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Am Donnerstag des Coburger Schlossplatzfests
Versprechen sollte man halten, selbst wenn es einem schwerfällt, dachte Kriminalrätin Maximilia Frohn, die Leiterin des Fachkommissariats 1 der Kriminalpolizeiinspektion Coburg, als sie auf die Wanduhr ihres Büros blickte: 18:30 Uhr. Obwohl schon Dienstschluss war, hielt sie der Fall einer Vergewaltigung noch am Schreibtisch. Viel hatten sie bislang nicht ermitteln können: Das Opfer hatte das jährlich stattfindende Coburger Samba-Festival besucht und war mit hoher Promillezahl im Blut bewusstlos im Hofgarten aufgefunden worden. Zurzeit lag die Frau im Klinikum. Eine Freundin hatte sie letztmalig um 22 Uhr gesehen, Zeugen der Tat gab es keine.
Maxi fühlte sich müde und ausgelaugt. Sie legte den Ordner in eine Schublade ihres Schreibtischs und schloss sie ab. Das war zwar unnötig, aber sie bevorzugte einen aufgeräumten Arbeitsplatz. Vor ein paar Wochen hatte sie die Leitung des K1 übernommen, das für die Fälle der »Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter«, wie es im Juristendeutsch hieß, zuständig war. Im Vergleich zu München war diese Kriminalpolizeiinspektion relativ klein, entsprechend wenig Beamte taten hier Dienst, dennoch deckte sie ein großes Gebiet ab: den Bereich zwischen Coburg, Lichtenfels und Kronach. Übergeordnete Dienststelle war das Polizeipräsidium Oberfranken in Bayreuth. In München war das anders. Da hatte man einen direkten Draht zu den Oberen, und die Kommissariate waren stärker besetzt, um das größere Pensum bewältigen zu können. Manchmal fragte Maxi sich, ob es ein Fehler gewesen war, hierherzukommen. Kommissariatsleiterin hörte sich protzig an, vor allem für eine unter 40-Jährige, aber jeder Kollege wusste, dass dies in der Provinz nicht viel bedeutete.
Das Vorzimmer war leer, ihre Abteilungsassistentin schon zu Hause. Durch die offen stehende Tür des nebenan liegenden Vier-Mann-Büros sah sie vor einem der Fenster eine große, schlanke Männergestalt stehen. Kriminaloberkommissar Richard Levin blickte auf die Neustadter Straße hinunter, die eine Hand in die Hüfte gestemmt, mit der anderen stützte er sich an der Scheibe ab.
Sie blieb stehen. Levin war zwar kein Modeltyp, aber er hatte Ausstrahlung und stand zudem im Ruf, ein ausgezeichneter Ermittler zu sein: scharfsinnig, unbestechlich, hartnäckig. Dabei hielt nicht nur sein Team 100-prozentig zu ihm, sondern alle Kollegen des K1. Leider hatte er sich ihr gegenüber bislang sperrig gezeigt. Nur manchmal blitzte ein gewisser Charme auf und ganz selten so etwas wie Sympathie. Am meisten ärgerte sie seine Geheimniskrämerei. Ein Mann, der sich nicht in die Karten schauen ließ, regte sie auf. Dabei war es wichtig, mit den Kollegen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Levin war der eigentliche Führer des Rudels, sie hingegen bloß eine Mitläuferin, die ihm vor die Nase gesetzt worden war. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte sich nie hierher versetzen lassen. Und das alles nur, um zu beweisen, dass Frauen auch etwas leisten konnten. Aber es half nichts, da musste sie durch. Sie reckte ihr Kinn vor und ging auf ihn zu.
Levin wandte ihr nach wie vor den Rücken zu, schien fasziniert von dem zu sein, was vor dem Gebäude geschah.
»Irgendwas Interessantes da unten?«, fragte sie.
Statt einer Antwort drehte er sich um, und zu ihrer Überraschung entdeckte sie in seinem hageren Gesicht einen Hauch von Trauer, die aber sofort durch Härte ersetzt wurde. »Sind Sie fertig? Dann können wir.«
Sie siezten sich hartnäckig, da sich bislang keine Gelegenheit ergeben hatte, ihm das Du anzubieten. Insgeheim mochte sie seine sonore Stimme, doch im Moment stieß ihr seine Antwort sauer auf. »Haben Sie auf mich gewartet? Ich finde den Weg auch allein.«
Ein schmales Lächeln war die Antwort. »Ich wollte nur sicherstellen, dass sie nicht wieder das Weite suchen wie vergangene Woche.«
Letzte Woche war Samba-Festival in Coburg gewesen. Sie war zu ihren Eltern nach München gefahren, um - wie viele andere Bewohner der Innenstadt auch - vor den lauten Trommelgruppen, den Touristen und Fans zu flüchten. »Wenn sich die eigene Wohnung plötzlich inmitten einer Trommel zu befinden scheint, kann die Stille in der Ferne sehr attraktiv sein. Sind Sie etwa geblieben?«
Sein Lächeln verflüchtigte sich. »Gehen wir. Die Kollegen warten bestimmt schon.«
Gemeinsam traten sie aus dem ehemaligen Kasernengebäude, das jetzt die Polizeiinspektion sowie die Kripo Coburg beherbergte, und sie ließ sich von ihm zum Schlossplatzfest chauffieren. Dort parkte er seinen nachtblauen Audi A3 rotzfrech im abgesperrten Bereich. Als sie demonstrativ die Augenbrauen hochzog, zwinkerte er ihr zu. Eine der üblichen Plänkeleien zwischen ihnen, wenn es um Außerdienstliches ging.
