Schweitzer Fachinformationen
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Es begann damit, dass der Heizkörper in Zimmer 37-A ausstieg, als mein Bein noch wippte, kaum dass ich mich setzte. Dieser verfluchte Heizkörper. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, knapp nur, blond wie die meisten hier oben, doch nicht so großgewachsen wie etwa die Norweger oder Holländer. Ein Hosenscheißer, wie du mich nanntest. Ich arbeitete damals im Alters- und Pflegeheim Vesöld von Ísafjörður, einem Fischerort in den Westfjorden Islands. Es war der Frühherbst vor der großen Finanzkrise, die halb Island in den Konkurs mitreißen würde. Noch war die Stimmung, besonders in der Hauptstadt, ausgelassen. Die Leute waren zuversichtlich, dass die Wirtschaft einfach so weiterboomen würde. Aber was ging mich das schon an. In den Westfjorden war sowieso nichts los. Hier herrschte schon die Krise, seit die Politiker mit ihrem Quotensystem den Fischern das Leben schwer machten. Ich war Hausmeister im Heim, nicht Pfleger, ein Mann für alles. Na ja, um ehrlich zu sein, ich war bloß der Gehilfe des Hausmeisters. Seine rechte und einzige Hand sozusagen. Helmut Irgendwas - seinen Nachnamen habe ich vergessen - hieß mein Chef, ein Ausländer, ein Deutscher mit Schnurrbart wie aus dem Bilderbuch: lang, humorlos, sarkastisch und verdammt tüchtig. Er kam vor etwa zwanzig Jahren nach Island, weiß der Teufel wieso, vielleicht war er ein politischer Flüchtling des Kalten Krieges. Ich glaube mich zu erinnern, dass er aus Ostberlin kam; er hatte einmal etwas erwähnt, wegen dem Mauerfall. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Es geht hier um den verfluchten Heizkörper in Zimmer 37-A, der seinen Dienst ohne ersichtlichen Grund verweigerte. Das antike Ding wog so viel, dass es nicht wie die neuen Radiatoren in der Wand verankert war, sondern auf vier Füssen stand, die wie Katzenpfoten aussahen. An einem schönen Tag im späten September hörte das Ding auf zu gurgeln. Vielleicht war es auch schon länger still gewesen, doch erst als die Außentemperaturen in der ersten Kälteperiode der Nullgradgrenze nahe kamen, wurde seine Dienstverweigerung vom Pflegepersonal bemerkt. Sof?fía, eine Auszubildende im Pflegebereich, hatte Gunna, der Leiterin der Pflege, gesagt, dass es in Zimmer 37-A eher kalt sei, worauf Gunna dem Hausmeister Helmut gesagt hatte, dass es in Zimmer 37-A fürchterlich kalt sei, worauf Helmut gefragt hatte, ob der Heizkörper denn überhaupt eingeschaltet sei. Daraufhin hatte Gunna ihn eine ganze Weile angestarrt, den Kopf geschüttelt, ihm den Rücken zugekehrt und war abmarschiert. Gunna war kleinwüchsig, hatte jedoch einen breiten Rücken und einen beachtlichen Nacken. Sie hob die Alten von den Betten auf die Rollstühle, als wären sie aus Pappe. Ich stellte mir manchmal vor, wie Gunna zu Hause Gewichte stemmte. Mich schauderte.
Helmut hatte ihr, als sie abmarschierte, eine ganze Weile auf den Nacken gestarrt. Die beiden, Helmut und Gunna, mochten sich nicht. Schon vom ersten Tag an herrschte Krieg, wie man mir erzählt hatte. Wie Hund und Katz.
Ich selbst arbeitete erst seit wenig mehr als einem Jahr im Heim.
Also kam Helmut zu mir, als ich gerade dabei war, die Außentreppen beim Parkplatz zu fegen - eine Arbeit übrigens, die kaum Sinn hatte, denn der Wind blies immer wieder Sand und Blätter auf die Treppe.
»Der Alten ist mal wieder kalt«, sagte er und ließ sich über die Heizgewohnheiten der Isländer aus, sagte, dass man eher das Fenster öffne, anstatt die Heizung runterzuschrauben, wenn es im Zimmer zu heiß sei, dass niemand auf die Idee komme, sich wärmer anzuziehen, wenn es Winter werde, dass die Mädchen von heute ganzjährig in Miniröcken herumliefen und vor Kälte zitterten, dass man eher die Löhne des Putzpersonals kürze, als Heizkosten zu sparen, dass er sich wundere, weshalb es in dem Gebäude nicht mehr Hitzetote gebe, und dass man den Insassen bloß Wolldecken über den Schoß zu legen brauchte, wenn es draußen kälter wurde, was aber viel zu viel Arbeit für das Pflegepersonal wäre, da sie sonst ihre mehrstündigen Rauch- und Kaffeepausen kürzen müsste, was ja ein Skandal wäre.
»Ha!«, lachte er sarkastisch und sagte, ich solle im Zimmer 37-A nachschauen, ob der Heizkörper überhaupt aufgedreht sei.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn ich fühlte mich in des Meisters Gegenwart immer beobachtet und gehetzt. Seine Predigten schlugen mir so früh am Morgen auf die Seele. Nein danke. Da schlenderte ich lieber allein durchs Heim. Man konnte sich stundenlang durch die Flure und Stockwerke bewegen, von hinten nach vorne, von oben nach unten, denn solange man sich bewegte, sah es aus, als sei man beschäftigt, als müsse man wohin, um da etwas zu erledigen. Niemand schöpf?te Verdacht, dass hier einer gar nichts tat.
