Schweitzer Fachinformationen
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Packende Reportage und hoffnungsvolles Plädoyer für Klimagerechtigkeit
Die Journalistin und Klimaaktivistin Louisa Schneider ist in Schlüsselregionen unserer Erde gereist, an denen sich die Klimakrise entscheidet: In Brasilien brennt der Regenwald, in Senegal verschiebt sich der Monsun, in Kanada taut der Permafrostboden, in Grönland schmilzt das gigantische Eisschild und in Australien bleichen die Korallenriffe aus. All diese Natur- und Klimaveränderungen führen zu Kettenreaktionen in anderen Teilen der Welt. Man spricht von Klimakipppunkten: Louisa spürte die Hitze der Waldrodungen in Brasilien, sah in Senegal ganze Häuser und Strände verschwinden, hörte das Eis in Kanada und Grönland knacken und tauchte zum australischen Great Barrier Reef. Alles hängt zusammen: Kippen diese Systeme, könnte es ein Domino anstoßen und unser aller Leben drastisch verändern. Einen besonderen Fokus legt das Buch auf die Menschen vor Ort, die direkt von den Auswirkungen der Klimakatastrophe betroffen sind, aber durch hoffnungsvolle Projekte und Initiativen ihre Gemeinschaften und Natur schützen. Eindrücklich zeigt Louisa Schneider, welche Chancen wir jetzt haben, um uns endlich aus der systematischen Ausbeutung von Natur und Mensch zu befreien.
Klimakipppunkte und Dominoeffekte: eine globale Katastrophe verhindern
In diesem Jahrzehnt entscheidet sich, wie viele Katastrophen noch vermieden werden können, wie viele Möglichkeiten und Freiheiten wir in Zukunft noch haben werden und wie viele Kipppunkte überschritten werden. Die fundierten Texten von Louisa Schneider und eindrücklichen Bildern von Naturfotograf und Aktivist Markus Mauthe beleuchten auf verständliche Art und Weise die weltweiten Zusammenhänge. Ein sehr persönliches Plädoyer über Privilegien und Klimagerechtigkeit. Leidenschaftlich und hoffnungsvoll zeigt Louisa Schneider, dass es nie zu spät sein wird, um gegen die Klimakrise vorzugehen. Denn Grad~" jetzt haben wir die Möglichkeit, eine bessere Welt für alle von uns zu ermöglichen.
Es war ein viel zu heißer Spätsommertag am Münchner Hauptbahnhof und ich suchte nach meinem Gleis. Die Sonne stand schon tief und erfüllte die Hallen mit einem satten Orange, während Menschen anonym an mir vorbeizogen. Ich presste mein Handy so dicht ans Ohr, dass es wehtat, um die Worte zu verstehen, die mir den Boden unter den Füßen wegziehen sollten.
»Louisa, wir wollen, dass du mit Greenpeace auf fünf Recherchereisen gehst. Mit einem Team reist du zu fünf unterschiedlichen Klimakipppunkten: zum brasilianischen Regenwald, zum westafrikanischen Monsun im Senegal, dem Permafrostboden und den Borealwäldern in Kanada, zum grönländischen Eisschild und zu den Korallenriffen Australiens. Ihr werdet sowohl die Gefahren beim Überschreiten dieser Kipppunkte dokumentieren als auch die Schönheit unseres Planeten. Wir wollen mit diesem Projekt auf die Kipppunkte aufmerksam machen und darauf, wie alles zusammenhängt. Es steht so viel auf dem Spiel. Wir können keine Zeit mehr verlieren, die wir nicht haben. - Wir stecken im wichtigsten Jahrzehnt, um das Kippen der Klimakipppunkte zu verhindern!«
In diesem Jahrzehnt entscheidet sich, wie viele Katastrophen wir noch verhindern, wie viele Freiheiten und Möglichkeiten wir in Zukunft noch haben werden. Es ist enorm wichtig, die radikale Physik dieser Krise und unseres Planeten zu verstehen, um zu erkennen, wie dringend gehandelt werden muss.
