Schweitzer Fachinformationen
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Ich hatte unseren Camper gerade mit leichtem Ruckeln auf dem Parkplatz vor dem Flughafen zum Stehen gebracht, da wachte Ludger auf.
"Wo?", fragte er.
"Flughafen", sagte ich.
Er drehte sich wieder zur Seite und zog sich seine Decke über die Schulter. Es war kurz nach zwölf Uhr mittags. Ludger schlief auf der Rückbank wieder ein und ich putzte mir die Zähne. Wir warteten auf Prinzessin van Mayer. Sie sollte soeben hier gelandet und jetzt auf dem Weg zu uns auf den Parkplatz sein. Ich wusste, dass sie gleich aus der Eingangshalle kommen würde und es dauerte auch keine zehn Minuten, bis ich sie an der hohen Schiebetür ein paar Meter weiter erkennen konnte. Obwohl wir uns erst vor wenigen Tagen verabschiedet hatten, freute ich mich sehr, sie wiederzusehen und so umarmten wir uns länger als sonst. Letzte Woche waren wir noch gemeinsam nach Porto geflogen. Allerdings war ich nach drei Tagen schon wieder abgereist. Ich hatte noch einen Auftritt, von dem ich jetzt gerade mit Ludger kam. Wir hatten kaum geschlafen, weshalb er sofort nach der Abfahrt aus dem Hotel die Augen schloss und seither nicht mehr wirklich ansprechbar war.
Als die Prinzessin in den Camper einstieg und die Tür zuzog, wurde er nochmal kurz wach. Das Knallen der Tür markierte den Startschuss für unsere Wochenendtour. Zum ersten Mal waren wir zu dritt unterwegs: Die Prinzessin und ich, um zusammen aufzulegen, Ludger, um dabei auf uns aufzupassen. Unterwegs waren wir in Ludgers Camper, der eigentlich gar kein Camper war, sondern ein umgebauter Kastenwagen. Unser Ziel war das "Anker Lichten"-Festival. Es startete am nächsten Tag und endete am darauffolgenden Sonntag. Von diesen Festivals würden wir in den kommenden Monaten fast an jedem Wochenende mindestens eines sehen, manchmal mehrere.
"Das Gras war super krass im Club. Wow. Also. Wow", fing die Prinzessin sofort nach der Abfahrt an zu erzählen. "Ich habe es innerhalb meines gesamten Aufenthalts nicht geschafft, so ein gutes Gras zu finden. Wow. Wirklich gut."
"Und war das also gutes Gras?", fragte ich.
"Nein. Das war richtig gutes Gras. Aber es gab auch Drinks, weißt du?"
"Und ich nehme an, aufs Haus", antwortete ich. Die Prinzessin hatte eine leichte Alkoholfahne. Gar nicht schlimm. Aber existent.
"Ich wollte eigentlich noch mehr Gras für uns alle kaufen, weißt du?"
"Ach so. Und hast du? Hast du was im Flieger mitgenommen?"
"Nee. Ich bin ja nicht blöd. Die Portoaner und Portorinnen schwimmen in Gras. Gutem Gras. Ich habe daran gerochen. Wow. Ich finde man sollte es einfach ohne Tabak rauchen. Wäre viel besser. Seitdem ich nicht mehr rauche, schmeckt mir Tabak eh nicht mehr. Das ist der einzige Vorteil am Nichtrauchen. Dass es mir nicht mehr schmeckt."
Manchmal verstand ich die Prinzessin nicht beim ersten Mal, wenn sie etwas erzählte. Ich dachte dann meistens zwei Mal darüber nach und das half. Ich hatte Angst, ich würde blöd wirken, wenn ich jedes Mal fragte, wenn ich etwas nicht verstand. Ludger hatte sich inzwischen mit angezogenen Knien in die Decke gerollt und sein Gesicht an das Fenster des Campers gedrückt. Für rechts Überholende musste es lustig ausgesehen haben, wie sein Kopf mit offenem Mund an der Scheibe lehnte.
"Einen Nikotinflash kann ich ja inzwischen sauber vom High eines Joints unterscheiden. Aber gefallen tut er mir auch nicht mehr", sagte die Prinzessin.
Wir beide waren es ja gewohnt, wenig zu schlafen und lange Fahrten auf uns zu nehmen. Auch Ludger war mit dem Camper schon unzählige Kilometer gefahren. Diese Nacht hatte er allerdings kein Auge zugemacht und war somit gezwungen, jetzt zu schlafen. Er lernte gerade, was die Prinzessin und ich schon lange wussten, und zwar abzuschätzen, wann es sich lohnte zu schlafen und welche ungeliebten Zeiträume man damit überbrücken konnte. Eine lange Autofahrt war dafür gut, auch wenn sie unbequem war. Die Reisen waren ein Hauptbestandteil von dem, was die Prinzessin und ich machten. Genauso bestand unser Leben auf Tour aber aus Warten. Warten auf den Auftritt. Warten auf das Taxi. Warten auf den Zug. Warten auf den Veranstalter. Warten auf den Check-in. Warten, Warten, Warten. Sich zu unterhalten war ein weiteres Mittel, die Zeit zu überbrücken. Allerdings wurde auch das irgendwann schwierig, wenn man so viel Zeit miteinander verbracht hatte wie die Prinzessin und ich. Und Ludger konnte gerade nicht reden. Irgendwann reichten Alltagsthemen nicht mehr aus, irgendwann wurde die Politik zu langweilig und irgendwann hatten wir auch jede Geschichte aus unserem Leben erzählt. Irgendwann half es einfach nur noch, Quatsch zu erfinden und zeitgleich zu erzählen. Alle unsere Fahrten, egal ob in Bus, Bahn oder Auto, gestalteten sich daher früher oder später so, dass wir irgendeinen Running Gag, den es im Zweifel schon seit Jahren gab, auf die Spitze trieben oder Fahrtspiele spielten oder einfach nur Blödsinn redeten. Prinzessin van Mayer saß inzwischen so weit nach vorne gelehnt, dass ihr Kopf mit dem Lenkrad gleich auf war. Plötzlich hob sie ihn und schwenkte zu mir hinüber.
