Schweitzer Fachinformationen
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Dass der Goerdelerplatz nach Carl Friedrich Goerdeler benannt war, einem Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 das Amt des Reichskanzlers übernehmen sollte, störte keinen. Vor allem deshalb nicht, weil so gut wie niemand mehr wusste, wer Goerdeler war. Und wenn dennoch eine Verbindung entdeckt werden sollte, konnte man gut damit argumentieren, dass das Hitlerattentat scheiterte und Goerdeler Anfang 1945 in Berlin hingerichtet wurde.
An der Stirnseite stand eine offene Bühne, auf der gerade eine germanische Mittelalterband spielte. Der Mittelteil des Platzes, auf dem an anderen Tagen Autos parkten oder ein Wochenmarkt seine Waren anbot, war mit rustikalen Bierzeltgarnituren bestückt. Rings herum hatte man rund ein Dutzend Zelte aufgebaut. Die Hälfte davon diente der Deckung der Nahrungs- und Getränkenachfrage, die anderen Zelte waren reine Informationspavillons.
Wolle, der sich mit seinen Kumpels bereits den ganzen Nachmittag auf dem Jubiläumsfest der Ortsgruppe Ludwigshafen-Hemshof aufhielt, feierte seine bestandene Prüfung zum Ortsgruppen-Unterführer. Ohne mit der Wimper zu zucken, verlieh der Ortsgruppenleiter Wolle seinen Beförderungstitel, obwohl dieser nur eine der drei Fragen richtig beantworten konnte. Bei der Frage nach der Anzahl der Bundesländer antwortete Wolle »Elfer«, was den Ortsgruppenleiter kurz aus der Fassung brachte. Die Prüfung fand nicht öffentlich statt, daher anerkannte der Ortsgruppenleiter Wolles intellektuelle Bemühungen sowie seinen muskulösen Körperbau und redete ihm zu, sich weiterhin für die NAFD zu engagieren. »Kräftige Burschen können wir immer gebrauchen«, sagte er zu ihm und drückte Wolle ein paar Biergutscheine in die Hand.
»Volle Assi-Musik«, brüllte Wolle seinen beiden Freunden ins Ohr, die neben beziehungsweise auf der anderen Seite der Bank saßen. Seine Aussprache war schon sehr schwerfällig und klebrig, mehrmals war er fast von der Bank gekippt. Undeutlich legte er nach. »Können die auch AC/DC?« Freddie und Tom konnten nur erahnen, welche Band er meinte.
»Mach mal langsam, Wolle«, sagte Tom. »Du kannst dich nicht einfach so wegbeamen. Morgen früh haben wir Dienst am Infostand der Kinder-Rallye. Zusammen mit zwei netten Tussen«, ergänzte er.
»Die gehören beide mir.« Wolle machte eine einnehmende, aber vage Armbewegung, die ihn vollends von der Bierzeltgarnitur haute.
»Eigentor«, grinste Freddie. Nachdem Wolle schwerfällig aufgestanden war, meinte er zu seinen Kumpels: »Ich muss mal pissen gehen.« Torkelnd machte er sich auf den Weg.
Tom hatte nun endlich Zeit, mit seinem Freund Freddie über Wolle zu sprechen. »Bist du dir sicher, dass wir ihn überallhin mitnehmen sollen? Solange der bei uns hockt, können wir es mit den Mädels vergessen. Früher oder später landet er eh im Knast, und dann möchte ich besser nicht in der Nähe sein.«
Freddie nickte ihm zu. »Im Prinzip hast du recht. Allerdings haben wir beide ihm viel zu verdanken. Denk nur mal an die Sache mit dem REWE in Mannheim.«
»Das ist doch schon über zwei Jahre her.«
»Ohne Wolle hätten uns die Bullen damals bei dem Bruch geschnappt.«
Bei ihrem Einbruch im REWE-Markt war alles schiefgegangen. Die Beute war mickrig und die Polizei viel zu schnell vor Ort gewesen. In Wolles geistiger Beschränktheit sprang er als Einziger aus dem Versteck im Vollgutlager der Getränkeabteilung, rannte auf einen Gabelstapler zu und fuhr den beiden Polizeibeamten, die die Vorhut bildeten, mit Vollgas entgegen. Bevor die Beamten reagieren konnten, steuerte Wolle den Gabelstapler in einen riesigen Bierkastenturm, der mit einem Höllenlärm in sich zusammenstürzte und die Beamten unter sich begrub. Wolle, geschützt durch das Dach des Staplers, konnte ebenso wie seine Kumpels erfolgreich flüchten.
»Damals hat er nicht so viel gesoffen«, hakte Tom weiter nach.
»Wir beide auch nicht«, antwortete Freddie. »Vielleicht können wir unseren Oberschlauen noch ganz gut gebrauchen.«
»Wie meinst du das?«
Freddie lächelte. »Ich kenne doch die Tochter des Ortsgruppenleiters. Woher sollte ich sonst die Antworten zu den Beförderungsfragen haben? Die Melle ist zwar ziemlich arrogant, aber ich weiß, wie man die Weiber nehmen muss. Jedenfalls hat sie mich in ein paar Papiere ihres Vaters schauen lassen. Bald werden kleinere Aufgaben an uns delegiert.« Er lächelte verschmitzt.
»Das ist doch jetzt schon der Fall. Morgen müssen wir bei diesem Kinderkram mitmachen.«
Freddie rückte mit seinem Kopf über den Tisch, um flüstern zu können. »Keine offiziellen Sachen, meine ich.«
»Bestrafungsaktionen?«, fragte Tom.
