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Okay, vielleicht haben ja West Highland White Terrier ihre ganz eigene Art, vollkommene und bedingungslose Liebe zu demonstrieren – indem sie zum Beispiel so tun, als wäre sie gar nicht vorhanden.
Anders kann ich es mir nämlich nicht erklären, dass Little P bei unserem Abschied so cool geblieben ist und, anstatt mir bei der Abfahrt hinterherzujaulen, nur immer wieder an Mamis Hosenbein hochgesprungen ist, um ein weiteres Leckerli zu ergattern.
Aber gut, sage ich mir, auch bei uns Menschen gibt es psychologische Mechanismen wie Verdrängung oder Übersprungshandlungen, damit wir nicht durchdrehen, wenn uns das Schicksal mal wieder auf eine besonders harte Probe stellt, wieso also soll sich nicht auch ein kleines Hündchen solcher Hilfen bedienen, um die grausamen Härten des Lebens seelisch unversehrt zu überstehen?
Und ganz sicher war es auch hilfreich, dass wir ihn Schritt für Schritt an meine Abwesenheit gewöhnt haben. Nachdem es nämlich eine gute Stunde gedauert hatte, bis Emma mich überreden konnte, mir wenigstens zu überlegen, Little P während unserer Reise bei meiner Mutter zu lassen, und dann weitere zwei Stunden, bis auch meine Mutter mir klargemacht hatte, dass sie den Kleinen ohnehin den ganzen Tag und teilweise auch das Wochenende über bei sich hat (was übrigens ziemlich übertrieben war; ich jedenfalls kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, dass ich das Wochenende über weggeblieben bin, und da handelte es sich auch um einen Notfall, weil mich ein äußerst gut aussehender Franzose namens Jean-Claude nach Paris eingeladen hatte) und Little P es somit sicher auch einmal zwei Wochen lang ohne mich aushalten könne.
Ich habe dann schweren Herzens nachgegeben, aber nicht ohne noch einen allerletzten, raffinierten Versuch zu starten: Ich simulierte kurzerhand meine Abreise, indem ich ein paar Sachen aus meinem Schrank in den Koffer schmiss, mich dann theatralisch von Little P verabschiedete, in mein Auto setzte und zu Emma fuhr. Als eine Art Generalprobe verbrachte ich anschließend noch die ganze Nacht bei ihr, wobei ich bis kurz vor Mitternacht stündlich bei meiner Mutter anrief und mich nach Little Ps Befinden erkundigte, und Mami musste mir jedes Mal detailliert Bericht darüber erstatten, wie es ihm ging. Schon klar, dass sie die besondere Dramatik der Situation herunterspielte, indem sie mir weismachen wollte, dass Little P kein bisschen traurig sei und mich überhaupt nicht vermisse. Aber ganz sicher litt der Kleine unter der Trennung ebenso wie ich. Als ich dann am nächsten Vormittag wieder auftauchte, blieb er zu meiner Verwunderung ganz locker (natürlich tat er auch da nur so, das kapierte ich sofort), schleckte mir bloß zweimal über die Hand und trollte sich dann mit den Schmackos, die ich ihm mitgebracht hatte. Aber immerhin, so konnte ich mich schließlich einigermaßen beruhigt zu dem Entschluss durchringen, mit Emma nach Los Angeles zu fliegen.
Was dann folgte, war Stress pur: Internetrecherche über die wichtigsten Adressen in der Traumfabrik; Packen; Reisedokumente zusammenstellen; über Internet die amerikanische Einreisegenehmigung einholen (zum Glück hatte Emma auf Anraten der Reisebüroangestellten schon tags zuvor via E-Mail unsere Daten durchgegeben und die Ansuchen gestellt); dem Bankheini noch eine Erhöhung des Dispokredits aus dem Kreuz leiern (Emma hat mir zwar wiederholt versichert, dass sie für alle Spesen aufkommt, aber dennoch werde ich natürlich auch ein bisschen eigenes Geld brauchen); noch einmal packen, weil Emma bei einem Telefonat beiläufig anfragte, ob ich auch an die Gepäckobergrenze von zwanzig Kilo plus sechs Kilo Handgepäck gedacht hätte; schließlich die Fahrt zum Flughafen und der tränenreiche Abschied von Mami und Little P, der aber vom Anblick einer Cockerspanielhündin so abgelenkt war, dass er gar nicht richtig mitbekam, wie ihn sein geliebtes Frauchen in der Heimat zurückließ; dann der Sicherheitscheck, bei dem ich den verbohrten Beamten nur von der Harmlosigkeit meiner Évian-Flasche überzeugen konnte, indem ich sie auf ex vor seinen aufgerissenen Augen austrank; nach weiteren zwei Stunden Däumchendrehen dann endlich das Betreten unseres Flugzeugs inklusive der ernüchternden Erkenntnis, dass auch der größte Jumbojet in Sachen Sitzkomfort nicht viel zu bieten hat, wenn man gleichzeitig über vierhundert Passagiere in ihn hineinquetscht.
Inzwischen sind sechs Stunden vergangen, gerade einmal die Hälfte der Flugzeit, und ich bin einem Nervenzusammenbruch nahe. Ich habe kaum Platz für meine Beine, die von den Knien abwärts bereits taub geworden sind. Dazu kommt, dass die Sitznachbarin zu meiner Linken entweder während des Essens schmatzt oder beim Schlafen schnarcht (übrigens die einzigen Beschäftigungen, denen sie bisher nachgegangen ist, und insgeheim beneide ich sie dafür) und die Nachbarin zu meiner Rechten (Emma) dagegen andauernd quasselt, außer es läuft ein Film, denn die laufen in diesem blöden Flugzeug ausnahmslos in Englisch, und ich muss dann jeden noch so unwichtigen Dialog Wort für Wort simultan für sie übersetzen.
