Schweitzer Fachinformationen
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Nur zusammen sind wir stark - ein Plädoyer für die Frauenfreundschaft
Spätherbst 1948. In der Kölner Versicherung Pering weht ein neuer Wind: Viktor Pering, der Sohn des Inhabers, soll das Geschäft übernehmen. Rasch erhöht er den Druck, denn anders als seinem Vater ist ihm der Gewinn wichtiger als seine Mitarbeiter. Auch die Telefonistinnen, die in ihrer Zentrale für die richtigen Verbindungen sorgen, sind betroffen. Dabei ist ihr Leben schon kompliziert genug. Gisela muss entscheiden, ob sie ihren im Krieg verschollenen Mann für tot erklären lassen soll. Hanni ist hin- und hergerissen zwischen ihren Verpflichtungen für die Familie und ihrem Traum von einem eigenen Handschuh-Atelier. Die kämpferische Charlie schließt sich der Frauenbewegung an. Und Julia, die Jüngste, hat einen heimlichen Verehrer. Sie alle müssen ihren Weg finden. Doch welcher ist der richtige?
Charlie brauchte doppelt so lange zum Buttermarkt wie Gisela, denn sie trug die neuen Grace-Walker-Schuhe, das Modell Zoe mit Heel-Cup und hohem Absatz, der durch das stundenlange Tragen in Mitleidenschaft gezogen worden war und deshalb wackelte. Deshalb schlenderte sie langsam einher, was bei vielen Leuten den Eindruck von Arroganz hinterließ. Aber das war ihr recht. Lieber arrogant gelten, als arm zu erscheinen. Und arm war sie jetzt.
Charlottes Vater, der Bruder von Anton von Siebenthal, hatte nach dem Krieg das gesamte Vermögen inklusive der Villa im Hahnwald verloren. Ihre Mutter war daraufhin zur geistigen Erholung an die französische Riviera gereist, dann weiter nach Südamerika, und war seitdem weder per Telefon noch Post erreichbar. Offenbar hatte sie einen Dauertiefschlaf nötig. Sie hatte nicht nur ihre Tochter in Köln zurückgelassen, sondern, so schien es Charlie, auch all ihre Erinnerungen, die keinen Wert mehr für sie hatten. Nach den schweigsamen Wochen hoffte sie nicht länger auf einen Brief von ihr. Der Vater war auf einem Passagierschiff in eine abenteuerliche Zukunft ausgewandert, die ihm mehr Halt versprach als die Angehörigen der Kölner Schickeria, die am Schluss die Straßenseite gewechselt hatten, wenn sie ihm begegneten. Mittlerweile dürfte er den sicheren Hafen in Argentinien erreicht haben, bei einem gebratenen Stück Rindfleisch sitzen und sich darüber Gedanken machen, wen er in Zukunft bevormunden könnte.
Charlie jedenfalls nicht mehr, und sie gönnte ihm den notgedrungenen Neubeginn, der bedauerlicherweise auch zu ihrem eigenen geworden war. Dank ihres Patenonkels Anton hatte sie die Anstellung als Telefonistin in der Versicherungsanstalt bekommen. Aber jetzt, wo sie erstmals in ihrem Leben einer Tätigkeit nachging, erkannte Charlie, dass ihr der Sinn fehlte. Es konnte nicht alles sein, was das Leben für sie bereithielt: Verbindungen aufbauen und wieder trennen? Das hatte sie schon nach zwei Wochen angeödet. Tief in ihrem Inneren sehnte sie sich nach einer Aufgabe, mit der sie etwas in der Welt verändern konnte. Viel zu lange war sie ihrer Passivität erlegen. Manchmal kam es ihr so vor, als würde sie nicht wegen des Schuhwerks so lange nach Hause brauchen, sondern wegen der tausend Gedanken in ihrem Kopf, die sie bremsten und eine Unordnung hinterließen, die ihr Unterbewusstsein nicht zu sortieren vermochte.