Der Anruf kam von Christian, der bei Greenpeace arbeitet. Ich musste mich hinsetzen. Am Gleis waren alle Bänke besetzt, also streifte ich meinen Rucksack vom Rücken und setzte mich darauf. Mein Kopf sank in meine Hand. Trolleys rauschten laut an mir vorbei, während ich schweigend am Boden des Bahnsteigs saß und weiterhin das Handy dicht an meine Wange presste. Plötzlich eine Durchsage: »ICE von München nach Stuttgart - heute circa 15 Minuten später.« Ich machte mir um Verspätungen meiner Züge schon lange keinen Kopf mehr. Aber eine Verspätung schnürt mir immer wieder die Brust zu: Was ist, wenn wir nicht rechtzeitig handeln und Kipppunkte überschreiten?
Wir haben eine bestimmte Zeitspanne und ein Handlungsfenster, die uns angeben, wie viele Emissionen ausgestoßen werden können, bis wir erdklimatische Kipppunkte erreichen. Ganze 97 Mal wurde der Begriff »Kipppunkt« im IPCC-Bericht 20222, dem renommiertesten und angesehensten Klimabericht weltweit, aufgegriffen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist ein zwischenstaatliches Gremium, das sich aus Tausenden von Wissenschaftler:innen und politischen Entscheidungsträger:innen zusammensetzt, die Texte mit den aktuellsten und genauesten wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Stand der Klimakrise erstellen und Prognosen für die Zukunft abgeben. Erst als ich mehr über die Kipppunkte lernte, verstand ich, warum sich die Klimakrise so grundlegend von anderen Krisen unterscheidet.
Kipppunkte sind kritische Punkte in unserem Klimasystem, die, wenn wir sie überschreiten, unser Leben plötzlich und rapide verändern werden. Ganze Systeme - seien es globale Klima- oder Ökosysteme - würden irreversibel kollabieren. Haben wir diesen Punkt erst einmal erreicht, gibt es kein Zurück mehr.
Stell dir vor, ein Kipppunkt ist ein Wasserglas. Normalerweise steht das Glas mittig und stabil auf einem Tisch. Das ist unser Klimasystem, wie es sein sollte. Durch voranschreitende Treibhausgasemissionen in unserer Atmosphäre wird dieses Wasserglas nun aber Stück für Stück ein bisschen mehr zur Tischkante geschoben. Irgendwann kippt es, es fällt zu Boden, zerbricht, das Wasser ist ausgelaufen und kann nicht zurück ins Glas.
Ein solches Wasserglas, ein Kipppunkt, ist der Amazonas-Regenwald. Durch zunehmende Klimaerhitzung wird der Regenwald immer trockener und dürrer. Irgendwann erreicht er einen kritischen Punkt, er kippt und verliert die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren: Der Regenwald würde sich unaufhaltsam in eine Art Savanne verwandeln. Wir würden die »grüne Lunge« unseres Planeten verlieren, einen gigantischen CO²-Speicher - was die Klimakrise weiter beschleunigen würde. Diesen Punkt haben wir laut Wissenschaft wahrscheinlich bereits überschritten. Berichten zufolge stößt der Regenwald heute schon mehr CO² aus, als er selbst aufnimmt. Denn zusätzlich zur Erderhitzung wird der Wald durch Brandrodungen und hohe Abholzungsraten destabilisiert.
Das Paradoxe an der Klimakrise ist, dass sie sowohl schnelle wie auch langsame Veränderungen gleichzeitig in sich vereint. Mal verhält sich diese Krise wie ein Dieb, der unbemerkt, Stück für Stück, ein bisschen mehr unserer gewohnten Welt stiehlt. Der große Knall ist manchmal ganz leise wie das Insektensterben. Doch dann ist die Klimakrise wieder laut; mit einem Sturm, einer Flut oder einer Hitzewelle kann sie auch unsere Haustür gewaltsam eintreten. Das Überschreiten der Kipppunkte ist schnell und langsam, laut und leise zugleich.
Insgesamt kennt die Wissenschaft 16 solcher Kipppunkte. Vier davon sind bereits bei einer Erderhitzung von 1,5 Grad in akuter Gefahr zu kippen und wir kommen diesem Punkt sehr schnell näher. Dazu gehören das Abschmelzen des Grönländischen und Westantarktischen Eisschilds, der boreale Permafrostboden und die Warmwasserkorallenriffe. Allein das Verschwinden des Grönländischen und Westantarktischen Eisschilds würde einen Meeresspiegelanstieg von zehn Metern bedeuten.
