Schweitzer Fachinformationen
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Am nächsten Morgen rief er Sarah Singer an. Ihr Mann war nicht aufgetaucht. Sie hatte kein Lebenszeichen von ihm erhalten, keinen Anruf, keinen Brief, keine E-Mail, nichts.
Dengler fragte sie nach den Adressen der nächsten Verwandten.
»Abgeklappert habe ich alle. Gemeldet hat er sich da auch nicht.«
»Sagen Sie mir die Adressen trotzdem. Mit Telefonnummern.«
»Muss das sein?«
»Wenn ich meine Arbeit richtig machen soll, dann schon.«
»Sehen Sie .« Sie zögerte.
»Sehen Sie«, wiederholte sie nun lebhafter. »Wir sind doch ein Team. Sie und ich. Ich suche ihn in meiner Verwandtschaft. Sie .«
Sie zögerte erneut.
»Bei dem Rest suchen Sie.«
Dengler schwieg. Er stellte sich vor, wie sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr.
»Es ist so: Beide Eltern haben unsere Ehe nicht unterstützt. Ein riesiges Getratsche wird es geben, wenn sich herumspricht, dass er . dass er mir weggelaufen ist. Wenn ich nur an meine Mutter denke! Einen Bundeswehrling hat sie ihn immer genannt.«
»Freunde?«
»Bitte?«
»Hatte Ihr Mann Freunde?«
Sie schwieg einen Augenblick.
»Eigentlich nicht.«
»Ihr Mann hatte keine Freunde?«
»Vielleicht hat er welche. Wenn es sie gibt, kenne ich sie nicht. Nach Hause hat er nie jemanden gebracht. Doch, warten Sie, einen Kameraden habe ich einmal kennengelernt. Den Namen, an den kann ich mich nicht erinnern. Wenn er mir einfällt, rufe ich Sie an.«
»Gut. Wie lang waren, äh, sind Sie verheiratet?«
»Vier Jahre. Warum fragen Sie?«
»Ich muss mir ein Bild von Ihrem Mann machen. Und Ihre Ehe gehört nun mal dazu.«
»Verstehe.«
Sie schwiegen beide, und Dengler kam es vor, als würde sie die vier Jahre ihrer Ehe rekapitulieren.
»Sie meinen«, sagte sie und holte einmal tief Luft, »ob wir noch Sex hatten.«
»Zum Beispiel.«
Plötzlich wusste er nicht mehr, ob er die Antwort hören wollte. Rasch wechselte er das Thema: »Außerdem brauche ich weitere Fotos von Ihrem Mann. Ich muss wissen, wie seine Dienststelle heißt. Ich würde mir auch gerne mal seine persönlichen Sachen ansehen.«
»Gut, dann kommen Sie doch vorbei. Meine Adresse haben Sie ja. Mir passt es am besten vormittags, wenn die Kinder in der Schule sind, oder abends ab neun, wenn sie schlafen.«
»Ich komme heute Abend«, sagte er und legte auf.
Dengler fuhr den Rechner hoch. Er startete das Programm, das Singers Handy orten konnte. Noch vor wenigen Monaten verfügten nur die Polizei und die Geheimdienste über solche Programme, doch nun boten zahlreiche Firmen im Internet ihre Dienste an. Eifersüchtige Frauen konnten feststellen lassen, wo sich ihre Männer gerade befanden, und besorgte Eltern konnten überprüfen, ob die Tochter tatsächlich bei der besten Freundin übernachtete oder doch auf der verbotenen Party feierte.
Er gab Singers Telefonnummer ein und wartete. Nach zwei Minuten kam die Antwort. Singers Handy war nicht eingeschaltet. Der letzte erfasste Standort war Hamburg in unmittelbarer Nähe des Bundeswehrlazaretts - an dem Tag, als Florian Singer von dort geflohen war.
Was bedeutete das? Wenn Singer nicht ermordet oder entführt worden war: Warum hatte er seit seiner Flucht das Handy nicht mehr benutzt? Aus Sicherheitsgründen? Weil er sich ein neues besorgt hatte? Oder hatte Singer den Chip des Telefons ersetzt? Dann sah das nicht mehr nach einer spontanen Flucht aus, sondern so, als habe er geplant zu verschwinden. Professionell geplant zu verschwinden.
Er schickte eine E-Mail an Singers Adresse von einem Account, den er für solche Fälle unter einem anderen Namen unterhielt: »Ich habe Sie neulich gesehen und würde Sie gerne treffen. Bitte antworten Sie mir.« Drei Minuten wartete er auf eine Fehlermeldung. Als keine eintraf, wusste er, dass die Adresse nicht gelöscht war. Immerhin ein Ansatzpunkt.
Den weiteren Vormittag verbrachte Georg Dengler mit dem Abschlussbericht über eine Versicherungsbetrugssache, an der er seit vier Monaten arbeitete. Kurz nach elf erreichte ihn eine SMS von Olga. Ihr gehe es gut, schrieb sie, in zwei Tagen sei sie wieder zurück. Denglers Stimmung stieg, und als der Drucker die Rechnung an die Versicherungsgesellschaft ausspuckte, war sie perfekt.
Nicht ausgesorgt, aber für ein paar Monate würde ihn das Geld über Wasser halten.