Gerade ist Love Happens mit Jennifer Aniston und Aaron Eckhart zu Ende gegangen, und ich sinke erschöpft in meine Sitzlehne zurück.
»Toll, dass sie diese Filme spielen«, meint Emma fröhlich. »So vergeht die Zeit wie im Flug, hihihi.« Sie kichert verdächtig lange über ihr Wortspiel, und ich rechne im Kopf nach, wie viele Gin-Tonics sie der Stewardess eigentlich schon abgeschwatzt hat.
Langsam mache ich mir echte Sorgen um meine Beine. Ich kann meine Zehen nicht mehr spüren, und vor gar nicht langer Zeit habe ich gelesen, dass das größte Risiko bei Langstreckenflügen in der Gefahr einer Embolie besteht, weil die Blutzirkulation nicht mehr richtig funktioniert. Abgesehen davon kann man auch Krampfadern bekommen, habe ich gehört. Ich will aber keine Krampfadern!
Mann, wie ich die in der Business Class beneide. Beim Einsteigen wurden wir an deren superbreiten Sitzen vorbeigeschleust. Die haben da echt alles: Liegesitze, breite Armlehnen, für jeden Platz einen eigenen Fernseher, und ich wette, dass dort auch die Mahlzeiten nicht so mickrig ausfallen wie bei uns Normalsterblichen. Ich seufze. Wenn es nur einen Weg gäbe, auf einen dieser Plätze zu gelangen …
Hm. Mal überlegen: Es müsste doch möglich sein … Wenn ich jetzt zum Beispiel einfach … Ja, natürlich, so könnte es gehen!
»Emma, bist du mir böse, wenn ich mich für eine Stunde oder zwei ausklinke?«, frage ich möglichst unauffällig. »Ich brauche dringend ein bisschen mehr Platz.«
»Ausklinken?«, wiederholt sie verständnislos. »Wir sind hier in einem Flugzeug, schon vergessen?«
»Ja, ich weiß, aber ich habe einen Plan«, raune ich ihr verschwörerisch ins Ohr. »Ach ja, und noch etwas: Wundere dich nicht, wenn jetzt gleich ein paar seltsame Dinge geschehen, okay?«
»Okay«, gibt sie zurück, aber es klingt mehr wie eine Frage als eine Antwort.
»Also gut, dann wollen wir mal.« Ich erhebe mich und quetsche mich an ihr vorbei auf den Gang.
Ich mache ein paar unsichere Schritte bis zu dem kleinen Platz vor den Toiletten. Direkt vor mir befinden sich jetzt die Vorhänge der Business Class, die die Stewardessen gleich nach unserem Abflug zugezogen haben, um die reichen Schnösel vor unseren aufdringlichen Blicken zu schützen, doch durch einen verräterischen Spalt an der Seite ist mir vorhin nicht entgangen, dass da noch ein paar Plätze frei sind. Nun denn, da meine finanziellen Mittel nicht ausreichen, um mir diesen Luxus leisten zu können, muss ich jetzt notgedrungen auf eine andere Ressource zurückgreifen, um dahin zu gelangen: meine Phantasie.
Unter Emmas erwartungsvollen Blicken deute ich ein paar Kniebeugen an, bis ich den sympathisch wirkenden Flugbegleiter vom anderen Gang erspähe. Dann, als er professionell lächelnd näher kommt, greife ich mir theatralisch an die Stirn und lasse mich die Kabinenwand entlang langsam zu Boden gleiten, bis ich lang ausgestreckt auf dem Rücken zum Liegen komme, und um die Wirkung zu erhöhen, rolle ich dabei noch meinen Kopf zur Seite und verdrehe ein bisschen die Augen.
Sofort höre ich »Ach, du meine Güte, sie ist ohnmächtig geworden!« von dem beleibten Fluggast, vor dessen Sitz ich meine Turnübungen veranstaltet habe, dann ist der Steward auch schon über mir und starrt mich besorgt an.
Na also, funktioniert doch.
Vorsichtig tätschelt er meine Wangen, bevor er etwas sinnentleert fragt: »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Wonach sieht’s denn aus?«, liegt es mir auf der Zunge, doch stattdessen blinzle ich nur ein paarmal, während ich ihn aus trüben Augen anstiere, und forme mit scheinbarer Mühe meine Lippen zu einem Wort.
»Kreislauf«, würde mein knapper Text jetzt lauten, doch bevor ich das Wort noch hauchen kann, wird der Flugbegleiter wie ein Blatt Papier zur Seite gefegt, und das schwitzende Gesicht des dicken Fluggastes erscheint über mir.
»Da hilft nur Mund-zu-Mund-Beatmung«, stellt er mit Kennerblick fest. »Und eine Herzmassage natürlich!« Gleichzeitig wölbt er seine speckigen Hände und macht Anstalten, sie mir auf die Brust legen.
»Bloß nicht!«, entfährt es mir, und ich richte mich hastig auf.
»Wie jetzt?« Der Dicke starrt mich erstaunt an. »Gerade noch sahen Sie halb tot aus.«
»Ja, gerade noch«, stoße ich hervor, und im Hintergrund sehe ich die besorgten Gesichter von Emma und dem Flugbegleiter auftauchen. »Aber so schlecht geht es mir auch wieder nicht, es ist nur meine …« Ich...
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