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Die Miele & Cie. KG (Miele & Cie.) ist heute ein weltweit bekanntes Familienunternehmen mit langer Tradition. 1899 von Carl Miele sen. und Reinhard Zinkann in Herzebrock gegründet, hat die Konstellation als Zwei-Familien-Unternehmen bis heute Bestand, da das Unternehmen weiterhin zu 100 Prozent im Eigentum der Nachkommen der beiden Gründer steht. Bis heute sind auch Vertreter beider Familien Miele und Zinkann sowohl in der operativen Geschäftsleitung als auch im Gesellschafterausschuss tätig, der hier Familienrat genannt wird.
Abb. 1 Carl Miele sen. (1869-1938)
Abb. 2Reinhard Zinkann (1869-1939)
Gestartet zunächst als Hersteller von Milchzentrifugen, gilt Miele heute als weltweit führender Anbieter von Premiumgeräten für Haushalt und Gewerbe, mit Hauptsitz in Gütersloh seit 1907 und wichtigstem Zweigwerk in Bielefeld seit 1916. Das hauseigene Museum und eine Reihe von Jubiläumsbroschüren, Anekdoten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie kurze Biografien zum Beispiel zu Carl Miele jun. sind Ausdruck des Traditionsbewusstseins im Unternehmen und in den Eigentümerfamilien.[1]
Gleichwohl ist eine umfassende Aufarbeitung der Firmengeschichte insgesamt, insbesondere aber auch für die Zeit des Nationalsozialismus, bisher nicht erfolgt. Allerdings war immer auch öffentlich bekannt, dass die Firma zwischen 1941 und 1945 im Rahmen der Kriegswirtschaft Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen[2] vor allem aus der damaligen Sowjetunion eingesetzt hatte. Daher beteiligte sich Miele & Cie. im Jahr 2000 auch an den Entschädigungszahlungen zugunsten der ehemaligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im Rahmen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft.[3] Auch engagierte sich das Unternehmen, als ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in den Jahren 1997 und 1998 Bielefeld und Gütersloh besuchten. Diese Treffen bestätigten die Eigenwahrnehmung des Unternehmens bzw. der Eigentümerfamilien, dass Miele & Cie. nicht auffällig in der Rüstungsindustrie engagiert gewesen sei und die eingesetzten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen verhältnismäßig gut behandelt worden seien.[4] In den Familien erinnerte man sich auch, dass Miele & Cie. gezwungen gewesen sei, Rüstungsgüter zu produzieren, unter anderem (wenige) Lufttorpedos.[5]
Dass eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung vor allem dieses Abschnitts der Firmengeschichte bisher nicht vorliegt, erschien den Eigentümerfamilien und der Geschäftsleitung den eigenen Ansprüchen nicht angemessen und auch nicht zeitgemäß. Deshalb stießen beide die vorliegende Studie der Geschichte der Firma Miele & Cie. zur Zeit des Nationalsozialismus im Jahr 2020 an, die nach umfassenden Recherchen 2023 abgeschlossen wurde. Mein Dank gilt daher insbesondere den Familien Miele und Zinkann sowie der Geschäftsleitung von Miele & Cie., die mit der gebotenen Distanz, aber großem Interesse das Entstehen der Studie begleiteten und unterstützten. Hierfür wurden mir auffindbare Altaktenbestände auf den Werksgeländen von Miele & Cie. in Gütersloh und Bielefeld zur Verfügung gestellt[6] und die Suche nach Aktenmaterial in externen Archiven unterstützt. Dank gilt auch den Archivarinnen und Archivaren im Stadt- und Kreisarchiv Gütersloh sowie im Stadtarchiv Bielefeld, im Bundesarchiv Berlin, im Bundesarchiv Freiburg-Militärarchiv, dem Kommunalarchiv in Wroclaw sowie dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Ostwestfalen-Lippe, Detmold, die alle auch in schwierigen pandemischen Zeiten halfen, das Aktenmaterial zusammenzustellen. Danken möchte ich des Weiteren den beiden Mitarbeitern der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Michael Bermejo-Wenzel und Tobias Stingel-Böcking, die mich in verschiedenen Formen bei der Aktenrecherche unterstützten, sowie Tanja Roos und Fabian Bergmann für das Lektorat.
Die Quellenbestände, die hierbei zusammengetragen werden konnten, waren sehr unterschiedlicher Art. Ausführliche Aktenkonvolute zu den Immobilien sowie Steuerunterlagen des Unternehmens und der Familien erlauben eine teils detaillierte Rekonstruktion der Entwicklungen. Zu Fragen der Mitarbeiterentwicklung sowie zur Zwangsarbeit finden sich nur wenige Bestände im eigenen Archiv von Miele & Cie. Hier wurde vor allem auf die Akten in öffentlichen Archiven zurückgegriffen. Zur Einbindung des Unternehmens in die Rüstungs- und Kriegswirtschaft finden sich zahlreiche Quellen in öffentlichen Archiven, während zu den Produktionsarten und -umfängen Informationen der Steuerabteilung Auskunft geben. Vereinzelte Schriftwechsel der persönlich haftenden Gesellschafter sowie in leitenden Funktionen tätigen Gesellschafter sowie Aktennotizen, die sich in den verschiedenen Quellenbeständen finden, lassen Rückschlüsse auf deren persönliche Haltung zu. So ist das Quellenmaterial zwar nicht durchgängig gleichgewichtig, detailliert oder gar umfassend, es bleibt jedoch in Summe ausführlich genug, um die Kernfragen dieser Studie nach der Rolle des Unternehmens und der im Unternehmen tätigen Gesellschafter in der Zeit des Nationalsozialismus weitgehend zu beantworten.