Er ging hinunter ins Basta. Der kahlköpfige Kellner saß mit einer Frau an dem großen Tisch vor der Wand, hielt leicht den Kopf geneigt und hörte ihr zu. Martin Klein saß an seinem Stammplatz am Fenster. Dengler setzte sich zu ihm. Kurz danach brachte der Kellner ihm einen doppelten Espresso und stellte ein Kännchen mit warmer Milch daneben. Dengler dankte ihm mit einem Kopfnicken.
»Bist auch so ein Gewohnheitstier«, brummte Klein vor sich hin und deutete auf Denglers Kaffee. »Nimmst immer das Gleiche.«
Dengler lachte. Klein hatte recht. Wenn ihm etwas gefiel, blieb er dabei. Er trank gern einen doppelten Espresso, den er mit Milch verdünnte. Und abends trank er gern einen Grauen Burgunder, am liebsten vom Kaiserstuhl, oder, falls er Lust auf Rotwein hatte, einen Brunello. Wenn er es sich richtig überlegte, hatte er ein ganzes System von Vorlieben. In der Markthalle kaufte er zum Beispiel immer den gleichen Käse, einen .
In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Es war Mario.
»Hast du die Zeitungen heute schon gelesen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Mario fort: »Die Brandleichen! Das soll ein terroristischer Anschlag gewesen sein. Vermutet man jedenfalls.«
»Auf zwei Angestellte des Liegenschaftsamtes?«
»Ich glaub das ja auch nicht. Ich denke, es war die Regierung.«
Dengler konnte Mario nicht folgen und schwieg.
»Überleg doch mal«, sagte Mario, »nur die Regierung konnte die Leichen ungesehen wieder in den Keller bringen, vielleicht durch einen geheimen Gang vom Rathaus aus. Das steht doch direkt am Marktplatz. Sie wollen uns in Panik versetzen, wahrscheinlich planen sie einen neuen Krieg.«
Mario liebte Verschwörungstheorien. Jede Woche entwarf er eine, verwarf sie gleich wieder, um in der folgenden Woche bereits eine neue, noch abstrusere zu präsentieren. Dengler hatte dafür absolut keinen Sinn.
»Mario, ich hab keine Zeit. Ich muss los. Muss mir einen Wagen mieten.«
»Überleg doch mal, Georg, die wollen, dass wir an eine terroristische Verschwörung glauben. In Wirklichkeit waren die das selber.«
»Mario, ich muss jetzt wirklich .«
»Verstehst du den Zusammenhang nicht?«
»Doch, Mario, aber ich muss einen Leihwagen .«
Dengler trennte das Gespräch.
Manchmal war ihm nicht klar, was ihn mit Mario verband. Dann schien es ihm, als sei sein Freund das genaue Gegenteil von ihm. Er fand Marios Art unerträglich, eine spontane Idee völlig ernsthaft zu verfolgen und sie dann leichtfertig, als habe sie ihm nie etwas gegolten, wieder zu verwerfen. Das Leichte, Unbewusste und manchmal auch das Dunkle an Mario irritierte Dengler, seit sie Kinder gewesen waren. Ihm dagegen galt jeder Gedanke etwas. Dengler grübelte oft, und ihm fiel das Denken nicht leicht. Es war eher ein schwerer Weg, ein Weg, den er sich mit einer Machete durch dichtes Unterholz bahnen musste. Und nie wäre er auf die Idee gekommen, die Ergebnisse einer solchen Arbeit einfach zu verwerfen.
Und trotzdem. Wenn ihn jemand gefragt hätte, wer sein bester Freund sei, so hätte er Marios Namen ohne zu zögern genannt.
»Du willst dir einen Leihwagen nehmen?«, fragte Klein.
»Ja, ich muss heute zu einer Klientin in den Schwarzwald fahren.«
»Und warum wirst du nicht endlich Mitglied bei Carsharing?«
»Bei was?«
»Bei Stadtmobil. Carsharing. Schau her: Wenn du ein Auto brauchst, rufst du an. Und an fast jeder Straßenecke steht eines, das du als Mitglied benutzen kannst. Du steigst ein. Fertig. Kostet wenig.«
Dengler seufzte: »Mario hat einen Tick mit seinen Verschwörungstheorien. Du hast einen Ökotick. Der einzig Normale von uns dreien bin ich.«
»Ach was«, sagte Martin Klein und suchte sein Handy in der Hosentasche seiner schwarzen Cordhose. Er wählte.
»Ich brauche einen Wagen für zwei Stunden«, sagte er.
Dengler trank seinen Kaffee aus.
»Komm mit. Ich zeig dir was«, sagte Klein, als er das Gespräch beendet hatte.
Er stand auf. Dengler blieb sitzen. Klein fasste ihn am Arm.
»Komm, Georg, es lohnt sich.«
Klein verließ das Lokal und ging mit ihm die wenigen Schritte zum Olgaeck hinüber. Er überquerte die Charlottenstraße und bog in eine schmale Seitenstraße ein. Nach wenigen Minuten kamen sie an einen größeren Parkplatz. An der Eingangssäule hing ein kleiner brauner Metallkasten, der mit einem kleinen Sichtfenster und einer Zahlentastatur versehen war. Klein hielt eine Karte, die Dengler an eine EC-Karte erinnerte, auf das Fenster und gab dann über die Tastatur einen vierstelligen Code ein. Die Tür des Tresors öffnete sich, und Dengler sah zu seinem Erstaunen darin einige Autoschlüssel hängen. Unter einem leuchtete eine kleine grüne Diode. Klein nahm diesen Schlüssel und ging auf einen der dort parkenden Wagen zu,...
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