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Seit wann glaube ich, daß hier alles schiefgehen muß? Vielleicht seit Ende der ersten Intifada? Allerdings gab es da zunächst viele euphorische, in den Medien als »historisch« dargestellte Ereignisse, von denen ich mich mitreißen ließ. Dazu gehörte der an Wunder grenzende Wahlsieg Rabins, das Osloer Abkommen, bei dem erst Gaza und Jericho, dann sukzessive die meisten anderen palästinensischen Städte als autonom erklärt wurden, dann das Treffen von Arafat, Rabin und Clinton im Weißen Haus, das ich auf einem altersschwachen Fernseher im autonomen Jericho und dort im Kreis andächtig lauschender, beim Händedruck Rabins und Arafats in Applaus ausbrechender Palästinenser verfolgt hatte. Oh, dieses herrliche Gefühl der Hoffnung, dem selbst ich mich, trotz aller Skepsis, nicht entziehen konnte. In dem Moment, in dem sich die beiden Feinde die Hände reichten, mußte ich schnell die Sonnenbrille aufsetzen, um meine feuchten Augen zu verbergen.
Die fünf Jahre anhaltende Intifada, an deren Zweck und Sinn ich nie gezweifelt, die aus »den Arabern« die Palästinenser und aus den Palästinensern ein Volk gemacht hatte, das sich endlich einen Teil seines Gebietes und damit ein lebenswichtiges Maß an Ehre, Würde und Stolz zurückerobern konnte, hatte sich gelohnt. Es war trotz Angst, Schrecken und zahlreicher Verluste eine hoffnungsvolle Intifada gewesen, die vieles, so glaubte ich in gewissen Momenten, in Schwung gebracht und die Haltung der Menschen auf beiden Seiten positiv verändert hatte. Und auch das Ende war vielversprechend gewesen. Das Land, bis dahin zu einem Ghetto zusammengeschrumpft, in dem sowohl die Israelis als auch die Palästinenser auf ihren scheinbar unvereinbaren Positionen beharrten und das einzig Lebendige zwischen ihnen Haß, Verbitterung und Verachtung gewesen waren, hatte sich geöffnet. Ein Strom erwartungsvoller Touristen, ausländischer Politiker, Journalisten und Investoren war in Israel eingebrochen und hatte uns wirtschaftlich und moralisch beflügelt. Es war sogar eine große ägyptische Delegation gekommen, unter ihnen der breithüftige Ali, ein einflußreicher Politiker, den ich aus Paris kannte und dem ich mich im Zuge der allgemeinen Öffnung auch öffnete, denn nichts war wichtiger als die Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was bei mir los ist«, hatte mir meine Freundin Sarah, die in der vornehmsten Gegend Tel Avivs ein Immobiliengeschäft betrieb, mitgeteilt, »alle wollen plötzlich in Israel investieren. Die russische Mafia hat mir für ein Haus am Meer gleich acht Millionen Dollar in bar auf den Tisch gelegt, die Japaner suchen ein Grundstück, um darauf ein Einkaufszentrum zu bauen, und kürzlich sind sogar die Jordanier gekommen, die einen Bauplatz für ihre zukünftige Botschaft suchen.«
Das also war der Beginn einer großen Ära, und wäre ich nicht eine so beharrliche Pessimistin - sprich Realistin -, hätte ich die andere Seite der goldenen Medaille gar nicht gesehen. Doch dank dieser unguten Eigenschaft fiel mir auf, daß hinter der schönen Kulisse alles beim alten zu bleiben schien.
Neue Siedlungen wurden gebaut und alte vergrößert. Neue vorbildliche Straßen, die um die autonomen Städte herum zu den Siedlungen führten, wurden angelegt und vielspurige Autobahnen, denen privater palästinensischer Besitz zum Opfer fiel. Die israelischen Gesetze, mit denen die Palästinenser, was freien Warenvertrieb und Bewegungsfreiheit betraf, geschlagen waren, wurden nicht geändert und die Leidtragenden auf spätere Zeiten vertröstet. Die palästinensischen Dörfer, die zu Jerusalem zählten und damit unter israelische Verwaltung fielen, waren und blieben in einem erbärmlichen Zustand, obgleich die Einwohner hohe Steuern an den Staat zahlen mußten. Über die Existenz der fünf großen israelischen Siedlungen, die in dem überbevölkerten, jetzt autonom gewordenen Gazastreifen wie fette Rosinen in einem kümmerlichen Teig klebten, wurde nicht einmal diskutiert. Und als Baruch Goldstein, ein fanatischer Siedlerarzt in Hebron, neunundzwanzig betende Muslime in der Abrahamsmoschee über den Haufen schoß und das ein allgemein gebilligter Anlaß gewesen wäre, das Siedlerpack aus Hebron rauszuwerfen, wurde nichts unternommen. Dafür aber wurde dem Mörder, der bei dieser Aktion ebenfalls umgekommen war, eine Gedenkstätte errichtet, zu der seine zahlreichen Anhänger pilgerten, um ihn als Helden des jüdischen Volkes zu verehren.
All das brachte mich auf den Gedanken, daß man den Palästinensern blauen Dunst vormachen und sich der »Friedensprozeß« nur in aufgeblasenen Worten und nicht in Taten niederschlagen könnte.
