt in der Stadthalle Hofheim.
5 In ihrem Garten in Kelkheim bewirtete Mechthild Trouet 1984 den hohen Gast mit selbstgebackenem Kuchen.
Die Pläne für einen Gegenbesuch des Dalai Lama in Hessen müssen sehr schnell konkret geworden sein. Denn bereits 1982 zog bei den Brückners in Glashütten ein junger Mönch aus Dharamsala ein. Voller Ehrfurcht für sein Religionsoberhaupt habe der junge Lama die Familie instruiert: Man dürfe Seiner Heiligkeit nicht die Hand geben, er brauche eine Liege für kurze Ruhepausen. Kurzerhand wurde das Bett des Sohnes Michael auf seine Tauglichkeit getestet. Es musste hart genug sein. »Was er trinkt, was er isst, alles wurde vorher geprüft«, schildert Hannelore Brückner. Umso verblüffter waren die Gastgeber, als der prominente Besucher im November 1982 - er war in Frankfurt zum Besuch der Buchmesse - bei ihnen eintraf. Er sei so ein sympathischer einfacher Mensch gewesen. Die Begleiter hatten im Vorfeld viel Aufhebens gemacht, aber der Dalai Lama bat nur um ein Glas heißes Wasser. Platziert wurde er in der guten Stube der Brückners, auf dem Sofa. Schließlich nahm er auch den angebotenen Tee und ein Stück Kuchen an.
Diese erste Begegnung war Teil eines umfangreichen Besuchsprogramms, das noch stark vom Zeitgeist des Exotisch-Esoterischen geprägt war. Während der Buchmesse - mit dem Motto »Religion von gestern in der Welt von heute« - traf der Dalai Lama die Hopi-Priesterin Carolyn Tawangyowma und in Bonn den Kultkünstler Joseph Beuys. Auch Hamburg, Bonn und das Tibet-Zentrum Wachendorf in der Eifel gehörten zu seinem Reiseprogramm.
Auf der Agenda der Delegation aus Indien dürften auch ernsthafte Begegnungen auf politischer Ebene gestanden haben, denn der Dalai Lama benötigte dringend internationale Anerkennung. Bis auf wenige Politiker vermieden es westliche Regierungschefs jedoch, den Exil-Tibeter zu empfangen. Und wenn überhaupt, dann inoffiziell.
Brückner hingegen mobilisierte seinen Freundes- und Bekanntenkreis. Dr. Bernward Löwenberg, der Landrat, ließ sich nicht lange bitten. Gemeinsam mit Bürgermeister Friedrich Flaccus organisierte er einen Empfang in der Hofheimer Stadthalle. Die Flagge, die man hisste, hatten die Tibeter selbst mitgebracht, aber ein Thron fehlte. Bis der Hausmeister auf die Idee kam, den Lehnstuhl seines verstorbenen Großvaters von zu Hause herbeizuschaffen. Auch Mechthild Trouet lernte den Dalai Lama bei einem offiziellen Essen kennen. Ihr Mann Dr. Klaus Trouet führte als Direktor das Zentralsekretariat des Vorstandes der Hoechst AG. Er knüpfte die Fäden zum Institut für Tibetische Medizin und Astrologie, zu Men-Tsee-Khang, in Dharamsala. Neben ihrem inzwischen verstorbenen Mann hätten an dem Abend weitere Vorstandsmitglieder des Konzerns am Tisch gesessen, erinnert sich Mechthild Trouet.
1 1987: Erste Begegnung mit Roland Koch (links) in Hofheim beim Empfang des Landrats Löwenberg (Mitte).
