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Biblische Texte interreligiös gelesen
Zur Einführung
Achim Riggert und Mathias Schneider
Annäherungen an das Geheimnis
Die Welt ist geheimnisvoll. Wir versuchen sie zu ergründen und zu verstehen, stoßen dabei aber immer wieder an Grenzen. Das gilt erst recht für die Wirklichkeit, die der christliche Glaube und die biblische Botschaft als tiefstes Geheimnis der Welt bezeugen: Gott. Wir können uns Gott annähern, von unseren Erfahrungen mit dem Göttlichen reden, aber das bleibt stets bruchstückhaft und begrenzt (1 Kor 13,9). Es braucht viele verschiedene Perspektiven und Zugänge, um die Vielfalt dieser Erfahrungen zu sehen und besser zu verstehen.
Die in diesem Band versammelten Bibelauslegungen und Meditationen gehen genau von dieser Einsicht aus: Sie beleuchten Gott und das Wort, das von Gott spricht, indem sie nicht nur die Vielfalt biblischer Perspektiven, sondern auch die Vielfalt paralleler Zeugnisse in anderen Religionen einbeziehen. Dazu gehören unter anderem der Koran, die hinduistische Bhagavadgita und buddhistische Schriften. Dabei ist die Bezugnahme auf diese anderen Traditionen von einem tiefen Vertrauen darauf geprägt, dass dies bereichernd und ergänzend, aber zugleich auch herausfordernd ist. Die vorliegenden Texte fußen darin auf einem neuen methodischen Ansatz, der als »interreligiöse Theologie« bezeichnet wird. Was ist damit gemeint? Und was haben andere Religionen überhaupt in christlichen Bibelmeditationen zu suchen?
Wahrheit in Vielfalt
Der interreligiöse Ansatz, der hinter den Meditationen dieses Buches steht, hat ein Markenzeichen: Er bezieht interreligiösen Austausch ganz bewusst und methodisch in seine Überlegungen mit ein, und zwar als interreligiöse Theologie. Diese Form der Theologie geht von zwei wesentlichen Voraussetzungen aus.1
Erstens geht interreligiöse Theologie davon aus, dass die globale religiöse Vielfalt ein Wert ist. Sie plädiert dafür, dass religiöse Vielfalt mit guten theologischen Gründen aus einer pluralistischen Perspektive beurteilt werden kann.2 Damit ist gemeint, dass religiös Andere und ihre historisch gewachsenen Traditionen nicht als ungültig, minderwertig oder von der eigenen Religion überholt angesehen werden. Stattdessen werden religiös Andere in ihrer Suche nach Befreiung und Heil als gleichwertige Partnerinnen und Partner anerkannt: Denn interreligiös arbeitende Theologinnen und Theologen rechnen damit, Wahrheit nicht nur in der eigenen, sondern auch in anderen religiösen Traditionen zu finden.
In einem zweiten Schritt versteht interreligiöse Theologie religiöse Vielfalt als Ressource. Sie sieht ihre theologische Arbeit nicht nur als alleinige Aufgabe der eigenen religiösen Gemeinschaft: Theologie aus dieser Perspektive ist ein Gemeinschaftsprojekt vieler verschiedener Traditionen. Damit wird der interreligiöse Dialog zum zentralen Bestandteil dieses Projektes. So schreibt Perry Schmidt-Leukel an anderer Stelle: »Wenn man religiös bedeutsame Wahrheit nicht mehr länger als etwas versteht, das nur auf die eigene Religion beschränkt ist, dann kann eine theologische Reflexion, die nach Wahrheit sucht, sich nicht länger damit zufriedengeben, nur auf die Quellen der eigenen religiösen Tradition zurückzugreifen.«3
Es ist dabei wichtig, ein mögliches Missverständnis zu vermeiden. In der interreligiösen Theologie geht es keineswegs um die künstliche Erschaffung einer Einheitsreligion. Der Ansatz nimmt vielmehr die Vielfalt der eigenen und die anderer religiöser Traditionen wahr, vergleicht sie und gewinnt aus diesem Vergleich neue Impulse für eine gemeinsame Suche nach Wahrheit. Das geschieht durch einen Perspektivenwechsel: Wer interreligiöse Theologie betreibt, versucht, die Welt durch die Brille des religiös Anderen zu sehen. Dieser Blick in eine andere religiöse Tradition führt zu Veränderungen. Die gewonnenen Eindrücke können ein neues Licht auf das eigene religiöse Selbstverständnis werfen. Aber auch Theologinnen und Theologen aus einer anderen Religion können versuchen, sich in das Selbstverständnis Anderer hineinzuversetzen und ihre Welt aus den Augen Anderer zu sehen - so erhellen sich die verschiedenen Perspektiven gegenseitig. Dies kann einerseits dazu führen, dass manche religiöse Unterschiede nicht mehr als unvereinbar, sondern als Folge verschiedener Blickwinkel verstanden werden, die einander ergänzen und bestärken. Ein Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Erfahrungen mit Gott in den Religionen (so im Text Opfer). Andererseits können religiöse Unterschiede Anstöße zum Blick über den eigenen Tellerrand geben, sodass neue Aspekte in den Blick kommen oder wiederentdeckt werden können. Ein Beispiel hierfür ist die christliche Neuentdeckung der Bedeutung der Stille durch die Brille hinduistischer und buddhistischer Traditionen.
