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Verena
Begonnen hatte alles knapp fünf Wochen zuvor. Aufgeregt hatten wir ein gutes Jahr nach unserem entsetzlichen Verlust gemeinsam in Frankfurt ein Flugzeug nach New York bestiegen. Denn anstatt direkt in unser Wanderabenteuer zu starten, mussten wir zunächst einen vierwöchigen Roadtrip durch die USA einlegen, den ich als Reiseleiterin für das Unternehmen Rotel Tours begleitete. Analena kam mit auf diese Tour, denn so konnten wir mehr Zeit miteinander verbringen. Außerdem sah sie gleichzeitig die Vielfalt des nordamerikanischen Kontinents mit seinen Naturwundern wie den Niagarafällen, dem Devils Tower, Yellowstone-Nationalpark und dem Grand Canyon sowie den kontrastreichen Metropolen San Francisco und Chicago. Unsere Tour endete in Los Angeles. Hier wollten wir anschließend noch zwei Tage verbringen - die chillige Strandzeit im sonnigen Kalifornien hatte ich Analena versprechen müssen -, bevor es nach Calgary in Kanada ging, um endlich zu wandern.
In kurzer Zeit viel sehen zu wollen, heißt, lange Strecken sitzend im Bus zurückzulegen, nur von kurzen Foto- und WC-Pausen unterbrochen. Umso mehr konnte ich es nach diesem Monat on the road kaum erwarten, endlich zu Fuß tiefer in die Landschaften einzudringen, an denen ich bei früheren Reiseleitertouren immer nur vorbeigefahren war. Endlich die Trails zu gehen, aus denen andere verdreckt und mit glücklichen Gesichtern rauskamen. Endlich selbst das Backcountry zu entdecken, die ungezähmte Wildnis der kanadischen Rockies. Egal, wie der Trip verlaufen würde, wir würden mit unschätzbar wertvollen Erfahrungen zurückkommen.
Ich war superfroh, meine Tochter mitnehmen zu können, sie rauszuholen aus dem deutschen Dorfleben und ihren Horizont zu erweitern, damit sie später in dieser Welt besser klarkommt. Reisen, andere Kulturen erleben und sich unterwegs zurechtfinden, vermittelt einfach so viel Toleranz und Skills, wie es kein noch so schlaues Buch oder stationärer Unterricht vermag, auch wenn diese auf ihre Weise sehr wichtig sind. Ich wusste, dass unser Projekt herausfordernd werden würde, dachte aber, wir würden uns im ersten Sommer vorsichtig herantasten und es im zweiten dann durchziehen.
Planmäßig landeten wir Ende August in Calgary, der Millionenmetropole am Rande der Prärie, deren rot umrandeter, 190 Meter hoher Tower meilenweit aus allen Richtungen und wunderbar aus der Luft zu sehen ist. Direkt am Flughafen stiegen wir in unseren geräumigen weißen Mietwagen, der uns die nächsten Wochen durchs Herz der kanadischen Rockies fahren, zugleich aber als Speisekammer (Kofferraum), Kleiderschrank (Rücksitze) und Schlafstätte (abwechselnd Sitze vorn oder die Rückbank) dienen sollte. Geplant waren zu Beginn ein paar Tagestouren, später eine dreitägige Backcountrytour mit anschließenden Tagestouren. Ich hatte für die ersten Nächte einen Zeltplatz reserviert, aber nicht durchgängig für alle anderen, um flexibel zu bleiben.
Nach einem Großeinkauf verließen wir rasch die Cowboystadt am Bow River, um auf dem Trans-Canada Highway dem Fluss aufwärts gen Westen zu seinem eisigen Ursprung im steinigen Gebirge zu folgen. Die 140 Kilometer ins quirlige Touristenstädtchen Banff verzauberten mich jedes Mal aufs Neue. Wie ein leiser Trommelwirbel kündigten die sanften Hügel mit ihrem trockenen Gras das Gebirge an, das wie mit jedem Paukenschlag höher und steiler gen Himmel strebte, je näher wir ihm kamen, bis sich die im Frühsommer noch mit Schnee bedeckten Bergmassive direkt neben dem Highway wie gewaltige Trutzburgen auftürmten. Endlich angekommen im kanadischen Bergland. Wunderbar!
Doch gleich am Anfang unseres Wanderabenteuers zeigte sich uns das Leben erneut von seiner unerschütterlichen Wankelmütigkeit, denn nichts lief wie geplant. Als an diesem ersten Wandermorgen im etwa 1400 Meter hoch gelegenen Bergstädtchen Banff die Sonne aufging, begrüßte mich im Zelt die verknarzte Stimme meiner Tochter mit einem heiseren »Good morning«, der so ziemlich das Gegenteil zu werden versprach. Ein Blick in ihre noch wach werdenden Augen bestätigte meine Vermutung: Eine saftige Erkältung machte sich in ihr breit. Und ganz sicher bald auch in mir. So war es immer. Eine wurde krank, die andere steckte sich an.
