Schweitzer Fachinformationen
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Helga Lehnhard war attraktiv. Sie trug ihre schwarz-braunen Haare hochgesteckt. Falls sie gefärbt waren, dann sehr gut, denn Dengler sah weder einen grauen Ansatz noch unregelmäßig verteilte Tönung. Sie trug schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und darüber eine Jacke aus Wolle mit schwarz-weißen Mustern, Rauten und Linien, Sonnen und Monden, die Dengler an indianische Ornamente erinnerten. Sie saß aufrecht vor Dengler, ihre Hände ruhten auf dem Schreibtisch. Eine gute Figur. Eindeutig. Dengler sah ihr in die Augen und unterdrückte das dringende Bedürfnis, auf ihren Busen zu starren. Aber auch die Augen waren bemerkenswert. Sie strahlten in einem hellen Blau, manchmal, das wusste Dengler, wenn Helga wütend war, konnten sie in ein stahlhartes Grau wechseln. Jetzt zeigten ihre Augen ein helles Grau, eingebettet in ein freundliches Netz von Lachfalten. Sie kannten sich nun seit zehn Jahren, und in dieser Zeit waren sie so etwas wie Freunde geworden. Helga war nicht nur die Hauseigentümerin, sie war die Managerin des Basta, des Lokals unten im Erdgeschoss. Sie war eine Freundin - aber auch Georgs Vermieterin. Leider saß sie nun in dieser Eigenschaft vor ihm.
»Wer braucht in Stuttgart schon einen Detektiv?«
»Viel zu wenige, ich weiß. Aber ich hab nichts anderes gelernt. Ich war Polizist. Zielfahnder. Helga, das ist das Einzige, was ich kann. Menschen jagen. Ich meine, das kann ich gut. Wirklich. Beim BKA .«
Sie seufzte. Er sah zur Urkunde an der Wand, die dort akkurat auf gleicher Höhe neben der blauen Marienstatue hing, sorgfältig gerahmt und hinter Glas. Eine Belobigung, unterschrieben vom BKA-Präsidenten persönlich.
Lange her.
Helga folgte seinem Blick und seufzte zum zweiten Mal.
»Es gibt hier ein großes Landeskriminalamt. Ein paar höhere Bullen essen ab und zu im Basta. Vielleicht könnten die dich dort brauchen. Wer braucht denn in Stuttgart einen Privatdetektiv?«
Und nach einer Weile: »Soll ich nicht mal mit denen reden?«
Dengler senkte den Blick. Nicht auf ihren Busen, sondern auf den Schreibtisch. Er ballte die Hand zu einer Faust.
»Ich meine, wie stellst du dir das vor? Du musst doch irgendwann einmal auf die Beine kommen. Finanziell, meine ich.«
Sie brauchten es nicht auszusprechen. Sie wussten, worüber sie eigentlich sprachen, auch wenn sie das Thema umschifften wie ein Segelschiff eine Klippe: Dengler schuldete ihr vier Monatsmieten; insgesamt 2960 Euro. Und das Schlimmste: Er hatte keine Ahnung, wie er sie bezahlen sollte. Zwar schuldete ihm ein Kunde 1800 Euro für die Überwachung seiner Ehefrau, die Rechnung hatte Dengler schon vor vier Wochen verschickt, aber seit Dengler herausgefunden hatte, dass die Frau dienstags nicht zu einem Liebhaber, sondern zu den regelmäßigen Treffen der Anonymen Alkoholiker ging, hatte der Mann keinerlei Eile gezeigt, das fällige Honorar zu überweisen. Aber selbst wenn der Kunde endlich zahlte, würde es nicht ausreichen, Helga die ausstehenden Mietschulden komplett zu bezahlen. Und der nächste Monatsanfang drohte.
Dengler hob die Hände. »Ich warte auf die Zahlung eines Kunden. Sobald sie eintrifft .«
»Ich will dir nicht auf die Nerven fallen.« Sie stand auf. »Aber ich mache mir Sorgen um dich. Wie soll das denn weitergehen? Außerdem muss ich das Dach reparieren lassen. Und spätestens dann .«
Dengler nickte.
Er fühlte den Schweißtropfen auf seiner Stirn, der langsam abwärtsglitt und einen Zwischenstopp an der Nasenwurzel einlegte. »Ich werde meinen Kunden anrufen. Ich bin kein guter Kaufmann, Rechnungen schreiben, Mahnungen hinterherschicken, all das bürokratische Zeug, weißt du .«
»So viele untreue Ehefrauen gibt's in Stuttgart gar nicht, dass du von ihnen leben kannst«, sagte Helga.
»Doch, die gibt es, aber leider nicht genügend eifersüchtige Ehemänner.«
In diesem Augenblick schrillte die Klingel.
Dengler, dankbar für die Unterbrechung, sprang auf, eilte zum Fenster und sah hinunter auf die Straße. »Der Briefträger«, sagte er. »Bin gleich wieder da.«
Er drückte den Türöffner und lief die Treppe hinunter zur Eingangstür. Der Postbote warf gerade einen weißen Umschlag in seinen Briefkasten, steckte die taz in den Briefkasten von Martin Klein, seinem Nachbarn, und verschwand sofort wieder. Dengler griff in den Schlitz und zog den Umschlag mit zwei Fingern heraus, stieg wieder die Treppe hinauf in sein Büro und legte ihn vor sich auf den Schreibtisch. Es war ein DIN-A4-Umschlag, die Adresse auf dem gleichen computergeschriebenen Etikett wie bei dem kleinen Paket gestern. Kein Absender. Keine besonderen Merkmale. Verschlossen mit einem durchsichtigen Klebeband. Niemand hatte den Verschluss also mit der Zunge abgeleckt. Der Absender war jemand, der DNS-Spuren vermeiden wollte. Er öffnete die Schublade und zog zum zweiten Mal die Latexhandschuhe an, nahm die Schere aus der Vase und ritzte vorsichtig den Umschlag auf.
