Schweitzer Fachinformationen
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Es hätte so ein schöner Tag werden können.
Ludwigshafen ist die Hölle.
Egal, wo ich hinschaute, mir wurde sofort schwarz vor Augen. Der Schwindel steigerte sich in eine diabolische Ekstase, die Lebensfeindlichkeit meiner Umgebung war unermesslich. In Ludwigshafen würde ich elendig sterben. Und zwar jetzt, in den nächsten Minuten oder sogar Sekunden. Leider hatte ich keinen Albtraum: den eigenen Tod vor Augen zu sehen, war bittere Realität. Ich hatte geahnt, auf welch lebensgefährliches Abenteuer ich mich einließ, als es hieß, nach Ludwigshafen fahren zu müssen. Mit Händen und Füßen hatte ich mich zu wehren versucht, vergeblich. Nur meiner eisernen Konstitution war es zu verdanken, dass ich so lange durchhalten konnte. Rheingönheim und Mundenheim, die ersten Vororte der größten pfälzischen Stadt, bereits dort hing mein Leben am seidenen Faden. Aber hier, mittendrin im Großstadtgetto der Stadtteile Hemshof oder Friesenheim, keine Ahnung, wo die Grenze verlief, hatte sich der seidene Faden zur lockeren Atomwolke verdünnt, eigentlich war es nur noch ein Hoffnungsschimmer. Ich schloss die Augen, da inzwischen die optischen Wahrnehmungen diffus und unbrauchbar waren.
»So, wir sind da.«
Das Bremsmanöver kam völlig überraschend. Mein Schädel knallte mit voller Wucht gegen die Windschutzscheibe.
»Warum haben Sie sich abgeschnallt, Palzki?« Der Fahrer reichte mir ein Taschentuch, während er die Scheibe nach einer Verunreinigung absuchte.
Benebelt wie ich war, tupfte ich die Platzwunde auf meiner Stirn. »Weil ich aus dem Wagen springen wollte«, nuschelte ich.
»Alles in Ordnung mit dir, Reiner?«, rief es aus dem Fond.
Ich öffnete die Tür, stieg mit wackligem Gang aus und erbrach mich direkt am Zaun, der den Parkplatz begrenzte. Auch hier leistete mir das Taschentuch gute Dienste. Gegen den sich schnell entfaltenden Geruch war ich machtlos.
Inzwischen waren auch die anderen Wageninsassen ausgestiegen. Die beiden Damen, die im Fond gesessen hatten, waren spürbar blass um die Nase, aber in wesentlich besserer Verfassung als ich. Vielleicht hatten sie die chaotische und extrem kriminelle Fahrweise meines Chefs nicht im Detail mitbekommen, weil sie sich mit einer intensiven Unterhaltung abgelenkt hatten.
»Jetzt schnappen wir noch etwas frische Luft, dann geht's rein in die gute Stube.« Der gut gelaunte Dienststellenleiter der Schifferstadter Kriminalpolizei deutete ein paar Kniebeugen an, deren Vollendung aber wegen seiner steifen und maßgeschneiderten Uniform, letztendlich aber wegen der massenhaften Orden und Abzeichen, die an dieser befestigt waren, zum Scheitern verurteilt waren.
»Und passend zu unserem Exkurs haben wir herrliches Wetter, meine Damen«, sagte Klaus P. Diefenbach zu seiner und meiner Frau. »Fast könnte man meinen, hier wäre es schöner als in meiner Heimatdienststelle Schifferstadt.« Er drehte sich einmal um seine Achse und schaute, als wäre er das erste Mal an diesem Ort.
Ich dagegen war froh, einigermaßen gerade stehen zu können. Von Schönheit konnte ich nicht allzu viel sehen: ein sandiger Großparkplatz und im Hintergrund die Friedrich-Ebert-Halle. Die Halle war in die Jahre gekommen, galt aber immer noch als architektonisch wertvolle Veranstaltungshalle. Dort besuchte ich als Jugendlicher meine ersten Konzerte. Nach dem Debüt mit Smokie folgten Uriah Heep, Barclay James Harvest und viele weitere.
Meine Frau holte mich zurück in die Gegenwart, indem sie an meiner Krawatte herumzerrte. »Puh, riechst du aber komisch aus dem Mund. Willst du einen Bonbon?«
Ich wollte keinen Bonbon, sondern heim und den kneifenden Anzug ausziehen. Selbstredend nicht im Wagen von KPD, wie wir den Dienststellenleiter wegen seiner Initialen nannten. »Ich glaube, mir wird schlecht. Am besten ist es, wenn ich mir ein Taxi rufe und mich nach Hause fahren lasse. Kommst du ohne mich klar, Stefanie?«
Erneut zeigte sich, wie durchsetzungsschwach ich im Umgang mit meiner Frau war. Im Beruf stand ich meinen Mann und galt nach meiner eigenen Einschätzung als respektable Autoritätsperson, in der Familie versagte dieser Charakterzug regelmäßig, was leider auch meine Kinder seit Jahren viel zu häufig gnadenlos ausnutzten.
»Kommt nicht in die Tüte«, fuhr mich meine Frau barsch an. »Zugegeben, der Fahrstil von Herrn Diefenbach war ein wenig ruppig und sportlich, das ist aber kein Grund, deinen Chef mit seiner schweren Entscheidung alleine zu lassen.«
Ruppig und sportlich? Ob der krassen Fehleinschätzung musste ich hart schlucken. Wir waren mindestens zwei Dutzend Mal dem Tod nur durch reinen Zufall entkommen. KPD fuhr kein Auto, er flog ein Überschallflugzeug auf Straßenniveau. Hinzu kam, dass er extrem kurzsichtig war, sich aber keine Blöße gab und daher keine Brille trug. Das würde einen Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen diskreditieren, hatte er einmal gesagt. Nach seiner Fahrweise zu urteilen, nahm er Gegenstände, die weiter als einen Meter von ihm entfernt waren, nur als verwischte Schatten wahr.
