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Thyriak, Thyriaken, für Spinn und für Schnaken, Dill, Petersill, Wurmsamen in Gottes Namen! Heran, heran, wer da hat einen bösen Zahn! Hier ist der Mann, der ihn ohn Schmerzen langen kann!» Vom Fischmarkt trug der Wind den Singsang eines fahrenden Quacksalbers zu Thomas Mercator herüber, und er blieb stehen. Vielleicht sollte er den Landfahrer ja fragen, ob er irgendein Betäubungsmittel zur Hand hatte, irgendetwas, das ihm helfen würde, die nächsten Stunden zu überstehen. Selten war es ihm so schwer gewesen wie an diesem Spätsommertag des Jahres 1370, sich dem Willen seines Vaters zu fügen. Er hatte noch die ungeduldige Stimme des alten Mercator im Ohr, als der ihn gestern zu sich in sein Kontor gerufen hatte.
«Hinrich Ansbacher, mit dem ich seit langem gute Geschäfte mache, hat mir ein großzügiges Angebot unterbreitet: Du kannst mit seinem Sohn an dem Unterricht eines Benediktinermönchs in seinem Hause teilnehmen. Von morgen an wirst du dich dreimal die Woche bei ihnen einfinden.» Es gab nur wenige Leute, die Thomas so von ganzem Herzen verabscheute wie den jungen Karl Ansbacher. Die Aussicht, jede Woche drei Vormittage Karls Gesellschaft zu opfern, war niederschmetternd. Wütend trat Thomas ein Steinchen zur Seite. Dann schon lieber im Kontor über langweiligen Abrechnungen sitzen und Zahlenkolonnen addieren. Aber Johann Mercator war nicht geneigt gewesen, seinem Sohn gegenüber auch nur einen Zoll nachzugeben. Er schien Nachgiebigkeit für eine Todsünde zu halten, fast so schlimm wie Ungehorsam.
Missmutig setzte Thomas sich wieder in Bewegung und bog in eines der düsteren kleinen Seitengässchen ab. Wozu sich beeilen, der Vormittag würde noch lange genug dauern! In der vertieften Rinne in der Straßenmitte schwamm ein ekliges Zeug, wahrscheinlich die Überreste vom Schlachtgeflügel der Vorwoche; Mistfliegen stritten um schleimiges Gedärm und halbverweste Hühnerköpfe. Thomas sprang kühn darüber hinweg, doch der Schlamm spritzte an seine Hosen, und seine Schuhe klebten von Dreck. Wunderbar - keiner sollte glauben, er hätte sich extra sorgfältig angezogen für diesen Besuch. Thomas bemühte sich gerade, einen weiten Bogen um eine Abtrittgrube zu machen, aus der ihm eine Wolke grässlichen Gestanks entgegenschlug, als die große Glocke am Turm zur Vormittagsmesse schlug. Himmel, schon so spät! Hoffentlich würden die nächsten Stunden auch so schnell vergehen. Wenn er jetzt noch länger trödelte, würde er den Ansbacher womöglich beleidigen, und dann gäbe es Ärger, dessen war er sich gewiss. Seufzend wandte er sich in Richtung der Kirche Sankt Paul und stand kurz danach vor dem Ansbacher'schen Anwesen.
Das Gebäude erstreckte sich über drei Stockwerke und zeigte zur Straße hin eine reich gegliederte und verzierte Fassade. Teure Ziegel deckten das Dach, geschnitzte und bemalte Läden schützten die verglasten Fenster. Durch eine Luke über dem Boden verschwand eine fette Ratte - hier ging es zu unterirdisch gelegenen Lagerräumen, wo sicher eine Menge zu holen war. Ein großer Torbogen, ausreichend, um einem Gespann Durchlass zu bieten, markierte den Eingang. Neben der Haustür war das Bild eines Stierkopfes eingemeißelt, ein Hinweis darauf, wie der alte Ansbacher zu seinem Vermögen gekommen war. Jahrelang hatte er nämlich mit beträchtlichem Gewinn und Risiko große Rinderherden aus den weiten Ostgebieten jenseits der Elbe angekauft und sie quer durch Europa zu den Märkten an Rhein und Schelde getrieben, und immer noch gab er gern seine Abenteuer aus dieser nun schon lange entschwundenen Zeit zum Besten. Selbst Thomas hatte bereits davon gehört.
