Schweitzer Fachinformationen
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Wir fuhren durch das Meidlinger Tor aus dem Schlossareal hinaus und weiter entlang des Wienflusses in die Innere Stadt. In der Vorweihnachtszeit kontrollierte die Polizei verschärft die Fahrzeuge. Dabei ging es nicht nur um Alkoholkontrollen, sondern auch um die Suche nach versteckten Piefke 5, die die Stadtgrenzen illegal übertreten wollten. Wir hatten Glück! Der Oberinspektor war unser Schutzschild. Ein Militärpolizist winkte ihn in eine Parkbucht gleich neben dem Naschmarkt. Stippschitz ließ das Fenster runter und zeigte seinen Ausweis.
»Danke, Herr Oberinspektor! Sie müssen bei der Secession auf die alte Zweierlinie abbiegen. Die Ringstraße ist gesperrt. Es gibt zwei Demonstrationen. Schwalacken 7 demonstrieren gegen Tschuschen 6 und Tschuschen 6 gegen Atatürk hab 8.« Der Polizist warf einen Blick auf den Rücksitz. »Sind das Piefke 5?«
Stippschitz nickte. »Ich bringe sie ins Kommissariat zum Verhör.« Er kraulte Sisi auf seinem Beifahrersitz am Kopf.
»Wem gehört der Hund?«
»Das ist Sisi. Die Piefke 5 haben die Aufgabe, auf sie aufzupassen.«
»Was haben sie verbrochen?«
Der Oberinspektor wurde langsam ein wenig unruhig. »Sie sind Zeugen eines Diebstahls. Können wir jetzt fahren? Oder brauchen Sie noch weitere Informationen?«
Der Militärpolizist winkte ab. »Fahren Sie weiter. Gute Fahrt!«
Die Kaisergruft, auch Kapuzinergruft genannt, kannten wir gut. In den letzten Wochen hatten wir dort tageweise gearbeitet. Zurzeit fand eine Inventarisierung statt, die den Bestand der Knochen überprüfte. Die Knochen waren durchnummeriert. Seit Jahrhunderten wurden die Leichen der Habsburger in der Kapuzinergruft beigesetzt. Nur ihr Herz wurde traditionsgemäß in der Lorettokapelle der Wiener Augustinerkirche und ihre Eingeweide in der Herzogsgruft im Stephansdom bestattet. Beim Vater von Kaiser Franz Joseph wurde die Dreiteilung zum letzten Mal durchgeführt. Bei seinem Sohn ersetzten seine Ärzte das Blut durch fünf Liter Formaldehyd. Dadurch wurde der Körper konserviert. Irgendwann war kein Platz mehr in der Gruft. Die Familie Habsburg war groß und jeder wollte in der Nähe seiner Ahnen beigesetzt werden. Damit gehörte die Konservierung der Leichen der Vergangenheit an.
Die konservierten Toten mussten allerdings noch in der Beinhauswerkstatt der Kapuzinergruft verarbeitet werden, um Platz in der Gruft zu schaffen. Dafür bewährte sich die Methode des Ausbeinens. Beim sogenannten Ausbeinen der Knochen wurden die Fleischreste von den Knochen entfernt. Das war unsere Aufgabe. Wir schabten mit einem Ausbeinmesser das Fleisch und die Sehnen in einen Zehn-Liter-Eimer und schmirgelten die Knochen anschließend sauber. Wir durften die Knochen so wenig wie möglich verletzen. Dann wurde auf jedem Knochen eine Nummer aufgetragen. Damit man die Körper auseinanderhalten konnte, bemalten wir die Schädel. Den Namen, den Beruf und das Geburts- und Sterbedatum pinselten wir auf die Stirn. Die vom Habsburgerfleisch befreiten Knochen packten wir in eine Kiste. Diese wurde in regelmäßigen Abständen zum Beinhaus im Schlosspark von Schönbrunn gebracht. Dort wurden sie im Rahmen einer feierlichen Zeremonie erneut bestattet. Es war keine schöne Arbeit. Georg hatte darin wesentlich mehr Übung als ich. Als zertifizierter Wilderer in seiner Kärntner Heimat hatte er Fleisch für seine Familie beschafft und die Wildschweine und Hirsche gleich an Ort und Stelle im Wald entbeint.
