Schweitzer Fachinformationen
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Halten Sie sich nach zweihundert Metern rechts . Halten Sie sich rechts . Nehmen Sie im Kreisverkehr die erste Ausfahrt rechts . Aber die erste Ausfahrt war gesperrt, wie der rot durchkreuzte Schriftzug Bad Rodau auf dem gelben Hinweisschild signalisierte. Unschlüssig umfuhr ich noch einmal den Kreisverkehr. Nehmen Sie die erste Ausfahrt rechts, wiederholte die Navigatorstimme. Wieder fuhr ich an der gesperrten Ausfahrt vorbei und nahm die zweite Ausfahrt . Zur Strafe für meinen Ungehorsam verschwand der rote Pfeil auf dem Display, und die weibliche Stimme verstummte: Jetzt sieh zu, schien ihr plötzliches Schweigen zu sagen, wie du ohne mich deinen Weg findest.
Nach etwa einem Kilometer kam ich erneut an einen Kreisverkehr. Und nahm die erste Ausfahrt rechts nach Bad Rodau, die hier nicht gesperrt war. Folgte dann einer kurvenreichen Landstraße, die sich an einem von Uferweiden und Silberpappeln gesäumten Bach entlangzog, an einsamen Gehöften, eingezäunten Pferdekoppeln und einem Getreidesilo vorbei. Kurz hinter dem Ortsschild Bad Rodau bog ich auf einen Parkplatz. Ich nahm die angebrochene blaue Schachtel von der Ablage und zündete mir eine Zigarette an. Ein Mal noch eine rauchen!
Während ich den Rauch durch das offene Wagenfenster blies, war mir plötzlich, als säße Dorothea neben mir auf dem Beifahrersitz, in ihren beigen Sommershorts, die nackten Füße gegen das Handschuhfach gestemmt und genüsslich an ihrer Zigarette ziehend . Ich schloss die Augen und sah sie jetzt, während ich mich ihr langsam näherte, in ihrem roten Bikini auf der Bastmatte sitzen, hinter dem wehenden Dünengras funkelte das Meer, sie war in ein Buch vertieft, während ihre aufgestützte Rechte die Zigarette hielt, die sie mit einer zierlichen Bewegung zum Mund führte. Plötzlich - sei es, dass sie meine Nähe in ihrem Rücken spürte, sei es, dass sie das leise Knirschen des Sandes unter meinen Sohlen hörte - wandte sie sich nach mir um und empfing mich mit leuchtenden Augen. Das war Glück!
Ich öffnete die Wagentür und stieg aus. Schlurfte durch das Laub auf dem Boden der kleinen Parkbucht. Seit meiner Kindheit mochte ich das trockene Rascheln des Herbstlaubs unter meinen Schritten. Ich folgte der tänzelnden Abwärtsbewegung der Blätter, die der Wind von den Ahornbäumen blies. Bis mein Blick den Boden streifte und an unserem Nummernschild haften blieb: LM-DO 202. Ob ich nicht lieber ein neues Kennzeichen beantragen wolle?, hatte mich kürzlich ein Freund gefragt. - Warum?, antwortete ich, es ist unser Auto, und sie fährt ja noch immer mit.
Das an jeder Kreuzung ausgeschilderte Kurgebiet war leicht zu finden. Es lag am südlichen Rand des um einen See gelegenen Kurstädtchens Bad Rodau, das - wie dem Flyer zu entnehmen war - mit seinem mittelalterlichen Stadttor und seinen alten Fachwerkhäusern zu den architektonischen Perlen der Region zählte. Am Ende einer großen Allee, gleich hinter dem Thermalbad, zogen drei durch eine Parkanlage miteinander verbundene Häuser meine Aufmerksamkeit auf sich. Auf dem Dachfirst des mittleren Hauses thronte ein stilisierter Vogel mit gebogenem Schnabel und einer antennenartigen Feder auf dem Kopf, die an das zierliche Krönchen der Eichelhäher erinnerte. Unschwer erkannte ich das auf der Werbebroschüre abgebildete Emblem der psychosomatischen Klinik Phönix.
Langsam steuerte ich den Wagen in den letzten freien Parkstreifen. Die Tür zur Empfangshalle war nur angelehnt. Meinen Rollkoffer hinter mir herziehend, trat ich ein. Niemand war zu sehen, die Rezeption war unbesetzt. Ich hatte mich allerdings sehr verspätet, es war schon fast 21 Uhr, dabei hatte ich mein Kommen für spätestens 18 Uhr angekündigt.
Und doch war ich hier nicht allein: Aus der Tiefe der Lobby, die nur im Eingangsbereich noch spärlich beleuchtet war, drang, von leisem Klavierspiel begleitet, ein betörender Gesang an mein Ohr, eine Melodie, die ich nur allzu gut kannte - getragen von einer weichen Mezzosopranstimme, die mir direkt ins Herz ging. Wie verzaubert blieb ich stehen und lauschte der unsichtbaren Sängerin, die ihr ganzes Gefühl in die gedehnten melodischen Bogen des Ave-Maria zu legen schien.
