Schweitzer Fachinformationen
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Donnerstag
Kling-dong, kling-dong, kling-dong.
»Vaffanculo alle campane! Diese verfluchten Glocken!«
Morello zieht sich die Decke über den Kopf.
Es dauert ein paar Sekunden, bis er begreift, dass die Töne nicht von der Kirche, sondern von seinem Telefon kommen. Er streckt einen Arm unter der Decke hervor. Seine Hand tastet suchend nach dem Schalter der Nachttischlampe. Als er ihn nicht findet, lugt er unter dem Deckenzipfel hervor. Auf dem Nachttisch brummt und lärmt sein Handy und wirft bei jedem Ton einen kleinen blauen Lichtblitz in sein Schlafzimmer. Er zieht es mit geschlossenen Augen unter die Decke und drückt es an sein Ohr.
»Ja, bitte?«
»Commissario, sind Sie es? Hier ist Ferruccio Zolan, Ihr Stellvertreter. Sind Sie wach?«
»Jetzt schon .« Morello richtet sich auf und stützt sich zur Seite auf den freien Arm. »Was gibt's?«
»Wir haben eine Leiche. Eine Messerstecherei. Im Viertel Cannareggio, am Sotoportego Widmann.«
»Täter?«
»Der Täter ist entkommen. Die Spurensicherung ist alarmiert. Zu Ihnen ist ein Motoscafo unterwegs. Das Boot müsste in wenigen Minuten vor Ihrem Haus an der Brücke sein.«
»Ich komme. Bis gleich.«
Morello wirft die Decke zurück und springt aus dem Bett.
Der Jagdinstinkt treibt ihm Adrenalin durch die Adern.
Werde ein guter Polizist in Venedig. Einem guten Polizisten kann man einen Versetzungsantrag nicht abschlagen.
Als Morello die Holzbrücke am Fondamenta Quintavalle erreicht, ist es 4.30 Uhr. Das Polizeiboot schaukelt bereits am Kai. Blaulicht huscht über die Fassaden der umliegenden Häuser. Der Motor tuckert leise.
Hinter dem Steuerrad steht Alvaro Camozzo und grinst ihn an. Anders als am Tag zuvor wirkt der junge Polizist erstaunlich gut gelaunt. »Buongiorno, Commissario.«
»Buongiorno? Es ist mitten in der Nacht.«
Camozzo reicht ihm die Hand und hilft ihm über die Reling.
»Nehmen Sie das Tau und binden Sie sich fest, Commissario. Am besten am Gürtel. Das ist sicherer.«
»Ich bin schon auf einem Schiff gestanden, da wussten deine Eltern noch nicht, dass sie dich einmal wickeln würden. Fahr los.«
»Es kann Wellengang .«
»Fahr einfach los.«
Der Rumpf erzittert, der Motor brummt jetzt eine Oktave höher, dann legt das Polizeiboot ab. Links blitzt die Straßenbeleuchtung. Alvaro Camozzo steuert das Boot ruhig durch den Kanal in Richtung Lagune. Als sie San Pietro di Castello hinter sich lassen und Morello vor sich nur die undurchdringliche Schwärze der Lagune sieht, deutet Alvaro noch einmal auf den Haltegurt. Morello reagiert mit einer abwehrenden Handbewegung.
Da brüllt das Schnellboot auf und schießt nach vorne. Der Bug bäumt sich auf, Morello wird nach hinten geworfen und greift blitzschnell nach dem Tau.
»Ich hoffe, du siehst mehr als ich«, ruft er.
Alvaro lacht. »Vor drei Jahren habe ich ein Rennen gewonnen. In 55 Minuten eine komplette Runde um Venedig. Das ist Rekord bis heute.«
Morello deutet in die Nacht, die von der Lampe am Bug bestenfalls zwei Meter weit durchdrungen wird. »Aber du siehst doch gar nichts.«
»Ich bin Venezianer. Kenne jeden Kanal, jede Brücke und jede Calle. Vor allem kenne ich die Lagune. An manchen Stellen ist sie tief, an anderen reicht das Wasser nur knapp über den Sand. Dann gibt es kleine, winzige Sandinseln, die man im Dunkeln nicht sehen kann.«
»Ich hoffe, du kennst sie tatsächlich so gut, dass du ohne Sicht wie ein Irrer hier durchrasen kannst.«
»Es gab Zigarettenschmuggler in Venedig. Vor ein paar Jahren. Waren auch Venezianer. Kannten die Lagune wie die eigene Hosentasche.«
»Und?«
»Polizeiboote hatten Unfälle, weil sie auf die Sandinseln krachten. Die Schmuggler dagegen kannten sich aus. Hatten nie Unfälle.«
»Zigarettenschmuggel gibt es heute nicht mehr. Ich kenne die Lagune besser.«
»Du hast die Schmuggler vertrieben? Ganz allein?«
»Die Polizei hat eingesehen, dass Schnellboote nur von Venezianern gesteuert werden sollten, die die Lagune kennen. Und ich bin der Beste.«
Am Ufer sehen sie nun Scheinwerfer und Blaulicht. Ein Ambulanzboot liegt blinkend längsseits. Alvaro manövriert das Schnellboot geschickt an den Kai. Morello springt ans Ufer.
