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Friedrichstadt, 22.20 Uhr
Trotz der späten Stunde herrschte rund um den Marktplatz des Holländerstädtchens hektisches Treiben. Von unterwegs aus hatte Wiebke alles Nötige telefonisch veranlasst, um den "ersten Angriff", wie Christensen es genannt hatte, so effektiv wie möglich gestalten zu können. Sie hatte die Besatzungen sämtlicher Streifenwagen aus der Umgebung nach Friedrichstadt beordert, um den Einsatzort für Passanten und den Autoverkehr abzusperren. Ehrenamtler der Freiwilligen Feuerwehr waren ausgerückt, um die Szenerie mit leistungsstarken Scheinwerfern rund um die Brücke am Mittellandkanal auszuleuchten. Parallel mit Wiebke hatte Christensen auch die Husumer Kriminaltechniker alarmiert, die jetzt schon vor Ort waren, um Spuren zu sichern.
Wiebke hatte keine Lust gehabt, den Dienstwagen zu holen. So waren sie ohne den Umweg über das Revier an der Poggenburgstraße gleich mit dem Panda nach Friedrichstadt gefahren und hatten wertvolle Zeit gespart. Die Fahrt über die nächtliche Landstraße war weitgehend schweigend verlaufen, wobei Petersen nicht entgangen war, dass seine langjährige Partnerin etwas zu beschäftigen schien. Er hatte es vermieden, sie darauf anzusprechen. Doch als Wiebke den kleinen Fiat neben dem blau-weiß schraffierten Absperrband parkte, schien er das Bedürfnis zu haben, sie danach zu fragen. Vor diesem Moment hatte sie sich gefürchtet, denn die Trennung von Eike war noch zu frisch, um schon darüber sprechen zu können. Jetzt spürte sie Petersens Seitenblick, während sie starr durch die Windschutzscheibe nach vorn sah.
"Dich beschäftigt was." Besorgt musterte er Wiebke, während er den Sicherheitsgurt des Beifahrersitzes löste.
"Jo." Wiebke wusste nicht recht, was sie ihm darauf antworten sollte. Es war ihr unangenehm, dass ihr Partner sie durchschaut hatte. "Nicht gerade leicht im Moment", murmelte sie halblaut. Im Augenwinkel sah sie Petersen nicken. Vermutlich konnte er sich denken, dass ihr hartnäckiges Schweigen mit Eike zusammenhing. Jan Petersen hatte in der Vergangenheit nie mit seiner Meinung über ihren Freund hinter dem Berg gehalten. Er war schon immer davon überzeugt gewesen, dass Eike nicht der richtige Mann für sie war. Doch jetzt, so hatte Wiebke den Eindruck, tat sie ihm leid. Mitleid konnte sie gerade nicht vertragen.
"Wenn du schnacken willst, dann sach Bescheid."
"Mach ich", versprach sie ihm und war dankbar, dass er nicht weiterbohrte. Vergeblich versuchte sie, die düsteren Gedanken aus dem Kopf zu verdrängen. Jetzt galt es, sich auf den Einsatz zu konzentrieren. Sie seufzte.
"Dann los." Petersen stieß die Tür auf und wuchtete seinen Körper ins Freie. Missmutig betrachtete er die trotz später Stunde versammelten Schaulustigen rund um den Einsatzort. "Großes Kino", brummte er, als sie ausgestiegen war.
Wiebke wusste, dass er die Sensationslust der Anwohner grundsätzlich nicht guthieß, und hoffte, dass ihr eine Auseinandersetzung zwischen ihrem Partner und den Schaulustigen erspart blieb. In Gedanken war Wiebke noch bei dem Gespräch, das sie vor Christensens Anruf mit Eike geführt hatte. Obwohl sie froh gewesen war, der unangenehmen Situation zu entkommen, erschien es ihr jetzt ein wenig unpassend, dass sie das Gespräch - und damit ihre Beziehung - nicht vernünftig beendet hatte.
Doch jetzt war nicht der richtige Moment für Schuldgefühle. Ihr Beruf als Kommissarin fragte nicht nach privaten Problemen. Das Böse schläft nie, pflegte ihr Vater Norbert Ulbricht in solchen Fällen immer zu sagen. Und er musste es wissen, war die Ehe des inzwischen pensionierten Ersten Kriminalhauptkommissars nicht zuletzt wegen der ständigen Einsätze zu jeder Tages- und Nachtzeit gescheitert. Es war mehr als drei Jahrzehnte her, als ihn seine Frau in einer Nacht- und Nebelaktion mitsamt der damals noch kleinen gemeinsamen Tochter Wiebke verlassen hatte, um in Nordfriesland ein neues Leben zu beginnen. Viele Jahre lang hatte Wiebke, die inzwischen erwachsen geworden war und die selber eine Laufbahn bei der Polizei eingeschlagen hatte, keinen Kontakt zu ihrem Vater gehabt. Bis zu dem Tag, an dem er irgendwann auf der hölzernen Klönschnackbank neben der Haustür gesessen und auf die Heimkehr seiner einzigen Tochter gewartet hatte.
Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie schon seit geraumer Zeit nichts mehr von ihm gehört hatte, und nahm sich vor, Norbert Ulbricht mal wieder anzurufen, war er doch der letzte lebende Verwandte, von dem sie wusste.
Jetzt konzentrierte sie sich auf den Einsatz und meldete sich bei den uniformierten Kollegen, die sich entlang der Polizeiabsperrung aufgebaut hatten, um allzu neugierige Zeitgenossen auf Distanz zu halten.
