Schweitzer Fachinformationen
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»Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben. Heute, da ich alt bin, weiß ich, es stimmt.«
Oscar Wilde
Umzüge waren die letzte Sache in meinem Leben, die noch ohne Geld ablief. Zog ich um, waren rund acht Freunde zur Stelle, meine Mutter machte Kartoffelsalat, es wurde geschleppt, gelacht und am Ende Bier getrunken. Als ich vor einem Jahr erneut den Stadtteil wechselte, stöhnten auch meine treuesten Kumpel am Telefon: »Wieso lässt du das nicht eine Spedition machen?« Dabei ging es doch nur um vier Stunden Arbeit für einen Freund. Sehnsüchtig dachte ich an die Familie meines Nachbarn Dimitri, der aus Russland stammt. Als er in die Wohnung neben mir einziehen wollte, erschienen zunächst zahllose Cousins und Freunde, die ihm alle Zimmer strichen und eine neue Küche einbauten. Für den Umzug selbst hatte er nicht nur unzählige Helfer, einer war sogar im Besitz eines Lkw. Das Buffet seiner Mutter reichte selbst für mich als nicht helfenden Nachbarn, der nur zufällig durchs Treppenhaus gegangen war. »Komm, Sebastian, iiiiß was«, sagte er mit dem spitzen »i«, das er aus Jekaterinenburg mitgebracht hatte.
Dimitri sparte sich aber nicht nur die Maler, die Spedition und den Cateringservice - in der Zeit nach seinem Einzug bemerkte ich, dass er sich auch in anderen Lebensbereichen weitgehend aus dem Geldsystem raushielt. Wenn seine Tochter mit Fieber zu Hause bleiben musste, zogen vorübergehend die Großeltern ein. Wenn mein Sohn erkrankt war, mussten meine Frau und ich ein kostspieliges Kindermädchen engagieren, da meine Eltern am Telefon sagten: »Wir fahren doch morgen nach Martinique, das Essen soll sehr gut sein auf der Queen Mary.«
Wenn Dimitri in den Urlaub fuhr, besuchte er stets irgendeinen seiner Verwandten, die sich über ganz Europa verteilt hatten. Sogar in London wohnte ein Schwager. Ich musste dort für viel Geld ein Hotelzimmer buchen. Er hatte Freunde, die ihm das Auto reparierten. Ich muss bis heute zum Audi-Händler und hasse ihn für Gespräche wie dieses: »Die Inspektion lief tadellos, Herr Schnoy, Ihr Wagen hat nichts.«
»Klasse!«
»Das macht dann 623,56 Euro. Zahlen Sie mit Karte?«
Dimitri vermied jede Art von Ausgaben. Das akzeptierte sogar der Mann von der GEZ, deren Geldeintreiber in Deutschland eigentlich als besonders hartnäckig gelten. Als dieser bei ihm klingelte, wurde ich von empörtem Russisch aufgeschreckt, das durch den Hausflur tönte. Durch den Spion sah ich, dass er den Mann durch den Flur führte und rief: »Heizung kaputt! Wann Sie machen heil?« Das waren dann auch die einzigen deutschen Wörter, die er in diesem Gespräch benutzte. Später sagte er mir dazu lächelnd: »Jetzt habe ich wieder Ruhe.«
Er war weder in einem Sportclub Mitglied noch im ADAC. Buchte keine Pauschalreisen und bestellte nichts im Internet. Als an sich marktliberal eingestellter Bürger machte ich im Geiste eine Liste. Auf die notierte ich Dimitris Partys, die ohne DJ und Cateringervice auskamen, die Tochter, die Klavier bei seiner Schwester lernte, und die Oma, die gegen alle möglichen Krankheiten ein Mittel »von zu Hause« anfertigen konnte. Alles zusammen belief sich der volkswirtschaftliche Schaden, den allein die Familie von Dimitri Jahr für Jahr anrichtete, auf mindestens 30 000 Euro. Man muss kein Volkswirt sein, um diese Summe auf alle ähnlich lebenden Familien hochzurechnen und dabei auf einen Millionenschaden zu kommen. Ein Heer von Erzieherinnen, Heilpraktikerinnen, Mechanikern, Musiklehrern und Handwerkern blieb arbeitslos, weil ein Teil der Bevölkerung einfach alles selbst machte. Ein Skandal!
Als Dimitris Ehe kriselte, hörte ich erst laute Wortwechsel durch die Wand, dann verschwand Dimitri mehrere Tage mit einem Kumpel. Als es in meiner Ehe kriselte, suchten wir Rat bei einer Beziehungstherapeutin. Ihre astronomischen Rechnungen ließen die von Audi wie einen Freundschaftsdienst aussehen, aber wir wollten professionelle Hilfe. Später zog Dimitri wieder ein und meine Frau aus. Ich hatte daraufhin einen Anflug von Depressionen.
»Wodka hilft, und russische Frauen auch!«, grinste Dimitri, aber ich zog eine Psychologin vor. Als ich dieser meine Geschichte erzählte und die Frage aufwarf, ob der Nachbar mit einem Freund als psychologischem Beistand nicht vielleicht besser dran sei als ich, sagte sie, dass gerade diese Äußerung zeige, wie sehr ich an einem ernst zu nehmenden Syndrom leide. Ich konnte mir den Namen meiner Störung nicht merken, aber sie schlug vor, besser noch fünf weitere Termine auszumachen.
