Siebentes Kapitel.
KÖRPERLICHE LEIDEN
Die Schmerzen und Krankheiten, von denen sie von Kindheit auf heimgesucht war, hatten, wie schon vorhin bemerkt wurde, eine tiefere geistige Bedeutung.
Entweder hatten sie dieselben von einem andern auf sich herüber erfleht, um sie an seine statt zu erdulden, ober dieselben waren ihr von Gott zur Sühnung fremder Schuld auferlegt. Seit dem Empfange der heiligen Firmung und besonders seit Ablegung der feierlichen Ordensgelübde nahm dies stellvertretende Leiden einen immer höheren Charakter und eine weitere Ausdehnung an, indem die Krankheit des Kirchenleibes auf sie übertragen wurden, um sie in den mannigfachsten Leidenszuständen zu büßen. Unter diesen Krankheiten des Kirchenleibes sind zu verstehen die geistigen Gebrechen und Mängel ganzer Bistümer und einzelner Gemeinde, die Verschuldungen und Versäumnisse der geistlichen Oberen u. a. Ihr Leib glich einem über Kohlenfeuer stehenden Gefäße, in welchem der himmlische Arzt nach Gesetz und Ordnung der ewigen Liebe und Gerechtigkeit die Heilmittel für seine Herde bereitete. Sitz und Quelle hatten ihre Leiden für die Kirche in dem Herzen. Von da verbreiteten sie sich durch alle Glieder des Leibes und kehrten wiederum in den Ursprung zurück.
Selbstverständlich wurden bei ihren körperlichen Leiden auch ihre geistigen Kräfte in Mitleidenschaft gezogen. Es kamen Schrecken, Angst, Beklommenheit, Trostlosigkeit bis zum Verschmachten über sie. Vorzugsweise litt sie in Folge der unbeschreiblichen Erniedrigung und Entwürdigung, welche der Widersacher des Heils dem Priestertum in ihrer Zeit bereitete. Hatte doch ein Teil des katholischen Priestertums sich um die Fahne der sogenannten Aufklärung gescharrt und trug keine Bedenken, offene Fehde gegen den sichtbaren Stellvertreter der Kirche zu führen!
Anna Katharina hätte den Notstand der Kirche nicht ertragen können, hätte sie nicht auch das überirdische, lichte himmlische Leben der Kirche mit gelebt. Sie empfing von ihrem göttlichen Bräutigam Stärke und Tröstung des Geistes und den nicht zu trübenden heiteren Frieden ihres Herzens, dass es in den Martern ohne Ende nicht verzagte. Ja, der Herr nahm sich ihrer auf ganz wunderbare Weise an.
"Ich war oft so elend", gesteht sie, "dass ich mir selber nicht mehr helfen konnte. Wurde ich dann auch von meinen Mitschwestern vergessen, so erbarmte sich Gott über mich auf andere Weise. Einmal lag ich ganz im kalten Schweiß in Todesschwäche. Da kamen zwei Klosterfrauen zu mir, machten mir mein Lager sehr zierlich und bequem und hoben mich so sachte wieder hinein, dass ich mich ganz erfrischt fühlte.
Nach einer Weile kamen die würdige Mutter und eine Mitschwester, die mich verwundert fragte, wer mich so gut gebettet habe. Ich entnahm aus dieser Frage, dass sie es wohl selbst getan hätten, und dankte ihnen für diese Liebe. Sie erklärten aber bestimmt, dass weder sie, noch eine andere der Mitschwestern in meiner Zelle gewesen seien, und hielten meine Aussage, dass ich zwei Nönnchen unseres Ordens um mich gesehen, für einen Traum.
Aber aufgebettet war ich doch und erquickt war ich auch. Nachher lernte ich die beiden Nönnchen kennen, die mir noch sehr viel Liebe und Trost erzeigt haben. Es waren Selige, die einst in unserm Kloster gelebt haben."
Wunderbar waren auch die Heilmittel, die sie empfing.
"Die Medizin des Arztes", so äußert sie sich, "brachte mich schier ums Leben, dennoch musste ich sie einnehmen und sehr teuer bezahlen, aber Gott gab mir das Geld und mehrte es mir... (Aus einer gelegentlichen Äußerung der Begnadigten entnehmen wir, dass jede Nonne sich auch die Mittel zur Beschaffung des Frühstücks selber besorgen musste.)...
Die Heilmittel empfing ich von meinem Führer, auch von meinem himmlischen Bräutigam, von Maria und den lieben Heiligen. Ich erhielt sie bald in hellglänzenden Fläschchen, bald als Blüten, Knospen, Kräuter, auch als kleine Happen. Zu Häuptern meiner Bettstelle war ein kleines Gestell von Holz, auf dem ich in Visionen und auch im natürlich wachen Leben die wunderbaren Arzneien fand. Oft auch lagen die unbeschreiblich feinen, wohlriechenden Kräuterbüschchen neben mir im Bette, oder ich hatte sie, wenn ich zu mir kam, in der Hand. Ich fühlte die zarten, grünen Blätter und wusste, wie ich sie zu gebrauchen hatte. Sie stärkten mich durch ihren Wohlgeruch, oder ich hatte von ihnen zu essen, oder Wasser darüber zu gießen und es zu trinken. Ich wurde immer sehr erquickt, und wurde wieder gesund zu irgendeiner Arbeit auf kürzere oder längere Zeit."
