Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Als ich in der Entstehungsphase dieses Buches einem Freund meine beabsichtigten Kapitelüberschriften vorlas, meinte er zu diesem: "Gehört das nicht zu Kapitel 1, also zur Verschiedenheit der Menschen?" In seiner Frage lag für mich schon die Antwort. Die Antwort darauf, warum unsere Gesellschaft bis heute so sehr von Geschlechterungerechtigkeit gekennzeichnet ist. Es geht nämlich um mehr als um eine der vielen Verschiedenheiten der Menschen, auch wenn es eine besondere sein mag. Es geht darum, dass Frauen und Männer noch immer in zwei völlig unterschiedlichen Welten der Möglichkeiten leben und diese nicht naturgegeben, sondern gesellschaftlich gemacht und daher veränderbar sind. Es geht darum, die Gründe für diese verschiedenen Welten zu hinterfragen und zu erkennen, dass eine Machtverschiebung notwendig ist, bei der es naturgemäß GewinnerInnen und VerliererInnen geben wird. Es geht um eine Neuverhandlung der Pflichten und Rechte der Geschlechter.
Im Kapitel 1, das von der Verschiedenheit der Menschen handelt, wird die Bereitschaft zu ihrer Akzeptanz gefordert, die jedoch (im Regelfall) nicht mit Verlust verbunden ist. Die Akzeptanz der geschlechtlichen Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit, nicht nur per Gesetz, sondern in der Realität, ist hingegen nicht nur mit beträchtlichem Machtverlust für den Mann verbunden, sondern auch mit neuen, zusätzlichen Verantwortlichkeiten für ihn. Alleine die daraus entstehende Neuverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit würde die Gesellschaft gravierend verändern und zu einem neuen Selbstverständnis sowohl der Frau als auch des Mannes führen. Es geht um die Unangemessenheit der Spielregeln, die zu den unterschiedlichen Welten geführt haben, und um die Notwenigkeit, diese Welten endlich zu einer gemeinsamen zu vereinen.
Als meine Mutter geboren wurde, hatten Frauen kein Wahlrecht. Als ich heiratete, galt mein Mann als "Oberhaupt" der Familie, er hätte mir verbieten können, einen Beruf auszuüben, ich musste meinen Familiennamen aufgeben und seinen Namen annehmen. In der Einführungsvorlesung für mein Jus-Studium meinte der Verfassungsrechtler Günther Winkler im überfüllten Auditorium maximum an die Zuhörerinnen gerichtet, dass sie ihre Plätze hier wohl nicht lange einnehmen müssten, weil sie sich ja bald ihren Doktor angeln würden, das eigentliche Ziel ihres Studiums. Nachdem ich meine Gerichtspraxis absolviert hatte und als junge Juristin im Unterrichtsministerium arbeitete, sah ich mich bei den Arbeitssitzungen nahezu ausschließlich von Anzugträgern umgeben.
Im Jahr 1977 trug mir mein Wechsel in die neu gegründete Volksanwaltschaft einen männlichen Titel ein: Ich war wie meine beiden Kollegen der anderen beiden Volksanwälte "Sekretär" des dritten. Die weibliche Endung hätte mich einem Berufsbild mit niedrigerem Status zugeordnet. Als ich anschließend in die Politik ging, wurde ich kurz darauf "der" erste weibliche Generalsekretär einer politischen Partei. Die beiden männlichen Kollegen (es gab damals nur drei Parteien im Parlament) taten sich nicht leicht mit einem weiblichen Gegenüber. Im Feber 1993 gründete ich als erste Frau eine politische Partei, das Liberale Forum. In diesem Jahr wurde übrigens zum ersten Mal nach siebzig Jahren eine Frau in den Verfassungsgerichtshof berufen, die Rechtsanwältin Lisbeth Lass, wenn auch nur als Ersatzmitglied (ein Jahr später wurde sie zum Mitglied ernannt). Zwei Jahre zuvor hatte der Nationalrat eine Entschließung gefasst, mit der die Bundesregierung aufgefordert worden war, bei ihrem Nominierungsrecht Frauen in diese Institution zu entsenden. Nun tat es der Nationalrat bei seinem Nominierungsrecht zum ersten Mal auch selbst.
Wenn ich auf meine Lebensjahre durch eine feministische Brille zurückblicke, so bin ich doch trotz aller Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation erstaunt, was sich alles verändert hat. Einerseits scheinen es mir so historische Schritte zu sein, dass ich meine Lebenszeit als Maßstab nahezu unwirklich empfinde. Andererseits jedoch kann ich gar nicht glauben, wo wir steckengeblieben sind und sogar Sorge vor einem Backlash haben müssen.