»Das Wichtigste ist«, wurde ich belehrt, »daß zwei Völker, die seit Jahrzehnten verfeindet sind, plötzlich aufeinander zugehen und an Frieden denken, das Wort aussprechen, den Zustand anstreben.«
Taten sie das wirklich? Gingen nicht nur die machthabenden Politiker unter dem Druck der amerikanischen Weltpolizei und den väterlichen Ermahnungen Clintons aufeinander zu? Während die beiden Völker, in keiner Weise darauf vorbereitet, abwartend und etwas verlegen am Rande standen und sich weiterhin mißtrauten?
»So was geht natürlich nicht von heut auf morgen«, belehrte man mich erneut, »aber Frieden wollen wir alle.«
»Ja«, sagte ich, »die Israelis wollen ihn zu ihren eigenen, unverschämten Bedingungen, und wenn die Palästinenser damit nicht einverstanden sind, sind sie eben diejenigen, die keinen Frieden wollen.«
»Du glaubst also nicht an den Friedensprozeß?«
»Bei näherer Betrachtung eigentlich nicht.«
»Und deine palästinensischen Freunde, freuen die sich wenigstens über die neue Situation?«
»Fragt sie doch selber! Geht zu den Palästinensern und unterhaltet euch mit ihnen. Das wäre doch überhaupt der erste Schritt in Richtung Frieden: Kontakt aufnehmen, Gedanken und Erfahrungen austauschen, zuhören und sich gegenseitig zeigen, daß man ein Mensch ist.«
Aber keiner ging - weder die Israelis zu den Palästinensern noch die Palästinenser zu den Israelis. Man hatte sich auf menschlicher Ebene angeblich nichts zu sagen. Die Furcht voreinander war zu groß, das Mißtrauen steckte zu tief, und die Gegensätze schienen unüberbrückbar. Man begegnete sich an Orten, an denen es etwas zu kaufen gab. Israelis gingen wieder in die Altstadt, denn das Obst und Gemüse waren da billiger, der Humus schmackhafter und die Auswahl an Kitschandenken und hübschen, bunten Fummeln größer. Die Palästinenser hingegen wurden geradezu magisch von den israelischen Geschäften und Einkaufszentren angezogen, denn dort war die Qualität besser als in ihren eigenen Läden, die Textilien moderner und die Auswahl an technischen Geräten größer und auf dem neuesten Stand. Man kaufte und kam sich im Zuge dieser beliebten Tätigkeit nahe genug, um ein paar freundliche Worte über den Friedensprozeß zu wechseln: Hatten sie nicht alle seit Jahrzehnten darauf gehofft und gewartet? Wollte nicht jeder seine Kinder in Frieden und Sicherheit aufwachsen sehen? Weinte nicht eine arabische Frau um ihren toten Sohn oder Mann genauso wie eine jüdische?
Und dann ging wieder irgend etwas in die Luft, und die palästinensischen Gebiete wurden in einer kollektiven Strafaktion abgeriegelt, und die radikalen Israelis schrien: »Tod den Arabern!«, und die radikalen Palästinenser feierten den Selbstmordattentäter als Helden und Märtyrer.
»Man kann eben nicht mit Terroristen in Frieden leben«, sagten die einen; »man kann nicht jahrzehntelang unter einer infamen Besatzung leben«, sagten die anderen. Beide hatten recht.
Aber der Friedensprozeß ging unter den Machthabenden verbissen weiter, und die beiden Völker standen noch immer abwartend und etwas verlegen am Rande und mißtrauten sich. Der Deckel, mit dem man den brodelnden Topf schnell wieder verschloß, lag schon bereit, und Clinton ermahnte seine beiden Schützlinge väterlich, ihre Völker im Griff und das höchste Gut der Menschheit, den Frieden, im Auge zu behalten.
Zwei Jahre gingen ins Land. Rabin hielt sich tapfer und folgte seiner Vision, aus Israel ein offenes, mit seinen arabischen Nachbarvölkern in Frieden lebendes Land zu machen. Die Palästinenser fielen bei dieser Vision unter den Tisch, aber sie waren im Vergleich zu den großen arabischen Staaten eben nicht so wichtig. Und da sie bei denen auch nicht beliebt waren, konnte man hoffen, das Problem später vielleicht gemeinsam auf diese oder jene Art zu lösen. Arafat und seine vier- oder fünftausend Kumpel, die er aus Tunesien mitgebracht hatte, machten es sich behaglich. Die Kumpel bekamen alle die höchsten Posten in der PA (Palestinian Authority) und Arafat hohe Summen von den europäischen Staaten. Mit denen sollte dem palästinensischen Volk auf die Beine geholfen und der utopische Grundstein zu einem Staat gelegt werden.
Doch der Grundstein verschwand spurlos in den Taschen Arafats und seiner Kumpel und die europäischen, merkwürdig blauäugigen Staaten wunderten sich und gaben weitere Summen. Die Palästinenser, die endlich bessere Zeiten und von ihrem Nationalhelden Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit erwartet hatten, waren zunächst verstört, dann verärgert. Aber da er nun mal ihr Nationalheld und der Begründer ihrer Freiheitsbewegung war, versuchten sie, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und taten, was sie seit vielen Generationen getan hatten, sie warteten weiter auf bessere Zeiten und Gerechtigkeit.
Mein Pessimismus, sprich Realismus, wuchs. Rabins Vision forderte eine Flut von Aufklebern heraus, die die Rückfenster...
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