Im Oktober des Jahres 1805 hatte Anna Katharina einer Mitschwester bei dem Aufziehen der nassen Klosterwäsche auf den Trockenboden zu helfen. Sie stand oben an der Bodenlücke, um die aufgezogenen Körbe zu empfangen. Die unten stehende Schwester, welche die gefüllten Körbe in die Höhe zu ziehen hatte, ließ nun den Strick in dem Augenblick aus Unvorsichtigkeit aus der Hand, als Anna Katharina den schweren Korb oben fassen und in den Boden hineinheben wollte. Sie geriet dadurch in die höchste Gefahr, mit der ihren Kräften viel zu schweren Last auf die Schwester hinabzustürzen, doch wurde sie davor durch den Engel, der den losfahrenden Stick augenblicklich fasste, bewahrt.
Durch die heftige Anstrengung aber stürzte sie rücklings zu Boden, und der Korb fiel auf ihre linke Hüfte. Sie wurde dadurch so beschädigt, dass diese Beschädigung ein tödlicher Ausgang hätte nehmen müssen, wenn nicht Gott sie trotz dieser Beschädigung am Leben erhalten hätte. Die unheilbaren Folgen der erlittenen Verletzungen sollten ihre neue Gelegenheit zu sühnenden Leiden geben. Sie vermochte nämlich nunmehr als Gehilfin der Küsterin des Klosters nur mit höchster Beschwerde das Läuten der Klosterglocke zu besorgen. Kann man aber nicht darin mit Grund eine Sühne für das wüste Treiben einer glaubenslosen Zeit erblicken, welche den Gebrauch geweihter Glocken verfolgte?
Ebenso leidensvoll und zeitweise ganz unmöglich wurde für sie auch das Waschen, Bügeln und Glätten der Altarleinwand und der Priesterkleidung. Groß waren die Anstrengungen, denen sie sich unterzog, um trotz aller Schmerzen die Kirchenwäsche zu besorgen. Wie vom Herrn aber dieser Eifer belohnt wurde, erhellt aus folgender Tatsache.
Als sie einmal mit einigen ihrer Mitschwestern die Alben bügelte, fiel ihr der weißglühende Stahl aus der Scheide auf die Albe. In größter Angst, dass dieselbe verbrannt werden könnte, griff sie beherzt unter innerlichem Hilferuf zu Gott nach dem glühenden Stahl aus der Scheide auf die Albe mit der Hand auf den Boden, in den er also gleich ein Loch brannte, aber weder Albe, noch Hand waren verletzt.
Nach dem Falle mit dem Waschkorbe musste Anna Katharina wegen der daraus entstandenen Folgen bis zum Januar 1806 das Bett hüten. In dieser Zeit nahmen die Schmerzen um die Herzgrube so zu, dass sie viel Blut erbrechen musste. Trat auch hierin eine kurze Unterbrechung ein, so wiederholte es sich doch von Zeit zu Zeit so heftig, dass bei dem Arbeiten ein helles, flüssiges Blut aus dem Munde sich ergoss und manchmal so stark, dass die Mitschwestern fürchteten, sie werde verbluten. Da diese oftmals die Erfahrung machten, wie sie aus den schwersten Krankheiten sich plötzlich erholte, so setzte sich bei ihnen der Gedanke fest, es habe mit ihren Krankheiten überhaupt nicht viel auf sich, woher es denn kam, dass sie nur zu oft hilflos sich selbst überlassen blieb.
Unter allen Entbehrungen, welche Anna Katharina im Kloster zu ertragen hatte, fiel ihr keine schwerer, als der Mangel einer sicheren, priesterlichen Führung.
So stand sie verlassen da, wie die Kirche selbst in jener traurigen Zeit. Sie fühlte sich außer Stande, dem Entrückt Werden zu widerstehen, und dadurch wurde ihre Person den Mitschwestern so unheimlich und unerträglich, wie dem rohen Unglauben der ganzen Zeit die Kirche selber. Die Ekstasen kamen überall über sie, bei der Arbeit, im Kloster, im Garten, in der Kirche und in ihrer Zelle. Sie lag dann starr auf ihrem Angesicht oder kniete mit ausgetreckten Armen.
"In meinen Verrichtungen als Küsterin", bezeuget sie, "wurde ich oft plötzlich hingerissen und kletterte und stieg und stand in der Kirche auf hohen Stellen, an Fenstern, Bildwerk und Vorsprüngen, und wo es menschlicher Weise unmöglich schien, da reinigte und zierte ich alles. Ich fühlte mich emporgehoben und gehalten und hatte kein Arg darüber, denn ich war von Kindheit an gewöhnt, die Hilfe meines Engels zu erfahren...
Manchmal fand ich mich erwachend in einem Schranke sitzen, worin ich die Sakristei Sachen bewahrte, manchmal erwachte ich in einem Winkel hinter dem Altar, in welchem man mich nicht sehen konnte. Selbst wenn man dicht dabei war. Ich kann mir gar nicht denken, wie ich dahin gekommen, ohne meine Kleider zu zerreißen, denn man konnte nur sehr schwer hingelangen. Oft fand ich mich erwachend auf dem obersten Balken im Dache sitzen."
Seit Anna Katharina in das Kloster eingetreten, erschien ihr kein Leiden mit dem hohen Glück vergleichbar, in der Nähe des Allerheiligsten Sakramentes wohnen und viele Zeit des Tages vor demselben zubringen zu können. Weilte sie in ihrer Zelle, oder war sie an irgend einem Orte des Klosters mit Arbeit beschäftigt, so befand sie sich wie unwillkürlich in einer Stellung, die nach Tabernakel der Klosterkirche gerichtet war, denn ihr Herz war nie von dem Gefühle der lebendigen Gegenwart verlassen. Ihr Beichtvater wollte, dass sie öfter kommunizieren sollte, als ihre Mitschwestern zu tun pflegten. Sie tat es eine Zeit lang, unterließ es aber wieder gegen den Willen des Beichtvaters aus einer gewissen Menschenfurcht, weil ihr häufiges...