"Ich glaube Ludger sabbert gleich voll ab", flüsterte sie in mein Ohr, um ihn nicht zu wecken.
"Wieso? Ludger sabbert doch nicht. Und ich kann das sehen. Ludger schläft einfach nur."
"Und du? Hast du denn überhaupt schon geschlafen?"
"Ja, schon. Aber das war vor dem Auftritt. Aber sollte rein rechnerisch klargehen, was ich hier mache. Und du? Hast du geschlafen?"
"Im Flieger konnte man ganz hervorragend schlafen, sage ich dir", antwortete die Prinzessin wieder etwas lauter.
In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass sie mir ja bereits geschrieben hatte, als sie aus dem Club zum Flughafen gefahren war.
"Hat denn alles wie geplant geklappt?"
"Na klar. Es ist überhaupt nichts Aufregendes passiert nach dem Auftritt. Ich bin in ein Taxi gestiegen und zum Flughafen gefahren. So wie ein ganz vernünftiger Mensch." Die Prinzessin machte eine kurze Pause und schaute starr nach vorne auf die Straße. Ich konnte aber erkennen, dass ihr ein Grinsen auf den Lippen stand.
"Es könnte sein, dass ich nach dem Auftritt noch ein oder sechs Bier getrunken habe. Aber ziemlich bald danach war ich dann auch im Flieger und habe geschlafen", fuhr sie fort und lachte.
Ich fragte mich, was die Prinzessin wohl schon alles konsumiert hatte, als sie den Club verließ und in welchem geistigen Zustand sie sich jetzt, mit etwa drei oder vier Stunden Schlaf, befinden würde.
"Was macht dein Retox?", fragte sie.
"Mein Retox steht noch an. Ich dachte, ich hebe es mir für das Wochenende auf."
"Schlau bist du."
"Das waren drei interessante Monate."
Ich hatte mir den Frühling des Jahres in Teilen dafür genommen, meinen Konsum auf null zu setzen. Das war eine schwierige Angelegenheit. Den Plan dafür hatte ich ein ganzes Jahr davor gefasst, hatte mich aber von Monat zu Monat selbst hingehalten. Zuerst war meine Ausrede, dass ich das nicht sofort machen müsse, ich hätte ja noch etwas Zeit. Danach hatte ich mir eingeredet, der Detox käme von alleine und würde sich wie eine glückliche Fügung ergeben. Ich bräuchte überhaupt nichts zu tun, da mein Leben sowieso Schicksal wäre und alles seine Zeit hätte. Ich bildete mir ein, die Lust auf Drogen nach und nach zu verlieren oder regulieren zu können, bis ich irgendwann von alleine zu einem Konsumlevel kommen würde, welches als durchschnittlich oder vielleicht sogar normal bezeichnet werden könnte. Dann versuchte ich es damit, kein Geld mehr für Drogen auszugeben und nur noch dann zu konsumieren, wenn es sich in Gesellschaft anbot. Diese Variante machte mich durchaus gesellig und obwohl ich am Wochenende schon viel unter Menschen war, begab ich mich auch unter der Woche zu oft in konsumierende Gesellschaft. Kurz darauf folgte, wie bei jedem anderen Versuch auch, ein schnelles Hinschmeißen aller Vorhaben.
Ohne regelmäßige Auftritte von Anfang Januar bis Ende Februar und schlussendlich im Frühling schaffte ich es dann, einen temporären Absprung hinzulegen und bis zum heutigen Tag keine Drogen zu konsumieren, von Cannabis abgesehen. Klar.
Ich stellte fest, dass sich viele Bereiche des Lebens änderten, wenn man nicht mehr ballerte. Es gab sowas wie einen Schlafrhythmus. Ich wurde zur richtigen Zeit müde und zur richtigen Zeit wach. Ich war aufmerksamer. Ich war schneller. Im Kopf und zu Fuß. Ich war unternehmungslustiger und spontaner. Montag und Dienstag wurden zu ganz normalen Tagen und die Vorfreude aufs Wochenende nahm ein vernünftiges Level an. Ich genoss diese Zeit, zumal ich wusste, dass sie auch wieder ein Ende finden würde. Das Ende dieser Zeit war jetzt. Jetzt war Retox. Ich wusste das. Die Prinzessin wusste das. Sie war es, die mir einen Detox und einen Retox erfolgreich vorgemacht hatte. Endlich hatte ich es geschafft, nachzuziehen. Wir hatten eine ganz eigene Geschichte und diese dauerte auch schon etwas länger an. Wir waren nie ein Paar gewesen und hatten nie miteinander geschlafen. Wir hatten uns nie geküsst. Wir hatten nie irgendeinen peinlichen Moment gehabt. Und trotzdem waren wir uns immer schon nah gewesen. Sicherlich aufgrund der vielen Zeit, die wir miteinander hatten. Aber mehr noch wegen der Art und Weise, wie wir beide miteinander kommunizierten, miteinander umgingen und immer darauf achteten, alles in unserem Verhältnis zueinander in Balance zu halten: Gutes, Schlechtes, Emotionales, Vertrautes, Sicherheit, sowas. Das funktionierte mal besser und mal schlechter....
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