2 Diskussion mit befreundeten Familien im Wohnzimmer von Hofheims Bürgermeister Friedrich Flaccus (rechts).
3 Inoffizielles Treffen 1989 am Frankfurter Flughafen: Landrat Bernward Löwenberg und der Dalai Lama.
4 Rolf Felix, damals Bürgermeister von Hofheim, mit dem Dalai Lama.
5 Der junge Dalai Lama, Karte mit Widmung für Landrat B. Löwenberg.
Von dem Austausch versprachen sich offenbar beide Seiten große Vorteile. Tags darauf saß der Dalai Lama mit seiner Entourage, darunter Minister seines Exilkabinetts, im Winnacker-Haus, dem Gästehaus der Hoechst AG in Liederbach. Es sei vermutlich darum gegangen, Produkte der traditionellen tibetischen Medizin durch den Hoechst-Konzern zu vermarkten, berichtet Kelsang Gyaltsen. Er war jahrzehntelang Mitarbeiter der tibetischen Exilregierung und Repräsentant des Dalai Lama in der Schweiz. 1984 begleitete der junge Kelsang Gyaltsen als Assistent und Übersetzer einen Minister des tibetischen Exilkabinetts auf seiner Deutschlandreise. Auch dieser Minister wurde von der Hoechst AG zu Gesprächen eingeladen, um die Idee eines gemeinsamen Projekts zu vertiefen. Eine konkrete Geschäftsbeziehung kam nicht zustande. Die Ärzte des Instituts in Dharamsala hatten Bedenken, ihre Rezepte einem westlichen Konzern anzuvertrauen. Den freundschaftlichen Beziehungen der Familien Brückner, Löwenberg und Trouet zu Seiner Heiligkeit und seinen Mitarbeitern tat dies keinen Abbruch. Klaus Trouet zum Beispiel vermittelte einen ärztlichen Check-up für den Dalai Lama beim leitenden Betriebsarzt Dr. Fritz Schuckmann in Höchst.
Alle Beteiligten erinnern sich noch immer an intensive Kontakte, an die zahlreichen Besuche des Dalai Lama und seiner Mitarbeiter in Hofheim, Glashütten, Kelkheim und Bad Soden. Friedhelm Brückner beherbergte in den Folgejahren immer wieder junge Tibeter auf seinem Firmengelände, wenn diese zu Studienaufenthalten nach Deutschland kamen. Er unterstützte Waisenhäuser der Tibeter in Indien und reiste viele Male selbst nach Dharamsala.
Seiner Heiligkeit war es offenbar wichtig zu erleben, wie deutsche Familien wohnen und leben. Mechthild Trouet buk eigens Kuchen für den hohen Gast, der im Sommer 1984 zu Besuch in den Kelkheimer Drosselweg kam. Die Polizeieskorte war noch überschaubar, die Aufregung in der Nachbarschaft aber groß. Alles versammelte sich im Garten.
Carola Löwenberg, studierte Historikerin, kannte vermutlich als eine von wenigen die Leidensgeschichte ihres Besuchers und seiner Heimat. »Ich hatte mich eingelesen, auch in die Lehren des Buddhismus«, berichtet die Ehefrau des damaligen Landrats. Tochter Nele hat die amüsanten Szenen eines Besuchs von 1983 noch in Erinnerung. Fünf Sorten Tee hätten sie, ihre Schwestern und Freundinnen vorbereitet. »Dann bat er um einen Becher heißes Wasser.« Von dem Treffen im Löwenberg'schen Wohnzimmer gibt es zahlreiche Aufnahmen, das Gästebuch führt namentlich alle Begleiter Seiner Heiligkeit auf.
Fast jedes Jahr habe es Begegnungen gegeben, erinnert sich Hannelore Brückner. Jedes Mal, wenn es einen »stop over«, also einen Umstieg am Frankfurter Flughafen auf dem Weg in die USA oder andere Länder gegeben habe, sei man für die wenigen Stunden der Transitzeit in die VIP-Lounge der Lufthansa geeilt. Nele Neuhaus, geb. Löwenberg, und Gabi Brückner gehörten zu den Kindern des Freundeskreises, die Fahrdienste oder Besucherbetreuung übernahmen. 1989, die Übergabe des Nobelpreises stand bevor, ereilte die jungen Frauen ein wichtiger Auftrag: »Ihr fahrt jetzt mal ans Gate und...
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