Darum ist es so unglaublich wichtig zu unterstreichen: 1,5 Grad ist kein politisches Ziel, sondern eine physikalische Grenze. Es ist bereits ein enormer Kompromiss, der nicht weiter verhandelbar ist. Denn es kommt ein weiteres Problem hinzu: Überschreiten wir einen Kipppunkt, wird es umso wahrscheinlicher, dass wir andere Klimakipppunkte ebenfalls überschreiten. Es verhält sich wie ein Dominospiel, stoßen wir einen Dominostein an, könnten weitere umfallen. Fällt ein Glas, könnten weitere zerbrechen.3
Ding Dong - eine weitere Durchsage am Münchener Hauptbahnhof: »Der ICE 2019 von München nach Stuttgart - heute circa 30 Minuten später.« Wir können uns keine weitere Verspätung mehr leisten. Durch aktives Nichtstun sind wir überhaupt in die Lage gekommen, dass das Zeitfenster, in dem wir noch so viel gewinnen können, immer kleiner und kleiner geworden ist.
»Und? Was sagst du, Louisa?« Christians Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Ich bat ihn, mir etwas Zeit zu geben, zumindest noch diesen Tag, um darüber nachzudenken. Ich war froh, dass ich schon auf dem Boden des Bahngleises saß, denn ich spürte, wie mein Körper zu zittern begann. »Ich weiß, es ist ein großes Projekt, ihr werdet in extreme Regionen reisen - aber du bist auch nie alleine unterwegs. Greenpeace ist immer an deiner Seite und wir haben ein gutes Team, mit dem du zusammen vor Ort sein wirst. Da ist zum einen Markus Mauthe, er arbeitet schon seit über dreißig Jahren als Naturfotograf und seit knapp zwanzig Jahren zusammen mit uns. Mit dabei ist auch Nick Platzer, er ist Videograf, und André D'Elia, Aktivist und Filmemacher aus Brasilien. Wir wollen und brauchen dich dabei. Melde dich später noch einmal bei uns.«
Wir legten auf. Als ich mein Handy in meine Tasche gleiten ließ, ertönte erneut eine Durchsage: »Der ICE von München nach Stuttgart fällt heute aus.« Ich sah hoch und blinzelte der Anzeigetafel entgegen, doch fand ich keine Alternative. Durch Verspätung bis zum Totalausfall. Ich stützte meine Arme auf die Knie. Wie oft hatte ich gehört, dass es »zu spät« sei, um noch etwas gegen die Klimakrise zu tun. Dass der Klimazug abgefahren sei, dass wir ja jetzt sowieso nichts mehr tun und deshalb auch einfach weitermachen können wie bisher. Aber das stimmt nicht, ermahne ich mich selbst. Ich kneife die Augen zu. Es wird nie zu spät sein, um zu handeln.
Auch wenn mein Herz pochte und meine Gedanken rasten; auch wenn ich in völlig unbekannte Regionen reisen würde und niemanden in meinem Team - weder Markus noch Nick noch André - kannte, sagte ich nur wenige Tage später zu. Denn dieses Projekt war Teil von etwas Größerem. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das nur erahnen, jetzt weiß ich es besser.
Mein Anspruch an dieses Projekt war es, nicht nur die Kipppunkte und Klimasysteme zu erklären, sondern ich wollte den Gesamtzusammenhang zeigen. Wir müssen unser Verständnis der Klimakrise und der Systeme, die sie verursacht haben, dringend neu gestalten. Wie kamen wir zu dem Punkt, dass wir ein so gefährliches Dominospiel angestoßen haben? Welche klimaschädlichen und zerstörerischen Industrien und Strukturen stecken dahinter, die Mensch und Natur gleichermaßen ausbeuten? Wie ist alles mit sozialen Ungerechtigkeiten verbunden und wie können wir uns endlich daraus befreien? Zu lange haben wir die Ökologie getrennt von intersektionalen Gerechtigkeitsfragen betrachtet, dabei sind sie schon immer untrennbar miteinander verbunden.
Um zu verstehen, wo wir ansetzen müssen, müssen wir genau hinschauen. Darum sind wir in Extremregionen gereist, wo die...
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