Schweitzer Fachinformationen
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Leise schlich sich Kajetan Vogel aus dem Zimmer, um seine noch tief schlafende Frau nicht zu wecken, die heute das Glück hatte, wegen des Wochenendes länger als üblich im Bett bleiben zu können. Verdrossen schaute er aus dem Fenster seines Badezimmers zum regenverhangenen noch dämmernden Himmel hinauf, nachdem er um 6.30 Uhr, also für seine Verhältnisse in aller Herrgottsfrühe, von dem Wecker aus seinem warmen Bett herausgetrieben worden war. Irgendwie schien heute alles zusammenzupassen. Es wäre ja auch unangemessen gewesen, wenn ein so lebensbejahender Mensch wie sein alter Freund Wolfgang bei strahlendem Sonnenschein zu Grabe getragen würde. Während der Morgentoilette erinnerte sich der Kriminalist wehmütig seines Kameraden, den er trotz der engen Freundschaft in ihrer gemeinsamen Schulzeit mehr als einmal heftig beneidet hatte. Denn Wolfgang Bäcker war das, was man gemeinhin als Glückskind bezeichnete. Er hatte die besondere Gabe, durch seine durch nichts zu erschütternde Fröhlichkeit jeden Menschen, der mit ihm zu tun hatte, glücklich zu stimmen, so missmutig er davor auch gewesen sein mochte. Diese außerordentliche Fähigkeit machte ihn zum beliebtesten Menschen, dem Vogel je begegnet war. Obwohl aus erstklassiger Familie stammend - sein Vater war Primararzt am Allgemeinen Krankenhaus gewesen - hatte er überhaupt keine Berührungsängste und für jeden in der Schule ein gutes Wort gehabt, ob es sich um den Schulwart handelte oder um den Direktor. Als wäre dies nicht genug, sah er auch noch unverschämt gut aus, sodass sein Hauptproblem darin bestand, welchem der ihn verehrenden Mädchen er gerade den Vorzug geben sollte. Was Vogel, der sich erheblich schwerer mit dem weiblichen Geschlecht tat, des Öfteren einen Stich gab, vor allem dann, wenn Wolfgangs Wahl gerade auf das Mädchen gefallen war, das er selbst heimlich anhimmelte. Aber das war auch der einzige Umstand, der sie gelegentlich entzweit hatte, allerdings ohne Wolfgangs Wissen, denn Vogel hatte seine Wahl stets für sich behalten, in der zuweilen irrigen Hoffnung, dass sie damit nicht in Wolfgangs Focus geriet. Doch zu seinem Verdruss hatten sie beide exakt dasselbe Beuteschema: Groß musste sie sein, schlank, schwarzhaarig und mit dunklem Teint (und mit dunkelbraunen Brustwarzen, was Vogel niemals zu erwähnen vergaß). Ansonsten waren sie unzertrennlich gewesen und verbrachten die meiste Zeit zusammen. Das sollte sich jedoch nach der Matura ändern. Wolfgang hatte sich schon ziemlich früh dafür entschieden, in der Wirtschaft Karriere machen zu wollen, und aus diesem Grunde das Jus-Studium gewählt, während sich Vogel dem Wunsch seiner Eltern fügte und eine Beamtenlaufbahn einschlug. Diese unterschiedlichen Lebensplanungen blieben natürlich nicht ohne Auswirkungen auf ihre Freundschaft. Bei ihren immer seltener werdenden Treffen zeigte sich dies nur allzu deutlich, zumal sie bei jeder Zusammenkunft in erster Linie die gemeinsamen Erinnerungen pflegten, die jedoch nach und nach immer mehr verblassten. In den letzten Jahren hatten sie einander überhaupt nicht mehr getroffen, ihre Kontaktnahme beschränkte sich nur mehr auf die Glückwünsche zum Geburtstag, die telefonisch oder in letzter Zeit gar nur mehr per SMS erledigt worden waren. Trotzdem traf Vogel die Todesnachricht seines früheren besten Freundes mit voller Wucht. Es war für ihn immer noch unvorstellbar, dass dieser einst so strahlende Jüngling in der Blüte seines Lebens so plötzlich dahingerafft worden sein sollte. Mit solch tristen Gedanken stieg er in seinen Jaguar und fuhr durch den Regen, der ständig an Intensität zuzunehmen schien, zum Zentralfriedhof, wo er der traurigen Zeremonie beiwohnen wollte.
Dass Wien immer wieder mit dem Tod in Verbindung gebracht wird, ist wohl mehr als ein Klischee, denn es gibt nur wenige Orte, wo der Nekrophilie mehr gehuldigt wird als in der Donaumetropole. Was andernorts mit einem Tabu belegt ist, wird hier lustvoll zelebriert. Immerhin entwickelte Sigmund Freud hier seine Theorie des Todestriebs, übrigens zu Zeiten, als es in Wien eine der weltweit höchsten Selbstmordraten gab. Und auch sein berühmter Kollege Erwin Ringel eröffnete hier 1948 das erste Kriseninterventionszentrum weltweit, das dazu beitragen sollte, den hierorts anscheinend so verführerischen Drang zum Freitod zu senken.