Im Lift nach oben begegnete mir Sof?fía, die Auszubildende. Hölle, an manchen Tagen sollte man vorsichtig sein! Ich hätte besser die Treppe genommen oder den Lift verlassen, als Sof?fía im ersten Stockwerk zustieg. Sie und ich, wir hatten nämlich eine Geschichte. Sexueller Natur. Das Techtelmechtel hatte sich am Wochenende zugetragen, an einer verrückten Party bei Harðar, der selbst auch ein verrückter Kerl ist. Er pflegt in Badewannen zu pinkeln und Glasscherben zu verspeisen. Ja, wirklich, ich übertreibe nicht. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!
Ich hatte also den ganzen Abend lang mit Sof?fía geflirtet, hatte ihr fleißig Drinks serviert und ihr versucht klarzumachen, was für ein toller Hecht ich sei. Es war schon fast Morgen geworden, als ich sie endlich so weit hatte, dass sie sich mit mir in Harðars Zimmer schlich. Eine Viertelstunde später hatte ich mich angezogen und war gegangen, denn ich hielt nicht viel von Kuscheln. Am nächsten Tag schrieb sie mir natürlich eine SMS, ob wir uns treffen könnten, vielleicht auf einen Kaffee, denn sie fände mich einen interessanten Typen. Die Kleine hatte ja keine Ahnung, wer ich war. Sie war ja auch erst knappe achtzehn, wie sie mir gestanden hatte, als ich ihr die leuchtgrünen Strümpfe runterzog. Sie sah älter aus, und hübsch dazu, sie hatte braunes Haar, das im künstlichen Licht der Altersheimflure golden schimmerte. Ihre Haut war dunkler als die der meisten Isländerinnen, vermutlich waren ihre Mutter oder ihr Vater nicht von hier, vielleicht aus Spanien oder aus Griechenland. Leider habe ich sie nie gefragt. Bestimmt war sie noch naiv und unerfahren, sonst hätte sie sich nicht mit mir eingelassen. Sie war erst Ende des Sommers von Reykjavík in die Westfjorde gezogen, zu ihrem Vater, wie sie mir erzählt hatte. Ich hatte ihr natürlich nicht auf die SMS geantwortet, das war nicht mein Stil, und zudem war ich mir nicht sicher, ob unser Beischlaf überhaupt legal gewesen war. Ich war nicht der Typ für feste Beziehungen. Nur einmal war ich zwei Monate am Stück mit einem Mädchen zusammen gewesen, Heiðrún hatte sie geheißen, dann nahm sie sich einen anderen, ebenfalls bei einer von Harðars Partys, als ich im Nebenzimmer Computerspiele spielte. Das genügte mir, um zu begreifen, dass Beziehungen nur Probleme und Schmerzen bereiten. Die Schmach, ein Verlierer zu sein, tat weh. Liebe ist Pein, und ich mochte die Gleichgültigkeit. Danach war ich nie mehr länger als ein paar Tage mit einem Mädchen zusammen.
Ich war also schon auf dem Weg ins oberste Stockwerk, als der Lift einen Zwischenhalt einlegte und Sof?fía zögernd zustieg. Sie betrachtete mich verlegen und abwartend, doch ich sagte nichts, blieb cool und stumm, deshalb fragte sie: »Wieso hast du mir nicht geantwortet?«
Ich war ihr während der ganzen Woche erfolgreich ausgewichen, arbeitete sowieso meist im Keller oder kämpf?te draußen gegen den Wind, doch nun standen wir uns unausweichlich gegenüber. Im Lift! Man sollte nie mit Frauen von der Arbeit ins Bett, das wurde nun auch mir bewusst.
»Sorry«, sagte ich. »Ich war beschäftigt. Viel zu tun, weißt du?«
Sie runzelte die Stirn, enttäuscht irgendwie, fast traurig. Es stand ihr gut. Sie hatte oft einen etwas traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Du hättest wenigstens antworten können.«
»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, sagte ich cool.
Dann sagte sie: »Du bist ein fieser Typ.«
Zugegeben. Sie stieß mich mit dieser Feststellung ein wenig vor den Kopf, und ich fand so auf die Schnelle keine gescheite Antwort. Erst nachdem Sof?fía den Lift im zweiten Stockwerk wieder verlassen hatte, fiel mir etwas ein, nämlich, dass ich mir wohl bewusst sei, ein fieser Typ zu sein, da Fies mein Mittelname sei. Darauf hätte sie bestimmt keine Antwort gewusst, und ich hätte das letzte Wort gehabt. Ha! Egal. Es war Freitag, und ich konnte den Feierabend schon riechen. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu betrinken. Ich hatte Lust, Biergläser an die Wand zu schmeißen und eine Schlägerei anzuzetteln, mit den Fischern oder einem Touristen, und saufen, saufen.
Dann stand ich vor der Zimmertür 37-A. Ich sammelte mich einen Moment lang, atmete ein und aus, kratzte mich im Schritt und rekapitulierte meinen Auf?trag: Feststellen, ob der Heizkörper noch funktionierte. Ich hatte ja keine Ahnung, was mir blühte! Ich klopf?te. Keine Antwort. Vorsichtig öffnete ich die schwere Tür und sagte: »Hallo?«
Keine Antwort. Ich trat zögernd ein, Kälte kroch mir unter die Kleider und strich mir mit dürren Fingern über den Nacken.
»Hallo?«, sagte ich erneut und trat ins düstere Zimmer.
Die schweren Gardinen sperrten das Tageslicht aus, die nackte Glühbirne an der Zimmerdecke leuchtete nicht. Auf...
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