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Das weiße Feinripp-Unterhemd klebte klatschnass auf seiner Haut, und er konnte nicht umhin, einem Schweißtropfen nachzufühlen, der sich am unteren Ende seines Rückens immer tiefer in Regionen vorwagte, wo die Sonne nie hinschien. Unter normalen Umständen hätte Karsten Untiedt sich einfach gekratzt, und der Tropfen wäre Geschichte gewesen. Nun saß er aber Gerda und Herbert Schlömer am wackeligen Gartentisch gegenüber und trank kaltes, wässriges Orangensaftetwas und Kaffee.
"Nu se to, dat du doar nich Wuddel schlogen deihst, Kaschi. Wi heppt hüüt noch anneres to don." Schwungvoll erhob sich Herbert Schlömer von seiner Bank, holte sein gebügeltes und akkurat gefaltetes Taschentuch aus der Hosentasche, schnäuzte sich und schaute auffordernd zu Karsten rüber. "Een Fuhln verdrächt dat Geschäft, aber dat möt ja ni wi ween."
"Teuf mol, Herbert, de Jung is ja nu ok keene veertich mehr."
Gerdas Einwand war leider nur allzu richtig, dachte Untiedt, trotzdem traf ihn ihre Fürsorge hart angesichts der Tatsache, dass ihr Herbert vor wenigen Tagen einundachtzig geworden war. Aber im Gegensatz zu Karsten Untiedt hatte Herbert Schlömer sein Leben lang immer körperlich gearbeitet, und auch jetzt noch war der Kerl drahtig und augenscheinlich besser in Schuss als er selbst. "Ich eile, Herbert, ich eile", sagte er und hievte sich mit einem leisen Stöhnen aus dem etwas zu niedrigen Gartenstuhl.
Gut drei Jahre nach dem Tod seines Vaters hatte er sich dazu entschlossen, das kleine, bescheidene Häuschen, das gemeinsam mit einer Handvoll ebenso unprätentiöser Häuser an einer schnurgeraden Straße irgendwo im Nirgendwo der nördlichen Dithmarscher Köge stand, zu entrümpeln und als Wochenendhäuschen herzurichten. "Wo nimmst du eigentlich die Energie her, Herbert? Wir asten hier schon den ganzen Vormittag herum, und du springst mir immer noch um die Beine wie ein junges Reh."
Herbert machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ach Junge, wenn ich in meinem Alter erst einmal stehen bleibe und aufhöre, mich zu rühren, dann komme ich nie wieder in Gang. Besser immer weiterarbeiten, sonst kannst du auch gleich den Deckel draufnageln. Und nu hör auf zu sabbeln und pack an!" Gemeinsam schleppten sie noch zwei weitere Stunden Türblätter, zerlegte Schränke, eine grauenhafte, aber gut erhaltene Sofagarnitur aus den 80ern, Holzpaneele und jede Menge Kram an die Straße.
Blinzelnd schaute Untiedt zum Himmel und stemmte die Hände in die Hüfte. "Nicht, dass es nächste Woche noch regnet."
"Wieso dat denn, büst bang, dat de Kladderadatsch hier an de Stroot natt ward? Dünnersdag is Sperrmüll. De holen dat Schiet wech, ob dat nun natt is oder nich. Und ganz ehrlich, Kaschi, de Lüüt ut Polen und sonst wo, de mit eern Kastenwogen de Stroot ob un dol düsen doht, de wulln den dorsen Schiet ok nich hebben. Lot man, min Jung, dat is allns in Ordnung, dat de Mist wechkummt. Mog di man nich allto veel Gedanken." Damit klopfte der alte Schlömer Untiedt auf die Schulter, setzte sich auf eine Sessellehne und wischte sich mit seinem Taschentuch die Stirn. Schuldbewusst und doch irgendwie erleichtert stellte Untiedt fest, dass sein einundachtzigjähriger Nachbar nun auch Erschöpfungssymptome zeigte. Allerdings hatte Herbert auch schon die Straße fertiggefegt, als Untiedt selbst noch in seiner Küche beim Frühstückskaffee gesessen hatte.
