Schweitzer Fachinformationen
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Also: Paula bekommt dreißigtausend Euro.«
»WAS?«, schreit Paula.
Meine ältere Schwester ist von klein auf schwerhörig, was aber erst mit Schuleintritt festgestellt wurde, weil bei uns am Land Gespräche mit Kindern eher wenig forciert werden. Und weil vor fünfunddreißig Jahren, als wir noch kleine Kinder waren, in Hinter-Russbach die Hörgeräte so aussahen, als trüge man ein gefährliches Haushaltsgerät am Kopf, verzichtete Paula auf das Hilfsmittel und lebte bis zu ihrer Heirat mit Sepp, einem Bauern aus Vorder-Russbach, in einer mehr oder weniger schallfreien Zone. Sie hat jetzt zwar seit Jahren ein modernes Hörgerät, ein unsichtbares, steckt es sich aber nur selten ins Ohr. Sie hört dann nämlich ihren Mann reden.
»DREISSIGTAUSEND EUROOOO!«, brüllt meine Mutter und wedelt mit einem Sparbuch.
Paula nickt.
Dann schweigen meine Eltern, die uns drei Kinder am rustikalen dunkelbraunen Küchentisch in der holzvertäfelten Bauernstube versammelt haben, weil »es etwas zu besprechen gibt«. Sie wollen bereits jetzt, wo sie sich noch bester Gesundheit erfreuen, die Erbangelegenheiten regeln, weil steuersparend und so. Der Gedanke, dass prozentuelle Anteile von Haus, Grund, Wald und Wiese dem Fiskus zugute kämen, würden wir Kinder erst nach ihrem Tod erben, scheint ihnen noch unsympathischer zu sein als die Gefahr, noch zu Lebzeiten ihren gesamten Besitz an den Fortpflanz zu überschreiben und damit de facto mittellos zu sein.
Ihre Blicke pendeln nun abwägend zwischen meinem zwei Jahre jüngeren Bruder Matthias, seiner Frau Sonja und mir hin und her.
»Wir haben uns entschlossen, Matthias das Haus zu vermachen .«
Bumm.
». und du, Heidi, du bekommst dafür die Liegenschaft auf dem Zwölferhorn.«
»Äh, welche Liegenschaft?«
Mein Vater seufzt. »Die Almwirtschaft, die mein Bruder, dein Onkel Franz, mir vermacht hat. Wir waren doch schon mal dort oben. Oberhalb vom See. Die Sausteigalm. Wennst von der Gondel rübergehst zum Zwölferhorn.«
Ich denke scharf nach. Fehlanzeige. Das letzte Mal, als ich mit meinem Vater auf dem Zwölferhorn wandern war, ist sicher fünfundzwanzig Jahre her. Von einer feudalen Almwirtschaft . Moment! Mooooooment!
»Du meinst jetzt aber nicht diese windschiefe Hütte, die aussieht wie ein zu groß geratenes Plumpsklo?«
Mein Vater setzt einen beleidigten Blick auf: »Du tust ja grad so .«
»Wir haben uns über alles g'freut, was wir von unseren Eltern - Gott hob sie selig - gekriegt haben!«, blökt meine Mama vorwurfsvoll.
Und Sonja, die Frau meines Bruders, macht mit säuerlicher Miene »Ts-ts-ts.«
»Wie bitte???«, werde ich etwas lauter. »Paula bekommt ein kleines Vermögen, Matthias ein Haus, das mehr als fünfhunderttausend Euro wert ist, den Wald noch gar nicht dazugerechnet - und ich? Ich? Ich krieg einen Haufen zusammengenageltes Altholz auf der Sausteigalm?«
»Jetzt reicht's aber!«, erhebt meine Mutter ihre Stimme und fixiert mich mit bösem Blick, »auch noch frech werden, wennst was kriegst? So zeigst du deinen Dank?«
Ich schaue meine Schwester Paula auffordernd an. Das ist doch nicht fair, oder? »Paula! Sag was.«
»Was?«
»SAG WAS!«, brülle ich.
Paula schüttelt verwundert den Kopf.
»MATTHIAS KRIEGT DAS HAUS, DU KRIEGST DREISSIGTAUSEND EURO, UND ICH EINE ALTE HOLZHÜTTE!«, versuche ich ihr die himmelschreiende Ungerechtigkeit kurz und prägnant zusammenzufassen.
»Aha«, meint sie und schaut meine Eltern fragend an.
»Schau! Genau das ist das Problem mit dir!« Mit moralinsaurer Miene lehnt sich meine Mutter in ihrem Stuhl zurück. »Die Paula, die ist wenigstens dankbar für das, was sie geschenkt bekommt. Du nicht.«
»Die Paula kriegt aber einen Batzen Geld und hat nebenbei schon einen Bauernhof, einen Wald, einen Mann, einen Haufen Rindviecher und weiß der Geier was«, kontere ich.
»Jahaaa. Die Paula, die hat was geleistet in ihrem Leben. Und das, obwohl sie so schlecht hört.«
»Die Paula hat ge-hei-ra-tet! Der Sepp hat das alles in die Ehe mitgebracht«, kann ich mir nicht verbeißen.
Nicht, dass ich das alles meiner Schwester nicht gönne oder ihre Leistungen schlechtreden will. Aber ich bin es leid, dass mir ständig zwischen den Zeilen vorgehalten wird, nichts in diese Richtung - Mann, Haus, Misthaufen, eheliche und katholisch getaufte Kinder - vorweisen zu können.