Dafür herrschte in ihrem Zimmer, das sie im Sommer bei Giselas Nachbarin Ursula bezogen hatte, dank ihrer Vermieterin rund um die Uhr eine perfekte Ordnung. Ursula war eine gute Seele, die stets Eimer und Lappen bereithielt, um die Schlampigkeiten ihres Sohnes Albrecht - und auch die von Charlie - zu beseitigen. »Jeder Mensch und jedes Ding hat seinen Platz auf dieser Erde, auch wenn es manchmal lieber woanders wäre«, sagte sie immer, wenn Charlies Strümpfe oder Haarspangen auf dem Boden herumlagen. Früher hatte Charlie eine Hausdame gehabt, die dafür gesorgt hatte, dass alles blitzte und glänzte und an Ort und Stelle war. Mittlerweile musste sie sich auf alle viere begeben und ihren Dreck selbst wegmachen, denn außer dem bekannten Namen war nichts von Glanz und Glamour in ihrem Leben geblieben.
Und doch war genau das befremdlich herrlich für sie. Ja, sogar befreiend. Diese Leichtigkeit, in kein Korsett passen zu müssen, sich alles erlauben zu können, das bot ihr erfreuliche Möglichkeiten. Charlie bekam für ein falsches Wort in der Öffentlichkeit keine Ohrfeige mehr, denn Anton würde das niemals wagen. Somit trug sie nicht nur die modernen Schuhe von Friedman-Shelby, sondern auch das Gefühl in ihrer Brust, dass sie zur Kapitänin ihres eigenen Lebens geworden war.
»Wie geht's Peter? Jetzt, wo er wieder zu Hause ist?«, fragte Charlie, als Gisela sie eingeholt hatte und sie in die Glockengasse einbogen.
»Es geht. Die Infektion ist zwar gut abgeklungen, aber es hat ihn viel Kraft gekostet. Sie mussten ihm die Prothese wieder abnehmen. Dann wussten sie gar nicht, ob sie ihm sie wieder richtig fixieren können. Dafür ist extra ein Arzt, ein Spezialist aus München gekommen. Der hat ihm die Prothese nach dem Abheilen der Infektion wieder angeschraubt. Das war sehr anstrengend für ihn.«
»Ach, der Arme. Und wie geht's dir damit?«, erkundigte sich Charlie, denn auch wenn Gisela sich ihre Ängste kaum anmerken ließ, so sah man an ihren Augenringen, dass ihr die Sorgen den Schlaf raubten.
»Mehr schlecht als recht. Peter schlägt sich tapfer, und ich hoffe wirklich, dass er mit der Prothese umzugehen lernt. Manchmal kommt es mir vor, als würde er sie sich am liebsten wieder vom Leib reißen.«
»Fußballspielen?«, fragte Charlie.
Gisela schüttelte den Kopf. »Ist er nie wieder hingegangen. Obwohl es der Arzt ihm erlaubt hat. Nicht mal zuschauen war er. Er ist auch so still geworden. Ich weiß nicht, ob er jemals wieder einen Ball in die Hände nehmen wird. Ich meine, er könnte ja spielen. Die Beine, die taugen ja noch was.«
»Vielleicht ist es wegen Heinrich?«
»Mag sein.«
»Ach, wie beschwerlich!«, seufzte Charlie und zog ihren Mantel enger um sich, denn die Novemberkälte kroch durch den dünnen Stoff hindurch. Gisela sah gedankenverloren am ehemaligen Stammhaus des Parfüms 4711 in der Glockengasse vorbei, das im Krieg vollständig zerstört worden war, und blieb abrupt stehen, als hielte sie ein Gedanke davon ab weiterzugehen.
»Ich hab ihm das mit Heinrich noch gar nicht erzählt.«
»Was? Hast du nicht?«, fragte Charlie, die ebenso stehen geblieben war.