Von Gott reden: christlich und interreligiös?
Der Ansatz einer interreligiösen Theologie ist nicht zuletzt darauf angelegt, auch die religiöse Praxis zu verändern. Anstöße in diese Richtung sind in den letzten Jahren in Deutschland insbesondere im Bereich des Religionsunterrichts sichtbar geworden.4 So ist es inzwischen fast zum Standard geworden, die Perspektiven anderer Religionen in den Religionsunterricht einzubeziehen. Ebenso werden neue Modelle eines ökumenischen kooperativen Unterrichts, eines gemeinsamen christlichen Unterrichts oder eines konsequent interreligiösen Unterrichts erprobt und zum Teil bereits flächendeckend praktiziert.
Im Bereich von Predigt, Andacht und Textmeditation sind solche Veränderungen bisher nur punktuell wahrzunehmen. Sie beschränken sich oftmals auf spezifische Kontexte und Interessengruppen. Ein Beispiel dafür ist die langjährige Tradition der christlich-muslimischen Bibelarbeiten auf evangelischen und katholischen Kirchentagen.5 Ein weiteres Beispiel ist das Bemühen im Umfeld des christlich-jüdischen Dialogs, Predigtanregungen und -mediationen zu entwickeln und zu veröffentlichen, die ein »Predigen im Angesicht Israels«, das heißt in Aufnahme von Einsichten aus dem christlich-jüdischen Dialog, befördern. Außerdem gibt es etwa in den USA vereinzelt Theologinnen und Theologen, die sich mit der Theorie des Predigens aus interreligiöser Perspektive befassen.
Diese Ansätze interreligiöser Bibelauslegung und Predigt haben jedoch nach unserem Eindruck in Deutschland nur im Blick auf die Einbeziehung des Judentums eine gewisse anfängliche Breitenwirkung erzielt. Ansonsten ist immer noch eine weitgehende Beschränkung auf die eigene Tradition zu beobachten. Dies mag an der Logik religiöser Verkündigung liegen - insbesondere in herausfordernden Zeiten: Diese Logik ist vor allem darauf ausgerichtet, die Gläubigen in ihrer eigenen Tradition zu bestärken. Ein positives Eingehen auf andere Religionen wird dabei schnell als Ablenkung von der Vertiefung in den eigenen Glauben oder als Schwächung der Bindung an die eigene Religion angesehen. Ebenso wird nicht selten eingewendet, dass ein Bezug auf andere Religionen nur etwas für eine kleine Minderheit der Gläubigen sein könne - für Paradiesvögel oder Intellektuelle ohne Bodenhaftung.
Aber muss das so sein? Im Anschluss an den oben skizzierten Ansatz interreligiöser Theologie zeigen die Meditationen in diesem Band, dass die Einbeziehung nicht nur der jüdischen Tradition, sondern auch anderer religiöser Traditionen eine Bereicherung und Bestärkung für den eigenen Glauben sein kann - und zwar nicht nur für einige wenige, sondern für alle Gläubigen. Das Zeugnis anderer Religionen lenkt demnach nicht ab oder verunsichert, sondern kann tiefer in den eigenen Glauben hineinführen - auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Die Bibelauslegungen und Meditationen dieses Bandes laden dazu ein, andere Religionen in die alltägliche Praxis des Predigens und Bibelauslegens einzubeziehen - eben nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern jederzeit, insbesondere auch in regelmäßigen Gottesdiensten, Andachten und Feiern. Das ist das Besondere und Nichtselbstverständliche dieser Sammlung. Ihre Beiträge sind dementsprechend hauptsächlich aus Predigten erwachsen, die Perry Schmidt-Leukel in Gottesdiensten der Universitätsgemeinde in Münster gehalten hat. In diesen Gottesdiensten hat er den interreligiösen Ansatz erprobt und weiterentwickelt.
Früchte interreligiösen Lesens und Auslegens
Wie kann der interreligiöse Ansatz den eigenen Glauben im Einzelnen vertiefen oder sogar erweitern? Eine passende Antwort auf diese Frage können Sie vermutlich selbst am besten geben, sobald Sie die Meditationen in diesem Buch gelesen haben. An dieser Stelle möchten wir im Vorgriff einen Blick darauf werfen, welche Früchte interreligiösen Lesens und Auslegens sich in den Texten dieses Buches spiegeln. Zur Illustration geben wir in einem Kasten jeweils kurze Beispiele aus den Auslegungen - so gewinnen Sie gleichzeitig auch einen ersten Eindruck davon, worum es in diesem Buch geht.
Bestärkung
Der erste positive Effekt kann als interreligiöse Bestärkung bezeichnet werden. Dabei kommen Aussagen der eigenen Tradition zu einem Thema ins Gespräch mit ähnlichen Texten aus anderen Traditionen. Gemeinsamkeiten, die dabei entdeckt werden können, bringen eine neue Intensität ins Spiel: Die Texte bestätigen und intensivieren ihre Bedeutung wechselseitig - sie rücken einander ins beste Licht, anstatt...
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