Schweitzer Fachinformationen
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Lea Schein war kein Pseudonym, sondern ihr echter Name. Leider bringt es nicht immer etwas, wenn man einen so wohlklingenden Namen hat, aber das stellte sie erst sehr viel später fest.
Sie nahm sich vor, mit diesem Namen groß rauszukommen und Karriere zu machen. Das sei sie sich, aber auch den Eltern schuldig, meinte sie an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag, den sie - wie all die Jahre zuvor - in ihrem Elternhaus gefeiert hatte. Diesmal jedoch ohne Freunde, denn die waren ihr auf dem Lebensweg abhandengekommen, weil sie ihr nicht geglaubt, nicht an sie geglaubt hatten. Was jedoch das Schlimmste war: Sie hatten ihr kein Geld mehr leihen wollen.
Lea öffnete freudestrahlend den Geburtstagskartenumschlag, der sich prall anfühlte und ihr sicher finanzielle Möglichkeiten für ein schönes Sommer-Outfit bescherte. Sie sah in den Umschlag und errötete, die Mundwinkel entglitten ihr nach unten. Schweiß sammelte sich auf der Stirn, tropfte vereinzelt auf das Schreiben und die Broschüre vom Jobcenter, dessen Mitarbeiterin ihr zum Geburtstag gratulierte und nächsten Montag einen Überraschungstermin für sie hatte.
Jobcenter. Nach langem Suchen im Computerprogramm und vielen Eignungstests bescheinigte die Arbeitende der Arbeitslosen mit peinlich berührter Stimme durchaus eine gewisse Intelligenz, sie wisse nur noch nicht, in welcher Kategorie. Lea könne weder richtig rechnen noch sei sie ein Organisationstalent, habe keine handwerklichen Fähigkeiten, und das Kreative beschränke sich auf ihre rege Fantasie, die aufgrund ihrer zurückhaltenden Art nirgendwo einsetzbar sei und schon gar nicht reiche, um damit Geld zu verdienen.
Lea strahlte und nickte zugleich. Ganz ihre Meinung. Bis auf das mit dem Geld. Das hatte sie bitter nötig.
Es war ja nicht so, dass sie noch nie gearbeitet hatte. Nein, sie war keinesfalls faul, sondern stets bemüht. Hatte sogar studiert, mehrmals, mehrere Semester. Das war mehr wie nix! Wie man nur mundartlich korrekt sagte.
»Und was ist mit Schriftstellerin?«, fragte Lea fast hysterisch, in einer Sekunde der Erleuchtung.
Die Vermittlerin der über tausend Jobs schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Das haben schon so viele versucht, damit reich zu werden. Ist nur in den seltensten Fällen gelungen. Da bin ich raus.« Sie langte nach dem Papierstapel auf ihrem Schreibtisch und gab ihr einen Flyer mit Zimmernummer und Ansprechpartner für besonders schwierige Fälle.
Beim Hinausgehen drückte Lea einem der vielen Wartenden den Zettel in die Hand. Der drehte ihn mehrmals nach allen Seiten um, so als suche er Fotos darauf.
Sechs Jahre später hatte sich eine Menge getan. Lea hatte stark an sich gearbeitet, es gelernt, mehr aus sich herauszukommen und auch mal auf die Leute zuzugehen. Sie strahlte Fröhlichkeit und Unbeschwertheit aus. Nur tief drinnen blieb sie traurig, weil sie mit fünfunddreißig Jahren immer noch arbeitslos und Single war.
Doch es dauerte nicht lange, da lernte sie tatsächlich jemanden kennen, der sie um ihrer selbst willen liebte, nicht nur wegen des schönen Namens. Er mochte ihre langen dunklen Haare, die grünen Augen, die vollen Lippen und ihren großen schlanken Körper. Seine ständigen Komplimente darüber waren ihr nicht unangenehm und vielleicht mit ein Grund, warum er ihr Freund wurde. Da musste er nicht gut aussehen. Im Grunde war nur eines wichtig: dass sie jemanden an ihrer Seite hatte, der einen wertvollen Charakter besaß und sich zu benehmen wusste. Ein letzter Zweifel an ihrer Männerwahl war jedoch geblieben.
Es war Mitternacht, als sie ein wenig beschwipst beim Privatsender anrief. In ihrer Verzweiflung wollte sie endlich wissen, wie es in ihrem Leben und mit ihrem schön gedachten Mann weiterging. Würden sie jemals heiraten und Kinder bekommen? Wenn ja, wie viele? Wenn nein, warum nicht?
Prompt folgte die Ernüchterung.
Gelangweilt mischte die Schnappatmende die Karten für Lea. Kopf und Busen wackelten dabei. Fast sah es so aus, als verneine sie ihr Gemurmel. Sie tippte mit den fleischigen Fingern auf die bunten Bilder. Beinahe vorwurfsvoll tutete sie: »Du wirst glücklich mit ihm. Er wohnt in deiner Nähe, wenn er nicht in der Ferne lebt. Hier .«, sie tippte auf eine für Lea verdeckte Tarotkarte. »Hier steht es! Eindeutig! Aber . du musst dich auch in Acht nehmen . darfst nicht leichtgläubig sein . also, nur was deinen Mann angeht. Mir kannst du natürlich glauben.«
»Werden wir Kinder bekommen?«
Sie räusperte sich verlegen. »Vielen Dank für den Anruf. Das war unsere Runde mit dem Schnelldurchlauf. Jeder hat nur eine Frage. Ruf einfach noch mal an. Vielleicht hast du ja Glück und kommst durch.« Sie drückte auf eine Taste hinter dem Buddha.