Als die Frauen 1918 bei uns das Wahlrecht bekamen, hatten sie es selbst erkämpfen müssen. Sie taten es gemeinsam mit Frauen anderer Länder - und es war ein erbitterter, harter Kampf mit großen Opfern. Der weitere Weg zur Gleichberechtigung war zwar steinig, aber man konnte sich bereits auf eine Verfassung mit einem Gleichheitsgrundsatz berufen und wichtige männliche Politiker als Mitstreiter gewinnen. Die Wichtigsten waren wohl Justizminister Christian Broda und Bundeskanzler Bruno Kreisky, unter deren Verantwortung wesentliche Meilensteine gesetzt wurden. Das begann mit der Familien- und Strafrechtsreform in den 70er Jahren: Einführung der Fristenlösung, Abschaffung der Rolle des Mannes als Familienoberhaupt, dem sich die Frau unterzuordnen hatte, Verankerung der Partnerschaft in der Ehe, Abschaffung der väterlichen Gewalt und Anerkennung des Kindes als Träger von Rechten und Pflichten.
Gesetze ändern nicht gleich eine Gesellschaft, aber sie geben eine Perspektive und den Menschen die Chance, ihr Verhalten unter dem Schutz der Gesetze zu verändern. Und vor allem Frauen brauchen diesen Schutz, um sich von männlicher Dominanz befreien zu können: 1978 wurde in Wien das erste Frauenhaus eröffnet. 1979 trat das Gleichbehandlungsgesetz für die privatwirtschaftliche Arbeitswelt in Kraft, 1993 für den öffentlichen Dienst. 1985 wurde das Unterhaltsvorschussgesetz beschlossen, mit dem der Staat die Ausfallshaftung für alimentationsverweigernde Väter übernahm, 1989 wurde Männern bei der Geburt eines Kindes Karenzzeit ermöglicht, seit 2004 haben sie einen Rechtsanspruch darauf. Im Jahr 1990 wurde Johanna Dohnal als erste Frauenministerin angelobt. 1995 wurde das Namensrecht geändert: Bei einer Eheschließung stand es nun den Eheleuten frei, den eigenen Namen zu behalten oder den jeweils anderen zum gemeinsamen Familiennahmen zu erklären.
Ab Mitte der 80er Jahre wurde in Europa eine Diskussion über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aufgenommen, die in den 70er Jahren in den USA begonnen hatte. 1986 anerkannte das Europäische Parlament diese als spezielle Form der Diskriminierung von Frauen. In Österreich wurde ebenfalls eine öffentliche Diskussion über derartige Praktiken geführt, Studien in Auftrag gegeben und schließlich 1993 eine Novelle zum Gleichbehandlungsgesetz beschlossen. Mit ihr wurde sexuelle Belästigung zu einem Diskriminierungstatbestand mit Schadensersatzanspruch. In dieser Zeit begann auch das Thema häuslicher Gewalt, vor allem gegenüber Frauen, öffentlich zu werden. Das war keine einfache Diskussion, denn viele konservative Kräfte wehrten sich gegen "Eingriffe in das Privatleben" und wollten sich den Nimbus der Ehe nicht beschädigen lassen.
Ich war 1989 Abgeordnete zum Bundesrat und erinnere mich ziemlich gut an die Debatte anlässlich des Beschlusses über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Den Vogel schoss damals ein 40-jähriger Abgeordneter der ÖVP ab, der es am Rednerpult nicht fassen konnte, dass "die normale Vergewaltigung im Ehebett" ebenso strafbar sein sollte wie "die im Park". Er sprach damit ohne Unrechtsbewusstsein jenen Ungeist offen aus, den eine von Johanna Dohnal im Auftrag gegebene Gewaltstudie ein wenig später belegte: eine vorherrschende "Mentalität der Gattenherrschaft" - und das trotz Abschaffung des "Oberhaupts der Familie" mehr als zehn Jahre zuvor. Im Herbst 1996 schließlich wurde das Gewaltschutzgesetz verabschiedet, das wegen des großen Schulungsbedarfes beim Vollzugspersonal erst im Mai 1997 in Kraft trat. Das war nach der Strafbarkeit der ehelichen Vergewaltigung ein Paradigmenwechsel, denn damit wurde Gewalt in der Familie endgültig zum Offizialdelikt, der Staat dehnte sein Gewaltmonopol auf die bislang "staatsfreie" Privatsphäre aus. Im Zentrum steht dabei die Verpflichtung der Polizei, Gewalttäter aus der Wohnung zu verweisen und ein Betretungsverbot auszusprechen.
Im Film Die Dohnal (Regie: Sabine Derflinger, 2020) über Johanna Dohnal sagt die Vorsitzende des oberösterreichischen Gewaltschutzzentrums und ehemalige Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger dazu, dass diese Neuregelungen ein gutes Beispiel dafür seien, wie ein Gesetz eine Gesellschaft verändern könne. "Es sagt, wenn du als Mann deine Frau bedrohst, schlägst, deine Kinder misshandelst, dann musst du gehen. Du als Mann musst dich mit deiner Gewalt auseinandersetzen. Und nicht die Verantwortung auf die Frau schieben, nach dem Motto: Sie treibt mich ja zur Weißglut. Denn damit schiebt der Täter die Verantwortung von sich und macht das Opfer für seine Gewalttätigkeit verantwortlich." Seither sei Gewalt in der Familie in der Öffentlichkeit nicht mehr dasselbe wie zuvor, und es sei deutlich zu beobachten, wie sich Frauen zunehmend ihrer Rechte bewusst würden. Die Gewalt ist damit noch...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.