Einige Jahre und viele erhellende Dimitri-Momente später zog ich in ein anderes Viertel, nach Hamburg-Othmarschen. Es war jener Umzug, bei dem mir niemand mehr ohne Bezahlung helfen wollte. Hier in den sogenannten Elbvororten waren auch Bereiche vom Geldsystem befallen, bei denen ich es bis dahin für völlig undenkbar gehalten hatte. Dienstleister suchten nicht nur die Möbel und Vorhänge aus, mein neuer Nachbar Marc bezahlte sogar jemanden, der mit ihm joggen ging. An meinem ersten Wochenende am Elbstrand sah ich große Range Rover in dunkelgrüner Lackierung, aus denen Windhunde sprangen, die zweisprachig erzogen wurden. Natürlich nicht von den Eigentümern der Hunde, sondern von Leuten, die Geld damit verdienten, anderer Leute Hunde auszuführen. Hier gab es sogar einen Poloclub, wobei man nicht selbst Polo spielte, sondern spielen ließ.
Der Unterschied zwischen Dimitris Kunst, aus der Not eine Tugend zu machen, und der Tugend meiner neuen Nachbarn, ohne Not viel Geld auszugeben, wird anhand dieser Erlebnisse sehr deutlich. Dimitris geldloses Leben war schlicht dem Umstand geschuldet, dass er nur wenig Geld hatte und den Rest anders organisieren musste. Seine Freunde waren solidarisch, weil die Mittel knapp waren. Diese Solidarität ist genau das, was viele Menschen, die in der DDR lebten, in guter Erinnerung haben, man half sich, war füreinander da. Aber wieso hilft man sich nicht mehr gegenseitig beim Tapezieren, wenn alle in Wohlstand leben? Wieso hatte Dimitri Freunde, die für ihn alles machten, und ich nicht? Ich hatte ihn einmal darauf angesprochen, ihm sinngemäß gesagt, ich beneide ihn dafür, dass er für jeden Fall jemanden kenne, der ihm helfe. »Du hast Geld, ich habe Freunde«, antwortete er lapidar und ließ mich mit meinen Rechnungen zurück.
Geld bestimmt inzwischen so unser Denken, dass wir völlig überrascht sind, wenn es bei anderen auch ohne geht. Ich hatte eine Begegnung, die mich immer noch peinlich berührt, wenn ich daran denke. Eine Freundin aus Griechenland, die in Hamburg lebt, erzählte mir, sie wolle ihr Ferienhaus an der Ägäis aufgeben. Es lohne sich nicht, sie fahre einfach zu selten hin. Ich wandte sofort ein: »Du kannst es doch an Freunde vermieten.« Sie schaute mich einen Moment lang still an und sagte dann: »Ich kann doch von Freunden kein Geld nehmen.«
Und das sollten wir auch nicht. Geld erobert schon so immer größere Bereiche unseres Lebens. Meine Oma hat sich immer dagegen gewehrt und gesagt: »Über Geld redet man nicht.« Ich werde in diesem Buch dagegen fast nur über die Macht und den Siegeszug des Geldes reden und sehe sie förmlich vor mir, wie sie die Augenbrauen hochzieht und ihre Dose mit Bohnenkaffee zurück ins Regal stellt. In Büchern hat man die Zeit, gründlich zu sein, und so sei gesagt, dass meine Oma durchaus ihren Grundsatz, nicht über Geld zu reden, brach, wenn sie hin und wieder rief: »Ich bin doch nicht Krösus!«
Wenn Sie dieses Buch gekauft haben, um zu erfahren, wie man endlich reich wird, werden Sie es nicht bereuen. Es gibt dafür unendlich viele Möglichkeiten, es bleibt nur die Frage, ob Sie bereit sind, alles zu tun, um reich zu werden, auch Dinge, die man nicht tun sollte. Ich mache mich in diesem Buch daher auch auf die Suche nach Alternativen, Lebensentwürfen und Gegenden, die es schaffen, ohne Geld zu leben. Welche drei Dinge würden Sie zum Beispiel auf eine einsame Insel mitnehmen? Hoffentlich kein Geld - wozu auch? Vielleicht ein Buch? Oder besser gleich drei Bücher? Ich persönlich habe tatsächlich mal eine unbewohnte Insel in der Karibik betreten. Sie ist winzig, namenlos und liegt in der Nähe von St. Martin. Hier die drei Sachen, die ich dorthin mitgenommen habe: eine Schnorchelbrille, eine Badehose und rund 1800 Gäste der »Aida Luna«, die an diesem Tag ebenfalls eine einsame Insel kennenlernen wollten. Stundenlang wurden sie mit Tenderbooten übergesetzt. So konnte ich am Strand an einer von der Crew aufgebauten Bar einen Caipirinha trinken, und der Bordfotograf machte ein Foto von mir. Für das Foto wurden mir später 8 Euro, für den Cocktail knapp 6 Euro in Rechnung gestellt. Und das auf einer Insel, auf der es vorher noch nie Geld gegeben hatte und danach wohl nie wieder geben würde. Dieses kleine Beispiel zeigt, zu welchen Eroberungszügen Geld fähig ist. Die ganze Welt war einst so friedlich wie diese Insel, doch dann hat das Geld nicht nur unsere Arbeit, nein, auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen und schließlich unsere Gedanken erobert.
Mit Geld ist es wie mit Chips, hat man einen im Mund, will man alle! Geld regiert nicht nur die Welt, es unterwirft sie. Die einen vergöttern es, die anderen verteufeln es als schmutzig und Grund für alles Elend auf dieser Welt. Mein Ansatz ist ein anderer: Es kann gut sein, Schulden zu haben....
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