Anna Klotze kommt ihm entgegen. »Das Opfer ist ein junger Mann, Mitte zwanzig. Er wurde erstochen. Hoher Blutverlust. Der Tatort sieht nicht schön aus. Vermutlich zehn oder noch mehr heftige Stiche.«
»Ausweisdokumente?«
Anna schüttelt der Kopf. »Nein, aber wir wissen, wer es ist. Der Junge heißt Francesco Grittieri, 27 Jahre alt. Seine Eltern sind in Venedig sehr bekannt. Die Grittieris sind eine sehr reiche und einflussreiche Familie. Angeblich haben sie sogar einen Dogen im Stammbaum. Es riecht nach Ärger.«
»Tatort abgesperrt?«
»Selbstverständlich.«
»Tatwaffe?«
»Wurde bisher nicht gefunden.«
Morellos Blick schweift an den umliegenden Häusern entlang. Das Blaulicht hat einige Nachbarn geweckt. Fenster sind hell erleuchtet. Männer in Unterhemden und Frauen in Nachthemden schauen aus den Fenstern auf den Tatort herab.
»Zeugen? Hat jemand etwas Brauchbares gesehen? Oder gehört?«
»Mario und ein Streifenbeamter gehen gerade von Tür zu Tür.«
»Lass uns zur Leiche gehen.«
Der Tote liegt unter einem langen weißen Tuch. Ferruccio Zolan steht daneben und spricht mit einem Kollegen der Spurensicherung. Morello grüßt ihn mit einem Kopfnicken, das gleichzeitig eine Aufforderung ist. Zolan bückt sich und zieht das Tuch zurück. Dann schaut er zu Morello, um zu sehen, welche Reaktion der neue Kommissar zeigt.
Der Brustkorb ist von mehreren Stichen verwüstet. Das Hemd des Mannes ist vollständig mit Blut getränkt, sodass die einzelnen Stiche nur schwer erkennbar sind.
Die Augen des Toten sind weit aufgerissen. Auf seinem Gesicht spiegelt sich noch immer maßloses Entsetzen.
»Der Mörder muss außer sich gewesen sein«, sagt Zolan. »Wie besessen hat er auf den Jungen eingestochen.«
»Mord aus Leidenschaft?«
»Sieht so aus. Das würde dafür sprechen, dass der Mörder den Toten gekannt und gehasst hat.«
»Spuren von Gegenwehr unter den Fingernägeln?«, fragt Morello.
»Nichts davon«, sagt der Kollege der Spurensicherung. »Aber ganz genau .«
». wissen wir's erst nach der Obduktion«, vervollständigt Morello den Satz.
Er geht neben der Leiche in die Hocke. Nachdenklich betrachtet er den zerfleischten Oberkörper und versucht herauszufinden, wie oft zugestochen wurde und wie tief die Verletzungen sind. Dann sieht er wieder zu dem verzerrten Gesicht des Toten, das umrahmt ist von blonden Locken.
»Ich kenne diesen Mann«, sagt er.
»Francesco Grittieri«, sagt Morello nachdenklich. »Er stand wie ein jugendlicher Held auf der Piazza San Marco mit einem Megafon in der Hand und dirigierte eine Gruppe junger Leute. Studenti . oder so ähnlich, die >No grandi navi< riefen. Was ist das für eine Gruppe?«
Morellos Ermittlertruppe ist vollständig um den großen Tisch im Besprechungszimmer versammelt.
»Ein Studentenkomitee. Sie nennen sich Studenti contro navi da crociera - Studenten gegen Kreuzfahrtschiffe«, antwortet Anna Klotze. »Es gibt mehrere Gruppen in Venedig. Sie kämpfen dafür, dass die riesigen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr durch die Lagune fahren dürfen. Eine der aktivsten ist dieses Komitee.«
»Hoffentlich haben sie bald Erfolg«, sagt Alvaro Camozzo.
»Du redest mal wieder großen Mist«, wirft Mario Rogello ein. Seine Stimme klingt wütend. »Die Leute leben von den Touristen. Da hängen Arbeitsplätze dran, Existenzen, Familien, Kinder.«
»Sie könnten genauso gut eine andere Strecke zum Hafen fahren. Aber nein, die Herrschaften wollen von oben auf die Stadt gucken.«
»Blödsinn«, schnaubt Rogello.
»Mario, deine Tasse ist leer. Möchtest du noch einen Espresso?«, fragt Viola Cilieni.
Mario schaut sie irritiert an und grinst dann. »Schätzchen, endlich taust du auf. Ja, dein großer Bewunderer Mario hätte gerne noch einen Kaffee in dieser wunderschönen Tasse.«
Als er seinen Becher hochhält, sieht Morello, dass darauf eine nackte Frau abgebildet ist. Ihre übergroßen Brüste ragen aus dem Porzellan, genau an der Stelle, an der Marios Daumen liegt. Mit spitzen Fingern greift Viola nach dem Becher, steht auf und geht an das Kopfende des Besprechungsraumes, wo die Kaffeemaschine auf einem kleinen Tisch steht. Bevor sie den Tisch erreicht, fällt ihr der Becher aus der Hand. Er zerspringt auf dem Fußboden in tausend Teile.
»Hoppla«, sagt Viola. »Die schöne Tasse! Jetzt ist sie futsch.«
Mario springt auf. »Das war Absicht. Blöde Kuh. Meine Tasse .«
»Setz dich wieder hin. Wir führen hier eine Mordermittlung«, sagt Morello.
»Deine blöde Tasse ist eine sexuelle Belästigung«, faucht Anna Klotze. »Ständig müssen wir diesen Mist sehen.«
Mario fährt herum. »Was dir fehlt, ist eine echte sexuelle Belästigung. Damit du auch ein bisschen Spaß hast, solltest du richtig .«
»Basta!«, ruft Morello.
Viola stellt eine normale, weiße Tasse mit dampfendem Kaffee vor Mario auf den Tisch. »Hier bitte, Schätzchen«, sagt sie lächelnd. Dann weist sie mit dem Daumen auf die Scherben. »Die darfst du nach der Besprechung...
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