Schweitzer Fachinformationen
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Theresa Wied, Julia Haberstroh und Johannes Pantel
Wie kann die anspruchsvolle Forderung der UN-BRK, Menschen in der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu unterstützen, in der Versorgung von Menschen mit Demenz umgesetzt werden? Welchen Beitrag können Ärztinnen, Pflegende, Angehörige, Betreuerinnen und andere mögliche Entscheidungsassistentinnen zu einer Balance zwischen Autonomie und Fürsorge leisten?
Im ersten Kapitel wurde dargelegt, dass Einwilligungsfähigkeit ein dichotomes Konzept ist: eine Person ist einwilligungsfähig oder sie ist nicht einwilligungsfähig. Im Gegensatz zur Einwilligungsfähigkeit einer Person kann die Entscheidungsfähigkeit einer Person jedoch in kontinuierlichen Abstufungen vorliegen. Das Ziel der Anwendung von Entscheidungsassistenz ist die Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit einer Person. Im besten Fall kann durch die Anwendung von Entscheidungsassistenz Einwilligungsfähigkeit erreicht werden - das heißt, die Person wird zu einer selbstbestimmten Entscheidung befähigt (Empowerment).
Wie in ? Kapitel 1 dargelegt, können sowohl der Person innewohnende Faktoren (z.?B. abnehmende kognitive Fähigkeiten, Angst) als auch äußere Faktoren (z.?B. Zeitdruck, Störgeräusche) die Einwilligungsfähigkeit einer Person zum Zeitpunkt der Entscheidung einschränken.
Bei der Anwendung von Entscheidungsassistenz wird empfohlen, sowohl die inneren als auch die äußeren Faktoren, die eine Person mit Demenz in der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts einschränken können, zu berücksichtigen.
Außerdem wurde in Kapitel 1 dargelegt, dass allein der Einsatz von Entscheidungsassistenz nicht gewährleisten kann, dass Einwilligungsfähigkeit hergestellt wird.
Es wird empfohlen, Entscheidungsassistenz mit der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zu verknüpfen, um zu prüfen, ob die gegebene Assistenz ausreichend war, um eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.
Oft missverstanden wird hierbei die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit als Maßnahme, um eine stellvertretende Entscheidung zu rechtfertigen und Einwilligungsfähigkeit abzusprechen. Wichtig ist zu verstehen, dass mit der Beurteilung im Grunde genommen nicht die Fähigkeit der Person in Frage gestellt wird, sondern die Adäquatheit und der Erfolg der bislang eingesetzten Maßnahmen der Entscheidungsassistenz. Sollten die bislang eingesetzten Maßnahmen der Entscheidungsassistenz noch nicht ausreichen, um eine Person zur selbstbestimmten Entscheidung zu befähigen, sollten weitere oder alternative verfügbare Maßnahmen der Entscheidungsassistenz herangezogen werden. Inwiefern die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Hinweise auf erfolgsversprechende Entscheidungsassistenz liefern kann, soll im Folgenden dargelegt werden.
Abb. 2.1:Prozess der Entscheidungsassistenz
Wie soll Entscheidungsassistenz nun konkret umgesetzt werden? Wir schlagen vor, zunächst einen allgemeinen, Ressourcen-aktivierenden bzw. Ressourcen-schonenden Rahmen herzustellen (Kontextgestaltung), in dem Entscheidungsassistenz für Menschen mit Demenz möglich wird. Nächster Schritt ist, dass ermittelt wird, was genau beeinträchtigt ist: Scheitert die selbstbestimmte Entscheidung am Informationsverständnis, an der Einsichtsfähigkeit, am Urteilsvermögen und/oder an der Kommunikation der Entscheidung? Darauf aufbauend wird die Entscheidungsassistenz passend zum Bedarf des individuellen Menschen mit Demenz geplant. Die Entscheidungsassistenz wird im Rahmen der Aufklärung umgesetzt. Parallel wird die Einwilligungsfähigkeit und die Assistenz beurteilt: Sind die ergriffenen Maßnahmen der Entscheidungsassistenz ausreichend, um Einwilligungsfähigkeit herzustellen? (? Abb. 2.1)
Für die Gestaltung eines Ressourcen-aktivierenden bzw. Ressourcen-schonenden Rahmens können zwei Maßnahmen umgesetzt werden. Was das genau heißt und wie die Maßnahmen umgesetzt werden, wird im Folgenden dargelegt.