Freddie hob die Schultern. »Keine Ahnung, jedenfalls soll es sich lohnen. Und da können wir Wolle gut einsetzen.«
Ihr Kumpel kam zurück, zeitgleich war die Mittelalterband mit ihrer Session fertig. Ortsgruppenleiter Schweikemeier betrat die Bühne. Er begrüßte alle Mitglieder und sonstigen Gäste zur einjährigen Jubiläumsfeier der Ortsgruppe Hemshof. »In einer halben Stunde werde ich eine kurze Ansprache halten. Bis dahin gibt es Freibier und Freisekt.«
Die Stimmung steigerte sich um ein Vielfaches. Lautes Johlen, Hochrufe und wilder Applaus ließ Schweikemeier zufrieden lächeln. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Die Massen würden nun das Getränkezelt stürmen und sich reichlich aus dem angereicherten Freibierfass und den manipulierten Sektflaschen bedienen. Der Ortsgruppenleiter hatte an alles gedacht. Die Investition in den halben Liter Flunitrazepam, den er über seinen Bruder bezog, der in der Türkei wohnte, lohnte sich. Fast jeder der Anwesenden würde diese Substanz in den nächsten Minuten oral aufnehmen. Bis zur Wirkung dauerte es 15 bis 20 Minuten, morgen früh würde die Substanz nicht mehr nachweisbar sein. Die Wirkung des Flunitrazepam beeinträchtigte das Urteilsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit der Anwesenden. In Kombination mit Alkohol kam es nicht selten zu einer Amnesie, viele würden sich später nicht mehr an seine Ansprache erinnern können. Seine Worte würden sich suggestiv in ihnen einbrennen, ohne dass sie über Alternativen nachdachten. Er würde schon dafür sorgen, dass in seiner Rede alles in seinem Sinne zur Sprache kam. Querschläger oder sogar Querdenker konnte er wirklich nicht gebrauchen.
Als Ortsgruppenleiter hatte er einen undankbaren Job. Von oben bekam er seine Befehle, nichts anderes waren die Handlungsanweisungen, die er regelmäßig von der Bundeszentrale in Berlin, aber auch im geringeren Ausmaß von dem Landesverband Rheinland-Pfalz erhielt, denen er bedingungslos folgen musste, um seine Parteikarriere nicht zu stoppen. Und für diese Karriere würde er alles tun. Noch zwei, maximal drei Jahre schätzte er, dann würde er in Berlin angekommen sein. Für den Landesverband interessierte er sich nicht, für Schweikemeier galt alles oder nichts. Dann musste er sich nicht mehr mit dem ganzen Abschaum abgeben, der hier auf dem Fest saß und soff, als gäbe es kein Morgen. Jede Viertelstunde zog er sich kurz in sein Privatzelt zurück, um seine Hände zu desinfizieren, die seiner Meinung nach durch das ständige Händeschütteln kontaminiert wurden. Er dachte an den schwachsinnigen Wolle, mit dem er sich vorhin unterhalten musste. Dass dieser Typ mit solch einem kaum messbaren Intelligenzquotienten überhaupt lebensfähig war, dachte er kopfschüttelnd. Hauptsache, er ließ seine feuchtwarmen Griffel von seiner Tochter, denn da verstand er keinen Spaß. Jeden Kerl, der ohne sein Einverständnis seine Tochter anbaggerte, würde er sofort töten.
Schweikemeier atmete tief durch, während er von der Bühne aus breitbeinig die überfüllten Zelte betrachtete, in denen die Freigetränke ausgeschenkt wurden. Sein Ziel, die breite Masse zu akquirieren, war ihm gelungen. Die Anzahl der Mitglieder im Vergleich zur Bevölkerung lagen in seinem Einflussbereich deutlich über dem Durchschnitt aller Ortsgruppen in Rheinland-Pfalz. Mit den hohen Zahlen der östlichen Bundesländer war das zwar nicht zu vergleichen, aber ein guter Anfang für seine Ziele. Immerhin gab es seinen Hemshof-Stamm erst ein Jahr.
Er wusste aber, dass dies allein nicht reichte. Die Handlungsanweisung aus Berlin war eindeutig: Der Mittelstand darf nicht außen vor bleiben. Er war nicht ganz so einfach mit populistischen Parolen zufriedenzustellen, hier musste man intelligenter ran. Vieles wurde über die Zentrale in Berlin gesteuert, doch die Umsetzung musste wegen der Nähe zum Volk aus den Ortsgruppen heraus geschehen.
Das Angebot einer Kinder-Rallye, das er besonders perfide, aber zweckmäßig einschätzte, war nur eines der Beispiele, um an die gewünschte Zielgruppe heranzukommen. Jedes der teilnehmenden Kinder gewann nicht nur einen Preis, sondern auch ein buntes Magazin, dessen Innenseiten immer gleich aufgebaut waren: Auf der linken Seite befanden sich eine Malvorlage zu einem bestimmten Thema und ein kurzer kindgerechter Satz. Auf der rechten Seite gab es Hintergrundinformationen für die Eltern. Das Niveau war gehoben, aber dennoch leicht verständlich. Während die Kinder zum Beispiel eine Europakarte ausmalten, natürlich mit zentral gelegenem Deutschland und suggeriertem dickem Grenzstrich, konnten die Eltern zahlreiche Gründe lesen, warum offene Grenzen für sie persönlich nachteilig waren. Dass die Argumente sehr einseitig beschrieben wurden, wurde bisher nicht bemängelt.
Der Ortsgruppenleiter Schweikemeier wusste, dass er sich erst gar nicht für einen Gauleiterposten als Zwischenstufe für den Weg nach Berlin...
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