Schweitzer Fachinformationen
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Es hätte so ein schöner Tag werden können.
Ich verfluchte den Plan von der ersten Sekunde an. Vor ein paar Jahrmilliarden war es in der ersten Sekunde mit einem Urknall und ein paar chemischen Reaktionen getan. Eben gab es auch einen Knall, doch der tat höllisch weh. Die Scheibe war um mehrere Härtegrade stabiler als meine Stirn, die es sich gerade überlegte, aufzuplatzen oder mit einer optisch entstellenden Beule zu reagieren. Das gleichzeitig einsetzende Geräusch war ähnlich schmerzhaft und hatte die gleiche Wirkung wie eine komplette Schulklasse, die mit ihren Fingernägeln über die Tafel quietschte. Mein Kopf versuchte, sich wie ein Pullover umzustülpen, was evolutionsbedingt nicht trivial war.
Weitere Bewegungen übelster Art kamen hinzu: So musste das Leben einer Sprungfeder sein. Meine Gleichgewichtsorgane stellten ihren Dienst ein und schickten ein Notsignal an das Gehirn, das unaufgefordert einen Halskloß in Medizinballgröße produzierte. Jeden Moment würde mir die vorhin gegessene Pizza »Mit allem ohne Fischzeug« noch mal durch den Kopf gehen.
Erneut knallte ich mit voller Wucht an die Scheibe, und unmittelbar danach wurde ich zurück in den Sitz geworfen.
Ein diabolisches Lachen ertönte. »Ah, jetzt habe ich den Gang gefunden.«
Ich schielte mit letzter Kraft nach links und sah, wie sich ein Fuß nicht darüber einig war, welches das Gas- und welches das Bremspedal war.
Ein letzter Ruck und der Polizeitransporter schoss wie eine Rakete vom Parkplatz hinter unserer Dienststelle auf den viel befahrenen Waldspitzweg.
KPD, wie wir unseren Dienststellenleiter Klaus P. Diefenbach nannten, saß auf dem Fahrersitz des Polizeitransporters. Dem nicht genug, musste er ihn auch noch selbst fahren. Das Schlimmste aber: Ich saß in dem Transporter und war dem fahrerischen Unvermögen meines Vorgesetzten hilflos ausgeliefert. Nie im Leben würden wir diesen Höllentrip überstehen, auch wenn wir kürzlich erst eine Fahrt mit ihm mit knapper Not überlebt hatten. Mein seit Jahrzehnten persönlich ausgeheckter Plan, in vielen Jahren an Altersschwäche zu sterben, wurde nahezu undurchführbar. KPD schien dies wenig zu beeindrucken. Er begann zu singen.
»Mir sinn die Tramps vun de Palz, uns steht des Wasser immer bis zum Hals.«
Während er singend zum zweiten Mal den Verkehrskreisel am Ende des Waldspitzwegs umrundete, blickte er nach hinten, zu den ebenfalls durchgeschüttelten Kollegen. »Singen Sie zur Einstimmung ruhig ein wenig mit. Sie kennen doch den Text dieses fröhlichen Liedes von Tony Marshall?«
Inzwischen hatte er einen Ausgang des Kreisels gefunden. Aus dem Fond meldete sich meine Kollegin Jutta Wagner.
»Wie wäre es, wenn ich das Steuer übernehme, Herr Diefenbach? Dann können Sie ungestört Ihren musikalischen Neigungen frönen.«
KPD drehte sich schwerfällig auf seinem Sitz herum, ohne das Gaspedal zu entlasten.
»Das geht nicht, Frau Wagner«, beschied er ihr. »Wie sieht das aus, wenn ich eine Frau fahren lasse und untätig danebensitze? Ich bin halt mal ein guter Chef.«
In letzter Sekunde konnte ich das Lenkrad herumreißen, sonst hätte der Kirchturm der Gustav-Adolf-Kirche ein statisches Problem davongetragen. Wegen meiner mutigen Reaktion ließ es sich allerdings nicht vermeiden, die hinter der Kirche befindliche Ampelanlage bei Rot zu überfahren. Glücklicherweise gab es keinen Querverkehr aus der Lillengasse.
KPD hatte diesen Beinahe-Crash nicht einmal bemerkt. Zornig fuhr er mich an: »Lassen Sie das, Herr Palzki. Heute fahre ich!«
Während unser Chef seinen Gesang wieder aufnahm, atmete ich tief durch und schloss die Augen. Die Wahrscheinlichkeit lag hoch, dass ich dieses das letzte Mal in meinem Leben tat.
Wie hatten wir es nur fertiggebracht, den Dienststellenleiter der Schifferstadter Kriminalinspektion ein ganzes Jahr lang zu ertragen, ohne uns wie in der Legende der Lemminge geschlossen über eine Klippe zu stürzen?
Tatsächlich war es erst ein Jahr her, seit KPD an unsere Dienststelle strafversetzt wurde und das Regiment übernahm. Nichts war mehr wie vor einem Jahr. Nur zwölf Monate, gefühlt dauerte diese, nach meiner Schulzeit zweitschrecklichste Lebensepisode, mindestens das Zehnfache.
