Schweitzer Fachinformationen
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O du Fröhliche
»Lissie, du siehst echt geschafft aus! Gegen deine Augenränder hilft keine Creme mehr. Du brauchst dringend Urlaub!«
Es ist kurz nach fünf an einem trüben Novembertag, ich habe gerade die Türen des »Grünen Kränzchen« aufgeschlossen und die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Doris ist gerade hereingeschneit - wortwörtlich, denn zusammen mit ihrem neu gewonnenen Selbstbewusstsein hat sie auch eine kleine Schneewehe mit in den Gastraum gebracht. Der Winter kündigt sich mit aller Macht an.
Dass ihre Therapie bei Dr. Tiefenbruch für ein »neues Selbstbewusstsein« langfristig angeschlagen hat, merkt man auch an ihrer neuerdings allzu direkten Ehrlichkeit. Mein Unterbewusstsein weiß, dass ich wahrscheinlich so aussehe, wie ich mich fühle: Geschafft und urlaubsreif. Aber es so offen ins Gesicht geschmettert zu bekommen, hilft nicht gerade, die letzten Kräfte für das anstehende Weihnachtsgeschäft zu mobilisieren.
Das vergangene halbe Jahr war aber auch kein Zuckerschlecken, obwohl ich es mir so - und zwar genau so - ausgesucht hatte. Aber wie das mit dem Übereinanderlegen von Theorie und Praxis so ist: Abweichungen sind Programm. Im letzten Sommer hatte ich mich mit Betty auf einen Pachtvertrag geeinigt, das Grüne Kränzchen übernommen, und meinen Job im Kölner Reisebüro geschmissen. Meine Freunde im Rheinland staunten nicht schlecht, als ich verkündete, nun Wirtin einer Apfelwein-Kneipe in Hessen werden zu wollen, und meinen Plan direkt umsetzte, indem ich meine Kölner Wohnung vermietete und mir im Gegenzug eine Bleibe in Traunbach suchte. Meine Mutter startete noch einen kurzen Versuch, mich überreden zu wollen, wieder zu Hause einzuziehen. Aber mein Vater intervenierte mit dem schönen Ausspruch: »Also ich freu mich ja immer, wenn sie kommt. Aber ich freu mich auch immer, wenn sie wieder fährt .« Auch ich hatte nicht eine Minute daran gedacht, wieder im elterlichen Kinderzimmer Zuflucht zu finden. Schon wegen der Vorstellung, dass meine Mutter kommende potentielle Löcher in meinen Hosen mit weiteren Helden meiner Kindheit flicken könnte. Denn auf meiner Sommerhose prangt seit Mai ein Pumuckl und seitdem liegt sie ungenutzt im Schrank. »Für daheim oder wenn du mal streichen musst, ist die noch gut«, meinte meine Mama. Naja.
Glück für mich, dass sich der Traunbacher Wohnungsmarkt entspannter darstellte, als der einer Großstadt - innerhalb von zwei Wochen hatte ich eine neue Bleibe gefunden. Zwei Zimmer, Wohnküche, Balkon - mehr brauchte es nicht, denn ich war mir bewusst, dass mit der Übernahme der Apfelwein-Kneipe jede Menge Arbeit auf mich zukommen würde. Die Miete würde ich so oder so nicht abwohnen.
Dass der Ansturm aber dermaßen groß sein würde, hatte selbst ich unterschätzt. Zwar blieben einige Einheimische dem Lokal erst einmal fern (als würde man jetzt hier täglich Gefahr laufen, in ein Verbrechen verwickelt zu werden), andere trieb die Neugier aber erst recht in die Gaststätte, um Details der Geschichte rund um den Mord an Carla zu erfahren.
Carla war eine gute Bekannte meiner Mutter - leider aber auch die größte Klatschbase von Traunbach, was ihr letztendlich zum Verhängnis wurde. Und hier, im Grünen Kränzchen, stellte sich heraus, wer für ihren Tod verantwortlich war. Auch deshalb wollten wohl viele einfach mal sehen, welche Leute jetzt im Grünen Kränzchen »verkehren«. Und natürlich waren sie neugierig auf mich, dem »Traunbacher Mädchen«, das aus der Großstadt in die hessische Idylle zurückgekehrt war, nachdem sie zuvor einen Mord aufgeklärt hatte. Die Publicity machte den Rummel durch die Berichterstattung perfekt. Lokalblatt, Regionalradio und sogar die Hessenschau berichtete live und vor Ort von den mörderischen Ereignissen in Traunbach.
Nein, ich konnte mich über mangelnde Gäste wahrlich nicht beschweren. In den ersten Wochen waren wir auf Tage ausgebucht. Die Angestellten hielten mir und dem Grünen Kränzchen die Treue und so konnte sich auch meine Verpächterin Betty über einen nahtlosen Geldeingang auf ihrem Konto durch ihre neue Pächterin freuen.
Umzug, neuer Job, Selbstständigkeit - jetzt, da ich vor Doris sitze, merke ich, wie kaputt ich mich in der Tat fühle, und lasse merklich die Schultern hängen.
»Jetzt lass nicht direkt die Schultern hängen«, versucht mich Doris trotz Selbstwusstseins-Ehrlichkeitsschub dann doch zu trösten.
»Ich meine es ernst: Wie wäre es denn mit Urlaub?«
Urlaub . Das Wort dringt langsam in meinen Kopf und bahnt sich seinen Weg direkt ins Belohnungszentrum in meinem Gehirn. Ich schließe die Augen.