Wien war für seine morbide Seite bekannt. Uns Piefke 5 konfrontierte man ständig damit. Die guten Österreicher verfassten zum Beispiel skurrile Testamente, in denen sie das Stilettieren ihres Körpers nach ihrem Tod veranlassten. Man musste ihnen dann mit einem Dolch in ihr Herz stechen, eine Arbeit, die oft uns Piefke 5 zukam. Die Panik, scheintot begraben zu werden, war in der Bevölkerung einfach zu groß. Doch die Leichenstecherei und das Ausbeinen bildeten nur die Spitze des Eisbergs.
»Wir gehen jetzt in die Gruft. Wehe, ihr fasst irgendwas an.« Die Kapuzinermönche, die über Jahrhunderte die Sarkophage betreut hatten, hatten mit Einführung des Ausbeinens durch die Piefke 5 vor einigen Jahren die Verwaltung der Gruft aufgegeben. Sie lehnten die neuen Rituale ab und sahen darin eine Leichenschändung ihrer geliebten Habsburger.
Wir gingen die Treppe hinunter in die Gruftkapelle. Hier standen, wie in jedem Raum, Sarkophage. Manche einfach und schlicht und andere prunkvoll gestaltet. Dann folgte auch schon die Franz-Josephs-Gruft. Sisi riss sich von der Leine los. Sie fing an zu bellen.
Der Grund für ihr Bellen war das Christkind, das vor dem geöffneten Sarkophag von Kaiser Franz Joseph stand. »Schafft den Köter weg!«
Irgendwie kam mir die Stimme bekannt vor. Das Gefühl hatte ich schon in der Gemeinschaftstoilette in Schönbrunn gehabt. Der als Christkind verkleidete Mann hatte lange, blonde Locken, trug eine goldene Krone auf dem Kopf und ein weißes Gewand mit großen Flügeln auf dem Rücken. »Warst du heute Morgen auf dem Weihnachtsmarkt in Schönbrunn?«, fragte ich das Christkind.
Oberinspektor Stippschitz entriss ihm das Sackerl, das es in der Hand hielt. »Aha! Schmuck, Zepter, Krone und der Tischsarg von Kaiser Franz Joseph.«
Das Christkind machte ein paar Schritte nach vorn, bückte sich und griff nach einem weiteren roten Sack, der neben ihm auf dem Boden stand. Plötzlich glitt es durch eine Lücke zwischen mir, Georg und Stippschitz. Es wollte fliehen.
Doch Georg stellte ihm ein Bein, riss seine Perücke vom Kopf und nahm ihm den roten Sack ab. »Josef!« Georg konnte es nicht glauben. Vor ihm lag Josef, der Maler und Lackierer.
»Der Verwalter des Beinhauses von Schönbrunn! Bist du nicht für die Inventarisierung der Knochen zuständig?«, fragte ich ihn.
Josef stand auf und setzte sich auf Kronprinz Rudolfs Sarkophag. »Genau! Ich war gerade dabei, die Grabbeigaben zu sortieren. Die werden mit den Knochen ins Beinhaus von Schönbrunn gebracht.«
Der Oberinspektor schüttelte den Kopf. »Das Märchen kannst du mir nicht auftischen. Du bist ein Dieb!«
Der Sarkophag von Kaiser Franz Joseph thronte erhöht auf einem Sockel aus Marmor. Davor standen frische Alpenblumen. Es waren die Lieblingsblumen des Kaisers.