Ein Jahr Dienststellenleiter, das musste natürlich gefeiert werden. In wenigen Tagen fand die offizielle Feier statt, zu der KPD nicht nur das Palatinum in Mutterstadt, ein großes Veranstaltungshaus, mietete, sondern sämtliche, ihm habhafte A-, B- und C-Prominente der Region eingeladen hatte. Da er ständig damit angab, welch guter Chef er sei, kam ihm die Idee, auch seinen Mitarbeitern etwas Gutes anzutun. Statt uns mit einer Woche Sonderurlaub wirklich zu überraschen, beschloss er, einen Ausflug mit uns zu unternehmen. Da ihm dieser Ausflug für alle Mitarbeiter zu kostspielig geworden wäre, die Mietpreise und das Catering für das Palatinum waren schließlich nicht ohne, lud er für den heutigen Samstag nur eine Handvoll Beamte ein, die danach ihren Kollegen von dem Abend berichten sollten. Da sich niemand freiwillig meldete, um an KPDs zweifelhaftem Ausflug teilzunehmen, deutete er ein paar seiner Untergebenen heraus. Neben Jutta Wagner und Gerhard Steinbeißer war auch ich einer der betroffenen Beamten.
»Herr Palzki«, sagte er bei der Besprechung, auf der er seine Pläne bekannt gab, »Sie dürften am meisten davon profitieren, mal einen ganzen Abend in meiner Nähe zu sein. Da können Sie viel lernen.«
Als er am Ende der Salierstraße wegen des Verkehrs auf der Speyerer Straße nicht schnell genug abbiegen konnte, schaltete er kurzerhand das Sondersignal ein und fuhr los. Die quietschenden Reifen des gegnerischen Wagens waren nur zu erahnen.
»Sind die Transporter nicht schallgeschützt?«, fragte KPD. »Der Lärm ist infernalisch.« Er schaltete das Signal aus, und meine Ohren begannen zu klingeln wie früher die Schrotthändler, die durch die Straßen fuhren und ständig >Lumpe, alt Eise< riefen.
Wie durch ein Wunder erreichten wir die A 61 ohne weiteres Eingreifen meinerseits. KPD hatte sich an den großen Transporter, der ganz anders auf der Straße lag als sein luxuriöser Dienstwagen, ein wenig gewöhnt. Die drei oder vier Sachschäden an parkenden Autos und Verkehrsschildern würde er morgen irgendwie vertuschen oder einer Person, die er nicht leiden konnte, in die Schuhe schieben.
Jeder weiß, dass es auf der Autobahn andere Gesetze gab. Hier galt das Recht des Stärkeren, das Recht des Ichs, das Recht der Fahrzeuglenker, die zu Beginn ihrer Fahrt nicht in ihr Auto stiegen, sondern es anzogen. Sie verschmolzen mit ihrem Statussymbol und eigneten sich die mutmaßlich übermenschlichen Fähigkeiten ihres Wagens an. Was oft genug schiefging. Die Friedhöfe sind voll mit Menschen, die sich im Verkehr überschätzten, und leider auch mit ihren Opfern.
Ein einzelner Polizeiwagen auf der Autobahn setzte dieses Gesetz außer Kraft. Das mag in vielen Fällen daran liegen, dass die Zielgruppe, die auf Autobahnen generell auf das Recht des Stärkeren pochte, in Flensburg ein Punktekonto pflegte, das in schriftlicher Form nur noch durch DIN A3 in Querformat zu überblicken war. Verkehrspsychologen hatten sogar einmal vorgeschlagen, Polizeiwagenattrappen an wechselnden Stellen auf die Standstreifen der Autobahnen zu stellen.
Jedenfalls kam der psychologische Polizeiwageneffekt auf Autobahnen der Fahrweise von KPD zugute. Kaum ein Autofahrer traute sich, uns zu überholen. Teilweise mag es vielleicht auch daran gelegen haben, dass KPD beide Fahrbahnspuren für sich beanspruchte, während er singend und schunkelnd den Wagen lenkte.
Eine halbe Stunde war vergangen, und wir näherten uns nicht nur dem Ziel, nein, wir waren auch einigermaßen vollständig am Leben.
»Wo wollen Sie parken?«, fragte ich optimistisch meinen Chef, da ich aufgrund der geringen restlichen Wegstrecke Hoffnung auf ein Überleben schöpfte. Da ich die desaströse Parksituation kannte, mussten wir uns wohl oder übel auf einen längeren Fußmarsch gefasst machen.
KPD winkte lässig ab. »Lassen Sie das mal meine Sorge sein, das habe ich als guter und vordenkender Chef bereits geklärt.«
Längst standen wir in einem Stau. KPD sah ein, dass auf der vollgestopften Straße das Einschalten des Sondersignals nichts nutzen würde. Wir krochen im Rollatortempo seitlich an der Bad Dürkheimer Saline vorbei, die eigentlich Gradierbau hieß.
Am folgenden Kreisel bremste er hart vor der Absperrung, die den Zugang zum Parkplatz blockierte. Die Absperrung hatte ihren Sinn, denn hier fand das größte Weinfest der Welt statt: der traditionelle Dürkheimer Wurstmarkt.
KPD ließ das Fenster herunter und winkte zwei Helfern zu, die zufällig in der Nähe standen.
»Schnell, ihr da, schiebt die Gitter zur Seite, ich muss da rein!«
Da er als Einziger von uns Uniform trug und seine Stimme äußerst autoritär wirkte, war dieses Hindernis im Nu zur Seite geräumt. KPD hatte fast freie Fahrt, wenn man von der Masse an Besuchern absah, die die Wege säumten. Wenn KPD jetzt die Pedale verwechselte, würde man in der Zeitung von den ersten Verkehrsunfallopfern auf dem Wurstmarktgelände lesen können.
Nach knapp 50 geschlichenen Metern erreichten wir eine provisorische Polizei- und Erste-Hilfe-Station. Unser Chef fackelte nicht lange und stellte den Transporter eher mehr als weniger verkehrsbehindernd direkt vor dem Zugang zu dem kleinen Gebäude ab.
Wir stiegen aus und sortierten unsere Knochen. Mein Kollege...
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