«Protzig», murmelte er vor sich hin, als er den Türklopfer betätigte, aber er wusste genau, dass das nicht stimmte. Ansbacher war nicht protzig. Er war einfach reich und dazu selbstbewusst genug, diesen Reichtum auch zur Schau zu stellen.
Eine Hausmagd öffnete ihm.
«Du wirst schon erwartet, junger Herr. Nur herein.» Er nahm seine Kappe ab und trat in die geräumige Diele. Aus einem der angrenzenden Räume drangen laute Stimmen an sein Ohr; offenbar waren Karl und sein Hauslehrer in ein heftiges Streitgespräch verwickelt. Die Magd machte eine einladende Handbewegung, und Thomas trat ein.
An einem Stehpult am Fenster stand ein junger Mönch, vielleicht ein paar Jahre älter als Thomas selbst, mittelgroß und schlank, mit dickem schwarzem Haar, das dringend eine neue Tonsur benötigte. Auf seinem bartlosen Gesicht lag ein empörter Ausdruck, und seine Augen blickten angriffslustig zu seinem Gegenüber. Karl Ansbacher lehnte an einer Truhe, einen halbgeschälten Apfel in der Hand, und gestikulierte mit seinem Messer. In Gegenwart von Karl Ansbacher kam Thomas sich immer klein und mickrig vor. Alles an Karl war groß, angefangen bei seinem von sandfarbenem struppigem Haar bedeckten Kopf bis zu den stämmigen Beinen. Die Kleidung, die er an diesem Tag trug, ließ keinerlei Zweifel an seinem Körperbau aufkommen: Sein Rock endete bereits in Höhe des Gesäßes und ließ vorn den Blick auf ein eng anliegendes Wams zu. Die Beinlinge, die er trug und die oben an die kurzen Hosen angenestelt waren, spannten sich so straff um seine Schenkel, dass Thomas sich unwillkürlich fragte, wie Karl sie überhaupt anziehen konnte, ohne sie zu zerreißen. Die knappen Unterhosen waren im Schambereich prall gefüllt, und ausfahrende Bewegungen, so sie überhaupt möglich waren, ließen unerhörte Einblicke erwarten. Dazu waren die Gewänder nach der Mode des schamlosen Mi-Parti gefertigt, jedes Bein, jeder Ärmel in einer anderen Farbe und in einem anderen Muster. Die Füße steckten in Schuhen, die vorn in langgezogenen Schnäbeln endeten. Thomas seufzte, als er an seinem eigenen schlichten Gewand hinabsah. In Einklang mit Obrigkeit und Kirche hatte der alte Mercator allen Angehörigen seines Haushalts streng untersagt, ihr mühsam verdientes Geld für diese modischen Torheiten zu opfern. Wenigstens konnte nicht einmal all dieser Firlefanz die Spuren der zahlreichen Saufgelage und des lockeren Lebens in Karls Gesicht übertünchen, registrierte Thomas befriedigt.
Karl nahm von Thomas' Anwesenheit keinerlei Notiz. «Du willst also allen Ernstes behaupten, dass sich der Kaiser dem Papst und seiner verdammten Kirche unterordnen muss?», fragte er gerade herausfordernd. «Diesem lächerlichen Franzosenknecht, der das Geld der Kirche zum Fenster hinauswirft? Du solltest hören, was sie sich in Avignon für Zoten von deinem geliebten Papst erzählen. Ich sag dir, dieser Kerl allein hat so viel gesündigt, dass es ausreicht, die ganze Kurie zur Hölle zu schicken!»