»Machst du deine Post immer so auf?«, fragte Helga.
Dengler antwortete nicht. Er hob den Umschlag mit beiden Händen hoch und schüttelte ihn. Nichts. Er griff hinein - und zog ein Bündel Geldscheine heraus. 50-Euro-Noten mit Banderole.
»Oha! Die untreuen Ehemänner zahlen bar«, sagte Helga mit einer Spur Bewunderung in ihrer Stimme. »Wahrscheinlich sind deine Rechnungen beim Finanzamt nicht absetzbar.«
Dengler griff wieder in den Umschlag und zog zwei weitere Geldbündel heraus. Er legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Dann steckte er die Hand tief in den Umschlag, aber er war nun leer. Er hob den Umschlag hoch, sah hinein und schüttelte ihn; vergebens, keine Nachricht, keine Notiz, kein Brief, kein Computerstick, nichts. Helga sah ihm interessiert zu.
»Da will jemand sein Schwarzgeld loswerden«, sagte sie.
Dengler nahm aus der Schublade seines Schreibtisches ein Lineal und maß die Höhe der Stapel.
»Anderthalb Zentimeter«, sagte er.
»Ich würde die Scheine zählen. Halte ich für die exaktere Methode«, sagte Helga spöttisch.
Drei Stapel. Jeder mit einer Banderole. Neue Scheine. Er untersuchte den Umschlag noch einmal. Nichts. Nur die drei Bündel Geldscheine.
Offensichtlich jemand, der selbst keine Geldsorgen kannte. Jemand, der allerdings seine Geldsorgen kannte.
»Soll ich dir zählen helfen?«
Dengler sah Helga an. »Ich hab keine Ahnung, woher die Kohle kommt.«
»Zählen würde ich's trotzdem.«
Dengler befeuchtete den Handschuh vorne an der Kuppe des Zeigerfingers. »Eins, zwei, drei .«
»100«, sagte er nach einer Weile.
Helga: »5000 Euro.«
Dengler zog den zweiten Stapel zu sich.
»Muss eine tolle Frau sein. Dein eifersüchtiger Ehemann lässt sich das etwas kosten.«
Dengler wollte den Zählrhythmus nicht verlieren. »64, 65, 66, 67 .«, sagte er laut, und Helga schwieg.
Ausgeschlossen, dass der kleine Anwalt, dessen Frau er in den letzten Wochen jeden Dienstagabend überwacht hatte, ihm mehr Geld schickte, als die Rechnung betrug. Dr. Burger, so hieß der Mann, sprach aristokratisch klingendes Honoratiorenschwäbisch, und er feilschte mit ihm doppelt so lange um das Honorar, wie er mit ihm über den Verdacht gegen seine Frau gesprochen hatte. Der Mann klammerte sich an jeden Cent wie ein Schiffbrüchiger an die letzte Planke.
Von wem stammte das Geld also?
». 98, 99, 100.«
Helga: »Nochmals 5000 Euro. Ein Hoch aufs Fremdgehen.«
Dengler nahm sich den dritten Stapel vor: »Eins, zwei, drei, vier .«
Achte auf die kleinen Dinge, die kleinen Ungereimtheiten - das hatte ihn Dr. Schweikert gelehrt. Wie es ihm wohl ging? Er hatte seinen früheren Chef beim Bundeskriminalamt schon lange nicht mehr besucht. Schweikert hatte ihn gefördert. »Dengler, Sie sind mein Lieblingsschüler«, sagte er einmal. Auf diese Bemerkung war er stolz gewesen, sie bedeutete ihm mehr als die Urkunde an der Wand, auch wenn diese die Unterschrift des Präsidenten trug.
»Es sind die kleinen Dinge, die uns den großen Einblick geben.« Auch so ein Satz von Dr. Schweikert. »Aber die kleinen Dinge fallen am wenigsten auf.«
»37, 38, 39 .«
Wenn jemand mit der Post einen großen Geldbetrag nur in einem einfachen Umschlag verschickt, nicht als Wertbrief, nicht einmal als Einschreiben - was bedeutet das? Ein unerschütterliches Vertrauen in die Deutsche Post? Eher wohl, dass er im Notfall den Verlust einer solchen Summe verschmerzen kann. Dengler könnte ebenso gut den Betrag einstecken und, falls der Besitzer sich meldet, behaupten, er habe den Umschlag nie bekommen.
Ich hab noch viel mehr davon. Ich kann dir auch noch mehr davon schicken - das war die erste Botschaft dieser Sendung.
Neue Scheine, kein gebrauchtes, abgegriffenes Geld. Sauberes Geld. Auch das war eine Botschaft. Kein Drogengeld, nichts offensichtlich Kriminelles. Auch das eine Botschaft.
Der Absender schien aber zu wissen, dass diese drei Bündel Denglers drängende Probleme lösen würden. Für den Absender nicht viel Geld, für ihn ein Lottogewinn.
Ich kenne dich, ich kenne dich gut - die dritte Botschaft.
Ich werde dir ein Geschäft vorschlagen, dir einen Auftrag...
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