1. Kapitel.
Einführung.
Kolonisationsidee in Deutschland. - Erwerbung Deutsch-Ostafrikas. - Verträge in Usegua, Nguru, Usagara und Ukami. - Kaiserlicher Schutzbrief. - Gesellschaft für deutsche Kolonisation. - Gegenbestrebungen des Sultans. - Erste Stationen in Ostafrika. - Expeditionen zu Gebietserwerbungen. - Expedition des Verfassers. - Protest des Sultans Said Bargasch gegen den kaiserlichen Schutzbrief. - Araber in Ostafrika. - Besitzstand des Sultans an der Küste. - Stellung der Walis. - Bismarcks Ultimatum. - Deutsche Flottendemonstration in Sansibar. - Der Sultan erkennt die deutschen Ansprüche an. - Diplomatische Verhandlungen zwischen Deutschland und England. - Londoner Vertrag. - Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft. - Der Küstenvertrag mit dem Sultan. - Stationsbestand der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft.
Eine Geschichte des Araberaufstandes in Deutsch-Ostafrika kann nicht gedacht werden ohne eingehende Betrachtung der Verhältnisse, welche diesem Aufstande vorhergingen. Die Erwerbung Deutsch-Ostafrikas, die einzelnen Phasen im Aufbau der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, die rein politischen und handelspolitischen Faktoren, welche im Zusammenwirken mit den Völkerverhältnissen an der Küste Deutsch-Ostafrikas zum Aufstand führten, bilden eine große logische Kette.
Die Entwickelung der Kolonisationsidee in Deutschland braucht nur mit wenigen Worten gestreift zu werden.
Die allgemeinen Ursachen, auf denen sich diese Idee aufbaute, sind selbstverständlich in erster Linie in der außerordentlichen Machtstellung zu suchen, welche Deutschland besonders nach dem französischen Kriege in der Welt sich erworben. Diese Machtstellung brachte dann eine unerwartete Entwicklung der Industrie mit sich und diese wieder trieb ganz von selbst zu der Notwendigkeit neue Absatzgebiete im Ausland zu schaffen. Während von der einen Seite her diese Absatzgebiete lediglich auf dem Handelswege im Ausland oder in den Kolonien anderer Nationen gesucht wurden, verlangte das wiederbelebte Nationalgefühl der Deutschen seinerseits einen Anteil an der Welt in Gestalt von Kolonien, um auf diese Weise die großen wirtschaftlichen Faktoren im eigenen kolonialen Auslande nutzbar verwerten zu können: mit einem Wort, die politische Unabhängigkeit auch auf dem Gebiete des Handels und der Industrie zu erwerben. Gegenüber allen Verdächtigungen feindlicher Kreise muß den ersten Beförderern der Kolonialidee zweifellos der Ruhm zuerkannt werden, den Weg zu einer solchen Unabhängigkeit ehrlich gesucht und auch thatsächlich gefunden zu haben.
Welch außerordentliche Rolle bei diesen Bestrebungen Deutsch-Ostafrika von vornherein gespielt hat und immer spielen wird, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden. Einmal haben wir es mit einem Gebiete zu thun, welches nach dem übereinstimmenden Urteil aller unbefangenen Beobachter und Forscher zweifellos die wertvollsten Teile Afrikas entweder in sich begreift oder handelspolitisch zu beherrschen in der Lage ist. Ferner verfügt gerade unser Gebiet über eine durchaus eigentümliche, im ganzen schwarzen Kontinent sich nicht wiederfindende Entwicklung der Handelsbeziehungen nach dem Innern und vom Innern heraus. Endlich besitzen wir in dem Volksstamm, welcher die Handelswege nach dem tiefsten Innern eröffnet hat und auch gegenwärtig noch als alleiniger Träger dieses Handelsverkehrs aufzufassen ist, in den Arabern nämlich, Handelsvermittler von einer kaufmännischen Begabung und gerade für das in Betracht kommende Land geeigneten Vorbildung, wie sie wenigstens für Afrika nicht besser gedacht werden können.
Abgesehen von der wesentlichen Bedeutung aber, welche das deutsch-ostafrikanische Gebiet für Deutschland selbst besitzt, muß darauf hingewiesen werden, in welch ungewöhnlicher Weise die Erwerbung dieses Gebietes durch eine deutsche Privatgesellschaft zur Kolonisation ganz Afrikas und im weiteren zur Lösung kultureller und zivilisatorischer Aufgaben von höchster Bedeutung mitgewirkt hat. Der Eintritt des deutschen Reiches in die Reihe der Kolonialstaaten, die internationale Verteilung Afrikas zwischen Deutschland, England, Frankreich, Italien und Portugal in den Verträgen des Jahres 1890, die internationale Regelung der Sklavereifrage durch die Brüsseler Konferenz vom Jahre 1889 sind lediglich Folgen der deutschen Erwerbung, und es darf gewiß als ein eigenartiges Wirken der Vorsehung angesehen werden, wenn gerade das jüngste Kolonialvolk den Anstoß zur Regelung von Fragen gegeben hat, welche einen ganzen Erdteil betreffen.
Wenige Worte mögen dem Leser den Gang der Erwerbung ins Gedächtnis zurückrufen.
