Schweitzer Fachinformationen
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Es hätte so ein schöner Tag werden können.
»Musst du mir immer alles vermiesen?« Meine Frau Stefanie schaute mich mit einem kurz vor der Explosion stehenden Blick an. Diese Mimik war ein überaus deutlicher Warnhinweis. Ich konnte zwar nicht, wie es klischeehaft regelmäßig beschrieben wurde, meiner Frau jeden Wunsch von den Augen ablesen, aber zumindest aus ihrem Blick erkennen, wenn innerfamiliäre Gefahr drohte.
Ich schaltete rhetorisch einen Gang zurück. »Wer spricht denn hier von vermiesen? Ich wollte dir nur völlig objektiv meine Bedenken schildern.«
»Und wo liegt da der Unterschied?«, brummte sie mich an. »Wir haben selten genug die Gelegenheit, ohne Kinder auszugehen.« Sie sah mich herausfordernd an und stellte mit bittersüßer Stimme die Frage der Fragen: »Oder willst du überhaupt nicht mit mir ausgehen?«
Ich wusste, dass in solch einer Situation ein einziges falsches Wort genügen würde, um den Dritten Weltkrieg auszulösen. Zwecks privater Deeskalation und Bemühungen um den Weltfrieden nahm ich sie in den Arm und lächelte sie an. Gegen mein Lächeln war sie meist wehrlos. »Natürlich freue ich mich auf den gemeinsamen Abend mit dir. Es sind nur die Begleitumstände, die mich stören.«
»Du musst nicht einmal Wein trinken«, erwiderte sie. »Wir sagen den anderen, dass du Auto fahren musst. Damit wird sich wohl jeder zufriedengeben. Du musst also keine Angst haben, dass du wieder Sodbrennen bekommst, Reiner.«
Ich erkannte das Missverständnis. Gut, dass wir darüber gesprochen hatten. »Ich meine doch gar nicht die Weinprobe an sich, Stefanie«, klärte ich sie auf. »Du weißt, dass ich seit einiger Zeit auch mal ein Gläschen Wein trinke. Seit meinen Ermittlungen in Bad Dürkheim und an der Weinstraße habe ich mich mit dem Rebensaft angefreundet. Er soll nur nicht zu viel Säure haben. Dennoch darfst du heute gerne an der Weinprobe aktiv mitmachen. Ich will doch, dass du auch mal deinen Spaß hast.«
Stefanie sah mich ratlos an. »Und wozu dann das ganze Theater? Ich dachte, du willst dich um den Abend drücken?«
»Ich doch nicht!«, wehrte ich mit beiden Händen ab, wohl wissend, auf der Verliererseite zu stehen. »Wie gesagt, es geht mir nur um die Begleitumstände.«
Meine Frau verstand immer noch nicht.
»KPD«, antwortete ich fast flüsternd.
Jetzt hatte sie verstanden und lachte laut heraus. »Du machst dir solch einen Stress wegen deines Chefs? Du siehst ihn die ganze Woche.«
»Eben drum. Da will ich ihn nicht auch noch am Samstagabend ertragen müssen. Seit Tagen erzählt er auf der Dienststelle jedem, der es nicht wissen will, dass er uns beide zu einer Weinprobe nach Landau eingeladen hat. Du kannst dir nicht vorstellen, welches Spießrutenlaufen ich täglich im Büro durchstehen muss. An den kommenden Montag möchte ich jetzt gar nicht denken.«
KPD, wie wir den Dienststellenleiter der Kriminalinspektion Schifferstadt wegen seiner Initialen nannten, hieß in Wirklichkeit Klaus Pierre Diefenbach. Man konnte ihn mit einem einzigen Attribut beschreiben: Egozentrisch. Das klang im ersten Moment relativ harmlos, sind doch viele bekannte Politiker, Schauspieler und andere A- bis D-Promis Egozentriker. Bei KPD war es weitaus schlimmer. Sein Weltbild bestand ausschließlich aus ihm. Alles, was sich um ihn herum abspielte und nicht in seine Gedankenwelt passte, gab es für ihn nicht. Um KPD zu verstehen, muss man die Zeit 13,8 Milliarden Jahre zurückdrehen. Nach der Urknalltheorie gab es vor diesem Zeitpunkt weder Materie noch Raum oder Zeit. Alles war in einer sogenannten Singularität vereinigt. Wenn man sich meinen Chef charakteristisch als solch eine Singularität vorstellte, dann war man an der Wahrheit verdammt nah dran. Selbst Donald Trump war gegen meinen Chef ein Altruist.
»KPD wird die ganze Veranstaltung sprengen. Ich befürchte, dass der Winzer Suizid verübt, wenn ihm KPD dauernd ins Wort fällt und ihn korrigiert.«
»So schlimm wird's schon nicht werden«, wiegelte Stefanie ab. »Herr Diefenbach ist zwar ein ausgeprägter Narzisst, aber wir müssen uns ja nicht neben ihn setzen.«
Natürlich würde es so kommen, dachte ich. KPD würde mir den ganzen Abend feuchte Sprechsalven in mein Ohr spucken, alles andere wäre ein Wunder.