Abb. 2.2:Personenzentrierte Haltung des Entscheidungsassistentinnen? So geht das.
Forschungsergebnisse sowie Erfahrung aus der praktischen Arbeit mit Menschen mit Demenz zeigen, dass Menschen mit Demenz in Entscheidungssituationen ein starkes Bedürfnis nach Einbeziehung, Gleichberechtigung und Wertschätzung durch die in den Entscheidungsprozess involvierten Personen haben; eine personenzentrierte Haltung wird jedoch von Fachkräften im Gesundheitswesen nicht immer selbstverständlich praktiziert (DNQP 2019). Da eine solche Haltung kontinuierlich ins Bewusstsein gerufen und insbesondere in Kontexten der informierten Einwilligung eingeübt werden muss, werden in ? Abb. 2.2 konkrete Hinweise zur praktischen Umsetzung gegeben. Für die Anwendung von Entscheidungsassistenz, aber auch für jede andere Art der Interaktion mit Menschen mit Demenz, wird eine personenzentrierte Haltung vorausgesetzt (Wied 2021).
Bei der Umsetzung der Hinweise zur personenzentrierten Haltung sollten kulturelle Gegebenheiten berücksichtigt werden und die Hinweise gegebenenfalls an andere kulturelle Gegebenheiten angepasst werden (DNQP 2019; Wied 2021).
Ablenkende Reize, wie z.?B. Hintergrundgeräusche, sollten im Rahmen der informierten Einwilligung vermieden werden (DGGG et al. 2020). Studien zu Entscheidungsprozessen und Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Demenz stellen beispielsweise unter dem Synonym »keeping it simple« dar, wie das Entscheidungsumfeld aufgeräumt und ablenkungsfrei gestaltet wird (Wied 2020). So werden z.?B. unrelevante Gegenstände weggeräumt und laute und störende Faktoren in der Umgebung vermieden. Hierzu gehören unter anderem auch zu viele anwesende Personen (DGGG et al. 2020) (?Abb. 2.3).
Abb. 2.3:Ambiente und Raumgestaltung? So geht das.
Bei der Entscheidungsassistenz für Menschen mit Demenz gilt nicht: »Viel hilft viel,« sondern: »Ökonomisch assistieren, Schritt für Schritt«. Zu viele Entscheidungsassistenz-Elemente können auch zu Überforderung führen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, ein Mensch mit Demenz bekommt eine Stichwortliste vorgelegt, zusätzlich eine Visualisierung und neben ihm sitzt der vertrauensvolle Angehörige, der die Aufklärung des Arztes zu übersetzen versucht. Die gut gemeinte Entscheidungsassistenz kann so im individuellen Fall auch zu einer Reizüberflutung führen. Daher sollte man sich zunächst die Frage stellen: Was ist eigentlich beeinträchtigt? Diese Frage lässt sich am zuverlässigsten mit den in ? Kapitel 4 und in Teil II vorgestellten Erhebungsinstrumenten zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit beantworten. Diese sind im klinischen Alltag aber oft zu zeitaufwendig. Zu dieser frühen Stufe der Entscheidungsassistenzplanung kann es daher schon ausreichend sein, durch einfache Fragen eine Idee davon zu bekommen, was beeinträchtigt ist und worin die Person mit Demenz Unterstützung braucht (? Tab. 2.1).
Tab. 2.1:Screening der Einwilligungsfähigkeit
Fähigkeit
Behandlung
Forschung
Informationsverständnis
Können Sie in eigenen Worten wiederholen, was ich Ihnen gerade erklärt habe?
Einsicht
Stimmen Sie der dargestellten Diagnose zu?
Wie beurteilen Sie aktuell Ihren Gesundheitszustand?
Welchen Nutzen hat die Behandlung?
Glauben Sie, dass Sie vor allem für Ihren persönlichen Nutzen zur Teilnahme an dieser Studie eingeladen wurden? Weshalb glauben Sie, dass dies (nicht) der Grund für die Einladung war?
Urteilsvermögen
Welche Auswirkung hätte die Behandlung auf Ihren Alltag?
Welche Auswirkung hätte die Studienteilnahme auf Ihren Alltag?
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