Jetzt freute sie sich doch auf den Abend im Kollegenkreis. Während sie sich dem Schlossplatz näherten, wehte ihr eine warme Brise appetitanregender Gerüche entgegen. Vom morgendlichen Regen kündeten nur noch wenige Pfützen. Manchmal wurde der Platz als Parkfläche des benachbarten Landestheaters genutzt, doch heute umrundeten ihn weiße Zelte. Um das mit Blumen geschmückte Rondell, mit dem Denkmal des Herzogs Ernst I. in der Mitte, bewegten sich die Besucher im Kreis, während die Coburger Gastronomie ihre Gäste mit heimischen Spezialitäten versorgte.
Vor einem Bierausschank trafen sie die Kollegen, die - bis auf einen, der Bereitschaft hatte - vollzählig erschienen waren. Zu Maxis Erleichterung befand sich unter ihnen auch Kommissarin Nadine Wallner, die neben ihr die Frauenpower der Kripo repräsentierte. Die Wallner, wie alle sie nannten, war eine zierliche Person, die jedem an den Kragen ging, der ihre Kompetenz infrage stellte. Und das mit gutem Grund, denn sie arbeitete zielorientiert, war zudem unermüdlich und geradeheraus, was sie sympathisch machte.
Kommissar Peter Weingarth winkte ihnen zu. Auch er war relativ klein geraten, ließ aber Wallners Schärfe vermissen. Dafür war er der Spaßvogel der Abteilung. Trotzdem konnte er zu einem angriffslustigen Terrier mutieren, wenn er sich in einen Fall verbiss. »Auch scho' da?«
»Hat doch nicht jeder so eine lockere Dienstauffassung wie du«, sagte Levin trocken.
»Alter Miesepeter. Prost!« Weingarth hob das halb leere Glas und nahm einen ordentlichen Schluck. »Wollt ihr was essen?«
»Gern«, sagte Maxi und legte die Hand auf ihren Magen, der prompt knurrte.
Weingarth lachte. »Des nehm ich als ein Ja. Wohin?«
Maxi hatte keine Ahnung, wohin, aber offensichtlich erwartete jeder, dass sie den Leithammel spielte. Sie empfand das als unfair, da sie nur a Zuagroaste war, wie man in München sagen würde.
»Auf geht's«, sagte Levin und schlenderte gegen den Uhrzeigersinn auf die Arkaden zu, die den Platz zum Hofgarten hin abgrenzten. Einerseits war Maxi ihm dankbar, andererseits hatte er einmal mehr gezeigt, wer Herr im Ring war.
Weingarth grüßte unterwegs ständig irgendwelche Leute, schien jeden zu kennen.
Auf einer der drei Bühnen ließ eine leicht bekleidete Frauengruppe aus Brasilien Hüften und Brüste zu lateinamerikanischen Rhythmen wackeln, während eine dunkelhäutige Schönheit in einem lateinamerikanischen Sambakostüm sich die Seele aus dem Leib sang. Davor stand eine Wand aus Zuschauern, von denen einige ausgelassen mittanzten. Prompt blieben alle Männer ihrer Gruppe stehen und gafften.
Die Wallner versetzte ihr einen leichten Rippenstoß. »Typisch. Kaum wackelt ein Po, sind sie alle k. o.«
Levin drehte sich um, musterte sie von oben bis unten, den Mund spöttisch verzogen, schwieg aber. Die Kollegin errötete.
Vor ihnen stand eine schlanke, elegant gekleidete Frau mit kurzen, schwarzen Haaren, die die Tanzgruppe auf Spanisch anfeuerte; eine Sprache, die Maxi selbst recht passabel sprach. Ob die Brasilianer die Zurufe allerdings verstanden, war fraglich, denn sie sprachen Portugiesisch. Die Dame wandte sich an ihre Begleiterin und wechselte auf Deutsch mit Coburger Zungenschlag: »Das Schlossplatzfest hab ich sehr vermisst«, sagte die Frau. »Komm, trink ma an Schampus.«
Die Begleiterin, eine stämmige Frau, deren auffälligstes Merkmal ein langer, kastanienbrauner Zopf war, nickte. »Wenn du meinst. Wollen wir nicht erst nach den anderen schauen?«
Das ungleiche Paar drängte sich zwischen Levin und Maxi hindurch, wobei ihr der Duft eines schweren Orangen-Moschus-Parfüms in die Nase stieg.
Maxis Gedanken flogen zu dem Mädchen, das nach dem ausgelassenen Samba-Festival vergewaltigt worden war. Beim Schlossplatzfest hingegen schien es gediegener zuzugehen.
Die Wallner forderte, endlich zum Essen zu gehen. »Dahin, wo's Lachs und Kartoffelpuffer gibt. Dazu einen guten Weißwein, mehr brauch ich nicht zum Glücklichsein.«
Maxi ließ sich mittreiben. Der Lachs schmeckte köstlich, die Kartoffelpuffer waren frisch zubereitet und der trockene Frankenwein tat ein Übriges. Bei den lockeren Gesprächen taute sogar Levin auf. Nach dem Essen kreisten sie noch einige Male um das Rondell, bis sich die Gruppe schließlich auflöste. Jeder verließ den Platz in eine andere Richtung, außer sie und Levin. Nur Weingarth verkündete, länger bleiben zu wollen, weil er Freunde getroffen habe.
Als alle gegangen waren, standen sie und Levin sich schweigend gegenüber, als müsste noch etwas gesagt werden. Wäre es zu offensichtlich, ihn zu fragen, ob er mit ihr noch eine Runde drehen wolle? Vielleicht war er sogar deshalb geblieben?
Doch sie hatte sich getäuscht. »Bis morgen«, sagte er unvermittelt und machte...
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