»Außerdem gibt es nicht nur die Weinprobe«, sprach meine Frau weiter. »Wie du weißt, sind mehrere Landfrauen anwesend, die Einblicke in ihre Projekte über gesunde Ernährung geben.«
»Ich weiß«, sagte ich leise, fast schon verbittert. Von dieser Sache hatte ich erst nachträglich erfahren. Was das Thema Ernährung betraf, lagen Welten zwischen meiner Frau und mir. Konflikte ohne Ende. Stefanie ernährte sich als Vegetarierin gesundheitsbewusst: Rohkost, Gemüse und weitere grausame Dinge tauchten regelmäßig, das heißt täglich, in unserem Speiseplan auf. Unter der Woche konnte ich auf der Dienststelle meine Nahrungsaufnahme teilweise damit kompensieren, dass wir einen Dauerauftrag mit einem Pizzalieferanten unterhielten. An den Wochenenden und manchmal abends gelang mir gemeinsam mit den Kindern eine familiäre Futterflucht in Richtung Speyer, wo meine geliebte »Currysau« residierte. Aber auch hier hatten die letzten Wochen für einschneidende Veränderungen gesorgt: Zunächst war meine Tochter Melanie ernährungstechnisch konvertiert, seit sie in der Schule an der AG »Gesundes Kochen« teilnahm. Gemeinsam mit ihrer Mutter hatte sie einen kleinen Teil unseres Rasens herausgestochen und ein Kräuterbeet angelegt. Da sie mich und mein gesamtes Naturwissen kannten, hatten die beiden das Beet mit einer kleinen Steinmauer eingefasst, damit es beim Rasenmähen nicht unter die Räder kam. Das war nicht so weit hergeholt: Stefanie wunderte sich mehrere Jahre lang, warum der von ihr mitten im Rasen gepflanzte Bergahorn nicht richtig anwuchs. Bis sie mir eines Tages beim Rasenmähen zuschaute.
Bezüglich Nahrungsaufnahme gab es eine weitere Veränderung im Hause Palzki: Bei meinen Ermittlungen im Mannheimer Luisenpark war ich, als ich den Fernmeldeturm treppenmäßig besteigen musste, zu der Erkenntnis gekommen, einen kleinen Teil meines Körpergewichtes zu reduzieren. Stefanie war zwar der Meinung, dass ich einen größeren Teil meines Körpergewichtes reduzieren müsste, doch das meinte sie sicher nur im Scherz. Seit diesem Zeitpunkt waren die Besuche in der »Currysau« viel seltener geworden und statt Pizza in der Mittagspause gab es dreimal wöchentlich mit trockenen Käsescheiben belegtes Vollkornbrot, das mir Stefanie morgens zubereitete.
Stefanie tätschelte mir den Bauch. »Vielleicht finden wir doch noch etwas, was dir schmeckt und wenig Kalorien hat. Warst du in der letzten Zeit auf der Waage gestanden?«
»Vor zwei oder drei Tagen«, antwortete ich annäherungsweise. Dass ich mich frustriert mehrmals am Tag wog, musste ich ihr nicht auf die Nase binden. »Fast zehn Pfund habe ich inzwischen runter. Sieht man doch, oder was meinst du?«
»Fünf Kilogramm?«, fragte Stefanie und schaute mir auf den Bauch. »Sehen tut man noch nicht so viel.«
»Zehn Pfund«, beharrte ich. »Abnehmen tut man in Pfund, nur zunehmen in Kilo. Außerdem spannt die Hose bei Weitem nicht mehr so arg wie vorher.«
»Das ist auch eine neue«, antwortete Stefanie und seufzte. »Du wirst das schon schaffen, Reiner. Ich unterstütze dich, so gut ich kann.«
Eine weitere Diskussion rund um die Teilnahme an der Weinprobe erübrigte sich, da meine Schwiegermutter eintraf, die sich für den Abend als Kinder- beziehungsweise Babysitter zur Verfügung stellte.
»Hallo, Reiner«, begrüßte sie mich und stierte sogleich auf meinen Bauch. »Du wirst immer fetter.«
Stefanies Mutter konnte ich noch nie sonderlich gut leiden, glücklicherweise wohnte sie in Frankfurt und kam nur selten zu Besuch. Nachdem ich ihr ein paar Freundlichkeiten wie »Du wirst auch immer älter« und »Trägt man das jetzt so in Frankfurt?« retourniert hatte, ging sie eingeschnappt mit Stefanie ins Nebenzimmer zu unseren inzwischen einjährigen Zwillingen Lisa und Lars, die lautstark ihren Mittagsschlaf beendeten.
Die größte Pein blieb mir erspart: Stefanie verzichtete darauf, von mir das Tragen einer Krawatte zu verlangen. Das aufgezwungene Jackett, das noch aus Hochzeitsbeständen stammte, reichte. In Landau würde ich eine Gelegenheit finden, es schnellstmöglich über die Stuhllehne zu hängen oder an der Garderobe zu vergessen.
»Hoffentlich stinkt KPD nicht so sehr wie das letzte Mal. Weißt du noch?«
Stefanie nickte. Vor einiger Zeit hatte uns mein Chef zu den Nibelungenfestspielen nach Worms eingeladen. Als er uns abholte, blieb uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg: Er musste in Parfüm gebadet haben, so entsetzlich hatte es gestunken. In seiner näheren Umgebung mussten damals sämtliche Sauerstoffmoleküle abgestorben sein. Ich wusste bis heute nicht, wie er seine Atmung aufrechterhalten konnte.
Es klingelte. Stefanie schaute ein letztes Mal an mir herunter und schien zufrieden. Ich durfte die Tür öffnen.
Da ich wusste, was mich erwartete, war der Schock nicht allzu groß. KPD stand in seiner obligatorischen Maßuniform vor mir. Ich hatte ihn, mit einer einzigen Ausnahme kürzlich im Luisenpark, nie ohne Uniform gesehen. Von der Uniform, zumindest dem oberen Teil, sah man nicht viel. Sie war über und über mit Orden und Ansteckern zugepflastert. In der Hand hielt er einen überdimensionalen Blumenstrauß, der sicherlich ein Vermögen gekostet hatte. Die ihn umströmende Parfümwolke hielt sich in Grenzen. Doch es gab noch eine andere Auffälligkeit:...
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