"Hebbt jem dat nun endlich torecht?", rief Gerda Schlömer leicht vorwurfsvoll die Auffahrt runter und schaute demonstrativ auf ihre Armbanduhr. Ihr Mann Herbert lüftete auch sogleich seinen Hintern und tät- schelte Untiedt zweimal freundschaftlich die Schulter. "Denn komm man Essen fassen."
Nach dem zweiten üppigen Teller Bratkartoffeln ließ sich Untiedt erschöpft in den Stuhl zurückfallen. "Deine Bratkartoffeln sind die Wucht, Gerda!", schnaufte er anerkennend und spülte mit einem großen Schluck kalten Bieres nach. "Noch eines?", fragte Herbert und stand, ohne die Antwort abzuwarten, mit den leeren Flaschen in der Hand auf.
"Nicht für mich, Herbert. Danke!"
"Du kannst auch ein alkoholfreies von mir haben", sagte Herbert Schlömer nun auf Hochdeutsch. Amtssprache! Schon vor Jahrzehnten hatte er aufgehört, Alkohol zu trinken. "Für Gerda!", sagte er, wenn man ihn nach seinen Gründen fragte. Das musste reichen, und insgeheim hatte Untiedt sich über sich selbst geärgert, als er Herbert einmal beiläufig und unbedacht danach gefragt hatte. Wenn er selbst jetzt ein Bier trank und dann gleich danach nach Kiel fuhr, war es nicht er, der sich rechtfertigen musste. Aber jemand, der aus welchen Gründen auch immer nichts trank, musste das ständig tun.
"Na gut, Herbert. Jetzt stehst du ja schon. Ein bleifreies nehme ich noch, aber dann muss ich mich langsam fertig machen. Montag ist wieder Arbeit angesagt."
"Nun hast du das ja aber auch gut gehabt, Karsten", sagte Gerda, und Untiedt verstand sofort, was sie meinte. Fast zwei Wochen hatte er hier verbracht, und die ganze Zeit über hatten sie über zwanzig Grad und Sonnenschein gehabt. Absolut außergewöhnlich für Ende April, sollte man meinen, aber tatsächlich war das in den vergangenen Jahren öfter vorgekommen. Zumindest vorerst wäre Dithmarschen ein Gewinner der Klimaerwärmung, hatte er zu seinen alten Nachbarn gesagt. "Aber nur, wenn uns der Laden nicht von hinten vollläuft", war Gerdas Antwort darauf gewesen. Sie hatte den harten Frühjahrssturm nicht vergessen, an den sich die Schönwetterperiode direkt angeschlossen hatte. Zwar hatte Untiedt in dem Moment nicht verstanden, was Gerda damit meinte, dass ihnen der Laden von hinten zuliefe, doch weil er an dem Grill- abend, als sie das gesagt hatte, gerade aufgestanden war, um noch ein Fläschchen Portwein für Gerda zu holen, sie trank nämlich im Unterschied zu ihrem Mann durchaus gerne mal einen Schluck, hatte er nicht weiter nachgefragt.
"Ja, das waren wirklich erholsame zwei Wochen, auch wenn das Haus jetzt eine einzige Baustelle ist. Ich finde das im Übrigen super nett von euch, dass ihr das mit den Handwerkern regelt. Von Kiel aus könnte ich das gar nicht bewerkstelligen."
"Das ist doch selbstverständlich, min Jung. Und für Herbert ist das nur gut, wenn er was um die Ohren hat. Sonst tigert der mir nur im Haushalt vor den Füßen rum", sagte Gerda und schielte ums Eck, um zu gucken, ob ihr Mann mit den Bierbuddeln schon wieder zurückkam.