Ein leichte Röte überzog das Gesicht des Mönchs. Keinem Kleriker konnten die Schwächen der Kirche verborgen bleiben. «»
Trotz seiner offensichtlichen Verlegenheit klang die Stimme des Hauslehrers ruhig und sicher. Thomas schaute ihn überrascht an.
«So hat Christus selbst seine Macht in die Hände von Petrus gelegt, und der Papst ist sein Nachfolger», dozierte der Mönch. «Denn Gott hat nicht die Welt geschaffen, um sie dann sich selbst zu überlassen, wie einige heidnische Philosophen lehren und einige Ketzer glauben. Nein, Gott der Schöpfer wirkt fort in seinem Werk, vom Sündenfall Adams über die Erlösung durch Jesus Christus bis hin zum Jüngsten Gericht und zur Ewigkeit des Gottesreiches.» Der Benediktiner hatte sich in Fahrt geredet. «So wie er den Gang der Gestirne an der Himmelskuppel lenkt, so lenkt er auch das Schicksal noch des Geringsten der Menschen, und so vollzieht sich in der Geschichte der Welt die Heilsgeschichte Gottes. Und die Kirche als Statthalterin Gottes ist berufen, das Gottesreich, den Gottesstaat hier auf Erden, zu errichten und zu verteidigen, gegen die Ungläubigen, die Ketzer, die Heiden und wenn nötig auch gegen die Fürsten, die Kaiser und Könige der Welt. Denn die Kirche ist im Besitz der ewigen Wahrheit, ihr ist die Führung der Christenheit übertragen. Nur die Kirche vermag die Menschen zur ewigen Seligkeit zu führen, und darum sollen die Herrscher sich dem Papst unterordnen.»
«Vergiss das Atmen nicht», sagte Karl trocken. «Ich wette, du könntest so weiterpredigen bis nächste Woche, ohne zwischendurch pissen zu gehen. Was für ein Talent!» Er beugte sich vor und klimperte bedeutungsvoll mit ein paar Münzen in seiner Tasche. «Das ist die Musik, nach der in Avignon getanzt wird. Wenn du nur wolltest, mein kleiner Mönch, könnte ich dir viel erzählen von den Dienern deiner heiligen Kirche, erst recht von den Mönchen. In den Klöstern scheint es so lustig zuzugehen, dass ich mir schon überlegt habe, ob ich nicht selbst vielleicht eintreten sollte.» Er grinste und fasste sich anzüglich in den Schritt.
Der Mönch schluckte, aber er senkte nicht den Kopf. «Gewiss gibt es auch Sünder in der Kirche, selbst in den Klöstern. Aber es gibt dort auch tiefen, ehrlichen Glauben, Hingabe, wahre Gottesliebe .»
Karl lachte wieder. «Erzähl mir nichts. Ich kenne doch die Mönche.»
«Ich auch. Ich bin einer.» In diesem Augenblick bemerkte Karl den eingetretenen Gast und stand gemächlich auf, um ihn zu begrüßen.
«Na, sieh an, da scheint ja Verstärkung für dich zu kommen, frommer Bruder! Das ist Thomas Mercator, der Sohn eines Freundes von meinem Vater. Ein Schwärmer und Tagträumer, mit dem Kopf immer in den Wolken. Ihr zwei passt also bestens zusammen. Und das», übertrieben höflich wies er auf den Hauslehrer, «ist Bruder Anselmus, ein Prachtexemplar von einem Mönch! Ist in meiner Gegenwart immer nüchtern gewesen, hat noch keinen einzigen Fluch ausgestoßen und keinem Weiberrock hinterhergestarrt. Bravo! Wem, wenn nicht ihm, sollte es gelingen, meine unsterbliche Seele dem...
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