»Urlaub«, murmle ich, und vor meinem inneren Auge ziehen Bilder von Palmen auf, die auf einem weißen Sandstrand stehen. An der Bar steht ein Cocktail für mich bereit - natürlich mit einem bunten Schirmchen und einer Portion Obst am Rand. Aus der Ferne erklingt »Aloha heee« und ein knackiger hawaiianischer Eingeborener mit starken Armen und einem gewinnenden Lächeln, das zu allem einlädt, was Frau sich wünscht, will mir gerade einen Blumenkranz über den Kopf werfen, als mich eine schrille Stimme mit hessischer Klangfarbe laut und jäh aus meinem Tagtraum reißt:
»Ei, Lissie, biste am Schlafen? Wo dürfe mir denn hin?«
Ich öffne die Augen und sehe in das rosige Gesicht von Frau Kraft, Chefin unserer hiesigen Metzgerei, und Mutter von Doris' Exfreund Micha. Denn lange hielt die frische Liebe leider nicht. So heftig die beiden sich Knall auf Fall verliebt hatten, so schnell hatte sich die Liebe auch wieder abgekühlt. Metzger Egon Kraft, der ebenfalls in den Mordfall verwickelt war, ist mit einer Bewährungsstrafe davongekommen und überlässt jetzt meist seiner Frau das gesellschaftliche Leben, die es sichtlich genießt, nun endgültig die Hosen im Hause Kraft anzuhaben.
»Guten Abend, Frau Kraft«, sage ich freundlich, aber so erschöpft, als würde das Abendgeschäft nicht erst beginnen, sondern sich schon dem Ende neigen.
»Tisch fünf dort in der Ecke. Ist Ihnen der recht?«
Frau Kraft strahlt mich erst an - ich weiß ja inzwischen, dass die Metzgersfrau und ihr kartenspielendes Damenkränzchen Tisch fünf am liebsten mögen -, dann kräuselt sie ihre Stirn und sieht mich besorgt an:
»Kindchen, du siehst aber nicht gut aus. Du solltest auch mal ausspannen!«
Bevor ich das tue, muss ich ein ernstes Gespräch mit meiner Douglas-Fachverkäuferin führen, ob der von ihr empfohlene Concealer noch das Kosmetikum der Wahl ist, um meine Augenringe adäquat abzudecken. Wahrscheinlich kommt nach Concealer direkt: Schönheits-OP. Dann vielleicht doch erst mal Urlaub, bevor ich zu solch drastischen Mitteln greifen muss.
Frau Kraft nickt Doris, ihrer Exschwiegertochter in spe, noch kurz und etwas frostig zu, und lässt sich dann auf die Bank an Tisch fünf fallen. Für Mutter Kraft gibt es keinen, gar keinen, also überhaupt keinen Grund, warum man einem ihrer vier Söhne den Laufpass geben sollte. Das wird sie Doris ewig übel nehmen.
Ich wende mich wieder meiner Freundin zu, die gerade den letzten Schluck ihres Apfelweins austrinkt und sich anschickt, ihren Dämmerschoppen bei mir zu beenden.
»Hast du eigentlich mal wieder was von Micha gehört?«, frage ich sie noch, als wir beide uns von unseren Stühlen erheben - ich, um die letzten Vorbereitungen für den Abendservice zu treffen, Doris, um sich auf die heimische Couch zu werfen.
Ich seufze. Wie gern würde ich heute mit ihr tauschen.
Doris zuckt kurz mit den Schultern.
»Naja, wir schreiben uns ab und zu eine Nachricht bei WhatsApp. Ich glaube, er will nächste Woche zum Weihnachtsmarkt kommen. Aber ich fürchte, er hat es immer noch nicht überwunden, dass ich jetzt mit Logan zusammen bin.«
»Andreas«, korrigiere ich sie. »Du nennst ihn doch wohl nicht auch Logan?«
Doris sieht mich streng an.
»Natürlich nenne ich ihn Logan, Lissie! Ich unterstütze ihn in allem! So, wie Logan und ich das beide in der Therapie von Dr. Tiefenbruch gelernt haben. Und da sein Manager meint, in der Schlagerbranche käme Logan bei den Jüngeren einfach ein bisschen cooler rüber als Andreas, dann ist er für mich jetzt eben auch Logan.«
Ich schüttle den Kopf, in dem gerade Johnny Logan - Popstar meiner Kindheit - seinen Hit »Hold me now« anstimmt. Damals, als es noch »Grand Prix Eurovision de la Chanson« und nicht »Eurovision Song Contest« hieß. Ich fürchte, dass das nun immer so sein wird, wenn ich den Namen Logan höre. Immerhin löst das vielleicht meinen Loriot-Buttike-Tick ab. Denn immer, wenn ich das Wort »Boutique« höre, muss ich an Loriots Sketch denken, in dem von der »Herren-Buttike in Wuppertal« die Rede ist. Und mein Hirn macht dann aus »Boutique« automatisch »Buttike« - so habe ich es geistesabwesend sogar schon ausgesprochen. Peinlich.
Laura, meine neue studentische Aushilfe, tritt an den Tisch von Frau Kraft und ihren Freundinnen, die bereits die Karten für ihre »Riffifi«-Runde ausgeteilt haben, um die Bestellung aufzunehmen.
Reihum bestellen die Damen wahlweise Apfelwein oder Wasser, als schlussendlich Frau Lehmann, ihres Zeichens Frau eines hiesigen Bauunternehmers, dran ist. Jetzt wird sich zeigen, ob Laura zu gebrauchen ist, denn Frau Lehmann ist die ungekrönte Bestellkönigin: »Hach, Kind, mir ist den ganzen Tag schon kalt. Ich brauche was Warmes.
»Wie wäre es mit einem Kaffee?«, schlägt Laura vor.
»Kind! Wo denkst du hin! Dann kann ich die ganze Nacht nicht schlafen!«
»Wir haben auch einen entkoffeinierten .«, versucht...
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