"Also ist das für dich gut, wenn Herbert was zu tun bekommt", lachte Untiedt.
"Nun werd' mal nicht unverschämt, Karsten, und iss lieber deinen Brathering." Mit diesen spitzen Worten schob sie Untiedt noch den letzten Fisch auf den Teller und fing an, das übrige Geschirr zusammenzustellen. Obwohl er wusste, dass sie ihre Empörung nur spielte, schaffte sie es trotzdem, ihn zu verunsichern. Seit gut acht Monaten verbrachte er wieder mehr Zeit in Dithmarschen, nachdem er lange Jahre die Heimat seiner Jugend, so gut es eben ging, gemieden hatte. In dieser kurzen Spanne war ihm das alte Ehepaar, das er eigentlich schon länger kannte, ans Herz gewachsen, und auch sie freuten sich über die Belebung ihrer Nachbarschaft. Darüber hinaus waren die beiden ihm eine unschätzbare Hilfe. Gerade jetzt, wo er das kleine Haus von Grund auf modernisieren lassen wollte.
"Vielen Dank noch mal für deine Hilfe, Herbert. Ohne dich hätte ich die Bude ganz sicher nicht so schnell leer räumen können", sagte Untiedt, als Herbert mit zwei kalt perlenden Flaschen alkoholfreien Bieres zurückkam. Gerda brachte unterdessen das schmutzige Geschirr ins Haus. Untiedt durfte nicht helfen.
"Mach da mal nicht so viel Gewese von, Kaschi. Ich bin ja froh, wenn Gerda mich nicht immer bei die Büx bekommt. Haushaltsauflösung ist die reinste Entspannung verglichen mit dem Unsinn, den sie andauernd mit mir vorhat." Just in dem Moment kam seine Frau wieder zurück, und Herbert schaffte es noch so gerade eben, Untiedt verschwörerisch zuzuzwinkern. Gemeinsam stießen sie auf Gerdas Bratkartoffeln an und hielten ein kurzes Pläuschchen. Dann verabschiedete sich Untiedt, ließ zur Sicherheit noch einmal seine dienstliche Telefonnummer da, die die beiden Alten sowieso schon hatten, und verschwand durch das Tor im Gartenzaun auf seine Seite.
Im Haus angekommen, beschlich ihn ein komisches Gefühl, und er schaute noch einmal durch alle Räume. Es roch immer noch nach altem Mann. Und was man vor wenigen Stunden mit gutem Willen so gerade eben als Achtziger-Charme hätte durchgehen lassen können, sah jetzt schlicht traurig aus und schrie nach Sanierung. Einzig ein Sekretär war übrig geblieben. Ein Möbelstück, das dereinst nur durch Zufall den Brand auf dem Hof seiner Eltern überlebt und das sein Vater in dieses Häuschen gerettet hatte.
Zeit für eine Dusche, beschloss Untiedt, nahm frische Wäsche aus seiner Reisetasche und ging ins Bad. Unter der Duschbrause hörte er das Klingeln seines Handys nicht, und deshalb machte er sich in aller Ruhe fertig für die Rückfahrt nach Kiel, zufrieden mit sich und dem vollbrachten Tagwerk. Gerade stopfte er die gebrauchte Wäsche in einen Seesack, da klingelte das Handy erneut. Wischnoreks Nummer.
"Mensch Karsten, wo treibst du dich rum? Ich hab' schon versucht, dich auf Festnetz anzurufen."
"Hallo Margit", zwang Untiedt sich, seine Chefin zu duzen. Nach einem Seminar für Führungskräfte hatte sie vor wenigen Monaten allen ihr direkt unterstellten Kommissaren das Du angeboten. Eine Geste, auf die Untiedt gut hätte verzichten können. Vielleicht war er einfach zu steif, aber eine gewisse dienstliche Distanz war ihm immer recht gewesen. Doch als...
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