Einige wenige patriotische Männer vereinigten sich am 3. April 1884 zur Gesellschaft für deutsche Kolonisation. Sie stellten sich auf den Boden der von Dr. Karl Peters vorgeschlagenen Thesen, welche darin gipfelten, daß, bis das Reich sich entschlösse in eine Kolonialpolitik einzutreten, es nötig sei, daß das deutsche Volk selbst mit praktischen Schritten, d. h. in erster Linie mit Gebietserwerbungen in fremden Erdteilen, zunächst in Ostafrika, vorginge. Im November 1884 traf bereits die erste Expedition (Dr. Peters, Dr. Jühlke, Graf Joachim Pfeil und Kaufmann Otto) in Sansibar ein. Am 10. November brach die Expedition nach Überwindung unendlicher Schwierigkeiten nach dem Festlande auf, erwarb innerhalb 6 Wochen durch Verträge in den Landschaften Usegua, Nguru, Usagara und Ukami die Hoheits- und eine Reihe von Privatrechten von 10 eingeborenen Häuptlingen (Jumbes), hißte die deutsche Flagge an den entsprechenden Punkten und bestimmte einige Plätze für die Anlegung von Stationen. Anfang Februar 1885 traf Dr. Peters bereits wieder in Berlin ein und erhielt auf Verwendung Sr. Durchlaucht des Fürsten Bismarck am 27. Februar 1885 den Allerhöchsten Schutzbrief Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm I. für die gemachten Erwerbungen. Mit Erlangung dieses Schutzbriefes wurden alle Anfeindungen, welche gegen die völker- und staatsrechtliche Gültigkeit jener Verträge erhoben waren, ohne weiteres niederschlagen, - Anfeindungen, welche nicht nur in Deutschland selbst seitens der Kolonialgegner, sondern besonders durch das auf das höchste betroffene England in Szene gesetzt waren. Die Erlangung dieses Schutzbriefes ist daher als ein außerordentlich wesentliches Zugeständnis des deutschen Reiches und zwar in erster Linie des Fürsten Reichskanzlers anzusehen. Es ist der eigentliche Ausgangspunkt der afrikanischen Kolonialpolitik des deutschen Reiches. Die Gesellschaft für deutsche Kolonisation hatte damit ihren ersten und zweifellos größten Erfolg erreicht, einen Erfolg, welcher jedoch der Gesellschaft selbst große und über den Rahmen ihres eigentlichen Wirkungskreises weit hinausgehende Verpflichtungen auferlegte. Es stellte sich sofort die Notwendigkeit heraus, mit weit größeren Kapitalmitteln als bisher die bereits erworbenen Gebiete in thatsächlichen Besitz zu nehmen, andrerseits aber diesen Erwerbungen, welche ja nur als Kern und Ausgangspunkt gedacht waren, neue in weiterem Umkreise hinzuzufügen und den Kolonialbesitz in Ostafrika abzurunden. Besonders die letztere Aufgabe bedingte die allergrößte Eile. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Peters'schen Erwerbung machten sich sowohl von englischer Seite als auch (und zwar vermutlich auf Betreiben der Engländer) seitens des Sultans von Sansibar Bestrebungen geltend, welche darauf abzielten, den erworbenen Besitz zu isolieren und die umliegenden Landschaften rechtlich für den Sultan von Sansibar in Besitz zu nehmen. In richtiger Erkenntnis der Sachlage wurde daher aus der Mitte der Gesellschaft für deutsche Kolonisation heraus bereits am 2. April 1885 eine Kommanditgesellschaft gegründet, welche unter dem Namen »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Karl Peters und Genossen« in das Handelsregister eingetragen wurde und so eine Rechtsform für das weitere Vorgehen darstellte.
Als Zweck der Gesellschaft wurde in die Satzungen aufgenommen »Erwerb, Besitz, Verwaltung und Verwertung von Ländern sowie deutsche Kolonisation im Osten Afrikas«. Dr. Peters erhielt Generalvollmacht und zwar in einer solchen Ausdehnung, daß thatsächlich die ganze Gesellschaft in jeder Beziehung durch ihn allein geleitet wurde.
Für Dr. Peters selbst hatte sich nach seiner Rückreise nach Deutschland die Notwendigkeit eines längeren Aufenthaltes in der Heimat herausstellt, um die schwierigen, dort der Gesellschaft harrenden Aufgaben in Angriff zu nehmen, besonders in den Finanzkreisen Deutschlands die nötigen Kapitalien zu schaffen, ferner die weitere Ausbildung der Gesellschaftsformen herbeizuführen und dieser als Direktor vorzustehen. In Ostafrika standen von den mit Peters ausgezogenen Herren noch Dr. Jühlke und Graf Pfeil zur Verfügung, da der Kaufmann Otto in Usagara einer Krankheit zum Opfer gefallen war. Dem Dr. Jühlke wurde die Vertretung der Gesellschaft in Sansibar und Ostafrika übertragen; während Graf Pfeil als erste Aufgabe die Errichtung der Station Sima in Usagara zugewiesen erhielt.
In Deutschland wurden von Dr. Peters nach der Erteilung des kaiserlichen Schutzbriefes eine Reihe von Persönlichkeiten für den Gesellschaftsdienst engagiert, um zur Erweiterung des Gebietes eine Reihe von Expeditionen zu unternehmen. Einer der engagierten Herren, der Gärtner Schmidt, löste den Grafen Joachim Pfeil auf Sima ab mit dem Auftrag dort eine landwirtschaftliche Station zu gründen. Dadurch wurde Graf Pfeil für Uebernahme weiterer Expeditionen frei und ging zunächst auf der von Bagamoyo nach dem Innern sich hinziehenden Karawanenstraße nach Süden, woselbst er der Gesellschaft durch...