Der Zentralfriedhof, nach Hamburg-Ohlsdorf der zweitgrößte seiner Art in Europa, wird ja üblicherweise als steingewordenes Zentrum der grassierenden Todessehnsucht beschrieben und folgerichtig von den Wienern auch sehr gerne als Naherholungszentrum genutzt. Für zahlreiche Familien gibt es an Sonntagen tatsächlich nichts Schöneres, als in der parkähnlichen Anlage zu flanieren, der ja nachgesagt wird, dass sie in etwa so groß sei wie die Innenstadt von Zürich, aber dafür doppelt so lustig. Bei solchen Ausflügen lässt sich etwa trefflich das schlechte Gewissen beruhigen, wenn man dem Grabmal der verstorbenen Erbtante einen Besuch abstattet, den man, als sie schon todkrank im Spital lag, aus Zeitmangel immer wieder hinausgeschoben hatte. Für diejenigen Besucher, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, oder denen die langen Wege zu beschwerlich erscheinen, bietet sich hier auch die Möglichkeit, einen Fiaker zu mieten - am Haupteingang gibt es sogar einen eigenen Standplatz dafür - und dessen Lenker natürlich auch über eine eigene Todeshymne mit rührendem Text verfügen (»Stellt's meine Ross in' Stall, bald kriagn's zum letzten Mal a Sackerl Hafer und a Heu. Dann hängt's das G'schirr an d' Wand, bald kriag'ns a Halfterband, dann kommt der Abschied für uns drei .«). Überhaupt gibt es in Wien zahllose Lieder, die sich mit dem Tod beschäftigen, oftmals in Zusammenhang mit dem Wein, der ja oft genug die Ursache für diesen darstellt (»Es wird ein Wein sein, und wir wern nimmer sein .«). Dass zwischen diesen beiden Leidenschaften ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, liegt nahe, denn in keiner Hauptstadt der Welt gibt es eine größere Anzahl an Rebstöcken als in Wien.
Eines der Alleinstellungsmerkmale der Metropole des hierorts ersonnenen Todestriebs ist das sogenannte Bestattungsmuseum, das gleich beim Haupteingang des Zentralfriedhofs gelegen ist. Hier ergibt sich für den Flaneur die Möglichkeit, die soeben auf dem Friedhof erfahrenen Eindrücke zu vertiefen und sich dabei vielleicht auch Gedanken über die Gestaltung der eigenen letzten Ruhestätte zu machen. Der merkantile Gedanke dabei, der sich in erster Linie an Touristen wendet, wird hierorts nicht schamhaft verschwiegen, sondern durchaus offensiv und generationenübergreifend in den Vordergrund gestellt. Um etwa seinen daheimgebliebenen Kindern einen Zugang zu der ihnen vielleicht noch unbegreiflichen Freude am Tod zu gewähren, können die Eltern dort etwa formidable Bastelsätze erstehen, mit denen der Nachwuchs dann spielerisch seinen eigenen Friedhof zusammensetzen kann. Und als gruseliges Souvenir für die bereits pubertierenden Nachkommen können ganz hartgesottene Besucher auch Mehl in einem Reagenzglas erstehen, das die fleißigen Rüsselkäfer aus dem Holz eines Sargs gewonnen haben, dessen Bewohner im größten unterirdischen Friedhof Wiens unter der Michaelerkirche seine letzte Ruhe gefunden hat. Doch auch für die zukünftigen Bewohner des »Zentral«, wie er von den Wienern liebevoll genannt wird, ist hier gesorgt. So ergibt sich in diesem Museum nicht nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Sargmodellen zu wählen, sondern praktischerweise in ihnen auch gleich Probe zu liegen, mit der durchaus einleuchtenden Begründung, dass man es schon bequem haben sollte, da man ja nirgendwo sonst eine so lange Zeit verbringen wird. Doch dies ist nur der erste Schritt, um dem Interessenten ein aufwändiges Leichenbegängnis schmackhaft zu machen. Wie prachtvoll ein solches in Wien ausfallen kann, wird ihm auf diversen Videoinstallationen anhand von Prominentenbegräbnissen vorgeführt. Die Marketingexperten dieses Museums schrecken selbst davor nicht zurück, ein Objekt des Monats vorzustellen, das natürlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bestattung steht und das Schmuckstück jeder Beerdigung sein könnte. Doch entgegen der bekannten Redensart, dass wir im Tode alle gleich sind, kann man hier unter Beweis stellen, wie geschätzt der Verblichene bei den Hinterbliebenen war - und darauf wird in Wien besonders geachtet. Wie anders könnte es sich erklären, dass die Hälfte der Toten mit einem »Begräbnis Erster Klasse« zu Grabe getragen wird. Das sich natürlich als besonders kostspielig erweist. Das beginnt mit handgemachten Urnen, die aus der kostbaren Terra Nigra bestehen und je nach Geschmack und Geldbeutel mit Gold oder Platin veredelt werden. Auch die in Wien ansässige Porzellanmanufaktur Augarten hat dabei ihre krisensichere Nische entdeckt. Sie bietet von Hand bemalte Behältnisse an, die in zweifacher Ausfertigung geliefert werden, ein großes Exemplar für das Grab und eine kleinere »Memorialurne« für zu Hause, anteilig mit der Asche des Verstorbenen befüllt. So kann man stets den Beweis antreten, dass man wirklich keine Kosten gescheut hat, um dem Vorfahr die angemessene letzte Ehre zu erweisen. Dabei sind der Pracht keine Grenzen nach oben gesetzt. Bei entsprechendem finanziellem Einsatz gibt es sogar die Möglichkeit eines »kaiserlichen« Begräbnisses, wo der Verblichene in einer sechsspännigen historischen Trauerkutsche zu Grabe gefahren wird, stilgerecht von schwarz behangenen Rappen gezogen.
Immerhin dienen solche Besonderheiten der Entscheidungsfindung, die manchen Erben in echte Finanznöte bringen kann. Schließlich ist schon eine einfache Beerdigung eine durchaus kostspielige Angelegenheit, die etliche...
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