Stippschitz kletterte auf den Sarkophag von Kaiserin Elisabeth und überprüfte Franz Josephs Leiche. »Wartet mal. Ich muss noch Akten an die Seite räumen.« Der Oberinspektor reichte mir die in Leder gebundenen Unterlagen. Der Kaiser war bekannt für sein Arbeitspensum. Angeblich war er täglich um halb vier Uhr aufgestanden und hatte die ersten Akten gewälzt. Bis spät in die Nacht hatte er zum Wohl seines Vielvölkerstaats gearbeitet. Er hatte seine Arbeit mit ins Grab genommen.
Stippschitz wühlte noch immer im Sarkophag herum. »Ihr habt Glück! Es handelt sich wohl doch um einen Kinderstreich. Der Schädel kann nicht der vom Kaiser sein. Die Leiche ist vollständig!« Er hielt einen Schädel in der Hand.
Georg war die Erleichterung anzusehen. Ich atmete tief durch. Josef wurde kreidebleich.
»Was auch immer in der Keksdose vermodert, ist ein schlechter Scherz, eine Fälschung, oder jemand wollte euch in eine Falle locken.« Stippschitz übergab mir den Schädel.
Wie bei dem Exemplar in Schönbrunn entdeckte ich oberhalb der Stirn einen Namen. »Leute, das ist unglaublich! Da steht ein anderer Name auf der Stirn. Luigi Lucheni, Anarchist, 22.4.1873-19.10.1910. Das ist doch der Mörder von Kaiserin Elisabeth!«
Jetzt wurde Georgs Gesicht kreidebleich. Josef atmete tief durch.
Ich gab Stippschitz den Schädel zurück.
»Tatsächlich. Was macht der hier im Sarkophag?«
Ich erzählte ihm von der Geschichte der alten Dame im Schloss. »Vielleicht wollte der Kaiser Elisabeths Mörder mit ins Grab nehmen. Schau mal, ob du zwei linke Arme findest. Dann hat die alte Dame kein Gschichterl gedruckt.«
»Die spinnt doch, die Alte!«, fluchte Georg.
Stippschitz hatte von Gespenstern in Schönbrunn noch nie etwas gehört. »Ihr solltet eure Dienstwohnung in der Nacht gut verschließen. Ihr könnt niemandem trauen.« Der Oberinspektor suchte weiter. »Unglaublich! Hier liegen zwei linke Arme. Du hast recht. Von zwei linken Händen habe ich schon gehört, aber von zwei linken Armen?«
»Der eine Arm gehört Gavrilo Princip. Mit seiner Waffe in der linken Hand hat er Kronprinz Franz Ferdinand ermordet. Der Kaiser hat seine Lieblinge mit ins Grab genommen. Liegt da auch sein Kammerdiener, Eugen Ketterl?«
»Wartet mal!« Stippschitz lehnte sich noch weiter hinüber zum Sarkophag und griff mit der Hand tiefer hinein. »Hier ist eine Decke unter den Knochen. Verdammt, da liegt noch eine Leiche! Das kann unmöglich der Leibkammerdiener sein.«
Eugen Ketterl war eine Legende in Wien. Er hatte über zwei Jahrzehnte dem Kaiser ein Gutenachtbussi gegeben. Kein anderer Lakai war dem Kaiser so nah auf die Pelle gerückt.
Georg kletterte ebenfalls auf den Sarkophag von Kaiserin Elisabeth. »Tatsächlich. Moment. Ich muss die restlichen Knochen von Franz Joseph wegräumen. Aber das ist ja Kucera! Kucera, der Tapezierer. Was macht der hier?« Georg warf eine Bommelmütze in meine Richtung. »Ja, das ist Kuceras Mütze. Ich erkenne sie wieder.«
»Hört mit dem Blödsinn auf! Nichts mehr anfassen! Das ist ab sofort ein Tatort.«
Josef verstand die Welt nicht mehr. »Ich war das nicht! Lasst mich in Ruhe. Ich habe Kucera nicht umgebracht.«
Josef und ich stiegen auf den Sarkophag von Kronprinz Rudolf. Zu viert, zwei auf jeder Seite des Sarkophags,...
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