Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Freitag, 5. Januar 2001
Irgendwo in der Tiefe des Waldes schrie ein Käuzchen. Ein seichter Wind kam auf und erzeugte ein leises Rascheln in den tief hängenden Zweigen der alten Bäume. Es war, als wäre die Welt versunken, kein von einem Menschen erzeugtes Geräusch drang an seine Ohren. Der Mond bahnte sich einen Weg durch die tief hängenden Wolken und tauchte die Szenerie in ein unwirkliches, in ein bizarres Licht. Die runde Scheibe spiegelte sich auf der Wasserober?äche des Tümpels. Irgendwo raschelte es im Unterholz. Er zuckte zusammen, wirbelte herum und versuchte vergeblich, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen. Wahrscheinlich war es ein Tier gewesen, das irgendwo im Unterholz auf der Suche nach Nahrung war.
Er war alleine und hätte das Geschehene am liebsten rückgängig gemacht. Doch das war ihm nicht vergönnt. Nun musste er mit der schweren Last zu leben lernen, die er auf sich genommen hatte.
Fassungslos stand er am Rande der Böschung, die zu einem der kleinen Teiche herabführte. Das Blut rauschte in seinen Ohren, schwer hob und senkte sich seine Brust. Er zitterte am ganzen Leib, schaute zu ihr herunter und wusste, dass sie tot war. Sie war die Böschung heruntergestürzt und von unzähligen Eisenstangen, die aus dem Boden ragten, aufgespießt und durchbohrt worden. Es war ein grausamer Anblick. Als der Mond weiter durch die Wolkendecke drang, sah er, dass sich unter ihrem zierlichen Körper eine dunkelrote Blutlache ausbreitete. Ihre Gliedmaßen standen in verrenkter Haltung vom Körper ab. Er hatte geglaubt, bei dem tödlichen Sturz ihre Knochen brechen zu hören. Der Mund stand einen Spalt breit offen. Ein feiner Blutfaden rann aus ihrem Mundwinkel und tropfte auf den gefrorenen Waldboden.
Es war eine kalte Winternacht, und trotzdem stand ihm der Schweiß auf der Stirn, während er dastand und sein grausiges Werk betrachtete.
Was hatte er getan?
Nun würde sie für immer schweigen. Das war für ihn von Vorteil, doch für welchen Preis hatte er sich ihr Schweigen erkaufen müssen?
Sie war tot, würde niemals etwas verraten können.
Und er war zum Mörder geworden.
Übelkeit stieg in ihm auf, als er sich dieser Tatsache bewusst wurde. Nein, verdammt, er war doch nicht einer dieser wahnsinnigen, kaltblütigen Mörder. Er war keiner dieser empathielosen Killer. Er fühlte sich, als würden die Gedanken wie eine zähe Masse durch sein gelähmtes Gehirn rinnen. Von Sekunde zu Sekunde wurde er sich klarer darüber, dass er sie umgebracht hatte. Sein Magen rebellierte.
Wie er es auch drehte und wendete, er konnte das Geschehene nicht rückgängig machen. Schwach sackte er auf die Knie, spürte den eisigen Boden des unbefestigten Waldweges durch den Stoff seiner Hose, barg das Gesicht sekundenlang in den Händen und sah Blitze, die vor seinen Augen tanzten. Schlagartig riss er die Augen auf und stemmte sich wie ein alter Mann in die Höhe, trat an die Böschung und sah sie an. Doch sie lag immer noch da, der Albtraum ging nicht vorbei.
Er mochte nicht länger hinsehen, konnte ihren bizarren Anblick nicht mehr ertragen und wandte sich ab. Höchste Zeit zu verschwinden, schrie alles in ihm. Mechanisch gab er dem Fluchtinstinkt nach und rannte davon.
Samstag, 6. Januar 2001
Die Sohlen der Laufschuhe erzeugten auf dem asphaltierten Teil des Weges ein monotones Trappeln. Sie ver?uchte ihre schlechte Kondition. Ihre Lunge stand kurz vor dem Bersten, dennoch hatte sie nicht vor, aufzugeben.
Nicht so kurz vor dem Ziel.
Ihr Atem ging stoßweise. Er bildete winzige Wölkchen vor ihrem geröteten Gesicht. Die Luft war eiskalt und glasklar. Vor einigen Minuten war die Sonne durch die dicken Äste der Zweige gedrungen und zauberte ein warmes Licht in den verlassenen Winterwald.
Gleich war die Joggingrunde überstanden. Erschöpft würde sie mit weichen Knien in die Polster ihres Autos sinken, das sie auf dem Parkplatz beim Minigolf-Platz abgestellt hatte. Ein paar Meter musste sie noch durchhalten.
Claudia Petzokat kämpfte gegen die zusätzlichen Pfunde, die sie sich zwischen den Tagen angefuttert hatte. Es war der Tag der Heiligen Drei Könige, und sie joggte in den Morgenstunden durch das Zillertal. Um diese Jahreszeit wirkte die Idylle trostlos. Eine mystische Stille umfing sie. Für die Läuferin war es ein ganz normaler Samstag. Wie immer war sie früh aufgestanden, hatte einen Kaffee im Stehen getrunken, bevor sie in die Laufklamotten geschlüpft war, um mit dem Auto in die verschwiegene Talsenke zwischen Cronenberg und Ronsdorf zu fahren. Natürlich musste sie den inneren Schweinehund überwinden, um durch die Kälte zu laufen, aber es nutzte nichts: Wenn sie im Frühling wieder in ihre geliebten Kleider passen wollte, mussten die Pfunde verschwinden. Keiner Menschenseele war sie auf der Runde begegnet, nicht einmal Menschen mit Hunden waren ihr entgegengekommen.