»Nein, das würde ihn nur belasten. Ich müsste Heinrich für tot erklären lassen.« Gisela wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und presste die Lippen zusammen. »Es ist ja erst ein paar Wochen her, dass ich geglaubt habe, ihn zu sehen. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, aber vergeblich.« Charlie sah sie mitleidig an. »Es ist ja nicht so, dass mein Herz nicht losgelassen hätte. Aber wie kann ich meinen Mann für tot erklären lassen, wenn er vielleicht noch lebt? Stell dir mal vor, er taucht eines Tages wieder auf, weil es eine Falschmeldung war? So wie damals am Bahnhof, als Peter und ich auf seine Heimkehr gewartet haben. Da hätte er im Zug sein sollen. Und dann ist er nicht gekommen. Und dieser Bernd .« Gisela sah Charlie nachdenklich an. »Kann ich auf die Aussage eines Fremden vertrauen?«
»Er war ein Mitgefangener aus dem Lager!«, entgegnete Charlie. »Und die Holzlokomotive, Gisela, die war doch von Heinrich. Außerdem hast du seit Jahren nichts von ihm gehört. Kein einziges Wort. Ich würde sagen, das ist Bestätigung genug. Fang endlich neu an . vielleicht mit meinem Onkel?« Charlie grinste und stupste die Freundin mit dem Ellbogen in die Seite.
»Charlotte«, tadelte Gisela lächelnd.
»Ich bin nicht blind, Gisi, und erkenne einen verliebten Patenonkel, vor allem, weil er es offensichtlich vorher nie war. Der Krieg hat ihn ziemlich mürrisch gemacht, und ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, dass er sich an nichts mehr erfreut. Und nun spaziert er pfeifend durch die Versicherung und parkt seinen Wagen mehrmals wöchentlich unweit vom Buttermarkt in der Salzgasse? Mit Sicherheit bekommt er schon Stammkundenrabatt im Reichard, weil er so oft da einkauft. Weshalb wohl, hm?«
Gisela schaute zur Seite. »Wahrscheinlich macht er einen Spaziergang durch die Innenstadt.«
»Mit einem Pappkarton vom Reichard in den Händen? In dem vermutlich ein Stück Buttercremetorte liegt? Soweit ich weiß, mag mein Onkel gar nichts Süßes.« Charlie tat, als würde sie angestrengt nachdenken. »Mir fällt nur eine Person in ganz Köln ein, die sich für Torte von der neuen Deutzer Brücke stürzen würde.«
»Ach, bei Gott nicht! Doch nicht für Buttercremetorte! Dafür würde ich nur andere ermorden.«
Die beiden jungen Frauen lachten.
»Die Liebe ist wirklich kompliziert! Wie gut, dass ich nicht verliebt bin und auch nicht vorhabe, es irgendwann zu sein. Wäre mir zu beschwerlich das Ganze«, flötete Charlie, obwohl die Verwendung des Wortes beschwerlich bei ihr nie einen süßen Unterton fand.
»Das zahlt sich manchmal aber auch aus.« Gisela zuckte mit den Schultern. »Bald ist ja Weihnachten. Verbringst du Heiligabend bei deinem Onkel?«
»Wirst du mit Peter denn dort sein?«
»Charlie, lenk nicht ab!«
»Wer hier ablenkt . Ich zähle nur eins und eins zusammen.«
»Er ist verheiratet, solltest du das vergessen haben.« Gisela fuhr sich nervös durch ihr kinnlanges braunes Haar.
»Mit einer Wahnsinnigen, die ihr Zimmer seit Wochen nicht mehr verlässt. Bestimmt ahnt sie, dass er sich scheiden lassen will, und verbarrikadiert sich deshalb in ihrem Schlafzimmer, damit sie der Wahrheit nicht ins Auge sehen muss. Eine arme gefallene Primaballerina, die auch noch Migräne hat. Was für ein Trauerspiel!«
»Charlie, sprich doch nicht so über deine Tante!«
»Sie hat es aber verdient. Du müsstest sie mal erleben! Oder erlebt haben, als ich noch ein Kind war. Und ich bin mir sicher, dass das liebe Tantchen gar keine Träne wegen einer Scheidung verschwenden würde. Die hebt sie sich lieber für ihren eigenen Tod auf. Sie erinnert mich immer mehr an meine Mutter, die ist auch so eine Egoistin. Ist wohl der Fluch der Siebenthal-Männer. Obwohl . meine Großmutter hat ihr Haus stets fröhlich verlassen. Mag vielleicht daran liegen, dass sie Großvati in ihren letzten Ehejahren nicht mehr zu ertragen hatte. Dich als Tante zu bekommen, wäre ein Geschenk für mich. Wie der Segen vom Erzbischof Frings...
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