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Seit dem Gespräch mit dem BKA-Präsidenten fiel ihr das morgendliche Aufstehen leichter. Sie war fröhlicher. Sie begrüßte den Fahrer mit Handschlag, statt sich mit einem Stapel Akten mürrisch in den Fond zu werfen. Die Beamten an der Pforte des Ministeriums, die sich beim Eintreffen von Minister und Staatssekretären zu erheben haben, bat sie, dies bei ihr nicht mehr zu tun.
Die Männer, zwei davon kurz vor der Altersgrenze zur Pension, dankten ihr mit einem freundlichen Blick.
Sie hatte etwas in Bewegung gesetzt.
Jeden Montagmorgen traf sich der Minister mit den beiden parlamentarischen und den zwei beamteten Staatssekretären im 4. Stock zur Leitungsrunde. Die Leiterin des Ministerbüros trug die Termine vor, und dann wurde entschieden, wer zu welchem Termin ging.
Die Entscheidung fiel meistens nach demselben Muster: Wie hoch war die öffentliche Wirkung? Hoch? Dann ging der Minister selbst. Weniger hoch? Dann war sie an der Reihe.
Wie wichtig ist der Verband? Wichtig? Auch dann nahm der Minister den Termin wahr, bei weniger wichtigen Verbänden war es ihr Auftritt. Sie hatte in den letzten drei Jahren Hunderte von weniger wichtigen Verbänden kennengelernt.
Routine. Endlose Routine.
War Sitzungswoche, tagte dienstagmorgens die Arbeitsgruppe Innenpolitik der Unionsfraktionen, anschließend die Koalitionsrunde mit den Kollegen der SPD. Mittwochs tagte der Innenausschuss, bei dem sie den Abgeordneten Rede und Antwort zu stehen hatte. Und einmal in der Woche traf sich die Runde der Parlamentarischen Staatssekretäre aller Ministerien im Kanzleramt.
Dazu kamen all die Akten, Akten, Akten, die sie mit lila Tinte abzeichnen musste. Unmöglich, sich jeden Vorgang zu merken.
Jeden Morgen erhielt sie den Bericht aus dem Lagezentrum zur Inneren Sicherheit. Immer wieder einmal brannte ein Auto in Berlin, vor allem aber listete der Bericht die Schlägereien, die Körperverletzungen, die versuchten Morde der Neonazis auf.
Kühl und sachlich.
An diesem Montagmorgen sagte der Minister, dass sie ihn bei der »Großen Lage« vertreten müsse. Er habe einen Wahlkampfauftritt.
Sie mochte diese Besprechung nicht. Mehrmals war sie da gewesen. Großer Auftritt von Huber, dem beamteten Staatssekretär, der grauen Eminenz des Ministeriums, wie ihn die Presse nannte.
Es geht nicht anders, sagte der Minister, der ihre Abneigung kannte.
Sie braute sich einen grünen Tee zur Stärkung. Danach ging es besser. Sie wird sich doch nicht von einem nicht gewählten Beamten einschüchtern lassen.
So fand sie sich am nächsten Tag um neun Uhr in dem fensterlosen, abhörsicheren Raum des Lagezentrums ein, wo die Sitzung immer stattfand.
Sie mochte Huber nicht - den schmallippigen Franken, der im Gegensatz zu den anderen Bewohnern dieses Landstriches völlig ohne Humor war. Früher war er Abteilungsleiter der einflussreichen Abteilung ÖS (Öffentliche Sicherheit) gewesen, bevor er ins Kanzleramt, dann zum BND und nun zurück ins Ministerium wechselte. Alles an ihm wirkte zugeknöpft und hochgeschlossen. Er war lang und dünn, trug stets graue Anzüge. Seine Augen erinnerten Charlotte an einen Habicht, wahrscheinlich hatten sie noch nie Mitgefühl ausgedrückt oder Anteilnahme. Man konnte es sich jedenfalls nicht vorstellen. Ihre Sekretärin hatte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass die weiblichen Angestellten es vermieden, mit Dr. Huber zusammen den Aufzug zu benutzen. Und sie hätten Gründe, sagte sie, denn ihr sei es auch einmal passiert, und dann lachte sie bitter: Huber sei ein widerlicher Tittengrapscher.
Sein engster Vertrauter war der jetzige Abteilungsleiter ÖS, Ministerialdirigent Dr. Schönleber, den Charlotte schon allein wegen seines übertriebenen Parfümgebrauchs abstoßend fand.
Beide, Huber und Schönleber, hatten sich einen Ruf als harte Hunde erarbeitet, beide wirkten auf Charlotte wie von einer ihr unbekannten Energie getrieben, keiner guten Energie. Etwas Böses ging von ihnen aus, aber Charlotte verstand nie genau, was der eigentliche Grund ihrer Humorlosigkeit und Kälte war. Sie hoffte nur, dass sie die beiden niemals zum Feind haben würde.
Dr. Huber erhob sich: »Die jetzige wirtschaftliche Krise, Frau Kollegin, meine Herren, wird einerseits als historisch verzeichnet, andererseits wird sie in der öffentlichen Darstellung der Bundesregierung weiterhin als bloße zyklische Krise dargestellt, die schon bald, etwa im Laufe des Jahres 2010 oder spätestens 2011, wieder überwunden sein wird. Diese Darstellung ist verständlich, weil auf einem anderen Wege die erheblichen finanziellen Mittel für die staatlichen Konjunkturprogramme nicht begründet werden könnten.