Dort wurde sie an Jannis Petridis, den neuen Kriminaltechniker aus Husum, verwiesen. Kaum jemand der Husumer Polizeiinspektion kannte den richtigen Namen des jungen Kollegen - er hörte auf den Spitznamen Tasso. Seit einigen Wochen unterstützte er Piet Johannsen, den altgedienten Leiter der Husumer KTU, der sich seit Ewigkeiten über eine dauerhafte Überlastung beschwerte und sich schon auf den wohlverdienten Ruhestand freute. Tassos Eltern waren Griechen und führten seit Jahrzehnten ein traditionelles griechisches Restaurant in der Nähe des Schlossparks.
Wiebke hatte ein Faible für griechisches Essen und war schon oft bei Tassos Familie zu Gast gewesen. Doch an Freizeitvergnügen war gerade nicht zu denken, und so konzentrierte sie sich auf den neuen Fall.
Gerade war Tasso damit beschäftigt, am grauen Sprinter der KTU die Ausrüstung der HDR-Kamera zusammenzubauen. Offensichtlich war er selber auch noch nicht lange vor Ort. Als der Südländer die Kollegen bemerkte, ließ er den kleinen Koffer mit der 360-Grad-Kamera sinken. "Moin", grüßte er freundlich und zeigte eine Reihe strahlend weißer Zähne.
"Was machst du?", fragte Petersen und klopfte dem jungen Kollegen jovial auf die Schultern. Zwei fast schwarze Augen funkelten in einem rundlichen Gesicht, das auch durch den Dreitagebart nicht markanter wirkte. Er zeigte auf die Kamera in seinen Händen. "Das ist euch sicherlich eine große Hilfe, den Fall später zu rekonstruieren, oder?"
"Es spart vor allem viel Arbeit beim Schreiben der Berichte", brummte Petersen. Mit den Aufnahmen, die Tasso gleich vom Einsatzort anfertigen würde, konnten sie in der Wache mit ein wenig Glück den Hergang rekonstruieren.
Der Wind frischte auf und ließ Wiebke frösteln. Sie wollte sich nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen. "Was ist genau passiert?", wollte sie von Tasso wissen.
"Wenn mein schlimmster Verdacht sich bestätigt, eine ziemlich kranke Sache." Der Grieche betrachtete sie nachdenklich. "Eine Frau ist von der Brücke über den Mittelburggraben ins Wasser gestürzt und dabei mit dem Hinterkopf auf den Rumpf eines Ruderbootes geschlagen."
"Das klingt nach einem tragischen Unglück - wenn du es nicht so komisch sagen würdest", fand Petersen.
"Gut zugehört, Jan." Tasso nickte. "Als ich mit Piet den leblosen Körper ans Ufer gezogen habe, fanden wir die Rückstände von Klebeband an ihren Hand- und Fußgelenken. Fast so, als wäre sie vorher gefesselt gewesen."
"Also hat jemand nachgeholfen?" Wiebke zückte einen Stift und den kleinen Spiralblock, den sie immer mitführte.
Jannis Petridis nickte. "Davon ist auszugehen."
"War die Frau denn schon tot, als sie von der Brücke gefallen wurde?" Petersen tauschte einen Blick mit Wiebke.
Tasso zuckte mit den Schultern. "Ich bin nur der Techniker, Jan. Aber wir fanden noch eine Verletzung am Hals, die quer auf Höhe der Kehle verläuft, so, als hätte man die Frau erdrosselt." Er deutete mit dem Kinn zum Ufer der Gracht. "Aber Piet wird euch mehr erzählen können."
"Ist er nicht auch Techniker?", konnte sich Petersen nicht verkneifen zu sagen.
"Du bist und bleibst ein Klugscheißer, Jan." Tasso grinste. "Piet assistiert dem Notarzt gerade bei der ersten Leichenschau, deshalb dürfte er mehr im Thema sein als ich." Er wurde ernst. "Und unter uns: Ich habe mich vom Acker gemacht. Wenn ihr mich fragt, ist der Notarzt ein echter Kotzbrocken."
"Das klingt nach einem amüsanten Abend." Petersen verdrehte die Augen. "Uns bleibt auch nichts erspart heute."
"Wie dem auch sei, komm schon." Wiebke steckte Block und Stift in die Hosentasche und ging voran. Petersen folgte ihr wortlos zu der steilen Böschung, die hinunter zum Ufer des Kanals führte. Sie mussten achtgeben, auf dem feuchten Gras nicht auszurutschen. Petersen ruderte wild mit den Armen, war kurz davor zu stürzen, als seine ausgelatschten Schuhe den Halt verloren. Beherzt griff Wiebke zu und konnte so Schlimmeres verhindern.
Petersen warf ihr einen dankbaren Blick zu, dann erst bemerkte er die Menschenmenge am gegenüberliegenden Ufer der Gracht, die mit ihren Smartphones filmten und Fotos machten. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie auch seinen Beinahesturz mitbekommen hatten.
"Ich könnte kotzen, wenn ich so was sehe", fluchte Petersen außer sich. "Sichtschutzwände", grollte er in Richtung der Menschenmenge. "Wir brauchen Sichtschutzwände."
"Sind unterwegs", erwiderte Wiebke und musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Es war offensichtlich, dass ihrem Partner der Ausrutscher unangenehm war. "Und jetzt komm." Sie blieb stehen, um sich einen Überblick über das Geschehen am Ufer des Kanals zu verschaffen.
Gleich neben dem Wasser lag das Ruderboot, das sich wohl zum falschen Moment am falschen Ort befunden...
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