Danach hatte Lea nie wieder bei einer Kartenlegerin angerufen, sondern sich dafür entschieden, ihr Schicksal künftig selbst in die Hand zu nehmen. Sie kaufte sich Tarotkarten, übte, übte und übte und wurde beim TV-Sender sofort angenommen. Mehr noch, Lea war Monate später die bestbezahlte Kartenlegerin in der Wunschdenken-Szene. Meist riefen Männer an, die sich sonst eher zurückhielten. Sexy und geheimnisvoll sei sie, mit ihren grünen Augen, den dunklen Haaren und der fast flüsternden Stimme, und die Frauen schätzten ihre fantastischen Weissagungen.
Alles lief glatt. Auch mit ihrem Freund. Sie war so glücklich - kurz vor der Hochzeit zur Besinnung gekommen zu sein, gemerkt zu haben, dass er nur auf ihre Kosten leben wollte. Sie hatte ihn kurzerhand aus der Wohnung geworfen und seine Klamotten aus dem Fenster. Auch seine Zeitungen flogen hinterher, bis auf eine, die mit der äußerst interessanten Werbeanzeige auf der Rückseite. Die durfte bleiben.
Lea meldete sich auf der Akademie für Kreatives Schreiben an und schrieb und schrieb, wenn sie nicht gerade Karten legte und orakelte und orakelte. Dabei kam es ihr manchmal so vor, als sei das Kartenlegen ihr Hobby und das Schreiben ihr Beruf. Ihre Berufung war es allemal.
Nach der ersten eingereichten Kurzgeschichte bekam sie das Feedback des Kursleiters. Er bescheinigte ihr ein großes Talent im Fantasieren - jetzt hatte sie es sogar schriftlich. Lea zog kurz in Erwägung, ihren Job hinzuschmeißen und sich als Autorin selbstständig zu machen. Dafür müsste sie aber mehr Geschichten vorzuweisen haben, und deshalb hielt sie sich erst einmal mit ihrem großen Auftritt als Schriftstellerin zurück. Erst einmal.
Nach sehr vielen Anläufen und circa tausend Blatt ausgedrucktem Papier, wovon hundert brauchbar waren, brachte sie es auf eine stolze Kriminalgeschichte. Das war der beste Beweis, dass sie schreiben konnte. Das Geld für den Schreibkurs konnte sie sich also sparen und in Visitenkarten, eine eigene Website und einen neuen Laptop investieren. Der alte schrieb ihr nicht schnell genug.
. und wie das so ist, wenn sich die Interessen verlagern, machte es ihr keine Freude mehr, Karten zu legen, war sie mit ihren Gedanken nicht bei den Anrufern, sondern beim Schreiben.
»Hallo, wen habe ich in der Leitung?«
»Ist das nicht die anonyme Runde?«
»Ach ja, natürlich. Entschuldigung, Frau Höckskes. Noch da? Sagen Sie doch was .«
»Hallo? Hallo! Sind das meine Karten?«, klang es aus dem Off. »Ich möchte wissen, ob ein Geldsegen ins Haus steht.«
Lea mischte die Karten, pratschte sie laut auf den Tisch und murmelte dabei, wie sie es gelernt hatte. »Hm . ja, Ihnen steht eine große Karriere bevor. Sie werden noch in diesem Jahr Ihr erstes Buch veröffentlichen, und man wird Sie zur Frankfurter Buchmesse einladen, wo .«
»Aber ich bin doch Erzieherin, keine Autorin.«
»Wie? Ach so, ja . ja, das macht nichts. Sehen Sie hier das brennende Herz und das Buch mit den sieben Siegeln? Daneben der Grabstein? Sie sollten Krimis schreiben, ja . das steht hier.«
»Aber ich mag keine Krimis, nur Liebesromane . Hilfe, hoffentlich bedeutet der Grabstein nichts Unangenehmes .«
»Nicht, wenn Sie . Bitte, wie war Ihre Frage?«
Da sich die Fälle häuften, in denen die Anrufer sich über sie beschwerten, kam es, wie es kommen musste.
Ihr letzter Arbeitstag verlief eher ruhig. Also, nur für Lea, denn ihre Kolleginnen und Kollegen ließen die Sektkorken knallen, weil sie ihre schärfste Konkurrenz endlich losgeworden waren.
Die plötzlich gewonnene Freizeit nahm Lea zum Anlass, ihre Kriminalgeschichte unaufgefordert bei Verlagen einzureichen. Danach hatte sie täglich, und das wochenlang, dem Briefträger aufgelauert und ihm die Post aus der Hand gerissen, zudem minütlich in ihrem Posteingang die Mails abgerufen. Jedes Mal, wenn tatsächlich mal ein Verlag geantwortet hatte, war die Enttäuschung groß gewesen, weil...
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