Der Fahrstil KPDs war das eine. Das andere war der Grund unserer Fahrt: Mein Chef steckte tief in den Vorbereitungen zu seinem 60. Geburtstag, eine Angelegenheit von höchster Priorität. Die Gästeliste strotzte nur so von regionaler und überregionaler Prominenz. Um der Feier ein geeignetes Ambiente zu verleihen, war er seit Wochen in der Region unterwegs, um für diesen Superevent geeignete Restaurants zu testen. Nur die Besten der Besten kamen für seinen Geburtstag infrage, war seine Devise. Heute stand das Turmrestaurant am Ebertpark auf dem Kalender, das vor wenigen Jahren von einem neuen Pächter übernommen worden war.
Der Super-GAU war, dass er dieses Mal nicht nur seine Frau mitnahm, sondern zusätzlich Stefanie und mich. Geplant war das nicht, aber kürzlich hatten meine Frau und ich zufällig meinen Chef im privaten Rahmen auf einer Veranstaltung getroffen. In der Pause kamen er und Stefanie ins Gespräch, und wie es zu erwarten war, ging es schnell um kulinarische Themen. Mein Einwurf, dass es nichts Leckeres gab als die hochkalorischen Monsterburger bei meiner geliebten Speyerer Currysau, wurde mit bösen Blicken abgestraft. Meine Frau, eingefleischte Vegetarierin, fachsimpelte mit KPD, und ich stand wie ein Depp daneben und glaubte, die beiden unterhielten sich in Swahili.
»Nein, das geht so nicht.«
KPD riss mich aus meinen Gedanken. Verständnislos schaute ich auf. Der Blick meines Vorgesetzten war in Richtung Turmrestaurant gerichtet, kaum 100 Meter von unserem Standort entfernt.
»Das ist nicht gut für mein neues Schuhwerk«, fuhr KPD fort. »Warum hat man diesen Sandweg nicht asphaltiert? Palzki, öffnen Sie mal das Gittertor, damit ich näher an das Restaurant fahren kann.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg er in seinen Wagen und ließ den Motor an. Gemeinsam mit unseren Frauen öffnete ich das unverschlossene Tor, das den Parkplatz vom Ebertpark trennte.
Das Turmrestaurant war, zumindest von vorn betrachtet, streng symmetrisch angelegt. Zentral in der Mitte stand der vieleckige und dreistöckige Turm, der durch die unterschiedlichen Etagenhöhen Ähnlichkeiten mit einer Hochzeitstorte oder einer Kaffeemühle hatte. Die gelb-weiße Fassadengestaltung mit den fast raumhohen Fenstern ging nahtlos in die beiden rechteckigen Nebengebäude über, die das Bauwerk zu einer architektonisch interessanten Einheit verschmolzen. Der Eingang und die über die gesamte Breite verlaufende Außenterrasse lagen ein paar Treppenstufen erhöht über dem Entree des Ebertparks. KPD parkte direkt in der Sichtachse zwischen zentralem Eingang und einer mehrsternig angelegten Brunnenanlage auf der Wiese des Parks. In einem auf der Außenterrasse integrierten Blumenbeet stand die mannshohe Skulptur eines nackten anthrazitfarbenen Bogenschützen, der gerade den Bogen spannte. Aus dem Winkel, aus der ich die Szene betrachtete, sah es aus, als würde der Schütze in diesem Moment seinen Pfeil in meine Richtung abschießen. Noch witziger war allerdings, dass der Schütze aufgrund seines höheren Standpunktes direkt auf dem Wagendach meines Vorgesetzten zu stehen schien. Dies bemerkte mit einem Lachen auch meine Frau, die sofort reagierte und mit ihrem Smartphone fotografierte. Schnappschuss gegen Pfeilschuss, dachte ich amüsiert.
KPD, wenig feinfühlig wie stets, war längst zur Eingangstür vorgegangen und wartete ungeduldig auf uns. »Wir sind gerade noch so in der Zeit«, sagte er mit einem Blick zur Uhr, als wir zu ihm aufgeholt hatten.
Die Tür führte direkt in das Zentrum des Rondells. Das Ambiente empfand ich als geschmackvoll elegant, ohne allzu luxuriös zu wirken. Der komplette Rundbau war innen hohl, das heißt, ohne störende Zwischendecken. Im ersten Obergeschoss gab es eine umlaufende Empore, neben der Theke entdeckte ich die Treppe nach oben. Zu beiden Seiten des Turminneren konnte man zum einen direkt in die bestuhlten Räumlichkeiten der Nebengebäude gelangen, zum anderen führten großzügige Durchgänge nach hinten, wo ich die Küche und die Toiletten vermutete.
KPD zeigte auf einen Tisch. »Die telefonische Reservierung hat ja schon mal geklappt. Mal schauen, wie meine Bewertung nach dem Dinner ausfällt.« Er ließ seine Frau nicht nur stehen, er beachtete sie nicht einmal, während er als Erster Platz nahm. Ich hingegen ließ den beiden Damen den Vortritt, während ich das Schild auf dem Tisch belächelte: »Reserviert für Klaus P. Diefenbach, den guten Dienststellenleiter der Kriminalinspektion Schifferstadt«. Ich dachte an den Pächter dieser Location und hoffte, dass er nicht nur...
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