Sehr viel wahrscheinlicher - auf jeden Fall möglich - ist jedoch, dass die Kettenreaktionen der Weltwirtschaftskrise nicht vor einem Stillstand stehen, sondern gerade erst begonnen haben. Wir wissen nicht, wann die Blase der amerikanisch-asiatischen Defizitwirtschaft platzt und welche Folgen sie für die Weltwirtschaft haben wird. Das Bundesministerium für Finanzen erwägt eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf etwa 25 Prozent einige Monate nach den nächsten Bundestagswahlen. Dies wird erheblichen öffentlichen Protest hervorrufen, und die linken Agitatoren werden behaupten, dass die Folgen der Bankenkrise nun direkt vom kleinen Mann bezahlt werden müssen. Wir rechnen außerdem im Gefolge der Krise mit einem weiteren drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, und wir wissen, dass dieser Anstieg von den sozialen Netzen nicht mehr aufgefangen wird. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitet bereits an Plänen für eine soziale Notstandsverwaltung, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellen wird.«
Charlotte war nicht klar, auf was das Ganze hinauslaufen sollte. Aber sie mochte den Ton in Hubers Stimme nicht, der jetzt noch schärfer wurde.
»Wie wird in einem solchen Szenario die öffentliche Ordnung beibehalten? Das ist die Frage, die sich unserem Ministerium stellt. Welche Gefahren gehen von einer Lazarusschicht aus, die mit öffentlichen Suppenküchen vor dem Verhungern gerettet wird? Welche Einsatzkräfte brauchen wir, um diese Schicht in Schach zu halten? Ferner: Wie wird sich die Mittelschicht verhalten, die jetzt noch mit einigen Ersparnissen oder Erbschaften hofft, durchzukommen. Die Erfahrung lehrt, dass aus dieser Schicht die neuen Anführer einer möglichen Revolte hervorgehen. Deshalb ist die Überwachung der E-Mail- sowie der gesamten Internet-Kommunikation so wichtig. In der nächsten Legislaturperiode müssen wir an diesen Punkt größere Fortschritte machen.
Wir alle, Sie und ich, wir alle hoffen, dass es nicht zum Äußersten kommt. Aber damit es nicht dazu kommt, müssen wir mit unseren Planungen auf den äußersten Fall vorbereitet sein.
Sehen Sie: Wir haben bereits jetzt, im Mai 2009, so viel Streiktage wie im ganzen Jahr 2008 zusammengenommen, nämlich über 420 000. Im letzten Jahr aber waren bereits mehr Personen in Streiks verwickelt als im Katastrophenjahr 1968. Neu und besorgniserregend sind zwei weitere Umstände: Es sind die Belegschaften großer Firmen betroffen, aber auch Sektoren, die noch nie in Arbeitskämpfe einbezogen waren und eigentlich als immunisiert galten. Als Beispiel lassen Sie mich anführen, dass in diesem Augenblick, während wir uns hier über die Innere Sicherheit unseres Landes beraten, 150 000 Erzieherinnen streiken.«
Er schaute empört in die Runde.
»Erzieherinnen«, rief er, »Erzieherinnen, von denen man doch bisher angenommen hat, dass ihnen die anvertrauten Kinder wichtiger seien als irgendwelcher Tariffirlefanz.«
Dann rasselte er die neusten Daten herunter: Opel, Porsche .
Charlotte meldete sich.
»Herr Kollege, halten Sie Ihre Sorge nicht für übertrieben? Porsche liegt ja nun in der Nähe meines Wahlkreises. Die Arbeiter fordern eine Kapitalerhöhung durch die Eigentümerfamilien. Braver und harmloser geht es nun wirklich nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Kindermädchen eine Gefahr für die Innere Sicherheit .«
»Es ist genau diese Verharmlosung, entschuldigen Sie dieses Wort, Frau Kollegin, vor der ich seit Jahren warne. Wenn erst einmal Unruhe da ist, kann sich der Inhalt schnell ändern. Die französischen Belegschaften sperren ihre Chefs ein und lassen sie nicht eher laufen, bis ihre Bedingungen erfüllt sind. Neuerdings drohen sie mit der Sprengung von Fabriken, wenn Entlassungen nicht rückgängig gemacht werden. Der Funke kann auch nach Deutschland überspringen, und dann haben wir eine revolutionäre Situation. Da war 68 nichts dagegen. 1968 waren es nur ein paar tausend Studenten. Und was haben die nicht alles angestellt. Wenn ein neues 68 aus der Mitte der Gesellschaft droht, muss der Staat gerüstet sein, muss die Polizei gerüstet sein, müssen die Institutionen gerüstet sein. Diesmal wird es kein Spaziergang werden wie damals. Das Thema Einsatz der Bundeswehr im Inneren muss .«
»Entschuldigen Sie, Herr Kollege, wenn ich Sie unterbreche, ich habe Informationen aus dem BKA, dass derzeit alle 26 Minuten eine rechtsradikale Straftat verübt wird. Alle 26 Minuten! Ist dies nicht eine größere Herausforderung für die öffentliche Sicherheit als - Erzieherinnen?«
Schönleber wandte sich Charlotte zu und zog dabei eine Parfümwolke hinter sich her, die ihren...
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