Wie benommen ließ ich meinen Koffer stehen und folgte dem Sirenengesang. Dabei stieß ich versehentlich mit dem Fuß gegen eine Glasvitrine, wodurch ein klirrendes Geräusch entstand. Abrupt brach die Stimme ab, das Klavierspiel endete in schrillem Missklang. Ich trat neben die Mittelsäule, welche die Hallendecke stützte und mir die Sicht auf das kleine Podium verstellt hatte, auf dem das Piano und mehrere Trommeln standen. Gerade noch konnte ich sehen, wie eine Gestalt mit langen dunklen Haaren vom Klavierschemel aufstand, sich kurz nach dem Störenfried umdrehte, dann durch die Tür huschte und in dem dahinterliegenden Korridor verschwand. Wer war diese Frau, die mit ihrem Gesang Steine erweichen konnte? Und warum stahl sie sich weg wie eine ertappte Diebin? Wollte sie keine Zuhörer haben?
»San Sie der Profeschor Fohrbeck?«
Ich drehte mich um. Hinter der Rezeption war eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz aufgetaucht, ganz in Weiß gekleidet. Ich nickte geistesabwesend.
»Mir habe Se zum Abendesse erwartet, Herr Profeschor. Leider isch der Speisesaal scho gschlosse.«
»Entschuldigen Sie meine Verspätung, ich bin leider erst am späten Nachmittag von zu Hause losgekommen, außerdem haben mich zwei Staus aufgehalten. Ist Doktor Wieland noch im Hause?«
»Der Doktor konnt leider net auf Sie warte, da er heut Abend a wichtige Termin hätt.«
Schade! Gerne hätte ich den ersten Abend hier mit meinem Freund Ansgar verbracht, der leitender Therapeut der Phönix-Klinik war und sie mir empfohlen hatte.
Während die blonde Schwäbin im Computer nach meinen Daten suchte, sah ich mich um. Zu beiden Seiten der Eingangstür gab es Sitzecken mit orangefarbenen Sofas, bequemen Stoffsesseln und Glastischen, auf denen mit Orchideen bestückte Vasen standen. Wie dezente Raumteiler wirkten die hohen kubusförmigen Glasvitrinen, in denen allerlei medizinische Ratgeber und Bücher mit esoterisch anmutenden Titeln ausgestellt waren: »Das Glück, einen Baum zu umarmen« - »Die Aura-Fotografie als Schlüssel zum Selbst« - »Die sieben Hauptchakras und ihre Bedeutungen«. Auch Hermann Hesses »Siddharta« und Paulo Coelhos Erfolgsroman »Der Alchimist« fanden sich unter den ausgestellten Titeln. In einer anderen Vitrine waren verschiedenfarbige Edelsteine zu sehen, denen heilkräftige Wirkungen zugeschrieben wurden.
Schließlich fiel mein Blick auf eine sonderbare Pyramide, die neben der Mittelsäule platziert war: Es handelte sich um eine durchsichtige Edelstahlkonstruktion von circa einem Meter Höhe, deren Grundlinien zwei ineinandergesteckte Pyramiden nachbildeten. Die eine Spitze zeigte nach oben, während die andere auf dem Kopf stand und mit der Spitze den Boden berührte.
Was es mit dieser Pyramide auf sich habe?, fragte ich die junge Frau an der Rezeption.
»O., des isch was ganz Bsonders mit dene zwei Pyramide, Herr Profeschor. Schon die alte Ägypter habe gwusst, und neuere physikalische Experimente han des bestätigt, dass Läbensmittel wie Fleisch oder Gmüse, die man unter die Pyramide lege tät, und zwar genau unter die Spitze, länger konserviert bleibe . Und wenn Sie das innere Quadrat mit beide Hände längere Zeit anfasse, verspüre Sie 'nen wunderbaren Zufluss an Energie. I habs oft scho probiert. Wenn i müd bin, fass i die innre Pyramide an und fühl mi danach, wie wenn i grad aus der Dusche käm.«
Nur schwer konnte ich, bei dieser Mischung aus schwäbischem Pragmatismus und Okkultgläubigkeit, ein Lachen unterdrücken. Gleichzeitig fragte ich mich, ob ich hier eigentlich richtig war. Schließlich war ich nicht, gemeinsam mit Dorothea, aus der Kirche ausgetreten, um mich jetzt einer esoterischen Heilslehre anzuschließen, sei diese nun schamanistisch, buddhistisch oder ägyptisch-orientalisch inspiriert.
Die schwäbelnde Rezeptionistin erläuterte mir nun die Topografie der Klinik: »Mer san hier im Haus Sonne, wo auch die meischte Anwendunge stattfinde. Dort drübe isch das Haus Kristall. Sie wohne nebean im Haus Oase. I zeig Ihnen jetzt Ihr Zimmer.«
Ich folgte ihr durch einen langen Korridor, an dessen Wänden die Porträts der Mitarbeiter hingen, auch einige ausländische Namen und Gesichter darunter, nach den entsprechenden Teams geordnet. Alle Abteilungen wurden im gleichen Format vorgestellt, das Team, das für die Küche und die Reinigung zuständig war, rangierte gleich neben dem der Ärzte und Psychotherapeuten ohne die an den Kliniken übliche hierarchische Stufung.
Am Ende des Flurs lag der Speisesaal. Rechter Hand führte eine Tür mit Metalltreppe nach draußen in die beleuchtete Gartenanlage und auf einen überdachten, in leichtem Zickzack verlaufenden Holzsteg. Dieser ging an einem kleinen Seerosenteich vorbei und verband das Haus Sonne mit dem Haus Oase. Am Rand der Gartenanlage, zur Straßenseite hin, stand ein...
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