Die Luft war trocken und eiskalt. In der Nacht hatte es wieder gefroren. Jetzt lag Raureif auf den Pflanzen, der in der Morgensonne glitzerte wie tausend winzige Kristalle.
Im Sommer tummelten sich hier an den Wochenenden die Spaziergänger, die Jogger und die Mountainbiker. In der kalten Jahreszeit herrschte an dieser Stelle die Einsamkeit.
Die 38-jährige Bürokauffrau versuchte, den Puls unter Kontrolle zu bringen. Nun ging es leicht bergab. Claudia genoss trotz der körperlichen Herausforderung die Ruhe des Waldes, während sie im Laufen über ihr Leben sinnierte. Nächste Woche hatte sie Geburtstag. Die Einladungskarten an die Freunde waren längst verschickt. Eigentlich konnte sich Claudia auf ihren Freundeskreis verlassen. Man würde ihr eine tolle Party bereiten, daran zweifelte sie nicht. Dennoch war ihr Herz von einer unbestimmten Leere erfüllt. Sie ging stark auf die Vierzig zu. Noch immer hatte sie ihren Mr. Right nicht gefunden. Claudia hatte es satt, sich die Wochenenden in den Clubs der Stadt um die Ohren zu schlagen, um endlich einen Mann fürs Leben zu finden. Es hatte sicherlich den einen oder anderen Kandidaten gegeben, der zeitlich befristet in ihr Leben treten durfte. Jedoch wirklich gepasst hatte es bisher nicht. Vielleicht war sie mit den Jahren reifer und wählerischer geworden, was ihre Anforderungen an Männer betraf.
Da war Dirk gewesen, ein wenig übergewichtig, aber ein offenes, herzerweichendes Lächeln, wunderschöne blaue Augen. Doch er war zu lieb, hatte bedingungslos zu allem Ja und Amen gesagt. Nichts, womit Claudia etwas anfangen konnte. Sie brauchte Gegenwind in ihrem Leben, jemanden, der sie jeden Tag aufs Neue hinterfragte und dennoch in jeder Situation hinter ihr stand, ihr eine starke Schulter zum Anlehnen bot, wenn ihr danach war. Kaum zwei Monate waren sie ein Paar gewesen, bis Claudia die Notbremse gezogen und ihn vor die Tür gesetzt hatte. "Es passt einfach nicht mit uns", hatte sie Dirk gestanden. Der Start zu einer Verfolgungsjagd, denn Dirk hatte sich so leicht nicht abwimmeln lassen. Immer wieder hatte er sie angerufen, um ein Treffen gebeten, hatte mit einem Strauß Blumen und einer Flasche Sekt vor der Wohnungstür gestanden, viel zu oft hatte er auf der Straße vor ihrem Schlafzimmerfenster gelauert und darauf gehofft, dass sie ihn doch noch einmal hereinbitten würde. Erst, als sie gedroht hatte, ihn bei der Polizei anzuzeigen, war Dirk gänzlich aus ihrem Leben verschwunden.
Dann war da Peter gewesen. Groß, sportlich, fast drahtig, dazu äußerst attraktiv. Er hatte den Großteil seiner Freizeit im Fitnessstudio verbracht. Doch da hatte er sich in eine Mitarbeiterin verguckt und hatte Claudia mit dem jungen Ding betrogen. Von einem schönen Teller isst man nicht, hatte sie ihre Mutter immer gewarnt. Es lag auf der Hand, dass man einen schönen Mann nicht für sich alleine hat.
Aus und vorbei.
Die Liste der Männer, die ein kurzes Gastspiel in ihrem Leben gegeben hatten, war lang. Dabei sehnte sie sich schon seit Ewigkeiten nach dem Märchenprinzen, dem Mann, an dessen Seite sie alt werden wollte.
Nun feierte sie bald ihren 39. Geburtstag.
Inzwischen hatte Claudia den Teil des Weges erreicht, auf dem es steil bergab ging. Ihre Fesseln begannen zu schmerzen, doch sie verlangsamte ihre Schritte nicht. Erst als der erste der beiden Teiche in Sicht kam, wurde Claudia ein wenig langsamer. Sie mochte den verwunschenen Ort, fand, dass der Teich zu ihrer Linken etwas Geheimnisvolles ausstrahlte. Schilfhalme ragten aus dem Wasser, am Ufer hatte sich eine dünne Eisschicht gebildet. Auf einem vorspringenden Ast saß ein Reiher. Regungslos und stumm stierte er ins Wasser, die sichere Beute im Wasser direkt vor Augen. Der dolchartige Schnabel schwebte über der Wasseroberfläche, bereit, pfeilschnell zuzustoßen, wenn die anvisierte Mahlzeit sich der Oberfläche näherte.
Doch daraus wurde nichts.
Als sich Claudias Schritte näherten, breitete der große Vogel die Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Claudia blickte dem Reiher nach, der majestätisch in den eisblauen Himmel aufstieg. Als der Reiher ihrem Sichtfeld entschwunden war, konzentrierte sich die Joggerin auf den Rest der Strecke. Weit war es nicht mehr. Ein paar hundert Meter noch, kein Grund, jetzt schlappzumachen.
Etwas am Ufer zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Claudia verlangsamte ihre Schritte. Sie wandte den Kopf nach links. Sie stockte, als sie eine Person am Abhang liegen sah. Auf dem ersten Blick erkannte sie, dass es sich um eine Frau handelte. Die Fremde trug eine auffällig gesteppte orangefarbene Jacke, dazu einen schwarzen Faltenrock, der eine Handbreit über dem Knie endete. An den Füßen geschnürte, braune Wildlederstiefel.
Ein Outfit, in dem man eigentlich nicht im Wald herumläuft, durchzuckte es Claudia. Schwer atmend...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.