»Außerdem ist bei der Hütte auch ein Grund dabei«, wirft meine Mutter ein.
Mein Vater verdreht die Augen.
»Ah so. Darf man fragen, um wie viel Land es sich handelt?«
Mein Vater presst die Lippen zusammen. Kein gutes Zeichen.
»Na, so . so . siebenhundert Quadratmeter werden es schon sein. Mit der Böschung dahinter«, denkt meine Mutter laut nach.
Siebenhundert Quadratmeter! So groß ist allein der Obstgarten vor meinem Elternhaus, einem stattlichen Bauernhof nebst Wiesenflächen, der bald meinem Bruder und seiner Frau gehören wird.
»Hat das überhaupt einen Wert?«
Mein Vater wiegelt ab: »Sicher hat das auch einen Wert.«
»Und welchen?«
»So kann man das nicht sagen. Es is' halt .«
». Tradition .«, ergänzt meine Mutter und schaut feierlich in die Runde.
»Kann ich das verkaufen?«
Meine Eltern schütteln zögerlich den Kopf.
»Warum nicht?«
»Wegen der Zita.«
»Wer ist die Zita?«
»Von meiner Tante die Cousine die Tochter.«
»Wer?«
»Von der Jodelbauer-Rosi-Alttant die Cousine die Tochter.«
Ich verstehe noch immer nicht. Und auch meine Mutter richtet einen zögerlich-fragenden Blick auf meinen Vater.
»Na geh!«, stöhnt der genervt, »von der Jodelbauer-Rosi-Alttant die Cousine, des Sauberger-Hannerl, die mit dem Sauberger Karl anno dazumal verheirat' war, und von denen die Tochter - die Zita.«
Es ist bei uns am Land so eine Eigenart, einander mit dem - oft etwas unglücklich klingenden - Hausnamen anzureden. Also nicht mit dem offiziellen Familiennamen, sondern mit dem inoffiziellen Namen, unter dem seit eh und je der Bauernhof bekannt war oder ist. Außerdem werden Frauen gerne mit einem »es« versachlicht und ihr Vorname mit einem »-erl« zum Schluss verniedlicht. Oder verblödet. Wie man es halt sehen will. Es gibt bei uns daheim viele Frauen mit dem »-erl« hinten dran: Reserl, Hannerl, Greterl . Im schlimmsten Fall wird aus einer Widlroither Therese, die bei uns auf der Post arbeitet, das Sauberger Reserl. Da brauchst du keine behaarte Warze mehr im Gesicht.
Bei mir war das Schicksal in der Hinsicht etwas gnädiger. Unsere Familie hat den Hausnamen »Gaderlbauer«, und mein Vorname - Heidi - eignet sich nicht dafür, ihm ein -erl dranzuhängen. Ich werde daher nur Gaderlbauer Heidi genannt. Auch zart dämlich, aber das geringere Übel im Vergleich zum Sauberger Reserl.
»Die Zita ist dann quasi so was wie . wie .« Mein Vater denkt nach.
»Die Groß-Großcousine?«, schlägt meine Mutter vor.
Alle denken nach. »Studieren« sagt man bei uns am Land zu so einer Situation. Vielleicht eine Erklärung dafür, warum die Akademikerquote bei uns so gering ist, wenn schon das schlichte Nachdenken als Studieren bezeichnet wird.
»Nein!«, widerspricht mein Vater und kratzt sich an seinem lichten Haarkranz, den er von der linken Seite über den Kopf nach rechts kämmt, um den Eindruck zu erwecken, er hätte noch so etwas wie Haupthaar. Ich finde, dass das doof aussieht, vor allem, wenn es windig ist und seine linken, etwas längeren Haarsträhnen zu Berge stehen. Als würde man auf einem zugigen Fjord Wäsche auf die Leine hängen.
»Gar nix is die Zita!«, brummt mein Bruder Matthias und zuckt mit den Schultern.
»Gar nix«, wiederholt Sonja.
»Is' auch wurscht«, stellt meine Mutter fest, schenkt sich noch eine Tasse Kaffee nach und hält Paula die dampfende Kanne auffordernd unter die Nase.
Paula winkt ab und fixiert meinen Vater. Sie liest von den Lippen ab. Das hatte ihr in jungen Jahren schon das eine oder andere Missverständnis eingebracht. Merke: Schau auf dem Land einem testosterongebeutelten Jungbauern nicht zu eindringlich auf die Lippen - er könnte es falsch verstehen.
»Also: Die Zita is nix, aber hat a Alm«, knüpft mein Vater an den verworrenen Faden der Erbangelegenheiten an. »Und jetzt du kriegst die Alm.«
»Und die Zita«, ergänzt Mutter der Form halber.
Mich fröstelt. Eine Alm und eine Zita. Ich stelle mir eine Ahnfrau vor, die sich nachts oberhalb der Baumgrenze in einen Sarg mit transsylvanischer Erde bettet.
»Und was macht die dort oben?«
»Die lebt dort oben. Meistens. Solang's halt geht. Wenn's schneit, geht's ned. Egal - du bekommst die Alm jedenfalls auf Leibrente.«
»Auf was?«
»LEIBRENTE«, schreit Paula. Hört die jetzt auf einmal?
»Was soll das denn heißen?«, will ich wissen. Ich komme mir vor wie eine...
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