Da körperliche Anstrengung für eine rasche Genesung tabu ist, wurde ich erst mal zornig. Nicht dein Ernst, dachte ich wütend, als gewaltiger Frust in mir aufstieg. Wieso war sie manchmal nur so stur! Sie wusste doch, wie wichtig es war, dass wir in diesen Wochen wandern gingen, dass wir den Grundstein für den Wanderführer legten, und jeder einzelne Wandertag zählte. Und dennoch hatte sie sich vor ein paar Tagen nichts drübergezogen, als es kalt wurde. Trotz mehrfacher Bitten von mir! Mit »Nee, mir ist nicht kalt«, »Wirklich nicht!«, hatte sie mich abgewimmelt. Da sie ein völlig anderes Hitzeempfinden hat als ich, konnte das durchaus stimmen. Sie schwitzt oft, wenn ich schon friere und zwei Lagen Longsleeves übergezogen habe. Trotzdem! Ihr Versprechen »Mama, ich werde nicht krank« konnte sie nicht halten. Wie auch, wenn sie schwitzend im Wind tanzt.
Wenn es doch nur ein ganz normaler Urlaub wäre! War es aber nicht, denn wir mussten ja die Touren zusammenbekommen. Mir blieb also nichts anderes übrig, als an diesem Zwangspausentag einfache Routen rauszusuchen, die wir selbst in angeschlagenem Zustand in den Folgetagen gemütlich würden gehen können.
Glücklicherweise wirkte der Pausentag Wunder, und mein »Virenmutterschiff«, wie wir die jeweils Ersterkrankte nannten, fühlte sich am nächsten Morgen schon wieder um einiges besser. So begannen wir mit der entspannten Rundwanderung an der Cave and Basin National Historic Site in Banff. Dort, wo 1885 der erste Nationalpark Kanadas, und nach dem Yellowstone (USA) und dem Royal-Nationalpark (Australien) der drittälteste der Welt gegründet wurde. Nachdem es zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Bahnarbeitern gekommen war, welche die heißen Quellen bei der Bahnstation namens »Side 29« entdeckt hatten, wurden damals 26 Quadratkilometer Land rund um die Quellen und Kalksteinhöhlen des heutigen Banff von der kanadischen Regierung unter Schutz gestellt. Die vermutete touristische Goldgrube entpuppte sich tatsächlich als wahrer Schatz, zu dem heute jährlich Millionen Menschen pilgern. Baden dürfen in den Originalquellen am Fuße des Sulphur Mountain allerdings nur die vom Aussterben bedrohten Banff Spring Snails, luftatmende Süßwasserschnecken, die nicht größer sind als die Kerne eines Apfels. Die weiter oben gelegenen Upper Hot Springs laden jedoch zum Bad im warmen Thermalwasser ein, und wer will, kann sogar in historisch designten Badeanzügen ins Wasser eintauchen.
Auf dieser Runde fotografierte ich alles: Disteln mit und ohne Biene; die flache Buschlandschaft mit ihren hüfthohen Weiden und trockenen Gräsern, die den Blick auf die von der Hitze des Sommers ausgedorrten Gipfel der Front Range freigaben; Margeriten mit und ohne Schmetterling; Kanufahrende, die sich auf dem türkisfarbenen Bow River treiben ließen; eine Gruppe zu Pferde, die mit und ohne Cowboyhut aus dem niedrigen Waldstück trabte; rot leuchtende Hagebutten und blaue Libellen; die schmale Schlucht des Sundance Canyon, in der sich Treibholz kreuz und quer im und über dem Bach verkeilt hatte; moosbehangene Felsen mit und ohne Pilz sowie Analena im Sommerkleid. Ende August war es hochsommerlich warm, und wir genossen diesen Spaziergang mit vielen Pausen. Noch war alles entspannt, noch konnten wir uns schonen.
In den nächsten Tagen standen weitere kurze Halbtages- und Tagestouren auf dem Plan, die uns jedoch in etwas höhere Lagen führen sollten. Schließlich mussten wir uns auf die anstehende erste Backcountrytour vorbereiten. Zum ersten Mal würde es für drei Tage ins kanadische Hinterland gehen. Dorthin, wo es zwar Wanderwege und Zeltplätze mit einfachen Plumpsklos gibt, aber keine weitere Infrastruktur. Wir mussten alles mitnehmen, was wir zum Zelten brauchen würden, und das hieß: schwere Rucksäcke. In diesen Tagen banden wir sicherheitshalber ein klimperndes Bärenglöckchen an Analenas Wanderschuh fest und stiefelten los. Ein Fehler, aus argloser Unkenntnis geboren, den wir später nicht wiederholen sollten.
Analena ging es zum Glück zunehmend besser und jetzt war sie diejenige von uns beiden, die vorankommen wollte, anstatt dauernd stehen zu bleiben. Da ich noch nicht einschätzen konnte, welche Fotos für den Wanderführer...
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