Generell ist die Zahl der Studien zur Geschichte von Unternehmen und ihrer Rolle im Nationalsozialismus in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Nach den Frühwerken in den 1980er Jahren[7] setzte mit der Studie zur Deutsche Bank AG[8] eine erste Welle von Aufarbeitungen in den 1990er Jahren ein, deren Schwerpunkt aufgrund des durchaus als wirtschaftspolitisch zu wertenden Hintergrunds auf Studien zu Banken und Versicherungen lag.[9] Neben einer regionalen Ausdehnung[10] folgte eine nicht geringe Anzahl von Studien zu meist großen Unternehmen bzw. Konzernen auch anderer Branchen.[11] Dies war der Moment, als sich auch die ersten Familienunternehmen ihrer Geschichte im Nationalsozialismus zu stellen begannen.[12] Aus diesen vielfältigen Studien wird ersichtlich, dass ein gründliches Aktenstudium zur Einschätzung der jeweils konkreten Handlungsmuster und Rahmenbedingungen im Einzelfall unerlässlich ist. Denn es zeigt sich, dass die Handlungsspielräume der Unternehmen und ihrer Eigentümer oft durchaus sehr viel weiter waren als anfangs gedacht; auch die Handlungen selbst sind deutlich variantenreicher, bedingt durch die Komplexität der jeweiligen Situation, Rahmenbedingungen und Sachlagen. Zudem änderten sich die Variablen in Zeiten der Diktatur dramatisch und mit ihnen manchmal die Haltungen der Akteure. Auch sind im Lauf der Zeit sich widersprechendes Verhalten oder die Gleichzeitigkeit von Widersprüchlichem zu beobachten. Somit lassen sich weder für die Kategorie Familienunternehmen noch für bestimmte Branchen Antworten auf die Fragen, die sich im Zusammenhang mit deren Rolle im Nationalsozialismus stellen, vorhersagen.
Die Forschungslage erlaubt jedoch, Tendenzen der Antworten zu erwarten. So sind häufiger Staatsunternehmen NS-nah, frühzeitig gleichgeschaltet und willfährige Vollstrecker des Systems. Großunternehmen sind eher an der Expansion in die besetzten Gebiete beteiligt und beschäftigen - je nach Branche - eine große Anzahl von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern; auch finden sich dort eher Häftlinge aus den Konzentrationslagern unter den Arbeitskräften.
Bei Miele & Cie. und der Mielewerke A.G. handelt es sich um einen damaligen Hersteller von landwirtschaftlichen Maschinen, Fahrrädern und Hausgeräten, der in der Zeit der Weimarer Republik einen Aufschwung erlebte, den die Folgen der Weltwirtschaftskrise nur marginal betrafen, der dann in der Zeit des Nationalsozialismus aber mit der zunehmenden Kontingentierung von Rohstoffen konfrontiert war. Engpässe in der Fahrradproduktion und bei den Hausgeräten waren die Folge. Dank des Exports war Miele & Cie. ein dem NS-Regime willkommenes Unternehmen, das durch den Absatz im Ausland dringend benötigte Devisen für Deutschland erwirtschaftete.
Zunächst lässt sich bei Miele & Cie. bzw. der Mielewerke A. G. eine Expansionsphase beobachten, sodass sich die Frage nach etwaigen »Arisierungen« jüdischer Unternehmen, also deren Überführung in das Eigentum »arischer« Hände, stellt. Solche »Kaufoptionen« und deren Umsetzungen finden sich über alle Branchen und in allen Unternehmensformen. Die jüdischen Eigentümer, die Verkäufer, standen unter Zwang. Die Motivationen der Käufer waren denkbar unterschiedlich und reichten von der nachweislichen Absicht, den Verkäufern mit einem fairen Angebot die erzwungene Emigration zu ermöglichen, bis hin zu brutalem Vorgehen unter Hinzuziehung von Gestapo und anderen Reichsstellen, um den Druck auf die Eigentümer zum Verkauf unter Preis zu erhöhen. Zu »Arisierungen« gezwungen wurde kein kaufendes Unternehmen.
Nicht wenige Unternehmen profitierten später während des Zweiten Weltkriegs von der Besatzungszeit und von Expansionen in die durch die vorrückende Wehrmacht besetzten Länder. Großbanken rollten ihre Geschäfte aus, und auch Großunternehmen gingen auf Einkaufszüge in den eroberten Gebieten. Die Konkurrenz konnte günstig erworben werden, Rohstoffe wurden geplündert, Logistiker transportierten die Güter »heim ins Reich«. So manches Unternehmen dachte ähnlich gigantomanisch wie die NS-Führung.
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